Vom Absacker bis zur Überdosis. Rausch-Praxis, ihre Akteure und Räume.

Vom Absacker bis zur Überdosis. Rausch-Praxis, ihre Akteure und Räume.

Organizer
Promotionsprogramm Promohist, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Venue
LMU München, Schellingstraße 3 (Rgb.), Raum 303
Location
München
Country
Germany
From - Until
16.08.2019 - 17.08.2019
Website
By
Magnus Altschäfl

Rauschzustände und das Bedürfnis, sich in solche zu versetzen, sind fester Bestandteil vergangener als auch gegenwärtiger Kulturen und jeder gesellschaftlichen Gruppe. Erwartungen an und das Erleben von Rauschzuständen sind spezifisch und bedingen Vergemeinschaftung der Konsumierenden und Abgrenzung zu Außenstehenden. Solche In- und Exklusionsprozesse wirken sich auf Mikro- und Makroebene aus. Auf der Mikroebene erfüllte der kreisende Joint bei einem Hippie-Happening in Woodstock eine andere Funktion als ein einsam gesetzter Heroinschuss am Bahnhof Zoo. Auf der Makroebene ist Rausch stets Gegenstand politischer, gesellschaftlicher und religiöser Diskurse, Deutungskämpfe und daraus resultierender rechtlicher Regulierungen und Sanktionen.
Rausch ist auch an ökonomische Prozesse geknüpft, seien sie legal oder illegal und umfasst auch die Spannungsfelder age, race, class und gender. Daher gilt es, die Spezifika der jeweiligen "Rauschökonomie" zu beleuchten und ihren Konnex mit der daran gekoppelten Rauschpraxis zu analysieren. Illegale Rauschmittel bringen andere soziale Zusammenschlüsse, Organisationen und Praktiken hervor als legale.
Diese Beispiele sind nicht zufällig gewählt. Die Tagung "Vom Absacker bis zur Überdosis. Rausch-Praxis, ihre Akteure und Räume" von ProMoHist, dem strukturierten Promotionsprogramm für Neuere und Neueste Geschichte an der LMU München, begreift Rausch im engeren Sinn substanzinduziert. Ziel der Veranstaltung ist, in diesem Sinne die Verschränkung von individuellem, gruppenbezogenem Konsumerlebnis und -verhalten sowie gesellschaftlichen Reaktionen auszuleuchten und zu diskutieren.

Das Thema Rausch erschließt sich neu, wenn man es aus der Perspektive der Praxeologie betrachtet, die soziale Praxis entschlüsselt, indem sie kollektive Praktiken identifiziert und historisch kontextualisiert. In diesem Sinn umfasst die Rausch-Praxis verschiedene, wechselseitig aufeinander bezogene Praktiken: So gibt es etwa verschiedene, je nach Rauschmittel variierende Praktiken der Beschaffung. Diese sind an bestimmte Milieus gekoppelt, deren Substanzkonsum wiederum stark divergiert. Ähnlich groß ist das Spektrum von Praktiken der Berauschung, des Rauscherlebens und der Inszenierung. Ecstasy-RaverInnen beispielsweise erleben ihren Rausch anders als Feierabend-TrinkerInnen und zeigen andere Verhaltensweisen. Hierbei gilt es, zwischen sozial bedingten und biologisch gebundenen Veränderungen zu unterscheiden.
Mit dem rauschbedingten gesundheitlichen Raubbau am Körper gehen Begleiterscheinungen einher. Die Person bleibt unter Umständen dem Arbeitsplatz fern oder versucht mit anderen Mitteln gegenzusteuern. Letztlich kann die Einweisung in eine Entzugsklinik folgen – oder gar der Tod.

