Anspruch und Wirklichkeit ziviler Konfliktbearbeitung und Friedensförderung

Anspruch und Wirklichkeit ziviler Konfliktbearbeitung und Friedensförderung

Veranstalter
Wissenschaftliche Vereinigung für Entwicklungstheorie und Entwicklungspolitik e.V.
Veranstaltungsort
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.03.2017 -
Deadline
02.03.2017
Von
PERIPHERIE-Redaktionsbüro

Anspruch und Wirklichkeit ziviler Konfliktbearbeitung und Friedensförderung

Call for Papers

Seit ca. 20 Jahren gab es sowohl national als auch international vielfältige Versuche, Kapazitäten für zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung aufzubauen. Mit den Begriffen zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung wird mittlerweile ein breites Spektrum von Interventionen auf der Mikro-, Meso- und Makroebene bezeichnet, die darauf zielen, Konfliktdynamiken zu beeinflussen. Im Allgemeinen wird zwischen drei Haupttypen unterschieden:

- strukturorientierte Interventionen, die an Ursachen von Konflikten und Gewalt ansetzen,
- prozessorientierte Interventionen, die den Ausbruch von Gewalt und die Eskalation von Konflikten verhindern sollen,
- Interventionen nach Konflikten oder Kriegen, die neue Kreisläufe der Gewalt vermeiden sollen.

Probleme bei der Umsetzung dieser Politik lassen sich am Beispiel Deutschlands darstellen. Deutschland als Zivilmacht wurde vor allem in den Jahren nach der deutschen Einigung nicht zuletzt als ein Projekt propagiert, das die Lehren aus der durch Deutschland entscheidend geprägten Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts gezogen hatte. Ein Vierteljahrhundert später fällt die Bilanz angesichts nahezu weltumspannender Bundeswehreinsätze ernüchternd aus; freilich ist von einer Euphorie im Hinblick auf Kriegseinsätze, wie sie zuweilen vor allem die USA erfasst, nach wie vor wenig zu spüren. Gesellschaftlich scheint man in Deutschland noch immer militärischem Handeln distanziert gegenüberzustehen, demgegenüber ist eine Bereitschaft zu zivilem Engagement gerade aktuell erkennbar.

Durch die sogenannte Flüchtlingskrise, Ausdruck der umfassenden Krise des globalen Systems der Ungleichheit, ist deutlich geworden, dass die derzeitigen Kriege und menschengemachten Katastrophen nicht mehr weit weg sind und "wir" damit zu tun haben, so oder so. Männer, Frauen und Kinder machen sich aus ihren Herkunftsländern Syrien, Irak, Afghanistan oder aus den völlig unterversorgten Flüchtlingslagern in den Nachbarstaaten Libanon und Türkei auf den beschwerlichen und gefährlichen Weg ins reiche Deutschland oder in andere europäische Länder. Inzwischen ist die Euphorie über die Willkommenskultur einer Verhinderungsdiskussion gewichen, die zugleich die andauernde Hilfsbereitschaft von Zehntausenden abwertet. Der öffentliche Diskurs ist auf die Sorge um "uns und unsere Befindlichkeiten" eingeschwenkt: Kaum jemand fragt mehr, ob sich dieses menschliche Drama für Hundertausende, ja Millionen von syrischen Menschen hätte verhindern lassen, wenn die Mächtigen der Welt es denn gewollt hätten. Dafür gibt es Hinweise. So glaubt Martti Athisaari, der vielfach erfahrene, langjährige internationale Mediator, "dass schon Anfang 2012 eine Chance zum Friedensschluss verpasst wurde und dass es zu der europäischen Flüchtlingskrise nicht gekommen wäre, hätte der Westen russische Vorschläge aufgenommen, Präsident Assad einen 'eleganten' Abgang zu ermöglichen." (http://www.bbc.com/news/world-35150037)

Hätte Angela Merkel als mächtigste Frau der Welt (Forbes-Magazin), hätte Deutschland als "starkes Land" nicht mehr tun können, um frühzeitig Verhandlungen über Konfliktlösungen zu befördern? Welchen Stellenwert hat das Konzept der Bundesregierung "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" (April 2000) in der faktischen Außenpolitik der Bundesrepublik?

