Die Geschichte der Berliner Stadtmission

Die Geschichte der Berliner Stadtmission

Organizer
Verein für Berliner Stadtmission
ZIP
10557
Location
Berlin
Country
Germany
Takes place
In Attendance
From - Until
17.11.2022 -
Deadline
01.03.2023
By
Helmut Bräutigam, Historisches Archiv, Berliner Stadtmission

Aus Anlass des 150. Gründungsjubiläums 2027 hat sich die kirchlich-diakonische Berliner Stadtmission zum Ziel gesetzt, eine umfassende historische Aufarbeitung ihrer Vergangenheit vorzulegen. Geplant sind u.a. ein Symposium und eine zweiteilige Publikation, die zum einen nach der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte des Antisemitismus des Gründers Adolf Stoecker fragt, zum anderen interdisziplinär historische, sozialpolitische u. theologische Fragen eingehend und ergebnisoffen untersucht.

Die Geschichte der Berliner Stadtmission

Die Berliner Stadtmission hat ein Projekt zur umfassenden, kritischen Erforschung ihrer Geschichte gestartet und ruft zur Beteiligung auf.

- Wer ist die Berliner Stadtmission?

Der Verein für Berliner Stadtmission unterstützt seit mehr als 140 Jahren Menschen in Not.

Seit ihrer Gründung am 9. März 1877 stellt die Stadtmission einen der wichtigsten Träger sozialer Arbeit im Berliner Stadtleben dar. Als kirchliches Werk innerhalb der Evangelischen Kirche Berlin- Brandenburg-schlesische Oberlausitz verbindet die Berliner Stadtmission ein christliches Menschenbild mit einem breitgefächerten sozialen Engagement. Sie bietet heute Notübernachtungen für Obdachlose und Wohngruppen für alkoholkranke, drogenabhängige und straffällig gewordene Menschen, sie ist in der Kinder- und Jugendhilfe aktiv und betreibt Senioren- und Pflegeheime. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der Hilfe für Geflüchtete sowie deren Integration. Darüber hinaus unterhält die Berliner Stadtmission Hotels und Gästehäuser, eigene Gemeinden und Projekte der Mission.

- Was ist das Ziel der historischen Aufarbeitung?

Anlässlich ihres 150. Gründungsjubiläums im Jahr 2027 hat sich die Berliner Stadtmission zum Ziel gesetzt, eine umfassende historische Aufarbeitung ihrer Vergangenheit mit einer interdisziplinär angelegten sozial- und kirchengeschichtlichen Einordnung vorzulegen. Geplant sind u.a. ein Symposium und eine zweiteilige Publikation, die zum einen detailliert nach der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte des Antisemitismus Adolf Stoeckers fragt und zum anderen historische, sozialpolitische sowie theologiegeschichtliche Einzelfragen eingehend und ergebnisoffen untersucht.

In der Entwicklung der Berliner Stadtmission spiegeln sich alle Abschnitte und Umbrüche der deutschen Geschichte vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Als aus dem kirchlich verfassten Protestantismus hervorgegangene diakonische Einrichtung repräsentiert die Stadtmission wesentliche Aspekte der deutschen Kriegs- und Teilungsgeschichte ebenso wie der Berliner Stadt- und Sozialgeschichte.

Während zur Persönlichkeit und zum Denken ihres Gründers, des Theologen Adolf Stoecker, punktuell bereits breitere Forschungsarbeiten geleistet wurden, sind viele andere historische und theologische Fragestellungen, Leitfiguren und Zeitabschnitte in der Geschichte der Berliner Stadtmission bisher wissenschaftlich kaum oder gar nicht untersucht. Fragen zur Transformation des politischen Protestantismus im 20. Jahrhundert oder zur Entwicklung der christlichen Sozialethik, zur Konservatismusgeschichte, zur diakonischen Praxis bis hin zu Themen wie Migration, Urbanität und interkulturelle Wahrnehmung und Begegnung lassen sich an dieser Institution exemplarisch und gewinnbringend untersuchen.

Wir laden zu Beiträgen ein, die fundiert Transformationsprozesse untersuchen, denen die Institution im Laufe ihrer Geschichte ausgesetzt war und die sie zum Teil selbst mitgeprägt hat – bis hin zu aktuellen Fragen des Zusammenlebens in der pluralen und säkularen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts.

