Verschleierter Orient - Entschleierter Okzident? Inszenierungen in Politik, Recht, Kunst und Kultur seit dem 19. Jahrhundert

Verschleierter Orient - Entschleierter Okzident? Inszenierungen in Politik, Recht, Kunst und Kultur seit dem 19. Jahrhundert

Veranstalter
Gender Studies, Universität Zürich; in Kooperation mit dem UFSP Asien und Europa, Universität Zürich
Veranstaltungsort
Universität Zürich, Rämistrasse 71, Hörsaal KOL-G-217
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
03.06.2010 - 05.06.2010
Deadline
25.05.2010
Von
Elke Frietsch

Wenn in westlichen Gesellschaften vom Islam, insbesondere Islamismus und „islamischem Fundamentalismus“ die Rede ist geraten sehr oft Bilder verschleierter Frauen ins Blickfeld. „Die verschleierte Frau“ steht als Symbol für die Bedrohung westlicher Werte durch Unterdrückung und Terror. Obwohl mittlerweile nicht nur in der wissenschaftlichen Literatur, sondern auch in Presse, Rundfunk und Fernsehen versucht wird, sich auf differenzierte Weise mit dem Thema Islam zu beschäftigen, setzen sich solche Klischees in der Auseinandersetzung mit der für tradiert westliche Verhältnisse fremden Religion und Kultur nach wie vor durch. In ängstlichen Argumentationen verschmelzen der Islam und der Islamismus zu ein und demselben Phänomen, sie erscheinen beide als Verkörperung der Bedrohung demokratischer Werte oder gar des Terrorismus. Die hier zum Ausdruck kommenden Klischees wurden und werden zu Recht unter verschiedenen Gesichtspunkten kritisiert: Es ist unangemessen den Islam mit dem Islamismus gleichzusetzen. In Verallgemeinerungen des Islam werden die Unterschiede in den einzelnen islamisch geprägten Ländern eingeebnet. Darüber hinaus kann die Heraufbeschwörung der Terrorgefahr durch „islamischen Fundamentalismus“ der Einschränkung liberaler Grundrechte in westlichen Ländern dienen und von eigenen gesellschaftlichen Krisen und gesellschaftlichen Problemen ablenken.

Für feministische Wissenschaft und Politik erweist sich die Kritik an den islamischen Feindbildern, wie sie hierzulande oft in Umlauf sind, als besonders dringlich aber auch als kompliziert. Es ist wichtig, auf die Benachteiligung von Frauen in islamisch geprägten Kulturen hinzuweisen und Menschenrechtsverletzungen, die oft entlang geschlechtsspezifischer Lebensverhältnisse und Handlungsräume verlaufen, kenntlich zu machen. Doch in den westlichen Medien werden häufig undifferenzierte Auseinandersetzungen mit „der Rolle der Frau“ im Nahen Osten vorgenommen, wobei klischeehafte Bilder verschleierter Frauen als Illustration für die Unterdrückung in muslimischen Ländern der „freiheitlichen westlichen Gesellschaft“ gegenübergestellt werden. Dass solche Bilder nicht geeignet sind, auf Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen, sondern eher dazu dienen, sie zu stabilisieren, haben Wissenschaftler/innen in den letzten Jahren aus verschiedenen Perspektiven immer wieder betont. Darüber hinaus haben sie darauf hingewiesen, dass im Feindbild „misogyner Islam“ Antifeminismus, politische Konflikte und soziale Ungleichheiten in der eigenen Gesellschaft überdeckt werden.

Die Tagung möchte das Thema „Der Schleier“ aus historischer und aktuell gesellschaftspolitischer Perspektive in den Blick nehmen. Es wird analysiert, welche Praktiken und Repräsentationen des Ver- und Entschleierns es in muslimischen und westlichen Gesellschaften seit dem 19. Jahrhundert gab und gibt und mit welchen geschlechtlichen und kulturellen Codierungen diese verbunden sind. Ein wichtiger Aspekt ist dabei der Zusammenhang von Moderne und Kolonialismus.

Präsentiert werden Beiträge zu Themen wie der westliche Blick auf „die geheimnisvolle Haremsfrau“ in Kunst und Literatur, Vorstellungen vom Ver- und Entschleiern von Wahrheit in Religion, Philosophie und Ideologie, sowie deren historische und politische Semantisierungen. Darüber hinaus kommen religiöse Formen des Ver- und Entschleierns in verschiedenen Gesellschaften und Kulturen und deren unterschiedliche Einbindungen in soziale und politische Situationen zur Sprache. Diskutiert werden Begriffe wie Religionsfreiheit, Transnationaler Feminismus, Grundrechte und Menschenrechte. Themen sind Verschleierungs- und Entschleierungsformen in der westlichen Kultur. In den Blick genommen werden auch Dekonstruktionen des westlichen Klischees der verschleierten Frau im Islam, wie sie von zeitgenössischen Künstler/innen eingesetzt werden. Nicht zuletzt wird thematisiert, auf welche Weise das Bild der verschleierten muslimischen Frau in westlichen Medien zum Einsatz kommt. Diskutiert wird, wie Ver- und Entschleiern in Europa und Staaten der islamischen Welt politisch und rechtlich reguliert ist.

