Der Transparenz-Imperativ: Normen, Strukturen, Praktiken

Der Transparenz-Imperativ: Normen, Strukturen, Praktiken

Veranstalter
Universität Osnabrück / Humboldt Universität zu Berlin
Veranstaltungsort
Ort
Osnabrück / Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.03.2017 - 01.08.2017
Website
Von
Osrecki, Fran; Rzepka, Vincent

Call for Papers

Der Transparenz-Imperativ:
Normen, Strukturen, Praktiken

Herausgegeben von

Fran Osrecki (Universität Osnabrück)
&
Vincent Rzepka (Humboldt-Universität zu Berlin)

„Transparenz“ ist eine allgegenwärtige Forderung. Sie kann nahezu unterschiedslos an verschiedene Problemstellungen der modernen Gesellschaft gerichtet werden. Doch vertragen sich die Transparenzforderungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen oder geraten sie in Konflikt? Welche unterschiedlichen Transparenzbegriffe prägen die Gesellschaft? Wie gestalten sich Transparenztechnologien und Transparenzpraktiken auf der sozialen Mikro-, Meso- und Makroebene? Und wie stehen diese zu anderen normativen Ansprüchen der Gesellschaft? Der Sammelband will die Normen, Strukturen und Praktiken der Transparenz zueinander in Beziehung setzen. Für dieses Projekt bitten wir um Beiträge aus allen sozialwissenschaftlichen Disziplinen.

Transparenzforderungen sind in den vergangenen Jahren vermehrt zum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung geworden (z.B. Han, 2012; Hood & Heald, 2006; Jansen et al., 2010; Power, 1997; Rzepka, 2013; Osrecki, 2015; Strathern, 2000). Normative Perspektiven thematisieren Transparenz dabei zumeist affirmativ als Möglichkeit, Rechenschaft zu garantieren, oder kritisch als eine Erosion der Privatsphäre. Beides lässt sich aber auch unter der Frage nach einer sich wandelnden Normativität moderner Gesellschaften betrachten. Neben diesen Perspektiven entstand eine empirisch orientierte Forschungsrichtung, die sich vor allem auf Praktiken des Transparentmachens konzentrierte. Hier steht im Fokus, wie externe Einsehbarkeit produziert wird, z.B. durch Techniken der Verifizierung und Bewertung (wie Audits, Indizes, Rankings) und der Verhaltensregulierung (etwa codes of conduct, Überwachungstechnologien, „nudging“). Schließlich wird Transparenz aus struktureller Perspektive beleuchtet. Relativ prominent sind dabei soziologische und politikwissenschaftliche Studien, die auf die nichtbeabsichtigten Neben-folgen transparenter, extern einsehbarer Entscheidungs-, Organisations- und Funktionssystemstrukturen aufmerksam machen. Dabei erkunden sie auch die Machtkonstellationen von Transparenz, wenn sie nach den Akteuren, Profiteuren und Kritikern von Transparenzforderungen fragen.

Dieser Sammelband will ein Gespräch zwischen diesen und ähnlichen Ansätzen herbeiführen und so zu einer Synthese aktueller Forschungsergebnisse gelangen. Der Sammelband hat das Ziel, Transparenz so zu dechiffrieren, dass der Zusammenhang zwischen Normen, Strukturen und Praktiken deutlich wird und dass dieser Zusammenhang wiederum in historisch-empirischen Kontexten eingebettet wird. Diese Zusammenhänge sollen Beiträge aus möglichst unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Perspektiven beleuchten. Dabei können sowohl Fallstudien, vergleichende Ansätze als auch theoretische Beiträge eingereicht werden. Der Analyse-rahmen könnte beispielsweise auf folgende Themenkomplexe bezogen werden:

Transparente Interaktionen: Wie signalisieren Interaktionsteilnehmer Einsehbarkeit in ihr Handeln und wie schirmen sie Interaktionen vor fremden Blicken ab? Wie sind soziale Rollen konstituiert, die auf das Transparentmachen von Interaktionen spezialisiert sind (Spione, Geheimdienstmitarbeiter, verdeckte Ermittler, V-Leute, Therapeuten etc.)? Wie und warum wer-den Transparenzanforderungen umgangen? Gibt es legitimierbare Grenzen der Einsehbarkeit von Interaktionen?

