Cover
Titel
Enslaving Connections. Changing Cultures of Africa and Brazil during the Era of Slavery


Herausgeber
José C., Curto; Lovejoy, Paul E.
Erschienen
New York 2004: Humanity Books
Anzahl Seiten
324 S.
Preis
€ 27,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Harbeck, Historisches Seminar, Universität Hamburg

„Atlantische Geschichte“ ist hierzulande kein weißer Fleck in der Wissenschaftslandschaft mehr. Die Idee, den Atlantik nicht nur als einen trennenden Ozean, sondern vielmehr als ein verbindendes Element zu sehen, das es möglich und nötig macht, die Geschichte seiner Anrainer aus einer weiter gefassten Perspektive zu betrachten, ist in den vergangenen Jahren des Öfteren diskutiert worden und hat auch Eingang in verschiedene jüngere deutschsprachige Publikationen gefunden.1 Dennoch liegt der Schwerpunkt des wissenschaftlichen „Outputs“ zu diesem Feld der Geschichtswissenschaft weiterhin im anglo-amerikanischen Raum, der es unter der Bezeichnung „Atlantic History“ auch geprägt hat.2 Ein Untersuchungsfeld der Atlantischen Geschichte ist der „Black Atlantic“, der durch die Wanderung und Verschleppung afrikanischer Menschen rund um den Atlantik entstanden ist.3 Auch die immer reichhaltigere anglo-amerikanische Literatur deckt einige Bereiche, wie den Südatlantik, insbesondere die Beziehungen und wechselseitigen Einflüsse zwischen Afrika und Brasilien bisher noch eher lückenhaft ab. Umso dankenswerter ist es, dass uns mit diesem Tagungsband zu einer Konferenz, die schon im Oktober 2000 stattgefunden hatte, herausgegeben von zwei herausragenden Repräsentanten der „atlantic history“, nun ein gelungener englischsprachiger Überblick über ein zentrales Phänomen der Atlantischen Geschichte für diese Region vorliegt: die Sklaverei und ihre kultur- und gesellschaftsverändernden Wirkungen in diesen „Süd-Süd-Beziehungen“. Dabei kommt nicht nur die nordamerikanisch-britische Geschichtsforschung zu Wort. Auch ein angolanischer und zwei brasilianische Wissenschaftler bereichern den Band durch ihre Beiträge.

„Enslaving Connections“ liefert neben der Einleitung in drei Sektionen zu je vier Artikeln einen Eindruck davon, wie Sklaverei und luso-brasilianischer Sklavenhandel die jeweiligen Kulturen verändert und miteinander verbunden haben. Die Sektionen im Speziellen befassen sich mit Aspekten des brasilianischen Sklavenhandels, mit den Afrikanern in Brasilien und mit den Brasilianern in Afrika. Wenn hier von Afrika die Rede ist, bezieht sich dies im Wesentlichen auf West- und das westliche Zentralafrika, in wenigen Aufsätzen auch auf Mosambik. Von der Einteilung der Sektionen – so stellen die Herausgeber gleich zu Anfang heraus – sollte man sich nicht täuschen lassen, da viele der Aufsätze sachgemäß auch Fragen der anderen Abschnitte streifen. Zeitlich konzentriert sich der Band auf das 18. und 19. Jahrhundert, auch wenn einzelne Beiträge frühere Phasen berühren. Ergänzt werden die Aufsätze durch vereinzelt vorangestellte Karten, die leider nicht immer an die richtige Stelle, d.h. zum thematisch passenden Artikel, gesetzt wurden und bei denen außerdem die Quellennachweise vergessen wurden. Dennoch bieten sie eine wichtige Orientierungshilfe für den mit der Geografie Afrikas bzw. Brasiliens weniger vertrauten Leser. Der Band wird abgerundet durch ein Glossar der wichtigsten portugiesischen bzw. afrikanischen Begriffe, eine gemeinsame umfassende Bibliografie, Kurzbiografien der Herausgeber und Autoren sowie einen Index.

