J. Lahti (Hrsg.): German and United States Colonialism

Cover
Titel
German and United States Colonialism in a Connected World. Entangled Empires


Herausgeber
Lahti, Janne
Reihe
Cambridge Imperial and Post-Colonial Studies
Erschienen
Anzahl Seiten
319 S.
Preis
€ 117,69
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Yves Schmitz, Universität Duisburg-Essen

„Germany and the United States were relational empires”, sie waren “entangled with each other and the world” durch ein “assemblage of multidirectional connections” (S. 2). So gibt Herausgeber Janne Lahti die Grundidee des Sammelbandes in einer lesenswerten Einleitung vor. Das 19. und frühe 20. Jahrhundert, der deutsche Kolonialismus in Afrika und Osteuropa sowie der amerikanische Westen stehen thematisch im Fokus der Artikel des Sammelbandes. Sehr überzeugend wird dabei immer wieder auf globale Dimensionen verwiesen, wobei die deutsch-amerikanischen Verbindungen in eine imperiale Welt eingeordnet werden und der Band somit einen Beitrag zur Globalgeschichte leistet. In der Einleitung wird auch der Aufbau des Buches in drei Sektionen unter den Themenkomplexen „portabilities, passages and parallels“ (S. 7f.) vorgestellt, inklusive einer kurzen Zusammenfassung der verschiedenen Beiträge. Kurios: Die zwei Artikel umfassende vierte Sektion wird in der Einleitung nicht erwähnt.

Die erste Sektion des Bandes behandelt den Einfluss der USA auf Denken und Arbeit von vier deutschen Intellektuellen. Gregor Thum stellt heraus, dass das Hauptwerk von Friedrich List Das nationale System der politischen Ökonomie (1841) „primarly the sum of his American experience” war (S. 22) und Robert Nelson führt aus, warum für Max Sering ein Amerika-Aufenthalt „life-changing“ wurde (S. 43). Tracey Reimann-Dave zeigt, wie Gerhard Rohlfs die USA als zentrales Modell für deutsche Expansion und Liberalismus heranzieht. Abschließend analysiert George Steinmetz die Theorien von Raymond Aron zu NS-Deutschland sowie den Imperien USA und Frankreich vor dem Hintergrund damaliger akademischer Trends und der Biographie des Soziologen. Im zweiten Teil des Bandes analysiert Jens-Uwe Guettel die Grundsatzdebatten zur Orientierung des deutschen Kolonialismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert: Sollten sich die Deutschen wie die USA international, wobei hier vor allem Afrika gemeint ist, oder eher nach Osten orientieren? Dörte Lerp, die sich am „imperial formations“-Konzept1 orientiert, zeigt, wie deutsche Migrations-, Agrar-, Pass-, Land-, und Arbeitspolitik in Ostpreußen und Deutsch-Südwest durch den globalen Diskurs und die Praktiken anderer Imperien, unter anderem der USA, beeinflusst wurden. Jeanette Eileen Jones untersucht, wie deutsche Ämter sich amerikanisches landwirtschaftliches Wissen, vor allem zur Bewässerung und zum „dry farming“, bei der Besiedlung von Deutsch-Südwest nutzbar machen wollten. Eriks Bredovskis nutzt Quellen im Zusammenhang mit einer Fahrt des Kreuzers „Falke“ im Sommer 1905, um zu verdeutlichen, wie Deutsche an der nord-pazifischen Küste Nordamerikas Netzwerke etablierten und koloniale Diskurse verfolgten.

