Der hier anzuzeigende, von Frank Konersmann und Lenelotte Möller herausgegebene Sammelband Die Kleine Eiszeit (1430–1830) in Unterricht und Lehre gliedert sich in drei Hauptteile: Auf eine forschungszentrierte Einführung (S. 11–40) von Frank Konersmann folgen Eindrücke und Erfahrungen im schulischen Unterricht (S. 41–104) und schließlich Eindrücke und Erfahrungen in der universitären Lehre und in anderen Berufsfeldern (S. 105–168). Dabei geht der zweite Teil auf eine zweitägige Tagung im Mai 2017 zurück, auf der Ergebnisse eines zweijährigen Projekts zur Kleinen Eiszeit zwischen den Herausgeber:innen und einigen Gymnasien in der Pfalz präsentiert wurden.
Dieser Entstehungskontext des Sammelbandes ist von doppelter Bedeutung. Denn zum einen erlangte das Thema der Kleinen Eiszeit an den beteiligten Gymnasien einen gebührenden Stellenwert. Das Projekt kann somit als Vorbild für die Integration klimageschichtlicher Fragestellungen an Schulen gelten. Dieser Hintergrund ist zum anderen aber auch im Hinblick auf die im Vorwort genannten Projektziele und die Adressat:innen zu reflektieren. So war es Ziel des Projekts, Schüler:innen „mit Methoden und Konzepten der Geschichtswissenschaft“ (S. 7) vertraut zu machen. Der Band richtet sich folglich 1.) „an junge […] Menschen“, um sie für Geschichte zu begeistern; 2.) an „Lehrer, Berufsverbände und Bildungspolitiker“, die sich für eine Verankerung der „Historisierung der Klimafrage“ in Lehrplänen einsetzen sollten; 3.) „sowohl [an, RFN] Berufsverbände und Schulbuchverlage als auch Landes- und Regionalhistoriker“, da „es bis heute an Lehrmaterial zu Themen der Historischen Klimaforschung mangelt“; und 4.) an „Dozenten und Forscher“ (S. 8).
Im Hinblick auf die zuletzt genannte Adressat:innengruppe verdienen zwei Beiträge eine inhaltliche Besprechung. Zunächst ist die Einführung von Frank Konersmann zu nennen. Darin reflektiert der Autor die grundlegenden methodischen Probleme, zwischen klimatisch feststellbaren Schwankungen und deren gesellschaftlichen Auswirkungen kausale Wirkungszusammenhänge herauszuarbeiten (S. 14f.). Für die Modellierung dieser komplexen Zusammenhänge empfiehlt der Autor das Klimawirkungsmodell LIATIMP („Little Ice Age-type Impacts“) von Christian Pfister (S. 17–19). Konersmann setzt sich dabei kritisch mit klimadeterministischen Deutungen der Hexenverfolgung auseinander (S. 23–29), wie sie etwa durch den Historiker Wolfgang Behringer vorgetragen wurden.1 Eine solch monokausale Deutung dieses Phänomens sei eine „höchst eigenwillige Konstruktion“ (S. 26), welche die vielschichtigen soziokulturellen und religiösen Grundlagen frühneuzeitlicher Gesellschaften systematisch ausblende. Abschließend betont Konersmann die Leistungen der Landes- und Regionalgeschichte, die sich bereits lange vor der Etablierung der Historischen Klimaforschung mit klimageschichtlichen Fragestellungen auseinandersetzte (S. 29–37).
Zweitens ist der Beitrag Klimageschichte der Frühneuzeit als Topos der universitären Forschung und Lehre (S. 105–125), verfasst von einem siebenköpfigen Autor:innen-Team um den Freiburger Physischen Geografen und Historischen Klimatologen Rüdiger Glaser, all jenen zu empfehlen, die sich in der universitären Lehre der Klimageschichte annehmen möchten. Aus dem umfassenden Erfahrungsschatz Glasers schöpfend, werden verschiedene methodische Zugänge zur Klimageschichte in der Lehre didaktisch anschaulich aufbereitet. Der Historischen Klimatologie weisen die Autor:innen eine „besondere Brückenfunktion“ (S. 107) zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zu. Dies könne mithilfe einer Sensibilisierung für geschichtswissenschaftliche Methodik und einer damit einhergehenden Aufwertung der „Archives of Societies“2 erreicht werden.
Aus klimageschichtlicher Perspektive entspricht der im Titel gesetzte Beginn der Kleinen Eiszeit im Jahr 1430 allerdings nicht dem aktuellen Forschungsstand. Vielmehr müsste er bereits um 1300 angesetzt werden.3 Zwei weitere Inkonsistenzen und Fehler sind bei der Datierung des Spörer- (1421–1550) und Maunder-Minimums (1645–1715) festzustellen. Die Periodisierung dieser Phasen geringerer Sonnenaktivität, die zur Verschlechterung des Klimas während der Kleinen Eiszeit beitrugen, erfolgt bei Konersmann und im relevanten Aufsatz von Michael Götzelmann (S. 127–153) nicht einheitlich. Die Datierung des Spörer-Minimums ist innerhalb der Forschung zwar nicht unstrittig4, was Konersmann auch reflektiert (S. 17, Anm. 41), doch während er dieses Minimum „zwischen 1430 und 1460“ (S. 17) datiert, geht es bei Götzelmann von 1415 bis 1534 (S. 131). Ebenso setzt Letzterer den Beginn des Maunder-Minimums in der Überschrift (S. 127) und im Fließtext (S. 129) im Jahr 1630 und damit entgegen der Forschung und Konersmanns Angaben (S. 17) 15 Jahre zu früh an.
