Cover
Titel
Paul Siebeck und sein Verlag.


Autor(en)
Hammann, Konrad
Erschienen
Tübingen 2021: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
XI, 437 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gangolf Hübinger, Center B/ORDERS IN MOTION / Vergleichende Kulturgeschichte der Neuzeit, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt an der Oder

Erst seit einigen Jahren nennt sich der weltweit bekannte Tübinger Wissenschaftsverlag kurz „Mohr Siebeck“. Zuvor hatte er die Unternehmensgeschichte ausführlicher im Verlagsnamen getragen, „J.C.B. Mohr (Paul Siebeck)“. Mit Mohr war Johann Christian Benjamin Mohr gemeint, der 1805 im Alter von 26 Jahren in Heidelberg eine akademische Buchhandlung begründete. Seine Erben verkauften die Verlagsbuchhandlung an die beiden Inhaber der H. Laupp´schen Buchhandlung in Tübingen. Einer davon war Paul Siebeck, der Mann in den Klammern des alten Verlagsnamens.

Eine Biographie zu Paul Siebeck, die dessen kulturhistorische Bedeutung erfasst, war überfällig. Der 2020 verstorbene Theologe Konrad Hammann hat sie jetzt geschrieben und das Genre Verlagsgeschichte als Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte klug mit den Fragestellungen einer methodisch reflektierten Verlagsgeschichte als Wissens- und Kulturgeschichte kombiniert. Die Person von Paul Siebeck (1855–1920) bietet dazu auch die besten Möglichkeiten. Fünf Fragen sind es im Wesentlichen, die Hammann an Verlagsgewerbe und Verlegerpersönlichkeit in einer Zeit richtet, als mit der Leserevolution in Deutschland für das Buch ein „Massenmarkt“ entstand: Mit welchen strategischen Entscheidungen professionalisierten sich Verlage wissenschaftlicher Literatur, um vom Ausbau der Universitäten zu profitieren? Welche Vorstellungen von der Kommunikation wissenschaftlicher Forschung setzten Verleger dabei um? Wie bildeten sie Netzwerke und banden Gelehrte von Gewicht als Hausautoren an ihren Verlag? Wie verhielten sich kaufmännisches Kalkül und ideelle Kulturabsichten zueinander? Wurde im Zeitalter der Pluralisierung von Ideen und Interessen ein bestimmtes „sozialmoralisches Milieu“ (M. Rainer Lepsius) auf besondere Weise angesprochen? Zu all diesen Fragen liefert Hammanns Siebeck-Biographie gehaltvolle Einsichten. Nachdem es um die „Geschichte des deutschen Buchhandels“ im europäischen Vergleich in letzter Zeit eher still geworden ist, lässt sich mit Hammanns stets materialgesättigter Studie dieser Forschungszweig neu beleben.

Natürlich ist Verlagsgeschichte im ersten Zugriff Unternehmensgeschichte, aber so, wie auch die Buddenbrooks von Thomas Mann die Geschichte einer „Firma“ sind. Hammann setzt ein mit der typisch wirtschaftsbürgerlichen Aufstiegsdynamik von Familie und Firma, von Connubium und Commercium. In aller Verkürzung lief diese Dynamik wie folgt vom Anfang des 19. Jahrhunderts auf Paul Siebeck an dessen Ende zu.

