Titel
Söldner für den Anschluss. Die Österreichische Legion 1933-1938


Autor(en)
Schafranek, Hans
Erschienen
Anzahl Seiten
500 S.
Preis
29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Wenninger, Institut für Zeitgeschichte, Universität Wien

Es ist ein wissenschaftlich nahezu unbeackertes Feld, das sich der Wiener Zeithistoriker Hans Schafranek für sein jüngstes Buch vorgenommen hat: die Österreichische Legion, eine Formation, die 1933 im Deutschen Reich aus geflüchteten österreichischen Nationalsozialisten gebildet wurde. Ihre Geschichte ist unter mehreren Gesichtspunkten interessant. Die Legion war bis zum „Anschluss“ 1938 ein Dauerthema der zwischenstaatlichen Beziehungen Österreichs und Deutschlands. Zugleich kann eine (nach wie vor ausstehende) Organisationsgeschichte der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich bis 1938 nicht geschrieben werden, ohne die Legion und insbesondere ihren Münchner Führungsstab als Einflussfaktor zu berücksichtigen. Nicht zuletzt ist die Legion ein aufschlussreicher Teil der SA-Historie. Doch so klar die Bedeutsamkeit der Österreichischen Legion bisher schon war, so wenig war über sie bekannt.

Die Vorgeschichte der Legion bildete eine Terrorkampagne der österreichischen NSDAP im ersten Halbjahr 1933. Nach so intensiven wie erfolglosen Bemühungen, mit der NSDAP doch noch zu einem Arrangement zu gelangen, sah sich die Regierung Dollfuß angesichts der fortgesetzten Gewalt schließlich genötigt, die Partei zu verbieten.

Schafraneks Schilderung der Legion behandelt den gesamten Zeitraum ihres Bestehens von 1933 bis 1938. Der Autor konzentriert sich zunächst auf die Frage, was den durchschnittlichen Legionär hinsichtlich seines Alters, seiner regionalen Herkunft und seiner organisatorischen Einbettung kennzeichnet. Es folgt eine Darstellung der Legion im Kontext des institutionellen Gefüges von NS-Partei- und Staatsstellen sowie außenpolitischer Entwicklungen. Exemplarisch werden in zwei Abschnitten zudem Aktivitäten der Legion bzw. einzelner Legionäre veranschaulicht. Den Abschluss bildet eine prosopografische Charakterisierung des Führungskorps vom Rang des Sturmbannführers aufwärts.

Nach dem behördlichen Verbot der NSDAP war der braune Untergrund zunächst bemüht, seine Organisationsstrukturen den Bedingungen der Illegalität anzupassen. Dazu gehörte die umgehende Verlegung der österreichischen NSDAP-Landesleitung unter Theodor Habicht nach München. Wenig später bezog dort auch die Führung der SA-Obergruppe VIII (Österreich) unter Hermann Reschny Quartier. Der Absetzbewegung des braunen Führungspersonals folgte ein breiter Strom von Flüchtlingen, die keineswegs nur vom völkischen Gedanken beseelt waren, sondern oft auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen die Grenze passierten. Wie der Autor ausführt, wurde auf maßgebliches Betreiben Reinhard Heydrichs schließlich im November 1933 eine zentrale Stelle zur Koordination der ostmärkischen Immigration eingerichtet. Sie sollte dazu dienen, politische von ökonomischen Flüchtlingen zu unterscheiden und letztere ohne viel Federlesens über die Grenze zurückzustellen. Im deutschen Reich Aufnahme finden sollte nur, wer tatsächlich in Österreich aufgrund seiner nationalsozialistischen Aktivitäten Repressionsmaßnahmen zu befürchten hatte.

Wer als männlicher Flüchtling der SA oder SS angehörte, oder auch nur im wehrfähigen Alter war, wurde zunächst im bayrischen Lechfeld kaserniert. Das dortige Lager unterstand der SA-Obergruppe VIII, wobei sich deren formale Befehlshoheit über SA- und SS-Angehörige in der Praxis dem Autor zufolge auf Erstere beschränkte. Der Begriff „Österreichische Legion“ findet sich in österreichischen Medien bereits im Sommer 1933 und wurde dort unterschiedslos auf österreichische Angehörige bewaffneter Verbände in Deutschland bezogen. Obwohl auch unter den Legionären selbst gängig, wurde daraus erst im März 1938 eine offizielle Organisationsbezeichnung. Bis dahin existierte der Verband nur unter verschiedenen Tarnbezeichnungen als kasernierte SA-Gliederung. Konsequenterweise will Schafranek den Legionärsbegriff daher nur auf SA-Angehörige angewandt wissen.

Neuankömmlinge sahen sich in den Legionslagern von Beginn an mit striktem militärischen Drill, spartanischen Lebensbedingungen, spärlichem Sold und geringen persönlichen Freiheiten konfrontiert. Entsprechend gedrückt war die Stimmung, zumal ein Austritt aus Sorge vor Verrat nicht möglich war. Eindrücklich schildert Schafranek interne Reibereien bis hin zu offener Rebellion und Schießereien. Diverse Massenschlägereien mit Verletzten und Toten, öffentliche Ausfälle gegen Geistliche und Drohungen, ganze Ortschaften niederzubrennen, wenn deren Einwohnerschaft weiterhin gedächten es am notwendigen Respekt fehlen zu lassen, führten dazu, dass die Ostmärker in der Umgebung der Lager bald als regelrechte Landplage empfunden wurden.