Darüber hinaus erschweren weitere inhaltliche, sprachliche und gravierende formale Mängel das Verständnis einiger Beiträge ungemein. Oft ist guter Wille, Empathie und kritische Hermeneutik gefragt, um den Texten Sinn abzutrotzen. So fällt es mitunter schwer, die Interpretation von Diagrammen im Text mit den Diagrammen selbst zur Deckung zu bringen, wie bei den Beiträgen von Gerhard Fieguth und Katharina Willig (S. 52–56, Abb. 14–18) und Götzelmann (S. 143, Grafik III; S. 144, Grafik IV, S. 146, Grafik VI), oder wenn Verweise im Text auf die Abbildungen fehlerhaft sind.5
In formaler Hinsicht ist die den gesamten Band durchziehende uneinheitliche Zitierweise zu kritisieren. Exemplarisch sei hierfür auf den letzten Beitrag von Pascal Kremer et al. (S. 155–168) verwiesen, in dem mindestens acht verschiedene Zitiervarianten Verwendung finden, und auf die erste Seite der – im Übrigen unvollständigen – Gesamtbibliografie, wo mindestens fünf unterschiedliche Varianten ins Auge fallen. Auf sprachlicher Ebene erschweren immer wieder Tipp- und Flüchtigkeitsfehler sowie grammatikalische Ungenauigkeiten den Lesefluss. Auf eine gendergerechte Sprache wurde ebenfalls verzichtet. Der Sammelband hätte dringend einem gründlichen Lektorat unterzogen werden müssen.
Kommt man abschließend aber erneut auf den eingangs erwähnten Entstehungskontext und die Zielsetzung des Sammelbandes zurück, so dürfte es sich ungeachtet der hier angeführten Kritikpunkte insgesamt doch um ein erfolgreiches Projekt handeln. Die Schüler:innen wurden teils innerhalb von nur vier Tagen „in der letzten Schulwoche“ (S. 67) mit geschichtswissenschaftlichen Methoden, Ansätzen und Fragestellungen zur Kleinen Eiszeit vertraut gemacht. Die Beiträge von Noah Fußer et al. (S. 67–82), Alexander Weiland et al. (S. 83–93) und Alisa Finkele et al. (S. 95–104) verdeutlichen, dass die Schüler:innen kritisches, wissenschaftliches Arbeiten erlernt haben, da sie adäquate Fragestellungen formulieren, Kriterien für das eigene methodische Vorgehen reflektieren und plausibel präsentieren sowie Forschungsergebnisse der Sekundärliteratur zu interpretieren wissen. Auch wenn die Beiträge des zweiten Teils für den wissenschaftlichen Gebrauch weniger geeignet scheinen, so kann der Sammelband insgesamt als gelungenes Anschauungsmaterial und Richtschnur für zukünftige Projekte gelten, um die „Historisierung der Klimafrage“ auch im schulischen Bereich voranzutreiben; wobei dann aber gezielt auf die Fallstricke bei der Arbeit mit Schüler:innen zu achten wäre.
Anmerkungen:
1 Wolfgang Behringer, Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung, 7. Aufl., München 2019, S. 165–195.
2 Stefan Brönnimann / Christian Pfister / Sam White, Archives of Nature and Archives of Societies, in: Sam White / Christian Pfister / Franz Mauelshagen (Hrsg.), The Palgrave Handbook of Climate History, Basingstoke 2018, S. 27–36, hier S. 30.
3 Vgl. White / Pfister / Mauelshagen (Hrsg.), Climate History, S. 181, 254, 268.
4 Chantal Camenisch et al., The 1430s: a cold period of extraordinary internal climate variability during the early Spörer Minimum with social and economic impacts in north-western and central Europe, in: Climate of the Past 12 (2016), S. 2107–2126, hier S. 2108, datieren das Spörer-Minimum zwischen 1421 und 1550.
5 So im Beitrag von Gerhard Fieguth / Katharina Willig, Entwicklung der Getreideerträge in der Nordpfalz an der Wende vom 15. auf das 16. Jahrhundert (S. 41–66) auf S. 44, Abb. 1 (=Abb. 2); S. 47, Abb. 1 (=Abb. 2 und 3); S. 51, Abb. 11–13 (=Abb. 11–15). Nur ein besonders augenfälliges Beispiel: Fieguth und Willig weisen einerseits zwar darauf hin, dass die Kellerei Landsburg in der Nordpfalz im Jahr 1536 bei der Dinkelernte einen „Totalausfall“ (S. 51) zu verzeichnen hatte, betonen aber andererseits, dass der Ernteertrag in diesem Jahr „nicht notiert“ (S. 51) worden sei. Letzteres lässt, vor allem weil nach 1536 die Überlieferung ohnehin abbricht, noch keineswegs gesichert auf einen „Totalausfall“ schließen, auch wenn dieser mit klimageschichtlichen Daten zu plausibilisieren versucht wurde. Auf Abb. 15 (S. 54) staunt man entgegen den obigen Angaben zum „Totalausfall“ bzw. zur nicht erfolgten Registrierung der Ernte für 1536 über die ergiebigste Ernte (ca. 240 Malter) im Untersuchungszeitraum, die im Text (S. 54) wiederum mit 205,75 Matern für das Jahr 1533 angesetzt ist.