Cover
Titel
Evangelische Religionspädagogik und völkische Ideologie. Studien zum 'Bund für deutsche Kirche' und der 'Glaubensbewegung Deutsche Christen'


Autor(en)
Kühl-Freudenstein, Olaf
Reihe
Forum zur Pädagogik und Didaktik der Religion 1
Erschienen
Anzahl Seiten
222 S.
Preis
€ 33,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gregor Hufenreuter, Friedrich Meinecke Institut, Freie Universität Berlin

Betrachtet man den Titel des Buches von Olaf Kühl-Freudenstein, dann drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob und wie es dem Autor gelingen wird, ein so spezielles Feld wie die Religionspädagogik mit dem eher breiten Anspruch von Organisationsstudien zu verbinden. Begrüßenswert wären die hierzu notwendigen Arbeiten allemal, denn während für die 1932 entstandene Glaubensbewegung Deutscher Christen bereits einige Untersuchungen, unter anderem auch vom Autor dieses Buches, vorliegen, so sieht die Lage bei dem 1921 gegründeten Bund für deutsche Kirche schon wesentlich dünner aus. Die thematische Verengung auf evangelische Religionspädagogik vor dem Hintergrund völkischer Ideologie muss die Erwartungen jedoch unweigerlich zurückschrauben und lässt fragen, ob eine derart zugespitzte Fragestellung das Potenzial für ein 220 Seiten umfassendes Buch hergibt. Olaf Kühl-Freudenstein bejaht dies, indem er darauf verweist, dass zwar religionspädagogische Teiluntersuchungen zu Joachim Kurd Niedlich, dem Begründer des Bundes für deutsche Kirche und zur Glaubensbewegung Deutscher Christen vorliegen, jedoch keine Längsschnittuntersuchung, die Kontinuitäten, wie auch Diskontinuitäten zwischen den religionspädagogischen Konzepten und den Organisationen erarbeite. So bemüht sich der Autor schließlich um ein differenziertes Bild deutsch-christlicher Religionspolitik indem er seine Untersuchung um „kirchengeschichtliche, biografische, pädagogikgeschichtliche, politische u.ä. Perspektiven“ (S. 11) erweitert.

Chronologisch beginnend umreißt Kühl-Freudenstein im ersten Kapitel kurz die Erscheinung des Bundes für deutsche Kirche, eine dezidiert sich in der völkischen Bewegung der Weimarer Republik verortende Organisation, an deren Spitze Joachim Kurd Niedlich praktisch im Alleingang ein umfassendes Programm zukünftiger deutsch-christlicher Religionspädagogik entwarf. Der frühe Tod Niedlichs 1928 brachte schließlich die religionspädagogischen Bestrebungen des Bundes fast zum erliegen und erst 1932 gelang der Neuanfang, der bereits eng mit der neu begründeten Glaubensbewegung Deutscher Christen und den Personen Kurt Freitag und Reinhold Krause verbunden war. Im zweiten Kapitel wird diese, den Nationalsozialisten weitaus näher stehende Gruppierung mit ihren religionspädagogischen Aktivitäten und dem eigens dafür ins Leben gerufenen „Reichsreferat für Religionsunterricht und Schule“ entsprechend näher beleuchtet. Den Endpunkt setzt hierbei die bekannte Sportpalastrede Krauses im November 1933, die, breiten kirchlichen Widerstand entfachend, dem Reichsreferat der Deutschen Christen ein abruptes Ende bereitete und alle weiteren Aktivitäten in dieser Richtung marginalisierte. Das dritten Kapitel verfolgt alle weiteren religionspädagogischen Planungen Freitags und Krauses im Jahre 1934. Selbige blieben jedoch, auf Grund des zunehmenden Desinteresses des NS-Staates an einer Reform des Religionsunterrichtes vergleichsweise einflusslos.

