R. Voges: Das Auge der Geschichte

Cover
Titel
Das Auge der Geschichte. Der Aufstand der Niederlande und die Französischen Religionskriege im Spiegel der Bildberichte Franz Hogenbergs (ca. 1560–1610)


Autor(en)
Voges, Ramon
Reihe
Studies in Medieval and Reformation Traditions 216
Erschienen
Anzahl Seiten
XVI, 422 S.
Preis
€ 129,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kristina Hartfiel, Institut für Geschichtswissenschaften, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit, Heinrich-Heine Universität Düsseldorf

Es ist schon geraume Zeit her, dass Stefan Benz den Ursprung der „Visualisierung von Geschichte als historiographisches Modell“ in den Geschichtsblättern der Kölner Offizin von Franz Hogenberg (1535–1590) vermutete.1 Ebenfalls schon vor Längerem machte Philipp Benedict die in Genf herausgegebene Quarante Tableaux (veröffentlicht 1569–1570), eine sehr populäre Sammlung von Darstellungen französischer Kriege, als „the first extended print series offering a pictorial account of recent events“ aus.2 Und es ist auch bereits einige Zeit vergangen, seit Birgit Emich die Frühe Neuzeit als „besonders visuelles und als besonders intermediales Zeitalter“ schlechthin beschrieb und für die Offenlegung dieser Momente, auch in Bezug auf konfessionelle Auseinandersetzungen, plädierte.3 Dennoch fehlt es noch immer an Studien, die die Frage nach den Konzepten von visueller Repräsentation von Vergangenheit in ihren intermedialen Bezügen aufgreifen und konkret etwa die Wirkung der Quarante Tableaux auf den deutschsprachigen, frühneuzeitlichen Buchmarkt thematisieren, obgleich die Intermedialität als Forschungsgegenstand in den letzten Jahren vermehrt im Blickpunkt gestanden hat. Umso begrüßenswerter ist es, mit der Dissertationsschrift von Ramon Voges endlich eine umfassende Monographie zu Franz Hogenbergs „vielschichtige[r] Form der Geschichtsschreibung in Bildern“ (S. 1) zu haben, die auch die Rezeption der Quarante Tableaux in den Blick nimmt.

Die Studie besteht aus acht Hauptkapiteln, an deren Ende jeweils eine konzise Zusammenfassung des Inhalts erfolgt. Neben insgesamt 62 Abbildungen der Radierungen sind der Arbeit drei Tabellen beigegeben, unter anderem darunter ein Verzeichnis der von Hogenberg herausgegebenen Serien von Bildberichten. Auch sind Transkriptionen wesentlicher Archivalia angefügt. Ein Index von Orten und Personen schließt die Monographie ab.

In den ersten beiden Kapiteln geht es um die mediengeschichtliche Einordnung der Blätter und die Rahmenbedingungen ihrer Produktion und Distribution. Zwischen 1570 bis zum Tod von Franz Hogenberg 1590 veröffentlichte seine Kölner Werkstatt rund 250 Bildberichte. Dabei kreierte der niederländische Auswanderer in Anlehnung an zwei druckgraphische Vorlagen ein „Genre der Zeitgeschichte“ (S. 36), das sich jeder Zuordnung entzieht. Changierend zwischen Nachrichtenmedium und Historiographie, bestand der Reiz von Hogenbergs Geschichtsblättern darin, „dass sie als Serie einen Überblick über wesentliche Geschehnisse während des behandelten Zeitraums versprachen“ (S. 30), was in Form einzelner Blätter geschah. Zugleich erlaubten sie eine „individuelle Auswahl“ (ebd.). Sie boten als „Ereignisbilder“ (S. 34, 296f.) dem Betrachter ein „Fenster in die Vergangenheit“ (S. 81) und dem Herausgeber ein lukratives Geschäft. Voges betont zu recht an mehreren Stellen in seiner Arbeit die kommerzielle Dimension dieser visuellen Geschichtsschreibung. Köln verfolgte als Handelsmetropole eine „Politik der Verständigung“ (S. 60) und war „[n]icht trotz, sondern gerade wegen des Klerus“ (S. 61) als zahlstarker Kundschaft sowie als Knotenpunkt im Postnetz ein strategisch gut gewählter Ort für die Publikation von visuellen Nachrichtendrucken.

