Reichswehr und Technik. Deutsche Streitkräfte zwischen politischer Beschränkung und militärischer Erwartung 1918–1935

Reichswehr und Technik. Deutsche Streitkräfte zwischen politischer Beschränkung und militärischer Erwartung 1918–1935

Organizer
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw)
Venue
Villa Ingenheim, Zeppelinstr. 127-128
ZIP
14471
Location
Potsdam
Country
Germany
Takes place
In Attendance
From - Until
24.05.2023 - 25.05.2023
Deadline
01.02.2023
By
Friederike Hartung und Dennis Werberg

Am 24./25. Mai 2023 führt das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften (ZMSBw) in Potsdam seinen zweiten Reichswehr-Workshop durch.

Reichswehr und Technik. Deutsche Streitkräfte zwischen politischer Beschränkung und militärischer Erwartung 1918–1935

Die Geschichte der Reichswehr bildet einen neuen Schwerpunkt der Forschung am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw). Im Juni 2022 hat ein erster Workshop die bestehenden Desiderate zur Geschichte der Streitkräfte der ersten deutschen Republik verdeutlicht und mögliche Ansatzpunkte für zukünftige geschichtswissenschaftliche Untersuchungen aufgezeigt. In der Fortsetzung richtet das ZMSBw nun am 24./25. Mai 2023 einen Workshop zum Thema Reichswehr und Technik aus.

Neben ihrer zahlenmäßigen Vergrößerung bildete die Technisierung der Streitkräfte ab dem Ende des 19. Jahrhunderts das Signum dieser militärgeschichtlichen Epoche. Mit dem Ersten Weltkrieg brach sich die Mechanisierung der organisierten Gewalt Bahn. In zunehmend technisierten Materialschlachten kamen Maschinengewehre, Artilleriegeschütze, Flugzeuge und Panzer zum Einsatz. Großkampfschiffe und Unterseeboote bestimmten den Krieg zur See. Eisenbahnen und Kraftfahrzeuge dienten der Bewegung und der Versorgung der Millionenheere. Telegrafie, Funk und Telefonie eröffneten neue Dimensionen der Kriegführung und der öffentlichen Rede darüber. Nach dem Ende des Weltkrieges waren sich alle Militärexperten schnell einig: ein möglicher Krieg in der Zukunft würde ein hochgradig technisierter Konflikt sein.

Für die Reichswehr lag jedoch genau darin die Herausforderung. Die Bestimmungen des Versailler Vertrages legten nämlich nicht nur Obergrenzen für die Truppenstärke von Heer und Marine fest. Sie schränkten das Militär auch stark in der materiellen, also technischen Rüstung ein. Neben dem Verbot einer Luftwaffe waren der Reichswehr die Herstellung und der Besitz von gepanzerten Kampffahrzeugen, schwerer Artillerie, Großkampfschiffen und U-Boote untersagt. Moderne Nachrichtenmittel und Messverfahren bei der Artillerie unterlagen ebenfalls Restriktionen. Somit war die technische Rüstung seit 1919 immer auch ein Argument in der Debatte um staatliche Souveränität.

Damit befanden sich die deutschen Streitkräfte in einem Spannungsfeld zwischen der rüstungstechnischen Begrenzung einerseits und der militärischen Notwendigkeit des Zugriffs auf moderne Technik und deren Weiterentwicklung andererseits. Doch war die Reichswehrführung von Anfang an bemüht, den Anschluss an die militärtechnische Innovation nicht zu verlieren. Zu diesem Zweck beobachtete sie die internationale Entwicklung intensiv und betrieb auch geheime Forschung- und Entwicklungsprojekte. Als der Versailler Vertrag 1933 formal aufgekündigt wurde, stand Deutschland in militärtechnischer Hinsicht den anderen europäischer Staaten kaum nach. Die materielle Hochrüstung der Wehrmacht in den Jahren 1935 bis 1939 ist ohne die in der Zeit der Republik geleisteten Vorarbeiten nicht vorstellbar.