Die Arbeit Kühl-Freudensteins entfaltet ihre Stärke sobald der Autor die von ihm behandelten Organisationen in das kirchengeschichtliche bzw. –politische Geschehen einbettet und daran Einfluss und Ohnmacht „Deutscher Christen“ gelungen illustriert. So sind seine Untersuchungen zum nicht unwesentlichen Einfluss des Bundes für deutsche Kirche in den Landeskirchen wertvoll und auch die Zusammenarbeit des Bundes mit der Glaubensbewegung Deutscher Christen im Rahmen der Kirchenwahlen von 1932 bietet viel interessantes Material. Die Quellenkenntnisse, auf die sich die Arbeit zum größten Teil stützt, sind profund und detailreich. Anders hingegen sieht es mit seinem eigentlichen Hauptthema aus, den religionspädagogischen Bestrebungen beider Gruppierungen. Weder Freitag noch Krause verfügten über einen eigenständigen religionspädagogischen Ansatz, sondern kopierten lediglich Ideen Niedlichs, wobei sie diese, bereits aus der Position des Wissens um deren Undurchführbarkeit heraus, teilweise radikalisierten. So bleibt es rätselhaft, warum die kirchenpolitische Zuspitzung um die Glaubensbewegung Deutscher Christen im Jahre 1933 einer solch umfangreichen Beschreibung bedarf, stand an deren Ende doch das Scheitern der Glaubensbewegung ganz allgemein und schlussendlich auch aller damit verbundenen religionspädagogischen Ansätze dieser Richtung.

Während hier beim Versuch einer gebundenen Darstellung zwischen Organisationsstudie und Religionspädagogik der Schwerpunkt auf der Organisation ruht, verlagert sich das Kapitel um den Bund für Deutsche Kirche in die entgegengesetzte Richtung. Personell völlig auf die Person Joachim Kurd Niedlichs reduziert, arbeitet Kühl-Freudenstein die Organisation des Bundes kurz ab, um daraufhin in aller Breite Niedlichs religionspädagogisches Programm zu erläutern. Hierbei erarbeitet er anhand einer dichten Quellenlage den deutsch-kirchlichen Ideologiekanon, der vor allem in einen arisierten Christus und ein, von jüdischen Einflüssen befreites Christentum mündete, wobei man vor allem auf den Wegfall des Alten Testamentes hinarbeitete. Doch offenbart eben dieses erste Kapitel auch die Schwächen der Arbeit Kühl-Freudensteins in besonderem Maße. Obgleich der Autor mit dem Begriff der völkischen Ideologie im Titel seiner Studie arbeitet, ist er nicht in der Lage zu definieren, was eigentlich völkisch ist. So konstatiert er lediglich ein „diffuses, teils paranoides Weltbild“, das in „radikalen als auch gemäßigteren Varianten“ (S. 10) auftrat und verweist für alles weitere auf Sontheimers „Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik“ von 1962.

Der an Ignoranz grenzende Verzicht auf die mittlerweile sehr breite Forschungsliteratur der letzten zehn Jahre zur völkischen Bewegung und Ideologie des Kaiserreichs und Teilen der Weimarer Republik stellt wohl auch den Grund dar, warum Kühl-Freudenstein an dieser Stelle faktische Fehler auftürmt. Der Autor verlegt hierbei beispielsweise die Verbreitung völkischen Denkens erst in die 20er Jahre (S. 28), geht von der falschen Annahme aus, dass alle anderen völkischen Gruppierungen dem Christentum distanziert oder ablehnend gegenüberstanden (S. 29) oder übernimmt völlig unreflektiert die mehr als fragwürdig gewordene Traditionslinie völkischen Denkens von seiner Entstehung bis in den Nationalsozialismus. Das bereits 1999 erschienen „Handbuch zur ‚Völkischen Bewegung’ 1871-1918“ hätte hier Autor, wie auch Leserschaft vor einigen überkommenen Fehlurteilen geschützt, ebenso wie das Kapitel „Deutschchristentum“ in Uwe Puschners grundlegender Monographie zur völkischen Bewegung des Kaiserreiches, oder Justus H. Ulbrichts Aufsatz über deutschchristliche Gruppierungen im Handbuch der deutschen Reformbewegungen.1 Die hier zu findenden Bemerkungen zur deutsch-christlichen Ideologie und Organisations-, wie auch Personengeschichte aber auch zur völkischen Religion allgemein hätten einige Thesen Kühl-Freudensteins von den tönernen Füßen geholfen.