Mit dem folgenden Kapitel wendet sich der Autor dem Inhalt der Blätter und damit auch der Bildlichkeit zu. Im Mittelpunkt von Hogenbergs Berichten sowie von Voges Arbeit stehen die zwischen 1570 und 1610 herausgegebenen Blätter zum „Aufstand der Niederlande“ sowie die auf der Quarante Tableaux aufbauenden Drucke zu den „Französischen Religionskriegen“. Dank detaillierter Analysen kann Voges zeigen, dass die Hogenberg-Blätter „Hybride“ (S. 37) sind, die sich nicht nur aufgrund ihrer Kombination aus Bild und Text durch intermediale wie interdependente Momente auszeichneten (besonders Kapitel 4/6), sondern die im Zeitalter der Herrschafts- und Glaubenskämpfe auch einen Beitrag zu deren Beurteilung zu leisten vermochten (besonders Kapitel 3/5). Der Medienunternehmer Hogenberg folgte dem historiographischen Credo der Unparteilichkeit dabei insofern, als er schon zu Beginn seiner Tätigkeit durch eine Serie zum Tunis-Feldzug Karls V. (habsburgisch-katholische Interpretation) wie auch durch die Blätter zu den Französischen Religionskriegen (protestantische, stadtbürgerliche Sichtweise) beide Perspektiven der konfessionellen Konfliktparteien gewinnbringend vermarktete. Im Gegensatz zu diesen beiden Serien basieren die Arbeiten zum niederländischen Zeitgeschehen auf den Ideen Hogenbergs und sie spiegeln eine „irenisch-humanistische Sichtweise der moderaten Mitte“ (S. 173) wider. Auch mit den späteren Blättern zu den Ereignissen in den Niederlanden habe Hogenberg eine für alle Seiten anschlussfähige Darstellung der politischen Ereignisse geschaffen, in dem er beispielsweise Wilhelm von Oranien als „Integrationsfigur“ (S. 205) für alle Niederländer erscheinen ließ. Trotz des überparteilichen Anspruchs trug Hogenbergs Arbeit durchaus zur „politischen Meinungsbildung“ (S. 228) bei. In Bezug auf die Geschehnisse in den Niederlanden heißt das, dass Hogenberg sich dezidiert an der Schaffung eines antispanischen Feindbildes im Rahmen der leyenda negra beteiligte. In den Kapiteln 4 und 6 kann Voges zudem zeigen, dass Hogenberg sich in seinen vermeintlichen Tatsachenberichten auch „allegorischer und fiktiver Elemente“ (S. 257) bediente. In den Bildberichten wird diese „zweite Sprache der Bilder“ (Carsten-Peter Warncke) zielgerichtet einsetzt, um wichtige Episoden im Verlauf der Konflikte darzustellen, Zusammenhänge offenzulegen und somit „das Wesentliche eines historischen Vorgangs zum Vorschein zu bringen“ (S. 176).

Die beiden letzten Kapitel nehmen Aspekte auf, die Voges bereits zu Beginn seiner Arbeit anbrachte: Hogenbergs Geschichtsschreibung zeichnet sich durch eine enge Verbindung zur Geographie aus (Kapitel 7). Diese war das „Auge der Geschichte“, laut dem flämischen Geographen Abraham Ortelius (1527–1598). Von ihm und nicht von Hogenberg leitet sich somit der Titel von Voges Studie ab. Doch auch Hogenberg bediente sich, diesem Konzept entsprechend, topographischer Vorlagen, die er etwa für die Civitates Orbis Terrarum, ein anderes Projekt seiner Werkstatt, oder für die Realisierung des Theatrum Orbis Terrarum von Ortelius selbst verwendete. Diese Indienstnahme der Geographie für die Darstellung historischer Ereignisse half Hogenberg, Evidenz zu erzeugen und „den Anschein von Unparteilichkeit“ (S. 351) zu erwecken. Unter anderem damit versuchten die Geschichtsblätter die Kölner Zensur zu umgehen, wie Voges in seinem abschließenden achten Kapitel erläutert. Es war auch diese „Anschlussfähigkeit für andere Erzählungen“ (S. 354), die dafür sorgte, dass die Bildberichte in den historiographischen Kanon zum niederländischen Aufstand eingingen. Neben einem kurzen Blick auf die mediale Rezeption, widmet sich Voges der individuellen Aneignung der Ereignisbilder, wozu er den Kölner Gewährsmann des 16. Jahrhunderts heranzieht: Hermann von Weinsberg (1518–1597) nutze die Blätter als Informationsmedium. Er sammelte, exzerpierte, korrigierte sie und bildete sich anhand ihrer eine Meinung.

