E. Schriefl: Versammlung zum Konsens. Der sächsische Landtag 1946–1952

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Titel
Versammlung zum Konsens. Der sächsische Landtag 1946–1952


Autor(en)
Schriefl, Edith
Herausgeber
Israel, Uwe; Matzerath, Josef
Reihe
Studien und Schriften zur Geschichte der Sächsischen Landtage
Erschienen
Ostfildern 2020: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
300 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Donth, Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen

War der sächsische Landtag von 1946 bis 1952 mehr als ein „Scheinparlament“? Dieser Frage geht die Autorin in drei sowohl chronologisch als auch strukturgeschichtlich angelegten Kapiteln nach.

Im ersten Teil zeigt Edith Schriefl die Entwicklung der sächsischen Parteien auf: Sie beginnt mit der Wiedergründung ab Juni 1945 und der Einführung der Blockpolitik, mit der bürgerliche Politiker eingebunden und von einer klaren Opposition gegen das Vorgehen der KPD abgehalten wurden und die im Landtag die Grundlage der einstimmigen Entscheidungsfindung bildete. Weitere Schwerpunkte sind der Wahlkampf vor den Landtagswahlen am 20. Oktober und die Konstituierung des sächsischen Landtags am 22. November 1946. Hervorzuheben ist, dass Schriefl dabei auch auf die Beratende Versammlung eingeht, die im Frühjahr 1946 als Erweiterung der Blockpolitik fungierte. Breiten Raum widmet sie den massiven Eingriffen der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) in die politischen Auseinandersetzungen. Hier gab die Besatzungsmacht eindeutig die Richtung vor und stützte dadurch die KPD. Dazu gehörte auch die Auswahl der Landtagskandidaten – Gegner der kommunistischen Politik durften gar nicht erst aufgestellt werden.

Im zweiten Abschnitt behandelt die Autorin die Arbeitsbedingungen des Landtags. Einen Schwerpunkt bilden die umfangreichen Kontrollen und Eingriffe der sowjetischen Besatzungsmacht in das parlamentarische Handeln, die weit über die in den westlichen Besatzungszonen üblichen Einflussnahmen hinausreichten. Detailliert beschreibt Schriefl, dass sich die SMAD auch Anträge, Gesetzesvorlagen und Anfragen zur Genehmigung vorlegen ließ, bevor die Vorhaben eingebracht werden konnten. Darüber hinaus nahmen Vertreter der SMAD regelmäßig an den Plenar- und auch den Blocksitzungen teil, ohne dass dies jedoch dokumentiert wurde. Auch wenn Schriefl die Inhalte des Landtagshandelns ausspart, gelingt es ihr, den von der SMAD vorgegebenen engen Handlungsspielraum des Parlaments herauszuarbeiten.

Das dritte Kapitel befasst sich mit der Endphase des sächsischen Landtages von 1948 bis 1952. Dem Umbau der SED zu einer „Partei neuen Typs“ nach den Vorgaben Stalins und den Zentralisierungsbemühungen in der SBZ, die mit der Gründung der Deutschen Wirtschaftskommission sichtbar wurden, konnte der Landtag in Dresden nichts entgegensetzen. Die SED schreckte sogar vor Diffamierungskampagnen nicht zurück, mit denen sie missliebige Politiker wie den CDU-Landesvorsitzenden Hugo Hickmann im Januar 1950 aus dem Amt jagte. Zwei Jahre später mussten die Landtage in der DDR ihre Auflösung auch noch selbst beschließen.

Ungeachtet ihrer Ergebnisse grenzt sich die Autorin von Forschungsrichtungen ab, die die Entwicklung in der SBZ als zielgerichtete „Diktaturdurchsetzung“ charakterisieren. Stattdessen argumentiert sie, es habe sich um eine „Ökonomie der Offenheiten“ gehandelt. Ihrer Meinung nach lassen „sich politische Versammlungen als soziale Ordnungsarrangements auffassen“, die „Leitideen vortragen und darin spezifische Geltungsbehauptungen symbolisch zum Ausdruck bringen“ (S. 25). Am Beispiel des sächsischen Landtages stellt sie eine „spezifische Institutionalität von politischen Versammlungen“ fest, in denen „Leitideen […] das Handeln der Akteure in den Fluchtpunkt eines ‚großen Ganzen‘ stellen“ (S. 26).

Schriefl bezeichnet die Blockpolitik als „innovativen Ansatz“, der ihrer Ansicht nach in der SBZ für ein „umfassendes Ideal ausgleichenden und konsensorientierten Handelns stand“. Das „einstimmige Votieren“ sei „im Leitideenensemble der Zeit stark verankert“ gewesen: „Selbst die Landtagsabgeordneten waren möglicherweise von dem auferlegten Diktum der Einstimmigkeit nicht durchweg überzeugt. Innerhalb der Institution des Landtags jedoch waren die Einstimmigkeit und die Regulationen, die ihr Vorschub leisteten, durchweg positiv besetzt“ – so ihre These (S. 266).

Ist diese Interpretation der Blockpolitik ein zukunftsweisender Forschungsansatz? Die von der Autorin für das Frühjahr und den Sommer 1945 beschriebene Hoffnung vieler politisch interessierter Menschen nach einem Ende der Zersplitterung, die das Parteiensystem der Weimarer Republik geprägt hatte, hielt nicht lange an. Spätestens im September 1945 strebten die meisten Sozialdemokraten, ernüchtert vom diktatorischen Vorgehen der KPD, nach politischer Eigenständigkeit, die SMAD und KPD nur durch die Zwangsvereinigung brechen konnten.

