Food – Media – Senses

Veranstalter
Christina Bartz, Jens Ruchatz, Eva Wattolik
Veranstaltungsort
Philipps-Universität Marburg
PLZ
35032
Ort
Marburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.11.2020 -
Deadline
21.12.2020
Von
Jens Ruchatz, Institut für Medienwissenschaft, Philipps-Universität Marburg

Call für eine interdisziplinäre und internationale (1.-2.7.2021), die sich mit dem Verhältnis der Sinnlichkeit des Essens zur Sinnlichkeit der Medien befasst.

Food – Media – Senses

Dass Essen mit Sinnlichkeit zu tun hat, ist ein Gemeinplatz. Interessanter wird das Verhältnis von Essen und Sinnen, wenn man berücksichtigt, dass bei Essen – verstanden als eine kulturelle Praxis, die Zubereiten, Präsentieren und Verzehr von Nahrung umfasst – alle fünf Sinne zugleich involviert werden können. Nicht nur in der Kochkunst der letzten Jahrzehnte – etwa in der molekularen Küche –, sondern gerade auch in der industriellen Produktion von fertigen Nahrungsmitteln, lassen sich Tendenzen finden, Erfahrungen aller fünf Sinne in Beziehung zueinander zu setzen.

Dass es bislang noch relativ wenig Forschung zum Zusammenspiel der Sinne beim Essen gibt, dürfte unter anderem damit zu tun haben, dass sinnliche Erfahrung traditionell vor allem dann kulturell geschätzt wurde, wenn sie Ausgangspunkt für eine Überschreitung hin zum Sinn war. Mit dieser Hierarchisierung dürfte zusammenhängen, dass gerade für die beim Essen zentralen Sinne Schmecken und Riechen nur wenig differenzierte sprachliche Werkzeuge zur Verfügung stehen. Eine kulturwissenschaftliche Expertise, die derjenigen gewachsen ist, die sich in der Praxis des Designs von convenience food oder – impliziter – auch in der haute cuisine ausdrückt, gibt es bislang nicht. Selbst die boomenden food studies befassen sich nur vereinzelt mit der sinnlich erfahrbaren aisthesis von Gerichten und ziehen sich meist auf eine kulturwissenschaftliche Perspektive zurück, die vor allem die sozio-kulturellen Funktionen von Essen beschreibt.

Die Tagung will eine solche kulturwissenschaftliche Herangehensweise bereichern, indem sie Kochen als sinnliche Gestaltung und Gerichte als Gestaltungsmittel sinnlicher Erfahrung fasst und in diesem Zuge versucht, Untersuchungswerkzeuge, die der Sinnlichkeit von Essen Rechnung zu tragen vermögen, vorzustellen, herzustellen und zu diskutieren. Zunächst soll es darum gehen, Weisen der Beschreibung für die einzelnen im Essen angesprochenen Sinne zu entwickeln, sowie Arten ihres Zusammenwirkens zu konzeptualisieren. Als Gestaltungsmittel sinnlicher Erfahrung sind die zubereiteten Gerichte selbst als Medien zu betrachten; handelt es sich doch um kulturell stark formierte Wahrnehmungsangebote, die in besonderer Weise Sinn und Sinnlichkeit gemeinsam adressieren. Darüber hinaus wird in der Hochküche mit Texturen, Gerüchen und Geschmack gearbeitet, um diesen Botschaften abzugewinnen. Der Fokus auf die Sinne gekoppelt mit der Heuristik des Medienbegriffs soll eine neue Perspektive auf Gerichte ermöglichen.

Die Beteiligung der Medien am Essen ist aber noch auf weiteren Ebenen differenzierbar: Mit einem offenen, beispielsweise an den ethnographischen Orientierungen der Akteur-Netzwerk-Theorie gewonnenen Medienkonzept lässt sich die konstitutive Beteiligung von Speisekarte, Besteck, Geschirr und Essraum in die Betrachtung einbeziehen, ohne diese als „Kontext“ sekundär zu setzen. Auch die bildende Kunst kennt seit der Moderne interaktive Settings (Happenings), die diese Dimension sinnlich reflektieren, indem sie das Essen zum Ausgangspunkt eines zum Gesamtkunstwerk gestalteten Ereignisses werden lassen. Schließlich spielen Medien sekundär eine Rolle, wenn sie Essen im Vorlauf oder Nachgang kommunizier- und darstellbar machen. In dieser Hinsicht würde es darum gehen, welche Sprache, Struktur und Bildlichkeit z.B. Kochrezepten eignet, wie Film und Fernsehen die sinnlichen Erfahrungen des Essens evozieren, wie das Oeuvre von Köchen in Fotobüchern wiedergegeben wird. Komplementär gilt es zu fragen, wie sich ein ganzes Medienensemble um Essen und dessen Wahrnehmung ausrichtet.

Der Vorschlag der Tagung besteht darin, die diversen Aspekte des Essens als gestaltete Sinneswahrnehmungen zu betrachten, um der materialen und medialen Spezifik des Essens als kulturelle Praxis gerecht zu werden. Insofern ist es ein Anliegen der Tagung, sich gerade auch den aktuell viel gestellten Fragen nach der Interkulturalität, der sozialen Distinktion und dem Geschlecht des Essens aus der Perspektive der Sinne zuzuwenden.

Drei Themenblöcke lassen sich dabei differenzieren:

1. Essen als Medium
Zunächst geht es darum, die beschriebenen medialen Qualitäten des Essens im Sinne einer gestalteten sinnlichen Erfahrung auszuloten. Im Zuge dessen kommt das Essen als multisensorischer Wahrnehmungsgegenstand ebenso in den Blick wie alle damit zusammenhängenden Praktiken des Zubereitens, Darreichens und Verzehrs. Es wird vorgeschlagen, Zubereitung, Präsentation und Verzehr von Essen als kommunikative Praxis zu betrachten – als eine Praxis, die anders als in der Untersuchung von Mahlzeiten bislang üblich, nicht die kulturelle Rahmung, sondern die Gestaltung des Gerichts und des gesamten Erfahrungsraums als kommunikatives Handeln in den Vordergrund rückt: Welche Rolle spielt die sinnliche Erfahrung schon beim Einkauf von Nahrungsmitteln und bei deren Zubereitung? Welche Möglichkeiten bestehen in der Praxis des Kochens die Parameter der sinnlichen Erfahrung zu kontrollieren? Wie wird Essen gestaltet, um eine bestimmte Erfahrung bei den Essenden zu evozieren? Wie wird Essen semantisiert, um zum Bedeutungsträger zu werden? Nicht zuletzt sind hier auch künstlerische Projekte zu betrachten, die die Zubereitung und den gemeinschaftlichen Verzehr von Essen in der Form des Happenings praktizieren wie thematisieren. Diese Kunstpraktiken erschließen eine Metaebene, d.h. instrumentalisieren nicht das Essen, um „Botschaften“ zu vermitteln, sondern stellen beispielsweise die Herstellung des Essens, seine Zubereitung und die damit sozialkulturellen Implikationen, wie etwa die Frage nach der Konstruktion von Kultur, selbst aus.

2. Essen in Medien
Die Darstellung der sinnlichen Erfahrung im Essen hat eine lange Geschichte: Das Interesse an den Farben und taktilen Oberflächen von Nahrungsmitteln und Essgeschirr ist beispielsweise wesentlich an der Herausbildung des Stilllebens als autonomer Gattung der Malerei beteiligt. Kochbücher versuchen die Herstellung von Essen ebenso wie die zu erwartenden Genüsse mit verschiedenen sprachlichen Mitteln, Layoutformen und Bildern zu verdeutlichen. Food-Fotografie verspricht geschmackliche und taktile Erfahrung in die eigene Visualität zu übersetzen. Im Zusammenspiel mit Farben usw. versuchen Fotografien auf Produktverpackungen als Serviervorschlag sinnliche Assoziationen zu vermitteln. Zu beachten ist komplementär, wie die Parameter medialer Darstellung auf die kulturelle Praxis des Essens selbst zurückwirken. Fotogenität oder neuerdings Instagrammability prämiert farbige und strukturierte Gerichte. Insofern gilt es auch auf die für die Industrie arbeitende, angewandte Forschung der visuellen Kommunikation zu schauen, die sich mit dem Verhältnis von Verpackungsdesign und Kaufentscheidung befasst. Die Multisensorik der kulinarischen Erfahrung spielt beim „Essen in Medien“ insofern eine Rolle, als die Frage ist, wie die komplexe Sensorik in andere Medien übertragen, besser: in diesen evoziert werden kann. Über solche Übersetzungsprozesse wird Essen für Film und Fernsehen interessant. Angesprochen werden sollen aber auch die sprachlichen Möglichkeiten, fiktionale Geschichten vom Essen zu erzählen oder Sinneserfahrungen in Restaurantkritiken wiederzugeben.

3. Soziologie und Kulturalität des Essens
Es gilt zu differenzieren, wie die Sinnlichkeit des Essens in bestimmten kulturellen Kontexten gehandhabt wird. Dabei geht es nicht allein um Vorlieben, z.B. für Bitteres oder Saures, sondern die Beteiligung der unterschiedlichen Sinne beim Essen: In welchen kulturellen Zusammenhängen wird etwa der Sehsinn besonders hervorgehoben? In welchen Kulturen spielt die Adressierung des Tastsinns durch Texturen eine besondere Rolle? Hier stellt sich zugleich die Frage nach der Sinnlichkeit von kulturellen und nationalen Identitäten. Im Sinne der Fragen nach der Sozialität von Geschmack, die Pierre Bourdieu sehr einflussreich gestellt hat, gilt es auszuarbeiten, wie der Zusammenhang von Sinneserfahrung und sozialer Biografie zur Herausbildung von gesellschaftlicher Identität beiträgt. Sinneserfahrung wird dann als wesentlich gesellschaftlich formiert fassbar und zugleich die sozio-kulturelle Formatierung naturalisiert, z.B. wenn geschmackliche Vorlieben geschlechtsspezifisch beobachtet werden.

Organisiert von Christina Bartz (Paderborn), Jens Ruchatz (Marburg), Eva Wattolik (Erlangen)

Die Tagung soll vom 1.-2. Juli 2021 an der Philipps-Universität Marburg in Präsenz oder als hybride Veranstaltung durchgeführt werden. Angesichts der COVID-Pandemie lassen sich nach aktuellem Stand noch keine definitiven Aussagen zur letztlich realisierbaren Veranstaltungsform tätigen.
Tagungssprachen sind Englisch und Deutsch, wobei empfohlen wird auf Englisch zu präsentieren, um die internationalen TeilnehmerInnen nicht von den Diskussionen auszuschließen.
Die Übernachtungen werden von den Veranstaltern finanziert. Reisekosten werden, je nach Umfang, übernommen oder bezuschusst. Es fallen keine Tagungsgebühren an.
Wenn Sie sich für die Teilnahme an der Tagung interessieren, dann richten Sie bitte bis zum 21.12.2020 ein Exposé (im Umfang von ca. 500 Wörtern) für einen 25minütigen Vortrag und einen kurzen Lebenslauf (von ca. 150 Wörtern) an foodmediasenses@uni-marburg.de.

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Deutsch
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