Ganz besonders schwerwiegend wird dieser Verzicht auf neuere Forschungen, wenn der Autor in einem Unterkapitel, die von Niedlich im Rahmen der Religionspädagogik verwendeten germanischen Mythen und Märchen in ihrer Funktion auf den Begriff „Kampf“ reduziert und die Bedeutungsebene zu einseitig auf die „Wehrertüchtigung als dem Evangelium, das den Menschen Frieden verspricht“ (S. 69) herunterinterpretiert. Das ist verwegen, denn gerade die aktuelle Märchenforschung hätte dem Autor hier recht hilfreich zur Seite stehen können, wenn er sie denn kennen würde. Dann wäre ihm sicher auch nicht der grundlegende Aufsatz Kai Detlev Sievers entgangen, der sich nicht nur explizit mit Niedlichs Verständnis von Märchen und Mythen beschäftigt, sondern auch die allgemeine damalige völkische und nichtvölkische Debatte um Märchen umfassend behandelt.2 Doch es sind nicht nur inhaltliche oder analytische Problemzonen, die das Buch von einem lehrreichen Lesevergnügen weit entfernen. Stilistisch lässt die Arbeit Kühl-Freudenstein viele Wünsche offen. Das beginnt mit Fußnoten, die mal den Fließtext mit anderen Worten wiederholen oder mit einer Fülle von Informationen angereichert sind, die im Text wünschenswert gewesen wären und endet mit einem eigentümlich starren Korsett der Interpretation, das meist mit einem „Zunächst ist festzustellen“ oder „Erinnert sei zunächst“ beginnt. Überhaupt stört die unentwegte Verwendung solcher Worte wie „freilich“, „bemerkenswert“, „mithin“ oder „verblüffend“, die bisweilen mehrfach und gemeinsam auf einer Seite zu finden sind die Darstellung ungemein. Als regelrecht strapaziös muss jedoch die Form der Ansprache und Einbeziehung der Leserschaft durch den Autor empfunden werden, der beständig mit einem imaginären „Wir“ („Wir haben gesehen“ oder „Wir wollen kenntlich machen“) operiert, wenngleich dies in der wissenschaftlichen Literatur anderer Fachbereiche womöglich nichts ungewöhnliches darstellt.

Abschließend sei jedoch noch auf das Fazit des Autors verwiesen, dass auf die Modernisierungsbestrebungen des evangelischen Religionsunterrichtes von damals wie auch heute hinweist und vor deren Hintergrund er das Tun und Denken Kurt Freitags und Joachim Kurd Niedlichs im Rahmen ihrer Zeit kritisch abwägt. Die „relative Berechtigung“ (S. 193) der Aktivitäten beider, sieht er durch den Spielraum bedingt, den die grundsatzfreien religionsdidaktischen Formulierungen der Weimarer Reichsverfassung boten und die noch heute Geltung haben. Mit ihrem Antisemitismus und dem damit einhergehenden Verstoß gegen das konstitutive Gebot der Nächstenliebe sollten beide jedoch ein Beispiel sein, dass die evangelischen Religionspädagogen von heute eben dieses Gebot künftig nie mehr außer Acht lassen. Entsprechend merkwürdig klingt im Gegenzug der Vorschlag Kühl-Freudensteins eine „behutsame Wiederentdeckung“ (S. 192) der Religionspädagogik Kurd Niedlichs zu veranlassen, wenn auch der „ideologischen Verzerrungen entkleidet“. So sieht er im Bereich des Kirchengeschichtsunterrichtes durch „behutsame Rezeption“ der „vielen kirchengeschichtlichen Ideen Niedlichs“ (S. 191) „manches [...] was zu einer Belebung des Kirchengeschichtsunterrichtes der Gegenwart“ zu verwenden wäre. Als Beispiele nennt er das von Niedlich zusammengestellt Material zum Thema Kirchenmusik, Mystik o.ä. und nennt unter Hinweis auf das Erzähltalent Niedlichs einige „über weite Strecken sachgerechte und lesenswerte Lebensbilder“, etwa von „Ulrich von Hutten, Albrecht Dürer, Jakob Böhme, Paul Gerhard, Johann Sebastian Bach, Immanuel Kant, Pestalozzi, Bodel-Schwingh u.v.a.m.“ (S. 191). Als Beispiel bringt der Autor dann einen kurzen Teilabschnitt aus dem Lebensbild Jacob Böhmes. Während er den ersten Satz, als vom völkischen Weltbild bestimmt für unbrauchbar erklärt, der „getrost vernachlässigt“ werden könne, erscheint ihm der Rest trotz der „altertümlichen Sprache“ und „Formulierungen wie die von der ‚tugendsamen Jungfrau’“ (S. 192) akzeptabel für den evangelischen Religionsunterricht an heutigen Schulen. Es gilt jedoch zu bezweifeln, dass der Autor in der Lage ist, die ideologischen Begriffsdimensionen Niedlichs tatsächlich kritisch zu hinterfragen und zu erkennen. Das fängt spätestens mit einer „tugendsamen Jungfrau“ an und muss in der grundsätzlichen Frage enden, ob es überhaupt von Interesse sein kann, Niedlichs Schriften von der, den Menschen Niedlich bestimmenden Weltanschauung zu trennen und die Person in unserer Gegenwart jenseits wissenschaftlicher Abhandlungen zu etablieren. Das ist trotz aller „Erzählkunst“ entschieden zu verneinen. Niedlich war es zu seinen Lebzeiten nicht grundlos missgönnt in der evangelischen Religionspädagogik Fuß zu fassen, warum sollten wir also einem Niedlich „light“ Einlass in die heutigen Religionsschulbücher gewähren?

