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Titel
A commentary on Horace's Epodes.


Autor(en)
Watson, Lindsay C.
Erschienen
Anzahl Seiten
XVII, 604 S.
Preis
£90.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Habermehl, Die griechischen christlichen Schriftsteller, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

In der römischen Literatur dürfte es kaum ein disparateres poetisches Werk geben als die Sammlung der 17 Epoden, die Horaz in dem aufwühlenden Jahrzehnt zwischen Philippi und Actium zu Papier brachte (zeitgleich mit seinem anderen Frühwerk, den Satiren) und offenbar um 30 v.Chr. publizierte. Jene schmale Buchrolle lässt den Leser hautnah miterleben, wie nach zart epigonalen, doch durchaus experimentierfreudigen Anfängen Horaz allmählich Schärfe und Kontur gewinnt, Sujets entdeckt, die sein Talent fordern (z.B. den zeitgenössischen Aberglauben in den beiden Canidia-Gedichten), und zumal in den späten Epoden eine Formensprache entwickelt, die die Tür zur Welt der Oden öffnet.

Bei aller Unmittelbarkeit, die die Epoden ausstrahlen (oder besser: auszustrahlen scheinen), sind es doch Gedichte voller sprachlicher Finesse, satt an Realien jeglicher Couleur, getränkt vom Zeitgeist und nicht zuletzt ausgesucht 'intertextuelle' Dokumente, Zeugnisse einer intensiven Kommunikation mit einer reichen literarischen Vergangenheit und Gegenwart. Gerade hier empfiehlt sich als Hilfsmittel für eine ertragreiche Lektüre der Kommentar. So nimmt es kaum Wunder, dass es die Epoden im Laufe der Jahre auf eine stattliche Zahl solcher Begleiter brachten (aus jüngerer Vergangenheit sind gleich zwei Arbeiten zu nennen, die etwas unausgegorene von D. Mankin, 1995, und die ansprechende von A. Cavarzere, 1992). Der Wingert schien abgeerntet, Kelter und Keller wohlgefüllt. Doch inzwischen sehen wir uns eines Besseren belehrt. Wieviel pralle Beeren und Trauben noch verborgen im Weinlaub hingen, führt uns auf geradezu beschämende Weise L. C. Watson vor Augen, Latinist an der Universität Sydney, und einstens Schüler des wohl besten Horazkenners unserer Tage, Robin Nisbet.

Als Frucht langjähriger Studien ist ein autoritativer Wegweiser zu den Epoden herangereift, dessen Umfang den arglosen Benutzer erschrecken mag (rund 600 kurzen Versen stehen gute 600 Seiten Text gegenüber), der aber von der allerersten Seite an besticht durch seine Souveränität im Umgang mit Quellen wie Sekundärliteratur, durch sein untrügliches Gespür für offene Fragen und verborgene Probleme und ein willkommenes Quantum common sense jenseits philologischer Tagesmoden.

Eine dichte, für neue Einsichten empfängliche Summe dieser Texte in Augenhöhe mit der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion präsentiert die höchst lesenswerte Einführung, die sich auf fünf Punkte konzentriert: (1) Eine biographische Skizze (der "historische Hintergrund") fragt vor allem nach Horazens Wandlung vom Republikaner zum 'Dichter des Regimes'. (2) Mit detektivischem Scharfsinn widmet Watson sich den poetologischen Modellen der Epoden (dem "literarischen Hintergrund"), samt dem alten Streit, ob Horaz sich eher am Iambus des Archilochos und überhaupt an der archaischen Dichtung oder aber an Kallimachos' Iamben und der hellenistisch-neoterischen Schule orientiert habe (Catull). Feinsinnige Detailbeobachtungen erlauben ihm, diese künstliche Dichotomie zugunsten einer organischen Synthese zu überwinden. Teil (3) fragt nach verborgenen Verbindungslinien zwischen den einzelnen Stücken und der architektonischen Klammer des Epoden-Buches insgesamt. Horazens Stil in den Epoden beleuchtet Teil (4). Zwei exemplarische Interpretationen (zu Epoden 3 und 8) sollen die poetische Qualität auch der angeblich 'schwächeren' Stücke veranschaulichen. Vor allem für den zweiten Text, die vielgescholtene Tirade gegen die sexuellen Aktivitäten einer reifen Frau, bricht Watson eine Lanze und feiert das Gedicht etwas vollmundig als "one of the finest of the Epodes, a bravura essay in Hipponactean aischrología, scatology, and self-deflation twinned with typically Roman grand-standing about female moral laxities" (S. 40). Ein Blick auf metrische Fragen (5) beschließt die Einführung.

Was man vergebens sucht, ist ein Text der Epoden. Als magerer Ersatz dient eine Synopse, die Watsons editorische Entscheidungen mit drei modernen Ausgaben abgleicht, den beiden Standardtexten von Klingner und Shackleton Bailey sowie Garrod (an dessen Stelle man allenfalls Borzsák erwartet hätte). Dass der so umfangreiche und leserfreundlich gestaltete Band just an dieser Stelle knausert, um eine Handvoll Seiten zu sparen, ist eine bedauerliche, doch lässliche Sünde.

Eine gute Idee von Watsons Qualitäten in der philologischen Feinarbeit bieten Vorwort und Zeilenkommentar zur längsten Epode, der fünften (S. 174-250). Zu sprechen kommt Watson vor allem auf die komplexe literarische Textur der Epode, die an Theokrits zweitem Idyll und Vergils achter Ekloge anknüpft, aber auch aus dem Mimus schöpft und der hellenistisch-römischen Leidenschaft für groteske und greuliche Sujets frönt (beredte Beispiele untermalen die Argumentation). Mit einer ganzen Armada neuer Belege aus den Papyri Magicae Graecae (PMG) und verwandten Quellen kann Watson aber auch (gegen die Mehrheit früherer Interpreten) deutlich machen, dass es Horaz um mehr als allein um die Lust an 'grausigen und ekelhaften Motiven' geht (so der Titel von M. Fuhrmanns epochalem Aufsatz). Nicht wenige magische Details der Epode sind in den älteren literarischen Texten unbelegt, finden sich jedoch sehr wohl in den PMG. Watsons einleuchtende Erklärung dieses überraschenden Befunds: das Gedicht stütze sich auf einen substantiellen Kern harter Fakten, genauer: es spiegele authentische magische Praktiken, wie die römischen Autoritäten jener Jahre sie zu unterbinden suchten. Gegen diesen virulenten Aberglauben richte sich nun auch Horazens Polemik. Zugleich aber, so Watson zu Recht, bleibe der Ton des Textes ausgesprochen humorig; nicht zuletzt dank vitaler Bezüge zum Mimus: So werde sich etwa Canidia in der komischen Maske der greisen Nymphomanin letztlich bitter der Beschränktheit ihrer magischen Mittel bewusst. Und ein bedeutsamer Punkt, der bislang in der Diskussion so gut wie keine Beachtung fand, und den Watson umsichtig herausarbeitet: der Text endet offen - eine Rettung des jungen Hexenopfers in letzter Minute ist sehr wohl denkbar. Mit einem Schlag verflüchtigt der kannibalische Schauder sich zur karnevalesken Farce.

Wer Horaz liebt, wird diesen Band schwerlich missen wollen.

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