Die Stadtmission hat für ihr Vorhaben einen wissenschaftlichen Beirat zur Aufarbeitung ihrer Geschichte berufen. Wir, die Mitglieder dieses Beirats, möchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Geschichts- und Politikwissenschaft, aus Theologie und Soziologie und verwandten Forschungsdisziplinen (z.B. den Diakonie- und Pflegewissenschaften, Pädagogik/Erziehungswissenschaften, Sozialarbeit) dazu gewinnen, sich mit Studien zu Einzelaspekten an dem Forschungsprojekt zu beteiligen.

Mögliche Themen und Forschungsfragen:
- Die Gründungsgeschichte der Berliner Stadtmission – Innere Mission, diakonische Bestrebungen und die soziale Frage in Berlin seit dem Kaiserreich.
- Ihre Akteurinnen und Akteure
- Ihre Organisation – Vereine und Gemeinden
- Ihre Tätigkeitsfelder
- Adolf Stoecker - Gründungsvater, Hofprediger, konservativer Sozialreformer, Politiker, Populist, Antisemit.
- präzisere Erforschung der Rezeptionsgeschichte Stoeckers als Impulsgeber für die Innere Mission und für einen politischen Protestantismus
- Vernetzungsstrategien zwischen Konservatismus und protestantischen Sozialvorstellungen: Die Berliner Stadtmission als ein politisches Projekt von Adolf Stoecker und Freunden?
- Kirchenkonzepte. Thron und Altar oder Unabhängigkeit
- Stadt und Mission – Stadtmission? Urbanität und Moderne – religiöse Ambition in schwierigem oder vertrautem Umfeld? (vgl. christliche Mission als urbanes Phänomen in der Antike) – Strategien der Verkündigung auf dem großen Markt der Möglichkeiten.
- Die Professionalisierung evangelischer Sozialarbeit im Berlin des Kaiserreichs: Ausbildungsorte, Verberuflichung der sozialen Arbeit, sozialpolitische Kurse.
- Öffentlichkeitsarbeit und Verlagswesen der Berliner Stadtmission im Kaiserreich.
- Bedeutung der gewerblichen Unternehmungen der Stadtmission (Verlagswesen, Hotel- und Beherbergungsbetrieb/Gästebetreuung) für die soziale und missionarische Arbeit.
- Soziale Arbeit im Ersten Weltkrieg
- Diakonie in der versehrten Gesellschaft: Kriegserfahrung, Invalidität, Verarmung.
- Innere Mission und diakonisches Handeln in der Weimarer Republik
- Auf dem Weg zum Sozialunternehmen: Soziale Arbeit und kirchliche Bildungsarbeit zwischen Finanzierungsdruck und kirchlichem Anspruch.
- Gründung des Verbandes deutscher Stadtmissionen 1920.
- Bahnhofsmissionen und Ost-West-Wanderung – nationale und internationale Kontakte.
- Die Entkonfessionalisierung sozialer Arbeit in der Weimarer Republik und in der NS-Zeit.
- Die sogenannte „Zigeunermission“ in der Weimarer Republik und ihr Ende in der NS-Zeit.
- Die Stadtmission im Nationalsozialismus
- Die Gemeinden der Berliner Stadtmission, die Pfarrer der Bekennenden Kirche und Deutsche Christen. Die Gefangenenseelsorge.
- Die Sozial- und Gemeindearbeit der Stadtmission unter den Bedingungen der NS-Diktatur. Die oktroyierte kommissarische Geschäftsführung durch Max von Bahrfeldt.
- Bekenntnis, Anpassung, Repression, Unterstützung für Verfolgte der NS-Diktatur.
- Das Erbe des stoecker´schen Antisemitismus in der Weimar Republik, der NS-Zeit und der Nachkriegszeit – Stoecker als „Prophet des Dritten Reichs“ (Le Seur)?
- Die Stadtmission im geteilten Berlin
- Stadtmission im Berlin der Nachkriegszeit:
Die zerstörte Hauptgeschäftsstelle („Hauptquartier“) am Johannestisch, der gerettete Besitzstand als materielle Basis der Weiterarbeit, personelle Kontinuität oder Diskontinuität, Neuanfang, Aufarbeitung?
- Abbruch und Aufbruch: Bilanz der NS-Zeit und des Zweiten Weltkrieges – Stand der Arbeit Ende 1932 – Stand der Arbeit Mai 1945.
- Politische und „geistliche“ Entnazifizierung, Schuld, Versöhnung, Verdrängung, Bekenntnisgemeindebewusstsein.
- Umgang mit Kriegs-, Flucht- und Teilungserfahrungen.
- Rolle der Frauen in Kriegs- und unmittelbarer Nachkriegszeit.
- Stationen der Trennung in Stadtmission West und Stadtmission Ost: z.B. 1950 Teilung der Geschäftsstellen in Ost und West, 1961 Mauerbau (sinnfällig im Bild der auf der Grenze gelegenen, zugemauerten Missionsstation Liesenstraße, Berlin-Wedding).