Eng verbunden mit der sozialen Praxis ist die Topographie des Rausches. Räume – sowohl physisch als auch sozial oder imaginiert – prägen Praktiken: In einer Bar werden eher Cocktails getrunken, in einer Kneipe Bier und Schnaps. Preise und Positionierung des Etablissements im soziokulturellen Feld ziehen jeweils unterschiedliche Klientel an. Während Räumlichkeit auf Verhalten wirkt, sind es wiederum soziale Prozesse, die den Raum als soziales, sozial hergestelltes und sozial kodiertes Gefüge konstituieren und verändern.
KonsumentInnen können Räume besetzen und dadurch umdeuten. Dies gilt insbesondere für sog. Nicht-Orte (“non lieux”) – Bahnhöfe, Parkplätze etc. – im öffentlichen Raum, die als Ort des Rausches ihre Monofunktionalität verlieren und Kommunikationsraum werden. Eng mit Rausch verbunden sind auch sog. Heterotopien, deren Zugang an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Wer am Bahnhof Drogen konsumiert, hat bereits an sozialem Status verloren, während es guter Kontakte bedurfte, um Ort und Codewort eines Speakeasy zu erfahren.

Die Tagung ist öffentlich. Sie richtet sich sowohl an HistorikerInnen und andere WissenschaftlerInnen als auch an eine breitere interessierte Öffentlichkeit.

Für die Teilnahme an der Tagung ist jeweils bis zum 12. August 2019 eine Anmeldung erforderlich an:
promohist@lrz.uni-muenchen.de

Programm

Freitag, 16.08.2019

9:30 Begrüßung & Einführung

Magnus Altschäfl & Emanuel Steinbacher (München)

10:00-12:00 Panel I: „Arenen des Rausches“

Sebastian Peters (München): Moderation

Christopher Degelmann (Berlin): „Von Wein, Schlaf und Unzucht
betäubt“. Der Vorwurf der ebriositas im politischen Diskurs der
späten römischen Republik.

Thomas Clausen (Cambridge/Frankfurt): „und man trägt leichter,
wenn man weiß, daß der Kamerad auch schwer daran trägt“: der
Bierabend des Volksgerichtshofs im Kontext nationalsozialistischer
Verfolgungspraktiken.

12:00-13:30 Mittagspause

13:30-15:30 Panel II: „Alkohol als Problem“

Britta von Voithenberg (München): Moderation

Mareen Heying (Düsseldorf): In der Kneipe und davor. Alkohol und Arbeiterschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Charlotte Großmann (Freiburg): Alkoholkonsum und gesellschaftliche
Problemwahrnehmung im 20. Jahrhundert: Von der „sozialen Frage“,
individuellen Gesundheitsproblemen und dem Flaschenbier.

16:00-18:00 Panel III: “Rausch in Bewegung(en)”

Aglaja Weindl (München): Moderation

Daniela Egger (München): What shall we do with the drunken sailor?
Alcohol on board Australian emigrant ships in the 19th century.

Max Gedig (München): Wie das Heroin die Rohrbombe nach München
brachte.

18:15-19:00 Keynote

Detlef Siegfried (Koppenhagen): Rausch und Rationalität. Räume, Praktiken und Ästhetiken der Gegenkultur um 1968

Moderation: Max Gedig (München)

Samstag, 17.08.2019

09:30-11:30 Panel IV: „Askese und Exzess“

Karl Siebengartner (München): Moderation

Jonas Sowa (Kassel): „Brotrinde zelebrieren“ – Funktion und
Realisierung von Rauschzuständen in literarischen Texten.

Robert Winkler (Giessen): Don’t Smoke, Don’t Drink, Don’t Fuck: Die
abstinenzpropagierende Straight Edge Bewegung im konservativen
Zeitgeist der 1980er und 1990er Jahre.

12:30-13:30 Abschlussdiskussion

Moderation: Anna Lehner (München)

Contact (announcement)

Magnus Altschäfl
Historisches Seminar der LMU, LS Neueste und Zeitgeschichte, Schellingstraße 12, 80539 München

magnus.altschaefl@lmu.de