Cover
Titel
Cash and Dash. How ATMs and Computers Changed Banking


Autor(en)
Bátiz-Lazo, Bernardo
Erschienen
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
£ 55.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Müggenburg, Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien, Leuphana Universität Lüneburg

Bevor der Geldautomat sich Ende der 1990er-Jahre zu einer selbstverständlich genutzten und an fast jeder Straßenecke verfügbaren Anlaufstelle für konsumfreudige Bürger/Innen entwickeln sollte, mussten Hersteller, Banken und Drittanbieter viel Überzeugungsarbeit leisten. Die Angst vor Fehlbuchungen, Überfällen bei der Geldentnahme oder das Unbehagen vor der Interaktion mit einem nichtmenschlichen Bankangestellten waren in der Bevölkerung weit verbreitet. Was war da naheliegender, als die „Cash-Machine“ mit dem vertrauten Namen eines bodenständigen und glaubwürdigen Prominenten auszustatten, der sich durch seinen Nachnamen als Werbefigur geradezu aufdrängte? Mit ihren „Johnny Cash Money Machines“ wollte die kanadische Bank Canada Trust Mitte der 1980er-Jahren ihren Kund/Innen die Sorge vor der noch jungen Technologie nehmen. In einem Fernsehspot, der die Marketing-Kampagne begleitete, ermunterte der „Man in Black“ mit seiner rauen Bassbariton-Stimme höchstpersönlich zur Nutzung des Geldautomaten: „You know, friends, waiting in line for your money isn’t fun.“ (S. 213)

Die Geschichte der Johnny-Cash-Machine ist eine von vielen amüsanten Anekdoten, mit denen Bernardo Bátiz-Lazos seine ansonsten eher nüchtern erzählte Geschichte der Automated Teller Machine (ATM) immer wieder auflockert. Das enorm materialreiche und erfreulich klar strukturierte Buch ist eine gelungene Mischung aus technikhistorischen Fakten, wirtschaftshistorischen Analysen und kulturhistorischer Einbettung. Wie der Professor für Unternehmensgeschichte an der walisischen Bangor University selbst schreibt, bestand die ursprüngliche Motivation seines Buches darin, „to bring clarity to ,that instance of invention‘ [of the ATM]“ (S. 265). Im Ergebnis leistet er deutlich mehr als eine Auseinandersetzung mit der Frage, wer zur Entwicklung des Geldautomaten beigetragen hat und ob die Zuschreibung einer einzelnen Erfinderfigur im Fall der ATM überhaupt Sinn ergibt. Bátiz-Lazos Buch ist eine empirisch überzeugende und hochgradig reflektierte Studie, die neben der eigentlichen Entwicklungsgeschichte des Geldautomaten und der Art und Weise, wie der Computer das Bankwesen verändert hat, eine große Bandbreite von Themen behandelt – von der Geschichte des Magnetstreifen auf den Geld- und Kreditkarten bis hin zu den veränderten Arbeitsbedingungen in den Bankfilialen. Neben den USA und dem Vereinigten Königreich – den zwei Hauptschauplätzen seiner Erzählung – berücksichtigt er dabei auch die Entwicklung in anderen Teilen Nordamerikas, Europas und Asiens. Der Zeitraum, den seine Untersuchung behandelt, beginnt in den frühen 1960er-Jahren und reicht bis in die Gegenwart.

In den Kapiteln 1–3 skizziert Bátiz-Lazo die simultane Patentierung und Einführung erster Geldautomaten in England und Schweden ab 1967. Diese ermöglichten erstmalig das Abheben eines festgelegten Geldbetrags mittels der Eingabe einer sechsstelligen Geheimzahl und eines zuvor von der Bank ausgestellten Schecks. Der Hintergrund dieser Einführung sei dabei weniger die Erweiterung des Service-Angebotes der Banken außerhalb ihrer Öffnungszeiten, sondern vielmehr die Vermeidung langer Schlangen vor den Bankschaltern gewesen: Waren Gehälter in den 1950er-Jahren üblicherweise noch wöchentlich in Lohntüten ausgezahlt worden, überwiesen Fabriken und Unternehmen ihren Angestellten das Geld nun vermehrt auf ein persönliches Bankkonto, sodass die Barauszahlung am Bankschalter erfolgen musste. Es sei schon damals umstritten gewesen, mit welchen technischen Mitteln sich sicherstellen ließe, dass die Auszahlung am Automaten auch wirklich von der richtigen Person autorisiert worden war. Von Lochkarten-Systemen über eine C14-Markierung der von der Bank ausgestellten Schecks bis hin zu den heutigen Magnetstreifen auf den Geldkarten beschreibt Bátiz-Lazo diverse Lösungsversuche dieses Problems. Belegt durch eine beeindruckende Zahl an Zeitzeugen-Interviews mit Ingenieur/Innen und Bankangestellten sowie die Auswertung schriftlicher Quellen wird hier ein präzises Bild der Zusammenarbeit von Banken auf der einen und den Herstellern von Geldautomaten auf der anderen Seite gezeichnet.

Erwiesen sich die Geldautomaten der 1960er-Jahre im Alltag aber noch als „clunky, unfriendly, unreliable, and inflexible“ (S. 72), so wird in den Kapiteln 4–6 geschildert, wie aus ihnen in den 1970er- und 1980er-Jahren standardisierte und in globale Computernetzwerke eingebundene Self-Service-Terminals wurden. Auch wenn frühe Ansätze ihrer Vernetzung bereits in den 1960ern in Schweden, England, Japan und den USA existierten, macht Bátiz-Lazo für diese gut zehn Jahre später breit einsetzende „evolution [of the cash machine] into the ATM“ (S. 265) vor allem zwei Faktoren verantwortlich. Zum einen haben die Einführung elektronischer Datenverarbeitung und die fortschreitende Zentralisierung im Bankwesen dazu geführt, dass Transaktionen nun über ein zentrales Register eindeutig und in Echtzeit einem persönlichen Konto bzw. einer Person zugeordnet und autorisiert werden konnten. Zum anderen argumentiert der Autor, dass Unternehmen wie IBM und NCR nun in Konkurrenz zu den früheren Herstellern traten und ihre Chance erkannten, von den Geldautomaten über die Computer in den Filialen bis zu den zentralen Mainframes der Banken die gesamte Transaktionskette mit ihren Technologien und Standards zu besetzen. Ab diesem Punkt passt Bátiz-Lazo seine Erzählung der zunehmenden Komplexität und Diversifikation seines Untersuchungsgegenstandes an: Die ATM als zentralen Bezugspunkt seines Buches nie aus dem Auge verlierend, skizziert er nun das Zusammenwachsen regionaler Verbünde zu einem globalen und von großen Konsortien geteilten Netzwerk. Neben weiteren Akteuren wie den Bausparkassen, nationalen Regulierungsbehörden und den zwei großen Kredikartenunternehmen Mastercard und Visa, beleuchtet der Autor hier auch die Rolle des Softwareherstellers Microsoft. Eindrücklich und akribisch skizziert er lokale versus globale Dynamiken, das Nebeneinander unterschiedlicher Technologien und Standards sowie das von unterschiedlichen Interessen getriebene Ringen um die gemeinsame Nutzung eines heterogenen Netzwerks. Das Buch leistet an dieser Stelle einen wichtigen Beitrag zum Forschungsstand über die Geschichte so genannter „Special Purpose Digital Networks“. Die bislang kaum geklärte Frage, wie sich solche und andere spezialisierte Netze zur zeitgleich vollziehenden Entwicklung des Internets verhalten, lässt Bátiz-Lazo jedoch unbeantwortet. Wie Sebastian Gießmann vermutet, hatte die Genese geschlossener Transaktionsnetzwerks einen nicht unerheblichen Einfluss auf die allgemeine Geschichte des Internets bis hin zum so genannten „Internet der Dinge“. Letzteres begreift er als eine Fortsetzung des „global project of registration and identification“ im Finanzwesen.1

In den Kapiteln 7–10 rücken die Nutzer/Innen der ATMs und damit die gegenseitige Beeinflussung von technischer Infrastruktur und ihren Gebrauchsweisen in den Mittelpunkt. Den Ausgangspunkt dieser Verschiebung der Perspektive bilden die „Independent ATM Deployers“ (S. 168), deren Geschäftsmodell seit den 1990er-Jahren darin besteht, gebührenpflichtige „Low-End ATMs“ (S. 176) außerhalb von Bankfilialen (etwa im Supermarkt oder im Kino) und an entlegenen Orten aufzustellen. Wenngleich diese Praxis von anhaltenden Debatten über das Für und Wider der Erhebung von Gebühren begleitet worden sei (wie am Beispiel einer Kontroverse in England gezeigt wird), habe dieses Konkurrenzmodell letztlich einen wichtigen Beitrag zur Erweiterung und Verbesserung des Angebots geführt (S. 197). Mehr noch als die umstrittene Frage der Gebühren habe jedoch der Aspekt der Sicherheit und die (laut Bátiz-Lazo nicht ganz unbegründete) Sorge vor sogenannten „phantom withdrawals“ (S. 219) die Debatte bestimmt. Anhand einiger Beispiele zeigt der Autor, wie sehr die Banken bis heute bemüht sind, das Vertrauen in ihre nichtmenschlichen Bankangestellten zu stärken. In diesem Zusammenhang spricht er eine Vielzahl interessanter Aspekte an, z.B. die in Werbemaßnahmen dominierenden Geschlechter-Klischees oder die Frage der Zugänglichkeit von ATMs für Menschen mit Behinderung (S. 215–219). Abschließend richtet sich der Fokus des Buches auf die veränderten Arbeitsplatzsituationen in den Bankfilialen. Anders als es viele befürchtet hätten, habe die Einführung von Geldautomaten nicht zu einer massenhaften Abschaffung von Arbeitsplätzen geführt, sondern vielmehr einen wesentlichen Beitrag zum stetigen Wachstum des Transaktionsvolumens geleistet. Dass solche Themen von Bátiz-Lazo eher oberflächlich behandelt werden, kann man ihm angesichts der hohen Komplexität seines Themas kaum anlasten. Vielmehr bieten sich hier zahlreiche Anknüpfungspunkte für weiterführende zeithistorische sowie kultur- und medienwissenschaftliche Forschungsfragen. So könnte man anschließend an Bátiz-Lazos These einer Entgrenzung der Banken (S. 259) fragen, welche Konsequenzen die Verbreitung der ATMs bzw. die Ablösung der Filialen als „Kontaktzone“ zwischen Bank und Kund/innen für den städtischen Raum hatte.2

Cash and Dash ist ein gut geschriebenes und sehr lesenswertes Buch, dem auch jenseits des technik- und wirtschaftshistorischen Fachpublikums eine große Leserschaft zu wünschen ist. Zugegebenermaßen steht die Menge von Zahlen und Tabellen, mit denen Bátiz-Lazo seine Analyse stützt, dem Lesevergnügen manchmal im Weg. Dafür wird der/die Leser/In jedoch durch einen spannenden Einblick in die Geschichte und Gegenwart des elektronischen Finanzwesens belohnt.

Anmerkungen:
1 Sebastian Gießmann, Money, Credit and Digital Payment 1971/2014. From the Credit Card to Apple Pay, in: Administration & Society 50(9) (2018), S. 1259–1279, hier S. 1274.
2 Maren Koehler, Interfaces. Die Banklobby in der amerikanischen Nachkriegsmoderne, in: Zeitschrift für Medienwissenschaft 12 (1/2015), S. 44–67, hier S. 47.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch