10. Werkstattgespräche „Neues aus dem Mittelalter”

10. Werkstattgespräche „Neues aus dem Mittelalter”

Organisatoren
Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde, Universität Heidelberg; Historisches Institut, Universität Mannheim
Ort
digital
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.11.2021 - 12.11.2021
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Von
Sarah Kupferschmied / Linda Mosig, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Die Werkstattgespräche boten neun Doktorandinnen und Doktoranden die Möglichkeit, ihre mediävistischen Dissertationsvorhaben zu präsentieren und mit dem Fachpublikum zu diskutieren.

MALENA SCHERF (Heidelberg) eröffnete die erste Sektion zu Herrscher- und Heldennarrativen mit der Vorstellung ihres Dissertationsprojekts zur Kindheit des Königs und narrativen Konstruktionen im mittelalterlichen Reich. Sie analysiert die Topoi in den historiographischen Kindheitsdarstellungen von Karl dem Großen bis Maximilian I. hinsichtlich des Stellenwerts der königlichen Kindheit im Vergleich zu Kindheitserzählungen anderer Adeliger. Darüber hinaus fragt sie nach der Funktion der Narrative als Mittel der Herrschaftslegitimation. Dabei sucht sie nach antiken Vorbildern wie den Kaiserviten oder den Jesus-Apokryphen, betrachtet aber auch den Einfluss zeitgenössischer höfischer Romane auf die narrative Konstruktion der Königskindheit. Eine Sonderform in ihrem Quellencorpus stellt der Karlmeinet dar, eine Textkompilation aus dem 14. Jahrhundert, die eine Kindheitsbeschreibung Karls des Großen beinhaltet. Hier wird die Beschreibung der Kindheit nachweislich fiktional konstruiert, da keine zeitgenössischen Kindheitsbeschreibungen Karls vorliegen. Somit ergaben sich erste Ergebnisse: Die Kindheit der Könige wurde sowohl für die Herrschaftslegitimation als auch für didaktische Zwecke funktionalisiert. Ihre Beschreibung stellt den Beginn einer linearen, ganzheitlichen Lebensbeschreibung dar, die den späteren Verlauf der Geschichte bereits vorausdeuten soll.

Narrative und Topoi untersucht auch HELEN WIEDMAIER (Mainz) in ihrem Dissertationsprojekt „Kämpfer auf dem Schlachtfeld – Kämpfer in den Texten“, das Teil des Graduiertenkollegs 2304 „Byzanz und die euromediterranen Kriegskulturen. Austausch, Abgrenzung und Rezeption“ ist. Sie nimmt jene historiographischen Quellen des 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts in den Blick, die über die Schlachten am Morgarten, bei Gammelsdorf, Mühldorf und Sempach berichten. Mittels einer narratologischen Analyse soll die Darstellung des Kämpfers herausgearbeitet werden. In ihrem Vortrag konzentrierte sich Wiedmaier auf akustische Aspekte in den Schlachtenschilderungen wie Schlachtengesänge, Kriegslärm und -geschrei, Trompeten- und Trommelklänge sowie Jammer. Dabei stellte sie fest, dass die Quellenautoren singulär auf die Geräusche der Schlachten hinwiesen und damit sowohl diese Textstellen für die Rezipienten bewusst markierten (z.B. als Höhe- und Wendepunkte des Schlachtfortgangs) als auch je nach Intention den Sieg oder die Niederlage eines Heerführers bereits vorwegnahmen. Ebenso machte Wiedmaier deutlich, dass der Ausdruck des mit den Kriegen einhergehenden Leids in der Regel nicht überliefert wurde.

Die zweite Sektion befasste sich mit dem Gebrauch von Medien. SIMONE HALLSTEIN (Köln) stellte ihr Dissertationsvorhaben zu Judenfeindlichkeit und Medienwandel im Spätmittelalter vor. Sie untersucht, wie der Buchdruck in der Inkunabelzeit und bis zum Beginn der Reformation (1450–1520) zur Verbreitung judenfeindlicher Schriften genutzt wurde. Der Fokus der Arbeit liegt auf den Fragen, welche Schriften durch den Buchdruck verbreitet wurden und welche vermeintlichen Argumentationsstrukturen diese gegen die jüdische Bevölkerung vorbringen. So versuchte Nicolaus de Lyra beispielsweise in einem theologischen Traktat, seine judenfeindlichen Ansichten mit Belegen aus dem Talmud zu untermauern. Andere Autoren wie Heinrich von Langenstein sahen die Juden als sozialpolitisches Problem und warfen ihnen Wucher und unsittliche Leih- und Pfandpraktiken vor. Als dritte Argumentkategorie wurden die Gerüchte über Religionsverbrechen durch jüdische Menschen, beispielsweise die Ritualmordlegende, mit dem neuen Medium des Drucks verbreitet. Hallstein wird untersuchen, welchen Anteil diese einzelnen, jüngeren und älteren Narrative im gesamten Quellencorpus ausmachen.