- West-Berliner Stadtmission: diakonische und missionarische Arbeit in Insellage, die spezifische Berliner Verwaltungssituation.
- Definition der Stadtmissionsarbeit im Sektoren-Berlin, neue und alte Zielgruppen sozialer Arbeit – aktuelle Aufgaben (z.B. Flüchtlingsarbeit) – angestammte und permanente Arbeit (z.B. Mitternachtsmission) – Innovationen.
- Das neue provisorische „Hauptquartier“ Lenaustraße in Neukölln, die Garnisonskirche am Südstern als neue Stadtmissionskirche.
- politische und kirchliche Netzwerke und Unterstützung. (Partei-)politische Präferenzen in Leitungsgremien und Gemeinden der Stadtmission. Entwicklungen.
- Freie kirchliche Arbeit im Verhältnis zur verfassten Kirche im Spannungsfeld zwischen Ergänzung und Konkurrenz (Stadtmissionsdirektor als Beauftragter der Landeskirche für Mission), Abhängigkeiten und Freiheiten.
- Missionsethos, Mission – Zielgruppen und Ziele. Anspruch und Wirklichkeit/ Wirksamkeit.
- Zielgruppen: Outsider und die Mitte der Gesellschaft? Hoffnung für die Hoffnungslosen. Ethisches und missionarisches Selbstverständnis.
- Öffentlichkeitsarbeit und öffentliche Wahrnehmung: Kampagnen, Verkündigungs-, Werbungs- und Vermittlungsformen der Stadtmissionsarbeit. Beispiele: Stadtmissionsdirektor Heinrich Giesen als Impulsgeber in den 1960er Jahren; Plakatkunst von Harry Suchland, Mobilisierung von Prominenz für die „gute Sache“. (Vom Volksschauspieler Wolf Gruner bis zum Star-Prediger Billy Graham.)
- Diskurse in evangelischer Theologie und Gemeinden und ihre Wirkung in der Stadtmission /
Theologische Profile zwischen modernem Pietismus und Universitätstheologie?
- Geistlicher Nachwuchs und Qualifizierung. Gründung des Paulinums 1946, der Predigerschule der Stadtmission und später der Kirche für die DDR.
- Politische Veränderungen im Sozialstaat/Veränderungen in der Sozialen Arbeit und im Verständnis von Diakonie.
- Christliche Sozialethik, „moderner Pietismus“ und gesellschaftliche Liberalisierung der 1960er Jahre. 1968er Bewegung. Herausforderungen in Berlin als einem Zentrum der Studentenproteste.
- Stadtmission in den gesellschaftlichen und sozialethischen Diskursen seit etwa 1980 (z.B. Gender- und Rollendiskurse, Liberalisierung der Lebensformen/Individualisierung und Selbstverwirklichung/work-life-balance, Migration, multireligiöse und -ethnische Gesellschaft/Diversität, Friedensethik und Wiederbewaffnung, Ökologie/„Schöpfung bewahren“).
- Die Aufgaben der Bahnhofsmission als Seismograph sozialer Veränderung? (Drogenmissbrauch, Obdachlosigkeit)
- Einwanderung aus Drittstaaten über die DDR, Protagonisten der Stadtmissionsarbeit zwischen Politik und Kirche, Bahnhöfe als Brennpunkte, Drogenmissbrauch und -kriminalität, Bahnhofsmission als Soforthilfe.
- Die Ost-Berliner Stadtmission im Verhältnis zum SED-Staat und zur Kirche im Sozialismus
- Kirche und Sozialismus bzw. diakonische Arbeit und Sozialismus.
- Auswirkungen des Kampfes der SED gegen die Junge Gemeinde auf Organisation, Mitgliederentwicklung und Arbeit.
- Fluchtbewegungen und Stadtmission – Dableiben oder Gehen?
- Situation der Vertragsarbeiter (Berührt dies die Arbeit der Stadtmission-Ost?)
- Verbot der Bahnhofsmission unter dem Vorwand des Spionageverdachts.
- Alte, kranke und eingeschränkte Menschen in der DDR – die sozialen Einrichtungen der Stadtmission.
- Das spezifische Bewusstsein der Stadtmissionskreise und die kirchliche Opposition/Theologie und Freiheit.
- Finanzierungsmöglichkeiten und -strategien der Stadtmission Ost.
- Organisationsformen und Kooperationen in der geteilten Stadt und im “Systemkonflikt” des Kalten Krieges – grenzüberschreitende Netzwerke?
- Integration und Wachstum der Stadtmission nach 1989
- Friedliche Revolution und Deutsche Einheit (Ungarn-Flüchtlinge, Öffnung, Zusammengehen von BEK und EKD/Berliner Situation, Positionierung der Stadtmission).
- Wiedervereinigung/Fusion der Stadtmissionen in Ost- und West-Berlin.
- Ökonomische Herausforderungen. Rückübertragungen von in der DDR enteigneter Immobilien.