Anmerkungen:
1 Puschner, Uwe; Schmitz, Walter; Ulbricht, Justus H., Handbuch zur ‚Völkischen Bewegung’ 1871-1918, München 1999; Puschner, Uwe, Die völkische Bewegung im wilhelminischen Kaiserreich. Sprach-Rasse-Religion, Darmstadt 2001, S. 214-222; Ulbricht, Justus H., Deutschchristliche und deutschgläubige Gruppierungen, in: Kerbs, Diethard, Reulecke, Jürgen, Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880-1933, Wuppertal 1998, S. 499-512.
2 Sievers, Kai Detlev, Völkische Märcheninterpretation. Zu Kurd Niedlichs Mythen- und Märchendeutungen, in: Schmitt, Christoph, Homo narrans. Studien zur populären Erzählkultur. Festschrift für Siegfried Neumann zum 65. Geburtstag, Münster 1999, S. 91-110.

Kommentare

Von Kühl-Freudenstein, Olaf23.06.2003

Replik zur Rezension von Gregor Hufenreuter zu: Kühl-Freudenstein, Olaf: Evangelische Religionspädagogik und völkische Ideologie. Studien zum 'Bund für deutsche Kirche' und der 'Glaubensbewegung Deutsche Christen' (= Forum zur Pädagogik und Didaktik der Religion 1). Würzburg 2003. In: H-Soz-u-Kult, 13.06.2003, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=2775>.

Grundsätzlich ist es erfreulich, wenn ein Buch, das man selber verfasst hat, aufmerksam gelesen und dann sachkundig rezensiert wird. Die Rezension von Hufenreuter wirft jedoch die Frage auf, ob hier mit der üblichen wie nötigen Aufmerksamkeit und Sachkunde gearbeitet worden ist.

Hufenreuters Hauptkritik zielt darauf, dass wichtige Werke zur völkischen Bewegung aus den vergangenen Jahren nicht Eingang in mein Buch gefunden hätten. Dieser Kritikpunkt ist in einem gewissen Maß berechtigt. Zu bedenken ist aber, dass Hufenreuter insbesondere Werke vermisst, die sich mit der völkischen Bewegung im Kaiserreich befassen, einer Geschichtsepoche also, die ich in meiner Arbeit gar nicht behandelt habe. Dazu kommt, dass eine solche Kritik dann etwas formalistisch ist, wenn nicht nachgewiesen wird, dass durch das Weglassen Undifferenziertes bzw. gar Falsches gesagt wird. Das weiß auch Hufenreuter. Und so möchte er gleich mehrfach belegen, dass in meiner Arbeit „faktische Fehler aufgetürmt“ seien. Was dann allerdings folgt, sind keinesfalls faktische Fehler meinerseits, sondern vor allem Belege für Hufenreuters erstaunlich ungenaue Lesearbeit. Dafür einige Beispiele:

Hufenreuter kritisiert unter Hinweis auf die besagten neueren Studien, dass ich die „Verbreitung völkischen Denkens erst in die 20er Jahre“ verlege. Liest man an der angegebenen Stelle nach (S. 28), so heißt es dort jedoch, dass völkisches Denken „in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts zunehmende Verbreitung fand“. So stellt sich die Frage, ob Hufenreuter denn meint, dass die Verbreitung völkischen Denkens in den 20er Jahren nicht zunahm, ob er meint, dass dessen Verbreitung in jenen Jahren stagnierte oder gar abnahm – und ob in dieser Weise in der von Hufenreuter genannten Literatur argumentiert wird. Zumindest letzteres ist nicht der Fall – weil sich die von ihm genannte Literatur ja gar nicht mit dem gefragten Zeitabschnitt befasst.

Weiter meint Hufenreuter, ich nähme an, „dass alle anderen völkischen Gruppierungen dem Christentum distanziert oder ablehnend gegenüberstanden“ – außer dem Bund für deutsche Kirche. Eine solche pauschalierende Behauptung indes findet man nicht in meinem Buch – weder auf der von Hufenreuter angegebenen Seite, noch sonst irgendwo. Vielmehr heißt es bei mir, dass eine Nähe zum Christentum den „Bund nach außen hin von anderen völkischen Kreisen, die dem Christentum teils distanzierter, teils ablehnend gegenüber standen“ ( S. 29) unterschied. Davon, dass alle anderen völkischen Gruppierungen dem Christentum distanziert oder ablehnend gegenüberstanden, wie Hufenreuter gelesen zu haben meint, ist also nicht die Rede.

