L. Herr: "… dem Bankierstande das frühere Ansehen zurückzugewinnen"

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Titel
"… dem Bankierstande das frühere Ansehen zurückzugewinnen". Der Centralverband des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes, 1901 bis 1933


Autor(en)
Herr, Laura
Reihe
Schriftenreihe des Instituts für Bank- und Finanzgeschichte e.V. (28)
Erschienen
Stuttgart 2021: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
307 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Falk Liedtke, thyssenkrupp Corporate Archives, Duisburg

Seit den 1960er-Jahren setzt sich die Forschung mit der deutschen Verbandsgeschichte auseinander. Wie Laura Herr in der Einleitung ihrer hier vorliegenden Dissertation betont, ist das Verbandswesen im Finanzsektor dabei ein bislang wenig beachtetes Feld. Schon in den grundlegenden Werken zur Verbandsgeschichte wie Hartmut Kaelbles Untersuchung zur industriellen Interessenpolitik in der Wilhelminischen Gesellschaft von 19671 oder Hans-Peter Ullmans Monografie über die Interessenverbände in Deutschland von 19882 bleibt die Verbandsbildung im Bankgewerbe weitgehend unbehandelt. Auch die spätere Forschung streift diesen Bereich lediglich peripher. Speziell der Centralverband des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes (CVBB), die größte Interessenvertretung des deutschen Bankgewerbes zwischen 1901 und 1933, hat in der Forschung bislang keine ernsthafte Betrachtung erfahren.

Mit ihrer Monografie liefert Herr einen Beitrag, um diese Forschungslücke zu schließen. Die Arbeit versteht sich aber nicht nur als Chronik des CVBB, sondern auch als Untersuchung des wirtschaftlichen und politischen Einflusses von Banken und Bankorganisationen im Kaiserreich und der Weimarer Republik. Herr knüpft damit an Arbeiten an, die sich gegen die in der älteren Forschung vertretene These einer „Bankenmacht“ in Deutschland richten.3 Anhand der Entwicklung des CVBB versucht sie, sich dem tatsächlichen politischen Einfluss von Banken und Bankorganisationen anzunähern. Sie fragt im Rahmen ihrer Monografie daher zentral nach dem Erfolg und den Grenzen des CVBB als Organisation zur Interessenvertretung des deutschen Bankensektors.

Methodisch orientiert Herr sich an interessengruppentheoretischen Ansätzen sowie der Verbandsdefinition des Neoinstitutionalismus, die den Erfolg eines Verbandes an der Zuschreibung von Legitimität in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten definiert. In drei übergeordneten Kapiteln untersucht sie darauf aufbauend, welche Anerkennung der CVBB in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen erreichte. Sie beleuchtet die Anerkennung des Verbandes innerhalb des deutschen Bankensektors, die privatwirtschaftlichen Funktionen des CVBB sowie den politischen Einfluss des Verbandes bei der Durchsetzung der Interessen des Bankgewerbes. Dazu nutzt sie die Methoden des Neoinstitutionalismus und stellt in allen drei Bereichen die Faktoren gegenüber, die jeweils den Gewinn von Legitimität begünstigten und hemmten.

Im ersten Kapitel hebt Herr besonders die Gründungsumstände des Verbandes heraus. Als ausschlaggebenden Faktor für die Verbandsgründung führt sie die Wirtschaftspolitik und die Gesetzeslage im deutschen Kaiserreich an, die die Handlungsspielräume im Bank- und Börsenwesen zunehmend einschränkten. Die Verbandsgründung 1901, die maßgeblich der Politiker und Bankier Jakob Riesser vorantrieb, beschreibt Herr als unmittelbare Reaktion auf die restriktive Börsengesetzgebung. Der Verband sollte die Interessen deutscher Banken zu deren Revision bündeln. Den gemeinsamen wirtschaftspolitischen Interessen als begünstigender Institution der Verbandsgründung standen Normen und Wertvorstellungen als hemmende Faktoren gegenüber. Herr beschreibt das Bankgewerbe um die Wende zum 20. Jahrhundert als durch ein besonders starkes Standesbewusstsein gekennzeichnet, das Prestigedenken und eine Ablehnung wirtschafts- und interessenpolitischer Interventionen mit sich brachte. Dieses Standesbewusstsein war besonders in kleinen Privatbanken und bei Privatbankiers ausgeprägt. Der Verband konnte deren Ablehnung nur überwinden, indem er seine repräsentative Funktion zur Vermehrung des gesellschaftlichen Ansehens des Bankgewerbes mit in den Vordergrund rückte.

