Reichtum und Armut in den schweizerischen Republiken

Reichtum und Armut in den schweizerischen Republiken

Veranstalter
Schweizerische Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts und Section d'histoire der Universität Lausanne
Veranstaltungsort
Universität Lausanne
Ort
Lausanne
Land
Switzerland
Vom - Bis
24.11.2006 - 25.11.2006
Deadline
31.05.2006
Website
Von
Béla Kapossy

Call for papers

Die Schweizerische Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts führt am 24./25. November 2006 in Zusammenarbeit mit der Section d’histoire der Universität Lausanne eine Tagung zum Thema „Reichtum und Armut in den schweizerischen Republiken“ durch. Interessierte Forscher sind eingeladen, Vorschläge für Referate zu einem der vier genannten Themen einzureichen. Das Organisationskomitee behält sich vor, aus den eingereichten Vorschlägen eine Auswahl zu treffen. Bitte schicken Sie den Titel und ein kurzes Abstract (max. 1 Seite) bis spätestens Ende Mai 2006 per e-mail (bevorzugt) oder per Post an die unten angegebene Adresse.

Die Tagung ist der Frage gewidmet, wie die schweizerischen Republiken mit dem Problem der Armut und gesellschaftlichen Ungleichheit umgingen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem 18. Jahrhundert und der Zeit der Helvetik. Obwohl soziale Ungleichheit schon immer zum politischen Leben der Schweiz gehörte, fanden erst im 18. Jahrhundert nachhaltige und anspruchsvolle Debatten über die Bedeutung dieses Problems für die republikanische Politik statt. Es wird also zu untersuchen sein, wie politische Kommentatoren, Theologen und Magistraten den Einfluss einschätzten, den der wachsende ökonomische Wettbewerb zwischen den Staaten auf die Fähigkeit der Schweizer Republiken haben würde, ein hohes Mass an gesellschaftlicher Stabilität zu erhalten. Dabei sind sowohl die vorgeschlagenen theoretischen und institutionellen Lösungen als auch deren Wandel im Laufe des 18. Jahrhunderts von Interesse. Zudem wird zu fragen sein, wie sich diese von Vorschlägen unterschieden, die im europäischen Umfeld entwickelt wurden.
Ein Blick auf die verschiedenen Positionen, die Schweizer Reformer, Magistraten und Theologen gegenüber Reichtum, Armut und Ungleichheit bezogen, und die Einbettung dieser Konzepte in die bestehenden sozialen Institutionen sollte es ermöglichen, ein deutlicheres und historisch angemesseneres Verständnis des schweizerischen Republikanismus des 18. Jahrhunderts zu gewinnen. Es ist auch ein differenzierteres Bild sowohl der fortschrittlichen wie der bewahrenden Aspekte des schweizerischen Reformdiskurses zu erwarten.
In diesem Zusammenhang gilt es das Thema aus zwei verschiedenen Perspektiven anzugehen: Erstens wird zu untersuchen sein, wie die Schweizer im Bezug auf ihre eigene Geschichte über das Problem von Reichtum und Armut dachten, wie sie bestehende Formen von sozialer Ungleichheit mit jenen der Vergangenheit verglichen usw. Zweitens wird der schweizerische Reformdiskurs aus einer europäischen Perspektive zu betrachten sein. Dies ist umso wichtiger, als viele der Positionen, die sich in der schweizerischen Literatur der Zeit finden, in Reaktion auf gesellschaftliche, ökonomische und intellektuelle Entwicklungen ausserhalb der Schweiz ausgearbeitet wurden. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, wie die Schweizer auf die Herausforderung regierten, die ihnen aus dem monarchischen Reformdiskurs des späten 17. und des 18. Jahrhunderts erwuchs. Im monarchischen Kontext wurden Luxus und Ungleichheit als unvermeidliche Folgen der modernen Zivilisation und der ökonomischen Konkurrenzfähigkeit gutgeheissen.
Die meisten Schweizer standen der wachsenden Ungleichheit, die aus der erweiterten wirtschaftlichen Aktivität hervorzugehen schien, sehr kritisch gegenüber. Auch wiesen sie den moralischen Skeptizismus zurück, der mit der modernen Verteidigung des Luxus einherging. Viele von ihnen sahen das Hauptproblem in der Frage, ob es möglich sei, an der modernen Zivilisation zu partizipieren und von Europas neuem ökonomischem Wohlstand zu profitieren, ohne dabei in Kauf nehmen zu müssen, dass grosse Teile der schweizerischen Bevölkerung in Armut versanken. Während einige das Ideal der tugendhaften Armut beschworen und eine radikale Umverteilung des Eigentums im Sinne der römischen Agrargesetze forderten, scheint die Mehrheit akzeptiert zu haben, dass die schweizerischen Republiken in Europa langfristig nur überleben konnten, wenn sie einen Schritt Richtung grösserer ökonomischer Öffnung machten. Es ging ihnen also nicht um die Abschaffung, sondern um die Eindämmung der Ungleichheit; diese sollte soweit begrenzt werden, dass sie die Autorität der Gesetze nicht untergrub.
Das Tagungsprojekt geht von der Arbeitshypothese aus, dass die hektische Aktivität, in die schweizerische Reformkreise des 18. Jahrhunderts bei der Entwicklung von neuen Wohlfahrtsprogrammen verfielen, vor diesem Hintergrund zu erklären ist. Aus diesem Kontext heraus muss auch die hartnäckige Kritik verstanden werden, die aus politischen und ökonomischen Gründen an den bestehenden Institutionen geübt wurde. Besondere Beachtung verdient das Phänomen der so genannten „écoles de charité” und anderer gemeinnütziger privater Gesellschaften (Aufmunterungsgesellschaften, patriotische Gesellschaften usw.). Dabei sollten nicht nur die moralphilosophische, theologische, ökonomische und politische Dimension des Reformdiskurses, sondern auch praktische institutionelle Lösungen wie Arbeitshäuser, neue Arten von Korporationen usw. untersucht werden.