Die Stadtmission in der säkularen Stadtgesellschaft
- Die Bedeutung der Berliner Stadtmission innerhalb von Diakonie und Sozialwirtschaft in Berlin.
- Grenzen des Sozialstaats: Finanzierungswege und Fundraising: Spender und Spenderinnen der Stadtmission Berlin
- Entwicklung seit 2000: Vielfalt der Religionen, Armut, Obdachlosigkeit, sozialer Verwerfungen, Gentrifizierung, Sozialpolitik im Land Berlin, und als Kirche, Kirchenaustritte, Spenden und Spender, Verhältnis Ehren- und Hauptamt, Hilfen zur Wiedereingliederung)
- Wie viel Sozialunternehmertum steckt in der Stadtmission: Spenden, Betriebsergebnisse und Dienstleistungen.
- Zentrum und Peripherie. Zentren missionarischer und diakonischer Arbeit der Berlin Stadtmission (Johannestisch – Lenaustraße/Kirche am Südstern – Zentrum am Hauptbahnhof) und dezentrale Einrichtungen und Gemeinden – Anziehungs- und Fliehkräfte.

- Über historische Zäsuren hinweg:
- Stadtmissionare, Schwestern, Theologinnen und Theologen, Vereinsmitglieder: Soziologische Profile des Personals der Berliner Stadtmission (Herkunft, Familienstand, Ausbildung, Motivation, Milieu, Mentalität, weltanschauliche und religiöse Prägungen)
- Die theologischen Leitlinien der Berliner Stadtmission im Wandel.
- Öffentlichkeitsarbeit und Verlagswesen der Berliner Stadtmission vom 19. Jahrhundert bis heute.

Die hier aufgeführten Themen sollen als Anregung dienen – weitere Aspekte sind uns herzlich willkommen. Wir sind offen für Ihre Forschungsfragen und freuen uns auf interessante Studien!
- Zeitplan
Einsendeschluss für Vorschläge und Themenskizzen von höchstens einer DIN A4-Seite für Arbeitsvorhaben Paper ist der 1. März 2023.
Am 2. Juni 2023 werden die eingereichten Studienvorhaben auf einer Tagung in Berlin vorgestellt und diskutiert.
Bis Ende 2025 müssen die Einzeluntersuchungen für die geplante Publikation abgeschlossen sein.

- Zur Quellenlage
1944 wurde das Archiv der Berliner Stadtmission von einer Brandbombe zerstört. Der Aufbau eines Historischen Archivs der Berliner Stadtmission erfolgte erst vor einigen Jahren. Seitdem wird die Überlieferung ab 1945 gesammelt und erschlossen. Sie stellt eine wesentliche Grundlage zur Erforschung der jüngeren Geschichte der Berliner Stadtmission dar. Quellenverluste lassen sich durch Bestände und Sammlungen in anderen Archiven kompensieren. Zu nennen sind vor allem das Evangelische Zentralarchiv in Berlin, das Landeskirchliche Archiv der EKBO, das Geheime Staatsarchiv Berlin-Dahlem, das auch den Nachlass Adolf Stoeckers verwahrt, sowie das Bundesarchiv und das Landesarchiv Berlin. Für spezielle Fragestellungen und vertiefende Forschung bieten sich weitere, auch kleinere Archive und Sammlungen an. Die gründliche Auswertung der verwahrten Unterlagen dürfte es erlauben, die Geschichte der Stadtmission und ihrer prägenden Personen für jeden Zeitabschnitt intensiv und breit zu erforschen.
Ein Literaturverzeichnis und ein Archivalien-Spezialinventar werden auf Wunsch zugesandt.

Contact (announcement)

Verein für Berliner Stadtmission
Historisches Archiv
Helmut Bräutigam
Lehrter Straße 68
10557 Berlin
braeutigam@berliner-stadtmission.de

oder

Verein für Berliner Stadtmission
Sekretariat des Vorstands
Katja Kattillus
Telefon: 030 60933 429

https://www.berliner-stadtmission.de/informieren/aktuelles/detail/call-for-papers