Doch wie benutzten andere Zeitgenossen die Drucke? Spiegeln Weinsberg Handlungen verallgemeinerbare Praktiken wider oder stellen sie lediglich ein herausragendes Beispiel dar? Voges lässt seine Leser/innen darüber im Unklaren. Wie er herausarbeiten kann, verbindet die Ereignisbilder eine Nähe zu etablierten Raumkonzepten wie der Theatrum-Metapher sowie zu imaginierten Raumvorstellungen im Rahmen mnemotechnischer Verfahren, wie sie typisch sind im Kontext frühneuzeitlicher Wissensvermittlung. Auch den Bildberichten habe ein „didaktischer Impetus“ (S. 308) inne gewohnt. Dies bringt die Rezensentin zu weiteren Fragen: Boten die Karten die Möglichkeit als Wandbild, vielleicht sogar im Rahmen einer Unterrichtssituation, aufgehängt zu werden? Die Antwort liefert Voges mit Rekurs auf Hermann von Weinsberg, bei dem es heißt: Wer sich künftig das Geschehen vergegenwärtigen möchte, könne „die geschichten“ in einem „saal oder kamer“ aufhängen lassen und sie betrachten (S. 327). Tatsächlich sind frühneuzeitliche Bildungsmedien dieser Verbindung von prodesse und delectare verpflichtet gewesen. Inwiefern hatten auch Hogenbergs Geschichtsbilder im Rahmen einer „Pädagogik der Einschleichung“ (Bettina Bannasch) Einfluss auf die Geschichtsbildung eines jüngeren Publikums?4 Zumindest in niederländische Schulbücher des 17. Jahrhunderts ist das Bildmaterial eingegangen.5 Hogenbergs zeitgeschichtliche Bilder scheinen damit einen Anteil an der Visualisierung von Geschichte als didaktisches Modell gehabt zu haben. Voges Studie ist somit ein wichtiger Beitrag, nicht nur für die Mediengeschichte der Frühen Neuzeit.

Anmerkungen:
1 Stefan Benz, Modelle barocker Geschichtsschreibung in und über Franken, in: Dieter J. Weiss (Hrsg.), Barock in Franken, Dettelbach 2004, S.133–196, hier S. 144, Anm. 46.
2 Philip Benedict, Graphic History. The Wars, Massacres and Troubles of Tortorel and Perrissin, Genf 2007, S. 4.
3 Birgit Emich, Bildlichkeit und Intermedialität in der Frühen Neuzeit. Eine interdisziplinäre Spurensuche, in: Zeitschrift für Historische Forschung 35 (2008), 1, S. 31–56, hier S. 50.
4 Bettina Bannasch, Zwischen Jakobsleiter und Eselsbrücke. Das ›bildende Bild‹ im Emblem- und Kinderbilderbuch des 17. und 18. Jahrhunderts, Göttingen 2007.
5 Stefan Ehrenpreis, Erziehung zum politischen Sehen? Bildliche Repräsentationen des Politischen in frühneuzeitlichen Schulbüchern, in: Niels Grüne / Claus Oberhauser (Hrsg.), Jenseits des Illustrativen. Visuelle Medien und Strategien politischer Kommunikation, S. 87–110.

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