Auch die Politik der sowjetischen Besatzungsmacht steht der These Schriefls entgegen. Der Oberste Chef der SMAD, Marschall Georgi K. Schukow, erklärte am 16. August 1945 seinen wichtigsten Mitarbeitern die Aufgaben des nach den Vorgaben der Besatzungsmacht installierten Blocks: Es gehe darum, die KPD zu unterstützen. CDU und LDP würden nur deshalb „im Interesse des Blocks bestehen müssen, damit wir hier keine Feinde haben, damit hier nicht von Seiten dieser national-bürgerlichen Parteien Propaganda und Agitation gegen uns betrieben wird“. Schukow ließ keinen Zweifel am Ziel der SMAD: „Aber was die beiden bürgerlichen Parteien betrifft, so liegt es nicht in unserem Interesse, dass sie zu irgendeiner riesenhaften politischen Kraft in Deutschland heranwachsen.“1 Der Kriegsrat der SMAD bekräftigte diese Linie am 3. Dezember 1946: „Die Festigung des Blocks muss über den Kampf gegen die reaktionären Elemente in der LDP und der CDU erfolgen.“2

Diese Vorgaben setzten SMAD und SED rigoros um. Erste Spannungen im Block zwischen KPD und den beiden bürgerlichen Parteien zeigten sich bereits bei der Bodenreform 1945 und in der Folgezeit bei weiteren Enteignungen. Zwischen 1945 und 1947 setzte die SMAD zwei CDU-Führungen ab. Bürgerliche Politiker, die sich dem Konsens im Block verweigerten, gerieten in die Mühlen der sowjetischen Geheimpolizei und ihrer deutschen Helfer: Von 1945 bis 1952 wurden allein in Sachsen 344 CDU-Mitglieder inhaftiert.3 Heinrich August Winklers Diktum, „dass die Demokratie für die Kommunisten nur ein Etappenziel war, die kommunistische Gesellschaft aber das Endziel blieb“, bestätigt sich in der Überlieferung der Besatzungsmacht.4 Jan Foitzik, einer der besten Kenner der sowjetischen Quellen, belegt, dass die SMAD die kommunistische Diktatur gezielt auch mit Hilfe der Blockpolitik durchsetzte: „Bereits dieses strategische Konzept enthielt die Perspektive der stufenweisen Umwidmung der Besatzungsdiktatur in eine durch die Besatzungsmacht mittelbar legitimierte ostdeutsche Parteidiktatur.“5

Dass sich grundsatztreue Mitglieder von SPD, CDU und LDP nicht aus eigener Überzeugung, sondern nur aufgrund des von der SMAD ausgeübten Drucks am Block beteiligten, zeigt die Entwicklung in Berlin: Hier hatte sich am 8. Dezember 1945 der Block konstituiert, der bis November 1946 zu 30 Sitzungen zusammenkam. Doch nach ihrem Wahlsieg 1946 „sprengte“ die SPD am 22. November 1946 den Berliner Blockausschuss und ging mit CDU und LDP „in Stadtverwaltung und Stadtverordnetenversammlung faktisch ein Anti-SED-Bündnis ein“.6 Erst am 3. September 1948 vermochte es die SED, in ihrem Machtbereich im Ostteil der Stadt den Block erneut zu installieren.

Schriefls Arbeit zählt zu den wichtigen Debattenbeiträgen, die bei der Erforschung der SBZ-Geschichte einen „moderaten Diktaturansatz“ vertreten.7 Der Autorin gelingt es, auf breiter Quellengrundlage die Zwänge herauszuarbeiten, denen sich die sächsischen Landtagsabgeordneten ausgesetzt sahen. Sie zeigt damit, dass die Diskussion über die Frage „Diktaturdurchsetzung – Ja oder Nein?“ noch nicht beendet ist.

Anmerkungen:
1 Stenogramm des Vortrags des Obersten Chefs der SMAD und Oberbefehlshabers der GSBSD Marschall der Sowjetunion G.K. Schukow über die wirtschaftlichen und politischen Aufgaben der SMAD, 16.8.1945, Dokument Nr. 11, in: Jan Foitzik (Hrsg.), Sowjetische Interessenpolitik in Deutschland 1944–1954. Dokumente, München 2012, S. 212–221.
2 Denkschrift des Mitglieds des Kriegsrates der SMAD an das ZK der WKP(B) über die Lage in der SED, 3.12.1946, Dokument Nr. 31, in: Foitzik, Sowjetische Interessenpolitik in Deutschland 1944–1954, S. 281–288.
3 Günter Buchstab (Hrsg.), Verfolgt und entrechtet. Die Ausschaltung Christlicher Demokraten unter sowjetischer Besatzung und SED-Herrschaft 1945–1961. Eine biographische Dokumentation, Düsseldorf 1998, S. 517.
4 Heinrich August Winkler, Deutungskämpfe. Der Streit um die deutsche Geschichte, München 2021, S. 132–135.
5 Foitzik, Sowjetische Interessenpolitik in Deutschland 1944–1954, S. 50.
6 Gerhard Keiderling, Berlin 1945–1986. Geschichte der Hauptstadt der DDR, Berlin (Ost) 1987, S. 202, S. 297.
7 Elke Scherstjanoi, Werden und Wachsen. Zur Frühgeschichte der DDR als aktuellem Forschungsfeld, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 69 (2021), S. 295–305.

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