Im Jahr 1816 verkaufte J.G. Cotta seine Tübinger Buchhandlung an Heinrich Laupp. Pauls Vater Hermann Siebeck heiratete ein und wurde 1840 als Schwiegersohn Teilhaber der H. Laupp´schen Buchhandlung und 1866 Alleininhaber. Hermann Siebecks Schwiegersohn Jakob Gustav Kötzle wiederum wurde 1873 als Teilhaber in die Firma berufen. Bei Hermann Siebecks Tod 1877 trat Paul Siebeck, der von der Pieke auf das Buchhandelsgewerbe erlernt hatte, zuletzt bei Brockhaus in Leipzig, das gut bestellte väterliche Erbe an. Die beiden Tübinger Inhaber der Laupp´schen Buchhandlung Kötzle und nunmehr Paul Siebeck kauften im Folgejahr 1878 die Heidelberger Akademische Verlagsbuchhandlung von J.C.B. Mohr und merkten rasch, dass für zwei ehrgeizige Verleger als Partner der Tübinger Raum zu klein war. 1880 eröffnete Paul Siebeck eine Verlagsbuchhandlung in Freiburg, um sich in dieser Universitätsstadt mit zahlreichen Nachwuchswissenschaftlern einen neuen Markt zu erschließen. Seit Freiburg existiert nun die „Akademische Buchhandlung von J.C.B. Mohr (Paul Siebeck)“. Eine schwere Erkrankung, die J.G. Kötzle 1897 arbeitsunfähig machte, bewog Paul Siebeck, nach Tübingen zurückzukehren und die Verlage „Mohr“ und „Laupp“ gemeinsam zu führen. Von der Tübinger Wilhelmstraße aus, dem heute noch aktiven Verlagssitz, „lenkte er zwischen 1899 und 1920 die Geschicke seines Verlages“ (S. 169).
So weit, so trocken der wirtschaftsbürgerliche Rahmen, oder gerade nicht trocken. Denn Hammann beschreibt diese Verlagsverflechtungen sehr einfühlsam und sorgfältig als Muster bürgerlicher Lebensführung. Bei hohem Kapitaleinsatz führte die Maxime „Arbeit war sein Leben“ im 19. Jahrhundert zu ökonomischem Erfolg und gesellschaftlicher Reputation. Nicht zu vergessen ist die Rolle von Verlegergattinnen und Witwen als Kapitalgeberinnen.

Das badische Freiburg mit seiner kleinen Universität und jungen, ehrgeizigen Professoren bot Paul Siebeck das Terrain, auf dem er knapp 20 Jahre lang einen neuen Typus des „Universitätsverlages“ austesten konnte. Hier stabilisierte er die zwei Säulen seines Verlagsprofils, die Theologie und die Allgemeinen Staatswissenschaften. Die theologische Schriftenproduktion als das „stärkste Segment“ ( S. 77) gab dem kulturell und sozial engagierten Verleger zugleich die Gelegenheit, religionspolitische Signale zu senden. Mit einer „Sammlung theologischer Lehrbücher“ und dem 1883 eingeführten „Handbuch der theologischen Wissenschaften“ verfolgte er die Absicht, im latenten innerprotestantischen Kulturkampf von Freiburg und später von Tübingen aus eine liberale Alternative zur kirchenkonservativen Wissenskultur zu liefern. Adolf Harnack erhält bei Hammann als eines der Verlags-Zugpferde ein eigenes Porträt. Zum neuen Typus eines Universitätsverlages gehörte die Anpassung an den säkularen Prozess der Verbreiterung des Wissens und der Demokratisierung von „Bildung“. Siebeck erkannte als einer der ersten die Notwendigkeit populärwissenschaftlicher Schriftenreihen und begründete 1896 die „Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften auf dem Gebiet der Theologie und der Religionsgeschichte“.

Gut lässt sich mit Hammann das Gespür Paul Siebecks für die Aufspaltung der Allgemeinen Staatswissenschaften in Einzeldisziplinen verfolgen. Erfolgreich baute Siebeck schon in Freiburg die Verlagssektoren Rechtslehre, Staatslehre und Nationalökonomie aus, dazu Philosophie mit dem südwestdeutschen Neukantianismus und eher halbherzig Geschichte mit einem Intermezzo von Karl Lamprecht. Zum verlegerischen Stil gehörte die Pflege guter Autorenbeziehungen. Zu Max Weber war sie bis zu beider Tod im selben Jahr 1920 besonders eng. Weber setzte ganz auf Siebeck für seine Freiburger und frühe Heidelberger Profilierung als Vertreter der Historischen Schule der Nationalökonomie und befand 1899 launig: „In welcher Ihrer beiden Garnituren – ‚Mohr‘ oder ‚Laupp‘ Sie auftreten, ist für mich irrelevant.“ Überhaupt Max Weber. Zwei der wichtigsten Verlagsunternehmen sind mit Webers Handschrift verbunden. Das ist zum einen das 1904 neu begründete „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“, das sich zur international führenden Zeitschrift einer kritischen Selbstbeschreibung der kapitalistischen Globalisierung entwickelte und 1933 eingestellt werden musste. Das ist mehr noch der „Grundriß der Sozialökonomik“, erschienen in neun Abteilungen zwischen 1914 und 1929, dessen Konzept Weber entworfen und dessen Redaktion er 1909 übernommen hatte. Zu einem dritten Großprojekt, dem fünfbändigen Handwörterbuch „Die Religion in Geschichte und Gegenwart“, einem Pionierwerk der vergleichenden historischen Religionsforschung, hatte Weber ursprünglich seine Mitarbeit zugesagt. Tatsächlich mitgearbeitet hat dann Ernst Troeltsch, dessen Hauptwerk „Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ 1912 ebenfalls bei Siebeck erschien. Zu Weber und Troeltsch hatte Hammann ebenfalls eigene Autorenporträts vorgesehen, die er jedoch, anders als zu Karl Bücher, Georg Jellinek oder Hans Kelsen, nicht mehr ausführen konnte.