Während die SPD-Bundestagsfraktion auf ihrer Internet-Seite schreibt, "die rot-grüne Bundesregierung (habe 2004) mit der Verabschiedung des Aktionsplans 'Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung' einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Konflikten und Fragilität eingeleitet", sehen dies zivilgesellschaftliche Organisationen wie etwa die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, das Forum Menschenrechte oder andere deutlich skeptischer. So schreibt die Plattform:

"Der beständigen Provokation, die Zivile Konfliktbearbeitung für klassische Macht- und Militärpolitik darstellt, insofern sie nüchterne Alternativen aufzeigt und auf Defizite eigenen Handelns verweist, scheint sich die Bundesregierung nicht länger stellen zu wollen. Statt dessen schließen sich das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und andere Ministerien nunmehr dem ebenso gut vermarkteten wie schlecht durchdachten Konzept vernetzter Sicherheit an, welches wenig mit horizontaler und funktional sich ergebender Kooperation zu tun hat, sondern vielmehr ein neues Hierarchieverhältnis von Militärischem und Zivilem begründet."

Die Plattform verweist weiter darauf, dass dieses Konzept zwar immer wieder als alternativlos bezeichnet werde, aber gerade in Afghanistan kläglich gescheitert sei, wo diese Alternativlosigkeit besonders nachdrücklich behauptet wurde. Daraus ergeben sich für die Plattform sogar Zweifel an der Wahrnehmung dieses offenkundigen Scheiterns. (Stellungnahme von Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und Forum Menschenrechte zum 3. Umsetzungsbericht der Bundesregierung zum Aktionsplan)

In ihrer gemeinsamen Stellungnahme zum vierten Umsetzungsbericht der Bundesregierung zum Aktionsplan (Drs. 18/3213) begrüßen die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und das Forum Menschenrechte den "Vorrang für das Zivile", den der Bericht betont, sehen diesen Vorrang in der praktischen Politik aber nicht eingelöst. Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kommt Bernd Ludermann in Weltsichten (Juli 2015): "Deutschland hat seit 1998 viele Mittel der Friedensförderung ausgebaut wie Versöhnungsprojekte, Polizeihilfe und Wahlbeobachtung. Doch eine umfassende deutsche Friedenspolitik steht weiter aus."

Einerseits beschwören deutsche Politiker/innen das veränderte Gewicht Deutschlands in Europa und in der Welt und leiten daraus -- etwa auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 -- ein "Mehr an Verantwortung" ab; andererseits aber ist unklar, was dieses "Mehr an Verantwortung" denn konkret heißt. Ist in der deutschen Außenpolitik eine Veränderung oder doch eher Kontinuität zu erkennen? Wie ist der Anspruch der Bundesrepublik einzulösen, eine Zivilmacht zu sein? Ist Deutschland eine "Zivilmacht ohne Zivilcourage", wie Christian Hacke seine Analyse des deutschen Abstimmungsverhaltens zur UN-Resolution Nr. 1973 zum Libyen-Konflikt im Jahre 2011 überschreibt? Klafft zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine Lücke?

Würde Deutschland seinem Ruf als Zivilmacht besser gerecht, wenn es seine bestehenden zivilen Kapazitäten stärker nutzte? Wie können Konfliktverhütung oder Konflikteindämmung ("wehret den Anfängen") gestärkt werden, statt auf die Bewältigung von bestehenden Konflikten und die Friedenskonsolidierung nach ihrem Ende zu setzen? Ist der Staat, ist die Regierung überhaupt in der Lage, gesellschaftliche Konfliktlinien in fremden Gesellschaften angemessen zu analysieren, daraus die adäquaten Schlüsse zu ziehen und diese in ein der Situation angemessenes Handeln zu übersetzen? Was waren die konkreten Folgen des deutschen außenpolitischen Handelns in Syrien und Irak, in Afghanistan und in der Ukraine? Welche Gründe lassen sich für negativ zu bewertende Resultate anführen? Welche Handlungsalternativen gab es? Warum wurden diese nicht genutzt?

