E. Ruffert: Das Gesandtschaftszeremoniell des brandenburgisch-preußischen Hofes um 1700

Titel
Das Gesandtschaftszeremoniell des brandenburgisch-preußischen Hofes um 1700.


Autor(en)
Ruffert, Elisabeth
Reihe
Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte (55)
Erschienen
Anzahl Seiten
728 S.
Preis
€ 119,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marian Hefter, Forschungszentrum Gotha, Universität Erfurt

„moins de systèmes et plus de travail d'archives“1 – diese Forderung richtete Olivier Chaline schon 1995 an die Hofforschung. Doch auch heute noch sind die zeremoniellen Praktiken und ihre Hintergründe an den Fürstenhöfen im Heiligen Römischen Reich weitgehend unerforscht – obwohl mit den Ergebnissen des SFB 496 zur Bedeutung des Zeremoniells für die Konstituierung der frühneuzeitlichen Gesellschaft seit vielen Jahren eine überzeugende Rahmendeutung rezipiert wird. An diesem Punkt setzt Elisabeth Rufferts Dissertation zum brandenburgisch-preußischen Gesandtenzeremoniell vor und nach der Königserhebung der Kurfürsten von Brandenburg im Jahr 1701 an. Zentrales Anliegen des Buches ist die diachrone Darstellung der Veränderungen im Gesandtenzeremoniell unter den wechselnden Herrschern von 1648 bis 1740.

Grundsätzlich gliedert sich der Text in drei große Teile. Der erste bietet einen Abriss über die Geschichte der Diplomatie, versucht Begriffsbestimmungen und geht auf die Organisation des Gesandtschaftswesens am Berliner Hof ein. Hierbei macht Ruffert bereits die wichtige Erkenntnis, dass die am Berliner Hof aufgestellten „Normen und Regeln“ im „diplomatischen Alltag freilich […] nicht immer einhalt- bzw. anwendbar“ (S. 43) waren. Die ebenfalls im ersten Abschnitt beschriebene Quellenlage ist, nicht zuletzt durch den Nachlass des ersten preußischen Zeremonienmeisters Johann von Besser, außerordentlich; entsprechend beeindruckend wirkt das Verzeichnis der archivalischen Quellen mit tausenden Signaturen (S. 535–546).

Das zweite Großkapitel ist der Darstellung der Rahmenbedingungen und Funktionsweisen des diplomatischen Zeremoniells in Europa wie auch am Berliner Hof gewidmet. Als zentralen Zeitpunkt, um den sich alle anderen Überlegungen drehen, macht Ruffert den Erwerb der preußischen Königskrone im Jahr 1701 aus: Galt es zuvor, die Idee eines quasi-königlichen Kurfürstenstands zu behaupten und zeremoniell auszudrücken, musste im Anschluss für die Anerkennung des neuen royalen Standes gesorgt werden. Dies bedeutete für die Jahre bis 1701 – weitgehend erfolglose – Bemühungen um eine Zusammenarbeit mit anderen, ungekrönten Kurfürsten (S. 107–169). In der Zeit nach der Krönung mussten hingegen Wege gefunden werden, ein klar als königlich distinguiertes Zeremoniell zu installieren, wobei dem Zeremonienmeister von Besser eine Schlüsselrolle zukam (S. 187–231). Dabei, so Ruffert, seien Berliner „Traditionen“ (S. 258) ausgebildet worden.

Der dritte und letzte Teil der Arbeit betrachtet elf „Elemente des Gesandtschaftszemoniells“ (S. 298–517) in diachroner Perspektive, um die Entwicklung einzelner Distinktionszeichen in der historischen Praxis quellennah nachzuzeichnen. Die alphabetische Ordnung der Unterkapitel wirkt handbuchartig, doch folgt die Auswahl der Themen ganz unterschiedlichen Ansätzen: Distinktionszeichen wie „Geschenke“ (S. 343–363) stehen neben Personenbezeichnungen wie „Die Gesandtin“ (S. 331–343) oder abstrakten Kategorien wie „Zeit“ (S. 510–517).

