Luigi Piccionis „The Beloved Face of the Country“ macht die frühe Naturschutzgeschichte Italiens einem breiteren, des Italienischen nicht mächtigen Lesepublikum zugänglich. Das italienische Original erschien bereits 1999 unter dem Titel „Il volto amato della patria“. Der Übertragung ins Englische legte der Autor die überarbeitete und erweiterte zweite Auflage von 2014 zugrunde,1 deren Einleitung er um einige Seiten ergänzte, in denen er sein Werk in die jüngste Historiographie des inter- und transnationalen Naturschutzes einbettet. Die gelungene Übertragung ins Englische besorgte James Sievert, selbst ein profunder Kenner der italienischen Naturschutzgeschichte.2
Piccionis Interesse gilt den Anfängen des Naturschutzes in Italien um die vorletzte Jahrhundertwende und deren Blütephase Anfang des 20. Jahrhunderts, die er Mitte der 1920er-Jahre zu Ende gehen sieht und der eine längere Zeit der Agonie unter der Herrschaft des Faschismus und darüber hinaus folgte. Ihre größten Erfolge feierte die Naturschutzbewegung in den frühen 1920er-Jahren: 1922 verabschiedete Italien ein nationales Naturschutzgesetz und wenige Monate später wurden mit dem Abruzzo und dem Gran Paradiso die ersten beiden italienischen Nationalparks eingerichtet. Zudem gelang es der Bewegung, den Naturschutz in der nationalen Verwaltung im Ministerium für Erziehung fest zu etablieren. Diese Errungenschaften sollten sich als von dauerhaftem Wert erweisen, obwohl die Bewegung kurz darauf zerfiel. Dies hatte auch, aber nicht nur mit der Machtergreifung Mussolinis und der Herrschaft des Faschismus zu tun. Allgemeiner, so die gut begründete These des Autors, ging die Naturschutzbewegung zusammen mit dem italienischen Liberalismus, dessen Kind sie war, nieder. Dabei trat zutage, was die Bewegung versäumt hatte: Ihr war es nicht gelungen, für ihre Anliegen breitere Schichten zu gewinnen. So fehlten einschlägige Naturschutzorganisationen, die wie in der Schweiz oder in Bayern über Tausende von Mitgliedern verfügt hätten, und ebenso hatte es die Gründergeneration versäumt, jüngere Kollegen (von Kolleginnen ganz zu schweigen) nachzuziehen, sodass keine neue Generation nachstieß, als die führenden Köpfe starben oder sich altershalber zurückzogen. Damit erklärt der Autor unter anderem auch, dass in Italien kaum Kontinuitäten von der frühen Naturschutzbewegung in die spätere Umweltbewegung auszumachen sind. Letztlich blieb der frühe italienische Naturschutz ein Projekt kleiner, gut vernetzter Kreise aus der liberalen Elite des Königreichs, die dieses politisch geschickt voranzutreiben wussten, sich jedoch wenig für dessen soziale Dimensionen interessierten.
Piccioni erzählt diese Geschichte vom Auf- und Abstieg der Naturschutzbewegung in zwei Durchgängen. Im ersten mit „Prämissen“ überschriebenen Teil präsentiert er nach einer Darlegung der international zirkulierenden Naturschutzideen die hauptsächlichen Akteure und Organisationen, die aus drei Bereichen kamen: den Naturwissenschaften, den Alpen- und Tourismusvereinen sowie der Denkmalpflege und dem Landschaftsschutz. Diesem ersten folgt ein zweiter mit „Dynamiken und Ereignissen“ überschriebener Teil, der eine chronologische Darstellung der Entwicklung bietet. Diese Zweiteilung hat etliche Wiederholungen zur Folge, die die Frage berechtigt erscheinen lässt, ob nicht eine andere Darstellungsform geeigneter gewesen wäre. Auch verliert sich der Autor teilweise in der Schilderung von Details zu Ereignissen und Personen, was die Lektüre mitunter beschwerlich macht. Zugleich ist die breite Basis an Archivmaterial, publizierten Quellen und Literatur, die der Autor seiner Darstellung zugrunde legt, eine Stärke der Arbeit. Dabei verwundert lediglich, dass die einschlägigen Arbeiten von Wilko Graf von Hardenberg nicht referiert werden3. Eine weitere Stärke des Werks ist, dass Piccioni konsequent die internationalen Verbindungen der italienischen Naturschutzbewegung aus seinem italienischen Material herausarbeitet. Dies macht seine Darstellung des italienischen Falls nicht nur für vergleichende nationale Studien wertvoll, sondern auch anschlussfähig für eine noch zu schreibende Geschichte des europäischen Naturschutzes4.
Anmerkungen:
1 Luigi Piccioni, Il volto amato della patria. Il primo movimento per la protezione della natura in Italia 1880–1934. 2. ed. aggiornata e ampliata, Trento 2014.
2 James Sievert, The Origins of Nature Conservation in Italy, Bern 2000.
3 Zuletzt Wilko Graf von Hardenberg, Monastery for the Ibex. Conservation, State, and Conflict on the Gran Paradiso 1919–1949, Pittsburgh 2021.
4 Siehe dazu Anna-Katharina Wöbse / Patrick Kupper (Hrsg.), Greening Europe. Environmental Protection in the Long Twentieth Century – A Handbook, Berlin 2022.