Transparente Gruppen: Welchen Gruppen wird das Transparentmachen sozialer Prozesse und Strukturen anvertraut? Welche sozialen Gruppen gelten aus welchen Gründen in der modernen Gesellschaft als besonders transparenzbedürftig? Woraus speist sich z.B. die Forderung, medizinisches, juristisches, bürokratisches oder wissenschaftliches Personal extern zu kontrollieren? Wie reagieren Berufs- oder Statusgruppen auf die Einsehbarkeit ihres Handelns?

Transparente Organisation(en): Wie wird externe Einsehbarkeit organisational hergestellt? Welche (unbeabsichtigten) Nebenfolgen hat die Einsehbarkeit des Entscheidens in betroffenen Organisationen? Welche Konzeptionen von Führung und Selbstführung sind mit Transparenz verbunden? Wie werden Transparenzforderungen in die Regularien von z.B. politischen Institutionen und Organisationen übersetzt?

Transparente Technologien: Welche Technologien kommen im Transparentmachen von Entscheidungen zum Tragen? Welche Rolle spielen moderne Kommunikations- und Überwachungstechnologien bei der Herstellung externer Einsichtigkeit? Welche Perspektiven auf die Technologien haben diejenigen, die sie konzipieren und diejenigen, die sie anwenden? Wie äußert sich in Alltagspraktiken Widerstand gegen Transparenztechnologien?

Transparente Diskurse: Welche symbolischen Praktiken der Transparenz gibt es (z.B. in der Architektur)? Auf welchen epistemologischen Voraussetzungen bauen Transparenzkonzepte auf? Welche begriffsgeschichtlichen Entwicklungslinien haben Transparenzforderungen? Kann der Ruf nach Transparenz als Diskurs verstanden werden und wie ließe sich ein „Transparenzdiskurs“ analytisch fassen? Was verraten narratologische Analysen über die Subjekte, Wahrnehmungsschemata und Folgen von Transparenz?

Transparente Gesellschaften: Auf welche Herausforderungen antworten Transparenzforderungen? Wer sind die zentralen Akteure in der Formulierung von Transparenzansprüchen: Staat, NGOs, Wirtschaftsbetriebe? (Wie) Lassen sich Transparenzanforderungen in unterschiedlichen Funktionssystemen / Feldern / Sphären der Gesellschaft kontrolliert vergleichen? Wie unter-scheiden sich – historisch und gegenwärtig – Transparenzideale und -praktiken in Bezug auf Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Massenmedien, Sport, Recht oder Erziehung? Welche Steuerungschancen und -probleme ergeben sich aus Transparenz? Welche Gegenentwürfe und Widerstände lassen sich zu transparentem Regieren beobachten? Entwickeln andere Gesellschaften andere Transparenzideale, -praktiken und -strukturen, etwa außerhalb des Westens?

Wir freuen uns auf Beiträge zu diesen und ähnlichen Themen und bitten um die Zusendung eines kurzen Abstracts (deutsch oder englisch, max. 1000 Zeichen) per Mail an die unten angegebenen Adressen bis zum 01.03.2017. Auf Basis der Einreichungen werden wir die AutorInnen thematisch passender Beiträge um ausgearbeitete Manuskripte bitten (deutsch oder englisch, 70.000 Zeichen inklusive Leerzeichen, einzureichen bis zum 01.08.2017).

fran.osrecki@uni-osnabrueck.de
vincent.rzepka@hu-berlin.de

Literatur

Han, B-C. (2012) Transparenzgesellschaft. Berlin: Matthes & Seitz.

Hood, C. and D. Heald (eds.) (2006) Transparency: The key to better governance? Proceedings of the British Academy (135). Oxford: Oxford University Press.

Jansen, S., Schröter, E., and N. Stehr (eds.) (2010) Transparenz. Multidisziplinäre Durchsichten durch Phä-nomene und Theorien des Undurchsichtigen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Osrecki, F. (2015) ‘Fighting corruption with transparent organizations: Anti-corruption and functional deviance in organizational behavior’, Ephemera, 15 (2): 337-364.

Power, M. (1997) The audit society: Rituals of verification. Oxford: Oxford University Press.

Rzepka, V. (2013) Die Ordnung der Transparenz. Jeremy Bentham und die Genealogie einer demokratischen Norm. Berlin: Lit.

Strathern, M. (2000) ‘The tyranny of transparency’, British Educational Research Journal, 26(3): 309-321.

Programm

Kontakt

Fran Osrecki

Universität Osnabrück

fran.osrecki@uni-osnabrueck.de