Die Ansätze der einzelnen Autoren sind vollkommen verschieden: In der ersten Sektion präsentiert der ehemalige Botschafter und bedeutendste Afrikahistoriker Brasiliens Alberto da Costa e Silva eine Art zweite Einführung mit historiograhischem Überblick über die Beschäftigung mit den interkontinentalen Beziehungen (vor allem im brasilianischen Raum). Ivana Elbl und Manolo Florentino widmen sich hingegen in wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Manier dem luso-brasilianischen Sklavenhandel – bei unterschiedlicher Epochen- und Regionenwahl. Elbl untersucht den frühen portugiesischen Handel mit Menschen (1450-1550) und stellt dabei gängige Klischees von astronomischen Profiten und unbeteiligten Afrikanern durch eigene Berechnungen und Bespiele aus dem Kongo zur Debatte. Florentino zeigt, ebenfalls mit Zahlen und biografischen Beispielen, dass brasilianische Kaufleute aus Rio seit 1790 zunehmend den Sklavenhandel mit Afrika dominierten. Joseph C. Miller beendet das Kapitel mit einer eher sozial- und ethnohistorischen Analyse der Identitäten und ethnischen Zuordnungen der verschleppten Afrikaner und ihrer Nachkommen. Es wird deutlich, dass die verschleppten Sklaven zwar gezwungen waren, sich neue Beziehungen und Identitäten aufzubauen, Hintergrund hierfür aber ihre Vergangenheit war. Dies liefert den idealen Übergang in die zweite Sektion, die sich mit Einfluss und Leben der Afrikaner in Brasilien beschäftigt. Hier beginnt Gregory Guy mit einer überzeugenden Beweisführung für die Annahme einer Kreolisierung des brasilianischen Portugiesisch, die bis heute nachwirkte. James Sweet weist auf die Rolle von Sehern und dem Glauben an Wahrsagerei für die Sklavenhaltergesellschaft im 17. Jahrhundert hin. Linda Wimmer und Mary Karasch analysieren die Bedeutung von ethnischer Zugehörigkeit und Geburtsland für die Neubildung von Familien oder Gruppen in Bahia bzw. in Zentralbrasilien. In der abschließenden dritten Sektion geht es um den vielschichtigen Einfluss, den Brasilien auf die afrikanischen Regionen ausgeübt hat. Robin Law zeigt ihn an der Biografie eines berüchtigten, mutmaßlich brasilianischen Sklavenhändlers in Dahomey: Francisco Felix de Sousa, der bereits in Literatur und Film verewigt wurde.4 Silke Stickrodt bleibt in der Region, konzentriert sich aber auf die Gruppe der „Bresiliennes“, wie ihre Nachkommen noch heute genannt werden: nach Dahomey aus Brasilien und Kuba emigrierte, freigelassene Sklaven, die durch ihre iberoamerikanische Prägung eine eigene Gruppe bildeten. Die letzten beiden Aufsätze von Rosa Cruz e Silva bzw. Susan Herlin widmen sich dann wieder Zentralafrika und zwar den Auswirkungen portugiesisch-brasilianischer Politik und Militäroperationen auf die Staatenbildung in Angola und im katholischen Königreich Kongo.

Die Bandbreite der Beiträge reicht also von sprach- und kulturhistorischen, über biografische zu wirtschaftshistorischen Ansätzen. Sie variieren in ihrer Länge und dem Grad der Abstraktion und sie erfüllen damit gleich in mehrfacher Hinsicht ihr Ziel, nämlich ein breites wissenschaftliches Publikum zu erreichen: Erstens liefern sie einen Überblick darüber, welche Auswirkungen der interkontinentale Sklavenhandel auf Regionen in Brasilien und dem westlichen Afrika hatten. Zweitens gewinnt man einen guten Einblick in den aktuellen Forschungsstand zu diesem Bereich der Atlantischen Geschichte und zu guter Letzt führen sie den gezielt zu Einzelthemen suchenden Leser fachlich überzeugend ins jeweilige Thema ein. Nach der Lektüre des Bandes versteht man, wie sich der Sklavenhandel gewandelt hat, sowohl in seiner regionalen Ausrichtung, als auch in Hinsicht auf die Akteure auf beiden Seiten des Ozeans. Der Band verdeutlicht darüber hinaus, dass die Brasilianer, Portugiesen und nach Afrika „heimkehrenden“ Afro-Brasilianer große Bedeutung für die dortige Gesellschaft hatten und noch heute teilweise im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung bewahrt werden. Im Gegenzug ist gleiches für die Afrikaner in Brasilien gezeigt worden. Das mag sich in der Zusammenfassung nicht spektakulär oder überraschend anhören, selten findet man diese Schlussfolgerungen aber so gekonnt und präzise von den jeweiligen Spezialisten in einem Werk zusammengeführt – es ist nicht selbstverständlich, dass Sammelbände mit solch divergierendem „Material“ derart stringent ihr Rahmenthema einlösen. Einziger Wermutstropfen bleibt, dass die beiden Herausgeber dieser durchweg ansehnlichen Sammlung nicht mit eigenen Beiträgen vertreten sind, und das obwohl zumindest Curto eine umfassende Monografie zu eben diesem Komplex im selben Jahr publiziert hat und Lovejoy schon verschiedentlich mit einschlägigen Publikationen zu diesem Komplex hervorgetreten ist.5

Anmerkungen:
1 Stellvertretend seien hier nur die 1999 in Hamburg abgehaltene internationale Tagung zu dem Thema "History of the Atlantic System, 1580- ca. 1830", der zugehörige Sammelband, Pietschmann, Horst (Hg.), Atlantic History. History of the Atlantic System 1580-1830. Papers presented at an International Conference, held 28 August-1 September, 1999, in Hamburg, organized by the Department of History, University of Hamburg, in cooperation with Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Hamburg, supported by Deutsche Forschungsgemeinschaft, Göttingen 2002, sowie die jüngst publizierte Dissertation Weber, Klaus, Deutsche Kaufleute im Atlantikhandel 1680-1830. Unternehmen und Familien in Hamburg, Cádiz und Bordeaux, München 2004, und das Kulturfestival „Black Atlantic“ im Haus der Kulturen der Welt, Berlin, im Herbst 2004 erwähnt.
2 Vgl. die Veröffentlichungen von Armitage, David; Braddick, Michael J. (Hgg.), The British Atlantic World, 1500-1800, New York 2002.
3 Gilroy, Paul, The Black Atlantic. Modernity and Double Consciousness, Cambridge 1992.
4 Chatwin, Bruce, Der Vizekönig von Ouidah, Reinbek bei Hamburg 1982, und filmisch Herzog, Werner, Cobra Verde, 111 Min., Deutschland 1988.
5 Curto, José C., Enslaving Spirits. The Portuguese-Brazilian Alcohol Trade at Luanda and Its Hinterland, C. 1550-1830 (The Atlantic World 2), Leiden 2004.

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