Nicht immer enthalten die Kapitel das, was die Überschriften versprechen; manches findet sich auch mehrfach oder in widersprüchlicher Form. Das erste Kapitel referiert über weite Teile unkommentiert und in indirekter Rede Positionen aus der Forschungsliteratur zur Diplomatiegeschichte. Was Ruffert später aus den Quellen zieht, deckt sich jedoch häufig nicht mit den im ersten Kapitel zusammengetragenen Ergebnissen und Thesen: Während beispielsweise die Klassen der Diplomaten am Berliner Hof offenbar eine entscheidende Rolle spielten, wird auf das dahinterstehende theoretische System nur mit Blick auf die historische Traktatliteratur eingegangen (S. 78–88). Die faktischen Uneinheitlichkeiten und Widersprüche, die in den Quellen deutlich werden, bleiben zwar nicht unerwähnt, aber doch unkommentiert. Ähnliches ist hinsichtlich der Frage nach der Souveränität festzustellen, der eine zentrale Rolle in der Diskussion um die kurbrandenburgischen Ansprüche auf Parifikation mit den Königen zukam. Das Grundproblem, nämlich die uneindeutige Stellung der Kurfürsten in der Reichsverfassung und in den europäischen Hierarchien, hatte eine doppelte Bedrängnis zur Folge: Die Reichsfürsten betrachteten die Kurfürsten keineswegs als überlegen und letztlich Ihresgleichen; die Könige wiederum lehnten das Ansinnen der Kurfürsten auf Gleichstellung kategorisch ab. Dieser Grundkonflikt, der nicht zuletzt auf dem Feld des Zeremoniells ausgetragen wurde, zieht sich durch das zweite und dritte Kapitel – doch seine Hintergründe bleiben bei Ruffert im Unklaren. Auch das Phänomen des Präzedenzfalls bzw. des Präjudizes wird zwar richtig als „grundlegende[r] Mechanism[us]“ (S. 366) bezeichnet, aber nie für sich erläutert: Die Ausführungen zu „Traditionen im Gesandtschaftszeremoniell“ (S. 258) werden dem normsetzenden Charakter des Präjudizes keineswegs gerecht und das Kapitel zu „Leithöfe[n] und Orientierung“ (S. 262–275) setzt dieses für die frühneuzeitliche Sozialordnung so wichtige Phänomen in einen irreführenden Kontext.

Diese Missverständnisse erweisen sich als entscheidend, erschweren sie doch die Deutung der Quellenbefunde erheblich. Sie sind ursächlich dafür, dass das Buch nahezu durchgehend auf einer deskriptiven Ebene bleibt. Zudem sind sie der Grund, weshalb die offenkundigen Widersprüche zwischen zeitgenössischer Traktatliteratur, archivalischen Quellen und diplomatiegeschichtlicher Literatur bei Ruffert unkommentiert für sich stehenbleiben. Ihr Verhältnis wird als paradox bezeichnet (S. 260, 279), aber nicht weiter hinterfragt. Hier macht sich auch der ausdrückliche Verzicht auf eine theoriebasierte Methode bemerkbar: Der angestrebte „historische Vergleich“ (S. 19) bleibt ergebnislos. Die häufig konfliktbehafteten Änderungen zeremonieller Normen – letztlich das Hauptthema der ganzen Arbeit – werden zwar thematisiert, aber nicht weiter gedeutet und in eine Argumentation integriert. Dies ist erstaunlich, da Ruffert die Vielgestaltigkeit des Zeremoniells bewusst ist: Bereits einleitend stellt sie richtig fest, dass eine Untersuchung zum Zeremoniell „zwingend sowohl der Verwendung normativer als auch deskriptiver Quellen bedarf.“ (S. 27) Die von der Forschung häufig herangezogenen Abstraktionen der Zeremonialwissenschaftler, so stellt sie fest, hatten mit dem höfischen Geschehen nur bedingt zu tun (S. 41–43). Dennoch postuliert Ruffert bei der Betrachtung der einzelnen Elemente des Gesandtschaftszeremoniells immer wieder die Existenz überregionaler, einheitlicher Regeln – obwohl die archivalischen Quellen hierfür offenbar keinen Anhaltspunkt bieten. Entsprechend ziehen sich starke Spannungen durch den Text.

Im Hintergrund all dessen steht die Grundannahme, die zeremoniellen Veränderungen müssten als zusammenhängende Entwicklungen und keineswegs als Ausdruck eines brandenburgisch-preußischen Sonderwegs interpretiert werden. Diese These ist freilich weder falsch noch unbedingt neu. Vielmehr beschreibt sie Evidenzen: Wenn das Zeremoniell als politische Kommunikationsform begriffen wird, ist es für das Funktionieren unumgänglich, dass kein Kommunikationsteilnehmer völlig ausschert. Da das Gesandtschaftszeremoniell per se nicht nur dem Einfluss der brandenburgischen Kurfürsten unterlag, sind nicht die Kontinuitäten, sondern die Brüche erklärungsbedürftig. Diese marginalisiert Ruffert jedoch weitest möglich, sodass selbst die Entlassung des Oberzeremonienmeisters von Besser in einer Fußnote unterkommt (S. 414–415). Veränderte zeremonielle Praktiken werden zwar als Ausdrücke einer veränderten Relevanz bezeichnet. Die sich vor dem Quellenbefund eigentlich abzeichnende Frage, in welchen Situationen welche zeremoniellen Zeichen aus welchen Gründen wie bewertet wurden, stellt Ruffert aber nicht.

Nicht nur wegen dieser Harmonisierungsversuche kann auch die diachron angelegte Untersuchung der einzelnen „Elemente des Gesandtschaftszemoniells“ (S. 298–517) nicht recht überzeugen. Ruffert verliert sich hier in der Heterogenität der Kategorien: Ohne klare Untergliederung werden zahlreiche Distinktionszeichen summarisch als „Gestik und Gegenstände“ (S. 363–402) abgehandelt. Das erste Kapitel, „Abschied“ (S. 298–306), thematisiert hingegen mögliche Gründe für das Ende diplomatischer Missionen, und der Abschnitt „Raum“ (S. 448–489) beginnt mit forschungsparadigmatischen Überlegungen zu Räumen, wird aber zunehmend architekturhistorisch. Auch im dritten Teil der Arbeit kompiliert Ruffert mehr, als sie analysiert. Entsprechend kommt sie oft nur zu der tautologischen Schlusserkenntnis, dass bestimmte Elemente des Gesandtschaftszeremoniells zeichenhaft gewesen seien.

In der Konsequenz wagt sich die Autorin kaum über Bekanntes hinaus. Eine durchgehaltene Argumentation fehlt, obwohl Ruffert auf exzellentes Quellenmaterial zurückgreift – unverständlich bleibt, weshalb nur ein Bruchteil der im Anhang aufgelisteten Archivalien auch Eingang in den Text gefunden hat. Doch davon unabhängig hätten etwas Mut und Wille zur kritischen Positionierung die Studie erheblich aufwerten können: Die offensichtlichen Widersprüche gestatten schon beim Lesen, selbst Thesen zu entwickeln. So ist der Band letztlich überaus anregend, insofern er dazu einlädt, auf der Grundlage des darin zusammengetragenen Materials weiterzudenken und selbst Strukturen zu entdecken.

Hinderlich dabei ist allerdings die ungelenke Syntax und zufällige Kommasetzung, die die Lektüre merklich erschweren. Einige Sätze bleiben völlig unverständlich; die Sprache ist von Manierismen und teils von einer idiosynkratischen Semantik geprägt. Hier wie auch bei den wenigen inhaltlichen Fehlern – so war etwa Norbert Elias keineswegs Franzose (S. 11) und Kurhannover errang erst nach Brandenburg eine Königskrone (S. 173f.) – hätte ein Lektorat Abhilfe schaffen können.

Anmerkung:
1 Olivier Chaline, Rezension zu: Rainer A. Müller, Der Fürstenhof in der frühen Neuzeit, in: Francia 26–2 (1999), S. 203–204, hier S. 204.

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