Protegierte und Protektoren. Asymmetrische politische Beziehungen zwischen Partnerschaft und Dominanz (16. bis frühes 20. Jahrhundert)

Protegierte und Protektoren. Asymmetrische politische Beziehungen zwischen Partnerschaft und Dominanz (16. bis frühes 20. Jahrhundert)

Veranstalter
Dr. des. Tilman Haug / Dr. des. Nadir Weber / Prof. Dr. Christian Windler, Abteilung für Neuere Geschichte, Historisches Institut der Universität Bern
Veranstaltungsort
Hallerstrasse 6 (Raum 205, 2. Obergeschoss), CH-3012 Bern
Ort
Bern
Land
Switzerland
Vom - Bis
03.04.2014 - 05.04.2014
Deadline
26.03.2014
Website
Von
Prof. Dr. Christian Windler

Protektion ist ein historiographisch bisher wenig untersuchter Schlüsselbegriff der politischen Sprache der europäischen Neuzeit. Schutz gegen innere und äussere Gefahren zu bieten war einerseits eine Grundanforderung an politische Herrschaft, weshalb sich Protektionssemantiken häufig in Fürstenerlassen oder in Bittschriften von Untertanen finden. Eine breitere soziale Entsprechung findet dieses an feudalen Bindungen orientierte Beziehungsmodell auch in der frühneuzeitlichen Patronagerhetorik. Andererseits wurde Protektion ab dem 16. Jahrhundert auch vermehrt als Konzept zur Bezeichnung von Aussenbeziehungen zwischen zwar grundsätzlich unabhängigen, aber ungleichen Partnern verwendet. So waren mindermächtige Fürsten und Republiken in der Frühen Neuzeit vielfach auf die Protektion einer Grossmacht angewiesen, um in der sich verdichtenden Staatenwelt bestehen zu können. Auch Untertanen suchten den Schutz fremder Mächte, um ihrem Landesherrn bei Herrschaftskonflikten wirkungsvoll entgegentreten zu können oder von Kriegshandlungen verschont zu bleiben.

Unter der Protektion einer anderen Macht zu stehen, versprach für den Protegierten zwar Sicherheit, war aber stets ambivalent, da sie hohe Kontributionen bedingen oder gar in den Verlust der Selbständigkeit münden konnte. In manchen Fällen stellte Protektion damit eine Vorstufe zur Integration in ein anderes politisches System dar. So bereiteten die Protektionsverträge von Reichsständen im Elsass in den 1630er Jahren deren Eingliederung in die französische Monarchie vor. Ähnliche Mechanismen zeigen sich in der zunehmenden Einflussnahme europäischer Mächte auf dem afrikanischen Kontinent im langen 19. Jahrhundert, wo sich der versprochene Schutz meist bald als Legitimationsformel für koloniale Dominanz entpuppte. Die um 1900 unternommenen Versuche, den Status des „Protektorats“ völkerrechtlich verbindlich zu regeln, markieren möglicherweise den Höhe- und zugleich Endpunkt einer Entwicklung hin zur Definition von Protektion als eigenständigen Typus politischer Beziehungen. Bis dahin eignet sich der Begriff besonders, um das Wechselverhältnis und die teils fliessenden Übergänge zwischen Aussenbeziehungen und Herrschaft in den Blick zu rücken.

Die Tagung widmet sich der Bedeutung und Praxis von Protektion vom 16. bis frühen 20. Jahrhundert. Ein geographischer Schwerpunkt liegt dabei auf Frankreich und seinen Ausstrahlungen in die angrenzenden europäischen Räume sowie in den atlantischen und mittelmeerischen Kontext. Folgende Themenschwerpunkte und Leitfragen finden in den Sektionen besondere Berücksichtigung:

1. Semantiken des Protektionsbegriffs: Welchen Status besass das Konzept der Protektion in der politischen Theorie der Frühen Neuzeit? In welchem Verhältnis standen der politische und der soziale Aspekte der Protektionssemantik zueinander?
2. Ungleiche Aussenbeziehungen: Verschleierte Protektion nur Asymmetrien und ihre machtpolitische Instrumentalisierung oder begrenzte sie auch die Handlungsspielräume des Protektors? Inwiefern lassen sich Protektionsbeziehungen in der frühneuzeitlichen „Société des Princes“ als Patronage zwischen Fürsten beschreiben? Welche Rolle spielte das Konzept beim Übergang von Aussen- in Herrschaftsbeziehungen?
3. Protektion als „Herrschaftsleistung“: In welchen Kontexten wurde das Verhältnis von Herrschenden und Beherrschten als ein Schutzverhältnis beschrieben? Wie verhielten sich Schutzverpflichtungen in exklusiveren, durch Lehensbindungen oder Privilegien gestützten Herrschaftsbeziehungen zu generellen Schutzverpflichtungen gegenüber Untertanen?
4. Protektion fremder Untertanen: Wie liess sich der Schutz für Untertanen eines anderen Souveräns rechtfertigen? In welchen Kontexten und über welche Kanäle bemühten sich Untertanen um äussere Protektion? Unter welchen Umständen wurde eine solche Protektion auch von den Protegierten als illegitime Einmischung zurückgewiesen?
5. Protektion im „dritten Raum“: In welchem Masse konnten Herrscher und Obrigkeiten etwa durch Gesandten und Konsuln ihre Untertanen und deren ökonomische Interessen in fremden Rechts- und Herrschaftsräumen schützen? Welche Interaktion und Konflikte mit der lokalen Gesellschaft ergaben sich daraus?
6. Protektion und Protektorate im langen 19. Jahrhundert: Inwiefern verweisen die inner- und aussereuropäischen Protektorate des 19. und 20. Jahrhunderts auf Protektion als ein Konzept der „longue durée“? Welche Festlegungen gingen mit der staats- und völkerrechtlichen Kodifizierung des Protektorates einher?

Programm

Donnerstag, 3. April 2014

13.45-14.15 Uhr: Ankunft, Begrüssung und Kaffee

14.15-15.00 Uhr: Dr. des. Tilman Haug, Dr. des. Nadir Weber, Prof. Dr. Christian Windler: Einleitung

15.00-18.00 Uhr (mit Kaffeepause): Sektion 1: Semantiken des Protektionsbegriffs

Prof. Dr. Wolfgang E. J. Weber (Augsburg): Protektion in politischer Theorie und Herrschaftslehre

PD Dr. Rainer Babel (Paris): Protektion als Schlüsselbegriff der politischen Sprache (15./16. Jh.)

Prof. Dr. Anuschka Tischer (Würzburg): Protektion als Schlüsselbegriff politischer Sprache und Praxis in Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert

Prof. Dr. Hillard von Thiessen (Rostock): Aussenbeziehungen als Sozialbeziehungen: Freundschaft, Verwandtschaft, Patronage, Protektion

Kommentar: PD Dr. Claire Gantet (München)

Freitag, 4. April 2014

08.45-12.30 Uhr (mit Kaffeepause): Sektion 2: Ungleiche Außenbeziehungen

Prof. Dr. Matthias Schnettger (Mainz): Die Grenzen der Freiheit. Die Republik Genua und ihre königlichen Beschützer in der Frühen Neuzeit

Dr. des. Tilman Haug (Bern): Vormauern und Hintertüren. Frankreich und der Schutz der Reichsstände nach dem Westfälischen Frieden

Andreas Affolter, MA (Bern): Von Protegierten zu Alliierten? Die Beziehungen der eidgenössischen Orte zur französischen Krone, 1715-1777

Dr. Fabrice Brandli (Genf): Relations asymétriques et coopération judiciaire entre la République de Genève et la France au XVIIIe siècle