Während die Reichswehr für die Bewaffnung sorgte, oblag die militärische Ausbildung zunächst der bayrischen Landespolizei. Anders als es ein solches Zusammenspiel unterschiedlicher staatlicher und politischer Stellen vermuten lassen würde, folgte der Aufbau der Österreichischen Legion dem Autor zufolge jedoch weder einem klaren Schema noch einem festgeschriebenen Zweck. In der Selbstwahrnehmung der Legionäre, ebenso wie in der Perspektive der österreichischen Regierung, handelte es sich um eine Invasionsarmee. Andere vom Autor zitierte Quellen besagen dagegen beispielsweise, Hitler habe die Legion als Reserve betrachtet, die er der österreichischen Exekutive im Fall eines sozialdemokratischen Aufstandes zur Verfügung zu stellen gedachte. Fest steht, dass die Legion bis zum gescheiterten NS-Putsch 1934 massiv an grenznahen Terrorakten beteiligt und maßgeblich in den Schmuggel von Propaganda-Material und Waffen nach Österreich involviert war. Klar ist auch die direkte Beteiligung an den Vorbereitungen des Juli-Putsches, den Schafranek bereits 2006 umfassend rekonstruiert hat. 1 Die dort angedeutete These, wonach von einem einheitlichen NS-Untergrund in Österreich nicht gesprochen werden könne, sondern zumindest drei konkurrierende, von einander weitgehend unabhängige Flügel, bestehend aus Partei, SA und SS, existiert hätten, erhält nun neue Nahrung. Nachdem die Position der SA zuerst durch die Liquidierung ihrer obersten Führung Ende Juni 1934 und dann durch das Scheitern des Umsturzes in Österreich einen Monat später stark geschwächt war, sah die SS den Augenblick gekommen, die NS-Bewegung in Österreich unter Kontrolle zu bringen. Gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt erreichte sie im August 1934 eine Führerweisung, die jede Einmischung deutscher Stellen in Österreich untersagte, ja selbst Kontakte zum österreichischen NS-Untergrund verbot. Die Durchführung dieser Bestimmung oblag dem von der SS dominierten „NSDAP-Flüchtlingswerk“, das Hitlers Direktive nun ausschließlich gegen die SA in Stellung brachte. Reschny gelang es gerade noch, die anvisierte vollständige Auflösung der Legion zu verhindern.

Versehen mit dem Tarnnamen „Hilfswerk Nordwest“ wurde die Legion deutlich verkleinert und in verschiedene Lager über das ganze Reich verteilt, wo die Legionäre bis März 1938 verblieben. Der „Anschluss“ Österreichs verhieß ein kurzzeitiges Wiedererstehen vor dem endgültigen Aus: Das Hilfswerk Nordwest wurde im März 1938 offiziell in Österreichische Legion umbenannt, die Angehörigen in Bayern zusammengezogen und militärisch bewaffnet. Gegen die energischen Interventionen der SS und der österreichischen NSDAP gelang es Reschny, bei Hitler persönlich durchzusetzen, dass die Legion schließlich doch noch als Invasionsarmee zum Einsatz kam, wenn auch post festum: Am 30. März und 1. April, gut zwei Wochen nach dem Einmarsch der Wehrmacht, überschritten ihre Einheiten die Grenzen. Aus der erhofften fetten Beute wurde allerdings nichts, bei der Vergabe einflussreicher Positionen wurden die Legionäre und vor allem ihre Führer durchwegs übergangen, worüber auch eine besondere Berücksichtigung von Legionären im Rahmen der „Arisierungen“ nicht hinweg trösten konnte. Bereits mit der Volksabstimmung vom 10. April 1938 ging der organisatorische Abbau einher, Ende des Jahres 1938 war die Legion abgewickelt.

Die meisten bisherigen Arbeiten zur NS-Bewegung in Österreich vor 1938 stützen sich auf Aktenquellen österreichischer Behörden, aber kaum auf NS-Akten selbst. Hans Schafranek setzt hier einen erfreulichen Kontrapunkt. Seine Quellen hat er aus zwölf Archiven zusammen getragen, er schöpft dabei besonders aus den Beständen des Bundesarchivs und des Bayrischen Hauptstaatsarchivs. Die Stärke des Buches besteht besonders in der umfassenden Sammlung und Auswertung personenbezogener Daten. Dem Autor ist es gelungen, 15.000 Personen zu identifizieren, die der Legion zumindest zeitweise angehört haben und deren Namen in einer Datenbank mit weiteren Rechercheergebnissen verknüpft wurden. Schafranek ist es ein Anliegen, seinen Forschungsgegenstand in einen breiteren Kontext institutioneller, politischer und persönlicher Interessen zu stellen. Das Buch ist das Ergebnis eines beeindruckenden Quellenstudiums und ein wichtiger Meilenstein in der Erforschung der NS-Geschichte. Gleichwohl ist klar, dass darin nicht alle Fragen erschöpfend behandelt werden (können). Neben einer systematischen Erforschung der politischen Legionsaktivitäten betrifft das vor allem eine weitere, detaillierte Auswertung des Sozialprofils der Legionsangehörigen, die der Autor in seiner Datenbank versammelt hat. Auch gilt es, die von Schafranek zutage geförderten Hinweise auf enge Kontakte der illegalen SA mit der austrofaschistischen Heimwehr weiter zu verfolgen. Es bleibt zu hoffen, dass für die Beantwortung dieser Fragen ähnlich viel Ausdauer und Akribie aufgewandt wird wie für das hier vorliegende Buch.

Anmerkung:
1 Hans Schafranek, Sommerfest mit Preisschießen. Die unbekannte Geschichte des NS-Putsches im Juli 1934, Wien 2006.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension