„Geistigkeit ist ein Privileg der Männer. Wenn eine Frau Geistigkeit in gleichem Ausmaße besitzt, dann fehlt ihr etwas anderes. Sie ist dann keine Frau mehr.“ – das Zitat eines Professors, das unter vielen ähnlich gelagerten 1960 in einer Habilitationsschrift zum Stand deutscher Universitäten abgedruckt wurde, zeugt von der erdrückend androzentrischen Perspektive, die an Hochschulen für Frauen vorherrschte. Seither haben Wissenschafter:innen zweifellos an Handlungsspielräumen gewonnen, die Überwindung von struktureller Marginalisierung und Stereotypisierung ist allerdings nicht in Sicht.
Diese Ausgabe von medien & zeit fokussiert auf Entwicklungen von Ungleichheitsverhältnissen in der fachlichen Genese der Kommunikationswissenschaft, insbesondere der historischen Kommunikationsforschung, aber auch in benachbarten Disziplinen aus Sozial- und Geisteswissenschaft, wie (Zeit-)Geschichte, Soziologie oder Philosophie.
Ziel ist die Reflexion der Disziplinen- und Fachgeschichte in Bezug auf Geschlechterkonstruktionen sowie auf die Vergeschlechtlichung von akademischer Wissensproduktion auf der Ebene von Akteur:innen und in struktureller Form.
Ausgegangen wir davon, dass wissenschaftlich-historische Darstellungen des Fachs auf hegemonialen Strukturen beruhen, die männlich geprägt sind. Frauen: tauchen höchstens als Ausnahmen auf, ihr substantieller Beitrag für die Fachgeschichte ist in entsprechender Literatur kaum erkennbar. Die Gründe dafür sind vielfältig, eingebettet in gesamtgesellschaftliche Machtstrukturen und Spezifika das Wissenschaftssystem – aber viel zu wenig beleuchtet.
(Queer-)feministische und intersektionale Ansätze stellen solche Deutungsmuster und Narrative, die sich auf patriarchale Strukturen beziehen, in Frage. Dieses Hinterfragen von Strukturen bringt die Beschäftigung mit Themenfeldern und Perspektiven mit sich, die wiederum in einer breit angelegten Wissenskultur um Aufmerksamkeit und Anerkennung kämpfen.
Nicht zuletzt deshalb reicht es nicht aus, an den Rand gedrängte soziale Identitäten sichtbar zu machen. Ebenso muss eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit struktureller Diskriminierung mit den weitreichenden Auswirkungen für Akteur:innen, soziale Praktiken, Verfestigung von institutionalisiertem Wissen und innerwissenschaftlichen Prozessen stattfinden.
Wir laden daher zu originären Beiträgen zu dieser Thematik ein, einschließlich theoretischer wie methodologischer Überlegungen und Fallstudien aus feministischer, queerer und intersektionaler Perspektive. Von Interesse sind u.a. folgende Themenbereiche:
- Verhandlung von Narrativen über das Fach und über Forscher:innen: Welche Rolle spielt Geschlecht in Meta-Erzählungen über die Fachgeschichte und über akademische Leistungen? Welche Lücken, welche Leerstellen ergeben sich daraus? Welche Erzählungen existieren über weibliche und nicht-binäre Wissenschaftler:innen? Welche vergeschlechtlichten Zuschreibungen bestehen und bestanden über wissenschaftliche Qualität und anerkannter Methoden und Forschungsschwerpunkte?
- Segregierende Strukturen im Fach: Welche Entwicklungslinien können in der Disziplinen- und Fachgeschichte nachgezeichnet werden? Welche Brüche und welche Kontinuitäten gibt es in der strukturellen Diskriminierung und Marginalisierung? Welche Themen werden von welchen Gruppen gesetzt und welche bleiben offen?
- Akademische Widerstandsbewegungen: Welchen Protest und welche widerständigen Praktiken von Wissenschafter:innen gab und gibt es gegen Benachteiligung? Wie wurde mit den Bewegungen, Forderungen, Personen oder Konzepten umgegangen? Welche Konsequenzen oder Maßnahmen brachte Protest mit welchen Folgen?
- Sichtbarkeit, Anerkennung und Macht: Welche Rolle spielte Geschlecht in der Intersektion mit weiteren sozialen Kategorien für die Sichtbarkeit und den Einfluss in Forschungsfeldern, Forschungsthemen, Theorien und Methoden? Was bedeutete das für universitätspolitische Mitsprache und Teilhabe an Macht? Welchen Akteur:innen wird Definitionsmacht zugesprochen?
Einreichungen sind in englischer oder deutscher Sprache willkommen. Eingereichte Abstracts (nicht mehr als 10.000 Zeichen), die einen voraussichtlichen Beitrag skizzieren, werden von den Redakteur:innen der Ausgabe geprüft. Auf dieser Grundlage werden die Autor:innen eingeladen, vollständige Beiträge (25.000-40.000 Zeichen einschließlich Titel, Zusammenfassung, Tabellen, Abbildungen und Literaturverzeichnis) zu verfassen. Alle vollständigen Beiträge werden einer strengen double-blind peer-review unterzogen. In einer eventuellen Überarbeitungsphase nach der Begutachtung können Autor:innen die Länge des Artikels unter Berücksichtigung der Vorschläge der Gutachter:innen und Redakteur:innen auf maximal 8.000 Wörter erweitern. medien & zeit ist vollständig frei zugänglich (open access) und erhebt von seinen Autor:innen keine Gebühren für die Bearbeitung der Artikel.
Einreichung von Abstracts: 28. Februar 2022
Einreichung von Full Papers: 31. Juli 2022
Veröffentlichung der Ausgabe: Frühestens in Ausgabe 2 von 2023
Einreichungen bitte an Christina Krakovsky per email:
Christina.Krakovsky@gmail.com