Viel erfahren wir über Paul Siebecks Persönlichkeit. Er galt als ebenso autoritär wie paternalistisch und liebte die strenge doppelte Buchführung. „Ja keine Calküle ohne mich“, war seine Verlagsdevise. Der Erfolg gab ihm Recht. Von zwei Mitarbeitern beim Freiburger Start 1880 und sechs Mitarbeitern in Tübingen 1890 wuchs der Verlag dort auf 41 Beschäftigte bei Ausbruch des Krieges 1914 an. Siebecks Lebensweg folgte den Mustern der wilhelminischen Wirtschafts- und Bildungseliten. Das Gymnasium verließ er nach dem Einjährigen, erwarb das Patent des Reserveleutnants und war in Freiburg wie Weber Teil der evangelisch-sozialen Bewegung. In Tübingen war der Ordensträger und Ehrendoktor Siebeck Mitglied von 29 Vereinen und Verbänden und wirkte sechs Jahre als Stadtverordneter. Die exponierte Rolle in der Stadtgesellschaft unterstrich der „Vermögensmillionär“ (S. 283) 1910 durch einen repräsentativen Villenneubau auf dem Tübinger Österberg.

Der Rückgang der Verlagsproduktion im Ersten Weltkrieg traf Paul Siebeck empfindlich, so wie die meisten der mittelständischen Unternehmen. Die vier Hauptplagen waren die Einberufung von Mitarbeitern, die Papierkontingentierung, die oft willkürliche Zensur und natürlich der reduzierte Absatz wissenschaftlicher Literatur. Das konnte auch das Umschwenken auf mobilisierende Kriegsliteratur nur zu geringen Teilen kompensieren. Wie so viele gab sich Siebeck im ersten Kriegsjahr patriotisch begeistert und wähnte den „furor teutonicus“ unbesiegbar „erwacht“. Doch schon am 2. September fiel Sohn Robert. Schritt für Schritt schwenkte Siebeck nunmehr ein auf die Linie der Gemäßigten, die einen baldigen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen wünschten. Im Lutherjahr 1917 grenzte sich sein Verlag mit der Präsentation eines „Krisen-Luther“ von jeder nationalistischen Konstruktion eines „deutschen Luther“ entschieden ab.

Bei Kriegsende befand sich der Verlag zwar in keiner Existenzkrise. Umstrukturierungen zu einer offenen Handelsgesellschaft und neue Kreditfinanzierungen standen gleichwohl an, und der Eintritt der beiden Söhne Oskar und Werner als Gesellschafter in die Verlagsleitung machte einen „Gesellschaftsvertrag“ erforderlich. Hier entlud sich heftiger Familienzwist, in dem sich der Patron bis zu seinem Tod im November 1920 vor allem mit Oskar entzweite, und Vater und Sohn sich als „regelrechte Kontrahenten“ (S. 363) gegenüberstanden.

Hammann hat Verlagsgeschichte und Verlegerbiographie mit viel Einfühlungsvermögen und materialreich zu einer auch stilistisch lesenswerten Kulturgeschichte der Bücherwelt verknüpft. Für die Verlagsentwicklung stand ihm dazu das reichhaltige Verlagsarchiv Mohr-Siebeck in der Staatsbibliothek zu Berlin und für die familiären Lebensumstände wie die Ehe mit Thekla Siebeck sehr großzügig das „Privatarchiv Dr. Georg Siebeck“ zur Verfügung. Konrad Hammanns Tod verhinderte zwar manche Einfügungen und einen letzten Schliff. Gleichwohl liegt nunmehr eine vorbildliche Studie zu „Verleger als Beruf“ in der Übergangsepoche zum modernen Massenmarkt für Fachliteratur, zum „Riesenbetrieb“ der Universitäten und zur Pluralisierung der Weltanschauungen vor.

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