Programm

Donnerstag, 3. 6. 2010

Ab 14:30 Anmeldung zur Tagung und gemeinsames Kaffeetrinken

15:15 Begrüssung und Einführung: Bettina Dennerlein (Universität Zürich) / Elke Frietsch (Universität Zürich) / Therese Steffen (Universität Basel/Harvard University)
Moderation: Bettina Dennerlein (Universität Zürich)

15:45-16:30 Susanne Baer (HU Berlin): Rechte und Regulierung: das Problem des „Gruppismus“ für die Grund- und Menschenrechte

16:30-17:15 Elisabeth Holzleithner (Universität Wien): Autonom leben? Konflikte um das Kopftuchtragen

17:15-18:00 Silke Wenk (Universität Oldenburg): Ordnungen der (Un)Sichtbarkeit zwischen Kunst und Politik

Freitag, 4. 6. 2010

Moderation: Philip Ursprung (Universität Zürich)

9:00-9:45 Susanne Lanwerd (TU Berlin): Religiöse Differenz: Darstellungen in visueller Politik und zeitgenössischer Kunst

9:45-10:30 Hildegard Frübis (HU Berlin): „Orientalisierungen“ - Bilderpolitik im Zeichen des Schleiers
Kaffeepause
Moderation: Therese Steffen (Universität Basel/Harvard University)

10:45-11:30 Gabriele Genge (Universität Essen): Verschleierte Öffentlichkeit: Aktuelle künstlerische Positionen in/aus Istanbul

11:30-12:15 Birgit Haehnel (Institut für Wissenschaft und Kunst Wien): Von Wüstennomaden und Freiheitskämpfern: Verschleierte Männlichkeit als visuelles Zeichen der Autonomie

12:15-13:00 Schirin Amir-Moazami (FU Berlin): Producing the Tolerable. Gendered Islam under liberal governance in Germany
Mittagspause
Moderation: Francesca Broggi (Universität Zürich)

14:30-15:15 Regina Deckers (Bibliotheca Hertziana - Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte Rom): Raffaelo Montis Tscherkessische Sklavin und das Bild der Orientalin in der italienischen Kunst des 19. Jahrhunderts

15:15-16:00 Ulrike Brunotte (Universität Maastricht): Was verschleiert die Entschleierung der Salome? Die neue Sichtbarkeit der Frau um 1900 und die feminine Aneignung der „oriental woman“ im Neuen Tanz
Kaffeepause
Moderation: Angelika Malinar (Universität Zürich)

16:15-17:00 Franziska Struzek-Krähenbühl (Universität Luzern): „Verhüllende Enthüllung. Erotik und Erkenntnis in der Rezeption der Mysterien der Isis“

17:00-17:45 Elke Frietsch (Universität Zürich): Die „nackte Wahrheit“. Der entschleierte Körper in der Kunst und Biopolitik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

17:45-18:30 Therese Steffen (Universität Basel/Harvard University):
“Living under the Veil”: African American texts and contexts

Samstag, 5. 6. 2010

Moderation: Willemijn de Jong (Universität Zürich)

9:00-9:45 Béatrice Hendrich (JLU Giessen): „Verschleierungsstrategien in der alevitischen Moderne: Entsexualisierung und namus“

9:45-10:30 Sabine Damir-Geilsdorf (Universität Bonn): „ I am hijabi“. Identität und Differenz durch aktuelle Verschleierungspraktiken und -repräsentationen
Kaffeepause
Moderation: Katajun Amirpur (Universität Zürich)

10:45-11:30 Nadia al-Bagdadi (CEU Budapest): Eros und Etikette. Reflektionen zum Bann eines zentralen Themas im arabischen 19. Jahrhundert

11:30-12:15 Benoit Challand (Universität Genf): The Veil as Surveillance Tool. An Analysis of the Visual Representations of Contemporary Islam in European Textbooks and its Gender Dimension
Mittagspause
Moderation: Sven Trakulhun (Universität Zürich)

14:00-14:45 Katajun Amirpur (Universität Zürich): Men in Hijabs - als iranische Männer den Tschador anzogen

14:45-15:30 Rachid Ouaissa (Universität Marburg)/Friederike Pannewick (Universität Marburg): Die Ästhetik politischer Subversion als Verschleierungs- und Artikulationsstrategie
Abschlussdiskussion bis 16 Uhr

Veranstalter: Gender Studies Universität Zürich in Kooperation
mit dem UFSP Asien und Europa der Universität Zürich
Wissenschaftliche Konzeption: Bettina Dennerlein (Universität Zürich), Elke Frietsch (Universität Zürich), Therese Steffen (Universität Basel/Harvard University)

Anmeldungen bis zum 25.5.2010 an genderstudies@access.uzh.ch

Es werden keine Teilnahmegebühren erhoben

Kontakt

Dr. Elke Frietsch
Interdisziplinärer Studiengang
Gender Studies
Orientalisches Seminar
Universität Zürich
Wiesenstrasse 9
CH 8008 Zürich
0041(0)446344835

elke.frietsch@access.uzh.ch

www.genderstudies.uzh.ch