Mit Geschlecht und Geschlechterrollen in Reiseberichten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit beschäftigt sich FLORIAN KEHM (Mainz) in seinem Promotionsprojekt. Als Quellengrundlage dienen ihm Berichte über Reisen nach Asien aus der Zeit zwischen 1245 und 1600. Ziel des Projekts ist es, die Funktion der Darstellungen von Geschlechterrollen und Sexualität in den Texten sowie die von den Autoren vermittelten Wert- und Moralvorstellungen herauszuarbeiten. Anhand des Berichtes über die Anfang des 14. Jahrhunderts stattgefundene Missionsreise des Franziskaners Odorico da Podenone nach Asien konnte Kehm beispielhaft zeigen, dass Aussagen über Geschlechter nicht allein auf Beobachtungen der Weiblichkeit beschränkt waren, sondern das Verhältnis der Geschlechter zueinander behandelt wurde. Indem der Berichtende die Andersartigkeit in der Fremde aufzeigte, reflektierte und festigte er die in der christlichen Gesellschaft Europas bekannten Ordnungsvorstellungen, die er auch bei seinem Rezipientenkreis voraussetzen konnte.

Die dritte Sektion zu England und Frankreich eröffnete OLIVIA MAYER (Klagenfurt) mit ihrem Vortrag zu Magieanschuldigungen und -anklagen gegenüber adligen Frauen im spätmittelalterlichen England und Frankreich. Magieanschuldigungen waren Gerüchte, die einer Person die Verbindung zu Magie nachsagten und gegebenenfalls zur Magieanklage, also Gerichtsprozessen, führen konnten. In Mayers Dissertationsprojekt sollen Anschuldigungen und Anklagen als politisch motivierte Prozesse verstanden werden. Konkret wurde den Frauen Nigromantie, Zauberei, Wahrsagerei und Schadenszauber vorgeworfen. Die Gruppe der adligen Frauen ist dabei nur schwer zu fassen bzw. einzuordnen. Im Fokus stehen die Fragen, welche Gründe zu Magieanklagen führten, wie und von welchem Gericht die Prozesse durchgeführt wurden und welche Konsequenzen sie für die Frauen hatten. Ebenso sind eine linguistische und geschlechtsspezifische Untersuchung geplant. Am Fallbeispiel der Herzogin von Orléans, Valentina Visconti, veranschaulichte Mayer die politischen Motive für die Magieanschuldigungen gegen eine einflussreiche adlige Frau in einer herrschaftlich instabilen Zeit.

Anschließend referierte FELIX SCHULZ (Innsbruck) zum Briefwechsel Isabeaus de Bavière im Kontext seiner Forschung zu den Wittelsbachern am Hof Karls VI. von Frankreich. Ziel seiner Arbeit ist es, anhand des Briefcorpus Isabeaus (ergänzt durch die Korrespondenzen Jakobäas und Margarethes von Bayern) die Kommunikationsstrategien weiblicher Wittelsbacher-Herrscherinnen zu untersuchen. Schulz widmet sich dabei auch allgemein dem Brief als Quellengattung. Somit leistet sein Projekt zu grundwissenschaftlichen Fragestellungen einen Beitrag; Schulz analysiert die Briefformulare hinsichtlich ihrer Entsprechung mit dem Briefideal der ars dictaminis. In seinem Vortrag stellte er das zu untersuchende Briefcorpus Isabeaus vor: 13 Briefe, die an sie gerichtet oder von ihr verfasst sind, seien erhalten. Erstmals werden in dieser Arbeit zudem die kaum beachteten Briefe Isabeaus und ihres Bruders aus dem Münchener Hauptstaatsarchiv intensiv erforscht.

Die vierte Sektion zu Repräsentation und Innovation wurde von CYNTHIA STÖCKLE (München) eingeleitet. Sie referierte über das als Grablege der Meinhardiner fungierende mittelalterliche Kloster Stams in Tirol, das sie unter dem Aspekt des Spannungsverhältnisses von monastischem Anspruch und dynastischer Politik betrachtete. Es ist zugleich eines der sechs Klöster, die Stöckle im Rahmen ihres Promotionsvorhabens untersucht. Im Anschluss an die Problematisierung des Begriffes „Hauskloster“ von Jürgen Dendorfer und auf methodischer und theoretischer Grundlage der Arbeiten von Christina Lutter, Alexander Sauter und Jeroen Duindam möchte sie ihren Forschungsansatz erweitern. In ihrer Dissertation wird Stöckle zum einen dem Prozess der Klostergründung, zum anderen dem Einfluss der Stifter auf das Kloster sowie der Bedeutung der Grablege im Laufe der Zeit nachgehen. Ihre These ist, dass Grablegen nicht mit Absicht auf prospektive Weiternutzung gegründet wurden, sondern mit zu erörternden Kriterien erst retrospektiv als „dynastische Grablege“ verstanden wurden. Ebenso sollen auch Differenzen zwischen den einzelnen für die Memoria ausgewählten Orden sowie die Vorteile der jeweiligen Klostergemeinschaft und der gesamten Region in den Blick genommen werden.

ALEXANDRA POPST (München) präsentierte ihr Forschungsvorhaben zu den Herrschergräbern in Palermo. In ihrem Vortrag diskutierte sie die Frage, wie die Sarkophage Friedrichs II., Heinrichs VI. sowie Rogers II. und Konstanzes von Hauteville im Dom von Palermo zu datieren seien und wie sie an diesen Standort gelangten. Während die ältere Forschung annahm, dass Friedrich II. den Sarg Rogers im Jahr 1215 von Chephalu nach Palermo überführen ließ und dieser Akt vom herrscherlichen Grabensemble in Speyer inspiriert sei, konnte Popst zeigen, dass in der Überlieferung lediglich eine Schenkung an die ehemalige Grabstätte in Chephalu belegt ist, keineswegs aber die Verlagerung des Leichnams. Sie argumentierte, dass diese Schenkung daher eine Kompensationsleistung für eine bereits früher geschehene Translation darstelle. Diese These korrespondiert mit den neueren kunstgeschichtlichen Beobachtungen Joachim Poeschkes (2011), der feststellte, dass die Sarkophage in Palermo platziert wurden, bevor sich Friedrich II. mit dem nordalpinen Reich auseinandersetzte. Popst möchte die Grabfunktion abhängig von ihrem Entstehungszeitpunkt verstehen. Dabei sollen lokale Traditionen mit dem Ensemble in Palermo verglichen werden, um schließlich die Aussageabsicht der Grabgruppe zu erfassen. In der Arbeit sollen geschichtswissenschaftliche, kunsthistorische und archäologische Ansätze verbunden werden.

Den Abschluss der Werkstattgespräche bildete der Beitrag von AYLIN SEEBOTH (Bonn), die sich in ihrem Promotionsprojekt mit den hölzernen Tonnengewölben Mitteldeutschlands von der Mitte des 13. Jahrhunderts bis zur Reformation beschäftigt. Das ausgerundete und verschalte Kehlbalkendachwerk war in Mitteldeutschland weit verbreitet und lässt sich anhand original erhaltener Objekte und bildlicher Quellen rekonstruieren. Seeboth will an die bauhistorische Forschung Thomas Eißings mit ihrer eigenen kunsthistorischen Untersuchung anknüpfen. In ihrem Vortrag ging Seeboth besonders auf die Bettelorden ein, da in deren Kontext fast 20 Prozent der bekannten Holztonnengewölbe in Mitteldeutschland entstanden sind. Außerdem hob Seeboth die Bedeutung der Konvente hervor, die sich in ihrer Kirchen- und Klösterarchitektur an den Zisterziensern orientierten, deren Holztonnenkonstruktionen sie übernahmen und die sie dadurch ab dem 13. Jahrhundert in die Städte brachten. Bezüglich der Gründe, Holztonnen anderen Gewölbekonstruktionen vorzuziehen, argumentierte Seeboth mit erstens pragmatischen und zweitens ästhetischen Vorteilen und verwies drittens auf ikonographische und weitere mögliche Sinnschichten. Sie schloss in Bezug auf die vorgestellte Bettelordensarchitektur, dass oft mehrere oder alle drei Motive zum Bau der Holztonne führten.

Konferenzübersicht:

Sektion I: Herrscher- und Heldennarrative
Moderation: Lena Liznerski (Mannheim)

Malena Scherf (Heidelberg): Die Kindheit des Königs. Narrative Konstruktionen im mittelalterlichen Reich

Helen Wiedmaier (Mainz): Zwischen Heldengeschrei und Hochmut – die Darstellung des Kämpfers in der Historiografie des 14. Jahrhunderts

Sektion II: Mediengebrauch und Meinungsmache
Moderation: Verena Weller (Mannheim)

Simone Hallstein (Köln): Judenfeindlichkeit und Medienwandel im Spätmittelalter

Florian Kehm (Mainz): Geschlecht und Geschlechterrollen in (Fern-)Reiseberichten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit

Erfahrungsaustausch und Diskussion: Promovieren in der Pandemie
Moderation: Alicia Lohmann (Heidelberg)

Sektion III: England und Frankreich
Moderation: Matthias Kuhn (Heidelberg)

Olivia Mayer (Klagenfurt): Zwischen Funktionalisierung und Fanatismus. Magieanschuldigungen und -anklagen an adlige Frauen in England und Frankreich im Vergleich

Felix Schulz (Innsbruck): Kommunikation am Königshof. Der Briefwechsel Isabeaus de Bavière und die Wittelsbacher am Hof Karls VI. von Frankreich (1385–1435)

Sektion IV: Repräsentation und Innovation
Moderation: Lena von den Driesch (Heidelberg)

Cynthia Stöckle (München): Das Kloster Stams in Tirol im Spannungsverhältnis von monastischem Anspruch und dynastischer Politik

Alexandra Popst (München): Die Grablege Friedrichs II. im Dom von Palermo

Aylin Seeboth (Bonn): Dachwerk oder Gewölbe? Die Holztonne in der Bettelordensarchitektur Mitteldeutschlands


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