Diese Fragen verweisen auf die längere historische Perspektive, in der gerade führende Vertreter/innen der Entwicklungsforschung jahrzehntelang immer wieder auf die Notwendigkeit vorausschauender, präventiver, ziviler Konfliktbearbeitung hingewiesen haben. Der wegweisende Titel des von Dieter Senghaas 1995 herausgegebenen Buchs Den Frieden denken -- Si vis pacem, para pacem steht dafür, aber auch für die Fragen, die angesichts des Abgleitens in gewaltsame Konfliktbearbeitung zu stellen sind, wie wir sie im selben Zeitraum beobachten mussten.

Wir benötigen zudem einen breiteren Blick auf die Vielfältigkeit von Konfliktursachen, die weltweit auch aus konfliktträchtigen Handlungsfeldern diverser Politikbereiche erwachsen, wie beispielsweise die aktuelle Wirtschafts-, Handels-, Agrar-, Rohstoff-, Finanz-, Energie- oder Klimapolitik, ihre Folgen und damit verknüpfte Alternativen, Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten.

Wir wünschen uns Artikel, welche die folgenden Fragen und Themen bearbeiten:

- Ist der Stellenwert der zivilen Krisenprävention in der außenpolitischen Praxis Deutschlands, der EU und anderer Länder tatsächlich deutlich höher als vor zehn Jahren?
- Wie passen der Vorrang der zivilen Krisenprävention und die anhaltende Rüstungsexportpraxis zusammen?
- Wie ist der "Vorrang für das Zivile" in Einklang zu bringen mit der deutlichen Steigerung der Ausgaben für die Bundeswehr und ihre militärischen Einsätze?
- Mehr Verantwortung in der Welt? -- Deutschlands Rolle als Zivilmacht: Ideologie oder Realität
- Gender-Aspekte in Friedensverhandlungen und Konfliktlösungen/Friedenskonsolidierung
- Ansätze ziviler Krisenprävention und Konfliktbewältigung
- Zivile Krisenprävention in Europa -- werden die einzelnen Regierungen ihren Ansprüchen in der "Flüchtlingskrise" gerecht?
- Zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit/Partnerschaft des Staates mit der Zivilgesellschaft in Konfliktsituationen (Ukraine, Ägypten) -- ein neuer Interventionismus und konfliktverschärfend?
- Die Tradition der Konfliktbearbeitung in der Entwicklungsforschung
- Wie haben sich die staatlichen Strategien der Konfliktbearbeitung in internationalen Beziehungen entwickelt? Welche militärischen und nichtmilitärischen Mittel werden dabei genutzt?
- Wie ist es um die Einbindung deutscher Strategien in internationale Zusammenhänge bestellt?
- Wie sieht ein Narrativ der deutschen internationalen Politik aus und wie wirkt sich das auf Strategien zur Konfliktbearbeitung aus? Welche Diskurse von Ethik und Werten werden geführt, wie glaubwürdig sind diese insbesondere im interkulturellen Kontext? Welche Rolle spielen Religionen? Welche Rolle können sie in der Konfliktbearbeitung spielen? Wie ist der Stellenwert von Religion für den deutschen Umgang mit internationalen Konflikten?
- Welche Auswirkungen hat die starke internationale Vernetzung auf deutsche und europäische Strategien zur Konfliktbearbeitung?
- Welche Strategien nichtmilitärischer Konfliktaustragung wurden entwickelt, um auf die "Neuen Kriege" zu reagieren?
- Welche Strategien wurden zur Integration anderer Politikfelder wie Kulturpolitik, Technologiepolitik, Wirtschaftspolitik in Mechanismen nichtmilitärischer Konfliktaustragung entwickelt? Welche Rolle spielen dabei zivilgesellschaftlichen Organisationen?

Redaktionsschluss für erste Artikelentwürfe ist der
2. März 2017.

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