Einen langen Abschnitt widmet er dann dem Märchenverständnis von Kurd Niedlich. Wie ungenau und oberflächlich er auch hier vorgeht, wird schon daran ersichtlich, dass Hufenreuter die Struktur eines wesentlichen Satzes schlicht nicht verstanden hat. Im Original steht, dass Niedlichs Religionspädagogik „offenbar mehr der Wehrertüchtigung als dem Evangelium, das dem Menschen Frieden verspricht, verpflichtet war.“ Die grammatikalische Struktur des Satzes ist also bedingt durch die korrespondierende Konjunktion „mehr...als“ und impliziert eine Gegensatzstellung der Wörter Wehrertüchtigung und Evangelium. Hufenreuter ist das völlig entgangen, denn er schreibt, ich hätte die „Bedeutungsebene der Märchen zu einseitig auf die ‚Wehrertüchtigung als dem Evangelium, das den Menschen Frieden verspricht’ herunterinterpretiert“. Von der ursprünglichen grammatikalischen Konstruktion des Satzes ist hier nichts mehr erahnbar, stattdessen muss man glauben, dass nach meiner Interpretation bei Niedlich die Wehrertüchtigung als Evangelium fungierte – was schlicht nicht der Fall ist.

Dann führt er als Zeugen für angebliche Mängel meiner Arbeit die wichtige Studie von Sievers zum Märchenverständnis von Niedlich an. Hufenreuter schreibt, ich würde das Märchenverständnis von Niedlich zu einseitig auf den Begriff Kampf reduzieren, während Sievers Niedlichs Märchenverständnis offenbar differenzierter interpretiere. Hierzu ist zum einen zu bemerken, dass von einer Reduktion bei mir nicht die Rede sein kann, vielmehr handelt es sich um eine Zuspitzung, die sich aus einer Gesamtschau der Religionspädagogik Niedlichs ergibt. Dazu kommt zum anderen, dass auch Sievers durchaus von der hohen Bedeutung des Begriffes ‚Kampf‘ für das Märchenverständnis von Niedlich weiß (vgl. S. 101 u.ö.). Dass Sievers’ Studie – wie Hufenreuter es offenbar meint – meiner Zuspitzung widerspricht, kann ich an keiner Stelle ersehen.

Einen ebenfalls langen Abschnitt widmet Hufenreuter meinem Fazit. In diesem fordere ich unter anderem eine behutsame Rezeption der kirchengeschichtlichen Ideen Niedlichs. Hufenreuter weist diese Forderung wortreich zurück – in der Bemerkung gipfelnd, es war „Niedlich ... zu seinen Lebzeiten nicht grundlos missgönnt in der evangelischen Religionspädagogik Fuß zu fassen, warum also sollten wir einem Niedlich ‚light‘ Einlass in die heutigen Religionsschulbücher gewähren?“ Nun kann man davon absehen, dass von Religionsschulbüchern in meinem Fazit gar nicht die Rede war; unverständlich hingegen ist, dass Hufenreuter auch nach der Lektüre meines Buches offenbar nicht anerkennen kann, dass Niedlich zu seinen Lebzeiten sehr wohl in der Evangelischen Religionspädagogik Fuß hatte fassen können. Gleich an mehreren Stellen beschreibe ich, wie die anfänglichen Vorbehalte namhafter liberaler Religionspädagogen Niedlich gegenüber abgebaut wurden (S. 44ff., S. 76f. u.ö.) – und zwar keineswegs durch eine sukzessive Adaption seiner ideologischen Positionen, sondern in Anerkennung seines bemerkenswerten religionspädagogischen Ideenreichtums. Diese Unterscheidung zwischen Ideen und Ideologie gelang damals – warum sie heute nicht gelingen sollte, diese Antwort bleibt uns Hufenreuter schuldig.

Es ist unbenommen, dass Hufenreuter mit manchen kritischen Anmerkungen Recht hat. Die zahlreichen Ungenauigkeiten, die Hufenreuters Rezension kennzeichnen, sind allerdings mehr als ärgerlich und lassen vermuten, dass Hufenreuter wohl manches über die völkische Ideologie im Kaiserreich wissen mag, über Evangelische Religionspädagogik hingegen nicht.


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