Im zweiten Hauptteil beleuchtet Herr die privatwirtschaftlichen Funktionen des CVBB. Sie fasst darunter drei Bereiche zusammen: das Hinwirken auf strukturelle Veränderungen innerhalb des deutschen Bankensektors, die Öffentlichkeitsarbeit des CVBB sowie dessen Zusammenarbeit mit anderen wirtschaftlichen Interessenverbänden. Auch in diesen Bereichen beschreibt Herr das Standesbewusstsein bis in die 1920er-Jahre als einen bestimmenden Faktor. Versuche zu Beginn des 20. Jahrhunderts, eine Professionalisierung und Akademisierung des Bankgewerbes durchzusetzen, scheiterten an den dominanten Wertvorstellungen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg gelang es dem Verband aufgrund der sich allmählich verändernden Wertvorstellungen, Professionalisierungsbestrebungen im Bereich der Corporate Governance durch die Einführung einer einheitlichen Bankbeamtenversicherung durchzusetzen. Im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit untersucht Herr die publizistische Arbeit des CVBB, die primär dazu diente, das gesellschaftliche Ansehen des Bankgewerbes zu stärken. Sie bescheinigt auch diesen Bemühungen eher geringe Erfolge. Die vom Verband verlegte Fachzeitschrift „Bank-Archiv“ stärkte zwar die Anerkennung des CVBB innerhalb des Bankgewerbes, erreichte jedoch keine breitere Öffentlichkeit. Auch bei der Zusammenarbeit mit anderen Verbänden konnte der CVBB laut Herr nie vollkommen die Anerkennung als Zentralverband des deutschen Bankgewerbes erreichen, da er bis in die 1920er-Jahre nicht in der Lage war, sich gegenüber den Eigenständigkeitsansprüchen lokaler Interessenverbände durchzusetzen.

Im letzten Kapitel untersucht Herr die Beziehungen zwischen dem Verband und den Regierungen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik und fragt nach politischer Akzeptanz und Erfolgen seiner Lobbyarbeit. Sie zeichnet hierbei zwei gegenläufige Entwicklungen nach. In den frühen Jahren seines Bestehens verfolgte der CVBB mit Zielen wie der Aufhebung des Börsengesetzes von 1896 die Kerninteressen des Bankgewerbes, wurde auf der politischen Ebene aber nicht als relevanter Ansprechpartner angesehen. Der Konflikt zwischen der interessenspolitischen Arbeit des Verbandes und dem Wertekanon im Bankgewerbe zwangen den CVBB immer wieder zu einem zurückhaltenden Auftreten gegenüber der Politik. Erst in der Weimarer Republik entwickelte sich vor dem Hintergrund struktureller Modernisierungen im Bankgewerbe, mit denen eine höhere Akzeptanz interessenpolitischer Verbandsarbeit einherging, eine engere Zusammenarbeit zwischen dem Verband und der Reichsregierung, die ersteren zunehmend als Vertreter des deutschen Bankgewerbes akzeptierte. Allerdings besaß der Verband trotzdem nie die notwendige Durchsetzungskraft, um Forderungen an die Politik zu stellen. Stattdessen war der CVBB in den 1920er-Jahren als beratende Instanz der Politik und Vertreter gesamtwirtschaftlicher Interessen tätig. Diesen zunehmenden Bedeutungsverlust führt Herr als einen zentralen Grund für die Schwächung des Verbandes an, der 1934 faktisch in der Wirtschaftsgruppe Privates Bankgewerbe der Reichsgruppe Banken aufging.

In der Einleitung ihrer Untersuchung verweist Herr auf die schwierige Quellenlage. Trotzdem gelingt es ihr, die Entwicklung des Verbandes von seiner Gründung bis zur Auflösung stringent nachzuzeichnen. Geleitet durch die Frage nach der Legitimität des CVBB als Interessenvertretung des Bankgewerbes und deren Anerkennung präsentiert Laura Herr ein umfassendes Bild der Entwicklung der personellen und organisatorischen Strukturen des Verbandes sowie von dessen Zusammenspiel mit Wirtschaft und Politik. Zudem liefert die Untersuchung empirische Belege zur Relativierung der These von der „Bankenmacht“ zur Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, indem sie aufzeigt, dass es den Banken nicht gelang, ihre Interessen auf eine durchsetzungsfähige Weise in einer Organisation zu bündeln. Die Verbandsmitglieder räumten dem CVBB in den frühen Jahren nicht genügend Handlungsspielräume für eine effektive Verbandsarbeit ein, während sich die Verbandsarbeit in den 1920er-Jahren zunehmend von den Interessen der Mitgliedsbanken entfernte. In diesen Zusammenhang ist besonders das letzte Kapitel der Untersuchung herausragend, in dem Herr die im Endeffekt gescheiterten Ambitionen des Verbandes als Organ der wirtschaftspolitischen Einflussnahme nachzeichnet.

Anmerkungen:
1 Hartmut Kaelble, Industrielle Interessenpolitik in der Wilhelminischen Gesellschaft. Centralverband Deutscher Industrieller 1895–1914, Berlin 1967.
2 Hans-Peter Ullmann, Interessenverbände in Deutschland, Frankfurt am Main 1988.
3 Vgl. Harald Wixforth, Die Macht der Banken. Debatten, Untersuchungskonzepte, Ergebnisse. Frankfurt am Main 1997; sowie Dieter Ziegler, Die Aufsichtsräte der deutschen Aktiengesellschaften in den zwanziger Jahren. Eine empirische Untersuchung zum Problem der „Bankenmacht“, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 43 (1997), S. 194–215.

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