Die Tagung soll folgende thematische Strukturierung erhalten:

1. Die schweizerischen Republiken und ihre Armen
Die erste Sektion soll sich auf das Studium von Reichtum und Armut von der Reformation bis zum Ende des 17. Jahrhunderts konzentrieren. Hier sind Vorträge erwünscht, die sich mit Themen wie Kleider- und Aufwandsordnungen, Armenordnungen, der gesellschaftlichen Rolle der Zünfte oder der Rolle der Konsistorien bei der Aufrechterhaltung der moralischen Disziplin befassen. Es wird auch an Vorträge gedacht, die sich mit Armut und Wohltätigkeit im Calvinismus oder mit der Zwinglianischen Polemik gegen den Luxus befassen und diese Haltungen mit den Positionen vergleichen, die gemässigte Protestanten wie Ostervald zu Beginn des 18. Jahrhunderts vertraten, die sich in der Bewegung zur Errichtung von „écoles de charité” engagierten.

2. Monarchischer Luxus versus republikanische Genügsamkeit
Die zweite Sektion ist der Frage gewidmet, welche Rolle den Republiken im monarchischen Reformdiskurs des späten 17. und 18. Jahrhunderts zugewiesen wurde. Das Hauptinteresse gilt dabei Montesquieu und seiner Rezeption in der Schweiz. Es wird zu untersuchen sein, wie die Schweizer auf seine Vorstellung von republikanischer Politik, die er im Esprit des lois entwickelte, reagierten und welche Alternativen sie ggf. vorschlugen. Es könnte sich als hilfreich erweisen, Montesquieus Vorstellung von republikanischer Politik mit jener Rousseaus, Bodmers, Wegelins oder anderer Zürcher Patrioten zu vergleichen. Ausserdem wäre zu verfolgen, ob und wie die Debatten in der politischen Theorie im Medium von Literatur und Kunst reflektiert wurden (z.B. Ästhetisierung der Armut).

3. Jenseits von Luxus und Wohltätigkeit
In der dritten Sektion geht es um die schwerizerischen Debatten zur Frage, welche Strategien im Umgang mit Armut Wohltätigkeit und Luxus ersetzen konnten. In diesem Zusammenhang ist an Vorträge zu denken, die sich mit den intellektuellen Auseinandersetzungen in verschiedenen Reformgesellschaften, aber auch mit neuen Konzepten der Volkserziehung befassen, die im Anschluss an die Hungerkrise von 1771/72 entwickelt wurden. Es gälte auch zu untersuchen, wie Armut und Bettelei im Rahmen der Volkaufklärung thematisiert wurden. Von besonderem Interesse ist zudem die Frage, ob und wie die Debatten in der Zeit der Helvetik sich von früheren Debatten unterschieden.

4. Wohlfahrtsinstitutionen
Die abschliessende Sektion ist der Entwicklung neuer Arten von Wohlfahrtsinstitutionen in der Schweiz (aber vielleicht auch in anderen europäischen Staaten wie Holland, England, Frankreich und den deutschen Territorien) gewidmet. Vorträge zu Themen wie „écoles de charité”, Arbeitshäusern, verschiedenen Wohltätigen Gesellschaften, aber auch zu Lotteriespielen, ausländischen Investitionen und frühen Versuchen mit Altersvorsorge wären erwünscht.

Organisationskomitee: André Holenstein (Bern), Béla Kapossy (Fribourg, Lausanne), Danièle Tosato-Rigo (Lausanne), Simone Zurbuchen (Fribourg)

Programm

Kontakt

Béla Kapossy

Université de Lausanne, Section d'histoire
BFSH 2 - Bureau 5085, 1015 Dorigny
021 692 29 61

kapossy@bluewin.ch