Dr. des. Nadir Weber (Bern): Vom Nutzen einer prekären Lage. Das Fürstentum Neuchâtel, seine auswärtigen Protektoren und die preussische Distanzherrschaft (1707-1806)

Kommentar: Prof. Dr. André Holenstein (Bern)

12.45-14.00 Uhr: Gemeinsames Mittagessen

14.15-16.45 Uhr: Sektion 3: Protektion fremder Untertanen

Prof. Dr. Gabriele Haug-Moritz (Graz): „Amateurs de paix et repos“? Eine vergleichende Betrachtung des Schutzes von Glaubensverwandten im Reich und in Frankreich in der Mitte des 16. Jahrhunderts

Dr. Fabrice Micallef (Paris): Les stratégies de la faiblesse. Les catholiques provençaux et leurs protecteurs étrangers à la fin des guerres de Religion (1589-1596)

Prof. Dr. Christoph Kampmann (Marburg): Protektion fremder Untertanen

Prof. Dr. Marc Belissa (Paris): Protéger les peuples opprimés ou contrôler les peuples protégés (1789-1799)?

Kommentar: Prof. Dr. Heinrich-Richard Schmidt (Bern)

16.45-17.15 Uhr: Kaffeepause

17.15-19.15 Uhr: Sektion 4: Protektion im „dritten Raum“

Dr. Hanna Sonkajärvi (Bilbao): Die Protektion baskischer Individuen und Gruppen durch die Juntas y Regimientos de Vizcaya im atlantischen Raum im 17. Jahrhundert

Luca Scholz, MA (Florenz): Frey und sicher? Geleit im Alten Reich der Frühen Neuzeit

Dr. Guillaume Calafat (Rom) und Dr. Roberto Zaugg (Paris) (gemeinsames Referat): Konsulate und Nationen in italienischen Hafenstädten des Ancien Régimes

Kommentar: Prof. Dr. Christian Windler (Bern)

Samstag, 5. April 2014

08.45-12.30 Uhr (mit Kaffeepause): Sektion 5: Protektion als „Herrschaftsleistung“

Prof. Dr. Birgit Emich (Nürnberg-Erlangen): Der Papst als Schutzherr. Protektion als Herrschaftsleistung im Kirchenstaat der Frühen Neuzeit

Stefania Gargioni, MA (Kent): Religion and Royal Protection: the Huguenots’ and the Religious Policies during the French Wars of Religion (1562-1598)

Prof. em. Dr. Laurence Fontaine (Paris): Relations de protection et économie : le marché du crédit symbolique à la Cour de Louis XIV

Prof. Dr. Horst Carl (Gießen): Protektion und Okkupation. Zur Gewährleistung von Sicherheit in einer prekären Situation

PD Dr. Andreas Würgler (Bern): Asymmetrie und Reziprozität. Herrschaft und Protektion in Suppliken der Frühen Neuzeit

Kommentar: Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger (Münster)

12.45-14.15 Uhr: Gemeinsames Mittagessen

14.30-16.30 Uhr: Sektion 6: Protektion und Protektorate im langen 19. Jahrhundert

PD Dr. Alexander Keese (Berlin): Protektorate als koloniale Herrschaftsmodelle und Erinnerungsorte: der Fall Barotseland in Zentralafrika

Dr. Tanja Bührer (Bern / New Dehli): Der Nizam von Hyderabad im 18. und 19. Jahrhundert

Wolfgang Egner, MA (Konstanz): Die Teilung der Souveränität. Die Entstehung prekärer Herrschaftsverhältnisse im Jahr 1878

Kommentar: Prof. Dr. Jörn Leonhard (Freiburg i. Br.)

16.30-17.30 Uhr: Abschlussdiskussion

Mit finanzieller Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds und der Burgergemeinde Bern

Kontakt

Hedy Werthmüller

Historisches Institut der Universität Bern, Länggassstr. 49, CH-3000 Bern 9

004131 631 83 42

hedy.werthmueller@hist.unibe.ch


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