Nach diesen transnationalen Studien, welche vor allem die Zentralität der USA als Inspiration im imperialen deutschen Diskurs aufzeigen, umfasst der dritte Teil des Sammelbandes komparative Artikel. Volker Langbehn vergleicht die Darstellung von China und Chinesen in deutschen und amerikanischen Satiremagazinen, welche sich an der zeitgenössischen Eugenik und Vererbungslehre orientierte, während A. Dana Weber eine Literaturanalyse der Verhandlung von Maskulinität in Karl Mays Büchern und darauf basierenden Festspielen bietet. Bei letzteren wird allerdings der Bezug zur vergleichenden Methodik wenig deutlich. Janne Lahti und Michelle Moyd betonen bei ihrem Vergleich von Apache-Kundschaftern im amerikanischen Südwesten und Askari in Ostafrika überzeugend die „agency“ indigener Akteure. Der Militärdienst für die Imperialmacht wird als Teil der Mannwerdung untersucht, bei Themen wie Rekrutierung, Spitznamen, Gewalt wird auf Gemeinsamkeiten, vor allem aber auf Unterschiede verwiesen. Diese ergaben sich aus den unterschiedlichen Kulturen und dem unterschiedlichen Umgang seitens der Imperialmacht, welcher die Apachen in eine kritischere Situation brachte als die Askari. Sowohl in diesem Beitrag wie auch bei Langbehn bleibt allerdings unklar, wieso sich der deutsche Raum für den Vergleich anbietet und worin die Besonderheit zu anderen europäischen Imperialmächten liegt. Sogenannte Hilfstruppen hatten in allen Kolonialreichen eine entscheidende Rolle gespielt und auch deren Mitglieder hatten ähnliche Erfahrungen von Diskriminierung gemacht: Ebenso waren rassistische Darstellungen von China allgemein in der europäischen Presse weit verbreitet. Im letzten Beitrag der Sektion bezieht sich Edward Westermann auf die scheinbare Verbindung von Kolonialismus und Exterminierung der lokalen Bevölkerung in den USA, welche Hitler und andere Nazi-Größen als Modell sahen: „Nazi judicial bureaucrats looked to the United States in the quest to create a racial state.” (S. 227) Der Autor vergleicht Rhetorik sowie die Entwicklung und Umsetzung der Militärstrategie im amerikanischen Westen (1850–1890) und in Osteuropa (1939–1945) und untersucht den Effekt der Diskurse auf die Gewaltpraktiken vor Ort. Westermann hebt die Gemeinsamkeiten in der Rhetorik und die Unterschiede in der Anwendung hervor. Im Gegensatz zu den Nazis wurde in den USA der genozidale Diskurs nach dem Bürgerkrieg zwar als Drohung verwendet, aber nicht als offizielle Politik angewandt (S. 287). In Westermanns Darstellung der „peace policy“ (S. 280) werden aber entscheidende Unterschiede nicht betont, zum Beispiel der Einfluss religiöser Gruppen wie der Quäker. Zudem werden die amerikanischen Siedler als treibende Kraft bei genozidaler Gewalt, etwa Kalifornien, nicht genug beachtet. Westermann stellt die Armee und amerikanische Präsidenten ins Zentrum, das so wichtige „Indian Department“ findet keinerlei Erwähnung.

Im vierten Teil des Sammelbandes, „Afterwords“, sind die Artikel sind deutlich kürzer und diskutieren keine Fallbeispiele, vielmehr handelt es sich um Kommentare zum Sammelband und seinen Themen, die an Rezensionen erinnern. Andrew Wimmerman fasst nochmal kurz den Inhalt der vorhergehenden Artikel zusammen und referiert zu den Motiven, aus denen sich ein Imperium mit einem anderen vergleicht, insbesondere zur Rolle der USA als Exempel und Vorbild für andere Imperien sowie zur Arbeit mit kolonialen Quellen. Sebastian Conrad ordnet den Sammelband in den Kontext der aktuellen Kolonialforschung ein und merkt dabei etwa den wichtigen Punkt an, dass sich die Deutschen weit mehr für die „westward expansion“ interessierten als für den amerikanischen Kolonialismus, etwa auf den Philippinen. Weiter wird die Zentralität des „financial imperialism“ (S. 310f.) als zu wenig beachteter Teil des westlichen Imperialismus betont sowie die Sicht von anderen Imperien und anti-kolonialen Aktivisten auf das deutsche und amerikanische Empire beschrieben. In seinem Beitrag weist Conrad auch auf einen wichtigen Kritikpunkt am Sammelband hin: „The focus here is primarly on German experts looking across the Atlantic, much less the other way around.” (S. 308) Der multidirektionelle Anspruch werde nur eindimensional eingelöst, die Artikel behandelten „American colonial methods, practices, and ideas in the German colonial context” (S. 7) und nicht andersherum. Diese einseitige Herangehensweise prägt generell immer noch die Forschung zu den USA, insbesondere in den USA selbst wird die transnationale und/oder vergleichende Geschichtsschreibung hauptsächlich genutzt, um eigene nationale Entwicklungen zu erklären. Nur in drei Artikeln (Langbehn, Lahti/Moyd, Westermann) findet sich eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Kontext, was nicht verwundert: In der bisherigen Forschung der Beitragenden, sichtbar in den Hinweisen zu Mitwirkenden (S. xiii ff.), überwiegt klar die Beschäftigung mit dem deutschen Kontext.

Diese Anmerkungen verdeutlichen, was die Einleitung des Sammelbandes richtig postuliert: Das Thema „German and US colonial entanglements […] is just getting started“ (S. 10). Das Buch leistet einen wichtigen und lesenswerten Beitrag, der zahlreiche interessante Möglichkeiten für ein bisher wenig bearbeitetes Forschungsfeld aufzeigt. Ein Index und vor allem der gleichbleibende, übersichtliche Aufbau der für sich alleinstehenden Artikel verhilft zu einer guten Handhabung des Buchs als Inspiration und Nachschlagewerk, zu dem es in den nächsten Jahren sicherlich viel herangezogen wird.

Anmerkung:
1 Ann Laura Stoler / Carole McGranahan / Peter C. Perdue (Hrsg.), Imperial Formations, Santa Fe 2007.

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