Der Bereich Rüstung bildet eine Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft, Technik und Militär. Dies ermöglicht nicht nur, sondern fordert eine multiperspektivische Herangehensweise. Der Workshop soll Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglichen, neuere Ansätze zur Erfassung dieser Schnittstelle für die Forschungen zur Reichswehr nutzbar zu machen. Neben möglichen Teildisziplinen wie die der Wissenschafts-, Medien-, Politik-, Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte eröffnet auch die Technikgeschichte neue Perspektiven: „The history of technology“, so der Historiker David Edgerton, „can help us rethink history“. Das gilt auch und vor allem für die Militärgeschichte. Technik soll dabei nicht nur aus der Perspektive des historisch interessierten Ingenieurs, sondern als Wechselspiel zwischen Militär, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft betrachtet werden. Neuere Zugänge streben danach, orthodoxe deterministische Ansätze zu überwinden und heben den Einfluss gesellschaftlicher Kontexte, sozialer Akteure, Strategien des Ersatzes und Kontingenzen auf die Technikentwicklung hervor. Technik erscheint hier als Ergebnis von Aushandlungsprozessen sozialer Gruppen.

Bislang liegen für die Zeit der Weimarer Republik Untersuchungen zu einzelnen Waffensystemen, den geheimen Rüstungsprojekten, zum Verhältnis von Staat, Militär und Industrie sowie zur Vergesellschaftung von Militärforschung (Wehrwissenschaften) vor. Eine umfassende Studie zum Themenkomplex „Reichswehr und Technik“ existiert bis dato jedoch nicht. Ein Workshop des ZMSBw („Technikwissen und Wissenstechniken im deutschen Militär seit 1890") wies bereits im April 2021 auf die Notwendigkeit der Betrachtung des Verhältnisses zwischen Produzenten, Vermittlern (Mediatoren) und Nutzern von Technik, auf die Rolle der Militärakademien bei der technischen Weiterentwicklung, die Fachpublizistik und auf den Einfluss von im Krieg erlangter Technikerfahrung hin. Für den hier ausgeschriebenen Workshop gilt es, bestehende Narrative zu hinterfragen und das Verhältnis der Reichswehr zur Technik in einen größeren Zusammenhang, insbesondere auch in die gesamtgesellschaftliche Technisierungsprozesse der 1920er und 1930er Jahre, einzuordnen.

Mögliche Fragestellungen sind dabei:

- Welche militärischen Erfahrungen bot der Erste Weltkrieg für die Reichswehr? Inwiefern veränderten sich Zeit und Raum und das Kriegsbild durch Technik?
- Welche Rolle spielte Technik in den internationalen Rüstungskontrollverhandlungen? Welche Bemühungen der Messbarkeit technischer Parameter gab es („Kriegspotential“)?
- Beförderten die militärischen Beschränkungen des Versailler Vertrages vielleicht ungewollt sogar die technische Weiterentwicklung?
- Wie gestaltete sich der Militärtechnikdiskurs in Deutschland zwischen 1918 und 1935 und wer waren seine Akteure?
- Welchen Stellenwert nahm Militärtechnik in der Organisation und im Führungsdenken der Reichswehr ein? Wo und wie wirkten sich technische Rüstungsbeschränkungen auf die militärische Leistungsfähigkeit aus? Wie bedingten sich Technik(wissen) und Taktik(wissen) gegenseitig?
- Wie hoch war der Stand der Technisierung in der Reichswehr im Verhältnis zur Technisierung der deutschen Gesellschaft in Stadt und Land insgesamt?
- Welche Rolle spielte die Militärtechnik für die 1918 demobilisierte Wirtschaft und die Wissenschaftslandschaft? Wie gestalteten sich die Netzwerke zwischen Reichswehr, Industrie, Forschungsstätten und Universitäten?

Der Workshop findet am 24. und 25. Mai 2023 am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam statt.

Die Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch.

Wir laden Interessierte ein, bis zum 1. Februar 2023 ein Kurzexposé (max. 500 Wörter) und biobibliografische Informationen für eine Projektvorstellung von 20 Minuten einzureichen. Auch Panelvorschläge sind möglich.

Um die Zielführung der Diskussion zu verbessern, werden im Vorfeld der Veranstaltung Thesenpapiere angefordert. Die Veranstalter übernehmen die Reisekosten (Fahrt und Unterkunft) in Anlehnung an das Bundesreisekostengesetz.

Reichswehr and Technology. German armed forces between political restrictions and military expectations 1918–1935

The history of the Reichswehr is a new focus of research at the Bundeswehr Centre of Military History and Social Sciences (ZMSBw). In June 2022, a first workshop identified desiderata and starting points for future research in the history of the armed forces of the first German republic. ZMSBw is now organising a follow-up workshop on the Reichswehr and Technology.

Both, the increase in numbers as well as the rising significance of technology became hallmarks in the history of armed forces during the late 19th Century. With the Great War the mechanisation of organized violence took hold. Machine guns, artillery, aircraft, and tanks became symbols for the impact of military technology in modern warfare. The war at sea was dominated by capital ships and submarines. Railways and motor vehicles moved and supplied the mass armies. Telegraphy, radio, and telephony set the stage for new dimensions of warfare. They also set the stage for communication during and on the war. After World War One, all military experts agreed: a future war would be a highly technological conflict.

For the Reichswehr however, this outlook meant a serious challenge. The provisions of the Treaty of Versailles not only set numerical restrictions for the army and the navy. They also severely restricted the military in terms of material, i.e., technical armament. In addition to the ban on an air force, the Reichswehr was prohibited from manufacturing and owning armoured combat vehicles, heavy artillery, capital ships and submarines. Modern means of communication and target acquisition were also subject to restrictions. Thus, from 1919 onwards, the issue of (material) armament became an argument within the bigger debate on state sovereignty.

As a result, the German armed forces found themselves in a conflict between the limitations of armament on the one hand and the access to modern technology on the other. However, from the very beginning the Reichswehr leadership was determined not to lose touch with technological innovation. To this end, it kept a close eye on international developments and it also initiated clandestine research and development projects. When the Treaty of Versailles was formally revoked in 1933, Germany was hardly inferior to the other European states in terms of military technology. The material armament of the Wehrmacht between 1935 and 1939 is inconceivable without the preparatory work laidout during the Weimar Republic.

Armament as a national policy reaches out into economics, technology, and the military, and therefore demands a multi-perspective approach. The workshop encourages scholars to test new approaches in the history of armament with a particular focus on the Reichswehr. Potential approaches are the histories of science and media, political or corporate history, and the history of technology: "The history of technology", says historian David Edgerton, "can help us rethink history". This also applies to military history in particular. History of technology is not to be understood here as the perspective of the historically interested engineer, but explores the boundaries between the military, politics, science, and the economy. It strives to overcome orthodox deterministic approaches and emphasises the influence of social context, social actors, strategies of substitution, and contingencies. Here, technology appears as the result of negotiation processes between social groups.

So far, individual studies on weapons systems, secret armament projects, the relationship between the state, the military, and the industry as well as on the socialisation of military research (Wehrwissenschaften) are available for the Weimar Republic. However, a comprehensive assessment on the Reichswehr and Technology does not exist to date. A 2021 ZMSBw-workshop on Knowledge on Technology and Techniques of Knowledge in the German military already pointed out the necessity of considering the relationship between producers, mediators, and users of technology, the role of military academies, of military and science journals, and technical war experiences. The objective for the upcoming workshop will also be to question existing narratives and to place the Reichswehr in the larger context of technology in interwar Germany. Possible questions are:

- What lessons did the First World War offer for the Reichswehr in the field of military technology? To what extent did time and space as military factors and the images of future war change through technology?
- What role did technology play in international arms control negotiations? What efforts were made to measure technical parameters ("war potential")?
- Did the military clauses of the Treaty of Versailles unintentionally instigate technical developments or unorthodox operational practice?
- What were the themes and the character of the military discourse on technology in Germany between 1918 and 1935 and who were its actors?
- What role did military technology play in the organisation and the command-and-control process of the Reichswehr? Where and how did technical limitations affect military practice? In what way were technology and tactics mutually dependent?
- What was the level of technological development in the Reichswehr in relation to German society as a whole?
- What role did military technology play in the demobilised economy and the scientific communities after 1918? How did networks between the Reichswehr, industry, research institutes, and universities develop?

The workshop will take place on 24 and 25 May 2023 at the Bundeswehr Centre for Military History and Social Sciences in Potsdam. The conference languages are German and English. We invite to submit a short proposal (max. 500 words) and bio-bibliographical information for a 20-minutes presentation by 1 February 2023. Panel proposals are also possible.

In order to improve the discussion, thesis papers will be requested in advance of the events.

The organisers will cover costs for travel and accommodation in accordance to the Federal Travel Allowances Act (Bundesreisekostengesetz).

Contact (announcement)

E-Mail: DennisWerberg@bundeswehr.org
E-Mail: FriederikeHartung@bundeswehr.org

https://zms.bundeswehr.de/de/zmsbw-meldungen-2022-06-reichswehrworkshop-5451758