Auswanderermuseen

Auswanderermuseen

Veranstalter
Deutsches Auswandererhaus Columbusstr. 65, 27568 Bremerhaven <http://www.dah-bremerhaven.de> (15183)
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15183
Ort
Bremerhaven
Land
Deutschland

Publikation(en)

Cover
Deutsches Auswandererhaus (Hrsg.): Das Buch zum Deutschen Auswandererhaus. . Bremerhaven 2006 : NW-Verlag, ISBN 978-3-86509-493 112 S. € 12,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Larissa Förster, Universität zu Köln/New School for Social Research, New York

Besprochene Ausstellungen:

Deutsches Auswandererhaus, <http://www.dah-bremerhaven.de>
Columbusstr. 65, 27568 Bremerhaven

BallinStadt, <http://www.ballinstadt.de>
Veddeler Bogen 2, 20539 Hamburg

Seit kurzem existieren hierzulande zwei große Museen zum Thema Auswanderung: das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven, eröffnet im August 2005, und die BallinStadt in Hamburg, eröffnet im Juli 2007. Während um ein Museum, das sich dem Thema Migration insgesamt widmet, noch gerungen wird1, genießen diese beiden Museen bereits relativ hohe Popularität: Das Deutsche Auswandererhaus wurde mit dem European Museum Award 2007 ausgezeichnet und kann erfreulich hohe Besucherzahlen verzeichnen; die BallinStadt wird als Reiseziel von „Kultur-Ticket-Spezial“ der Deutschen Bahn vermarktet. Zu einem Zeitpunkt, wo über „Schattenseiten“ der Einwanderung wie angebliche Parallelgesellschaften und jugendliche Straftäter mit Migrationshintergrund erbittert debattiert wird, bietet das Thema Auswanderung offenbar die Möglichkeit, endlich einmal die hoffnungsfrohen Aspekte des Themas Migration aufzugreifen.

Denn der und das Fremde, die im eigenen Land so zwiespältige Gefühle hervorrufen und mitunter bedrohlich wirken, rücken beim Thema Auswanderung wieder in weite Ferne. Sie können mit Sehnsucht und dem Gefühl von Abenteuer aufgeladen werden und als Projektionsfläche für eigene Wünsche dienen – nicht zuletzt deshalb dürften auch zahlreiche TV-Dokusoaps zum Thema derzeit so erfolgreich sein. Dieser Schluss mag spitzfindig klingen, doch er wird durch die Art und Weise, wie beide Museen für ihre Ausstellungen werben, tatsächlich nahegelegt. Das Deutsche Auswandererhaus lockt auf seiner Website mit Slogans wie „Abschiedsszenen und Aufbruchsstimmung“, „Überfahrt zwischen Bangen und Hoffen“ und schließlich „Abenteuer und Wissen“; die BallinStadt bezeichnet sich im Untertitel gar als „Hafen der Träume“. Wünsche, Träume, Hoffnungen scheinen diejenigen Gefühle zu sein, die beide Museen zum Ausgangspunkt ihrer Inszenierung machen und bei denen sie auch ihre Besucher packen möchten.

Als Leitmotiv nehmen beide die europäische Massenauswanderung nach Nordamerika im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Zwar spielt hin und wieder in den Texten der Ausstellungen auch Südamerika eine Rolle, doch mit der Fokussierung beider Ausstellungen auf New York als Ankunftshafen fallen andere Zielorte am Ende aus dem Bild. Genauso werden spätere „Auswanderungswellen“ wie etwa die Flucht jüdischer Familien vor dem Zweiten Weltkrieg eher en passant behandelt. Es ist folglich die zahlenmäßig hervorstechendste Auswanderungsbewegung, die hier die Schablone für das Thema bildet; zweitens handelt es sich um eine Auswanderung, die sich retrospektiv mit dem hoffnungsfrohen „Blick nach vorn“ verbinden lässt; drittens wird ein historisches Zeitfenster fokussiert, das so weit zurückliegt, dass es bereits ins Pittoreske changiert – was an der Ausstellungsgestaltung, vor allem in der BallinStadt, frappierend deutlich abzulesen ist.

Interessant ist zunächst der Blick auf die Architektur der beiden Museen. Das Deutsche Auswandererhaus wurde im Bremerhavener Hafengelände errichtet, wo von 1850 bis 1974 tatsächlich ein privat betriebenes Auswandererhaus stand. Für die architektonische Formensprache des gänzlich neu errichteten Museums hat unter anderem ein Gemälde des 19. Jahrhunderts Pate gestanden. Eine Frau, die darauf mit einem weißen Tuch zum Abschied winkt, hat das Studio Andreas Heller, das für Architektur und Ausstellungsdesign verantwortlich zeichnet, zu dem programmatischen Bauelement der „Schwingen“ inspiriert. Die Schwingen rahmen den eigentlichen Baukörper dekorativ ein, sie symbolisieren das winkende Tuch und sind, wie der Architekt im Begleitbuch zum Museum schreibt, „Sinnbild für die Hoffnung, sich eines Tages wiederzusehen“. Aus diesem Satz klingt ein wichtiges Motiv, das der Erinnerungsarbeit zugrunde liegt, die beide Museen leisten wollen: Nostalgie – sie spielt auch in der Ausstellungsinszenierung eine Rolle.

Die BallinStadt in Hamburg ist ebenso wie das Museum in Bremerhaven ein kompletter Neubau. Doch hat man hier den Weg der Rekonstruktion gewählt: Nach alten Plänen wurden drei Gebäude der ursprünglich ab 1898 errichteten Auswandererhallen am historischen Ort rekonstruiert. „BallinStadt“ heißt die neue Anlage, weil der damalige Generaldirektor der Reederei Hapag, Albert Ballin, den Bau der Hallen vorantrieb. Die Museumsgebäude liegen nun inmitten des ansonsten leeren Geländes BallinPark auf der Insel Veddel, unweit eines Stadtviertels, das überwiegend von Familien mit Migrationshintergrund bewohnt wird. Die Auswandererhallen werden gewissermaßen als historisch bedeutsames bauliches Erbe vorgestellt – obwohl die einzige bis 2003 erhaltene originale Bausubstanz dem Neubau weichen musste. Dabei hätte sie einen sinnvollen Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit dem Thema Migration ergeben können: Die Hallen wurde im Ersten Weltkrieg als Lazarett, im Zweiten Weltkrieg als SS-Kaserne und als Kriegsgefangenenlager genutzt, wurden nach 1945 zu Flüchtlingswohnungen umfunktioniert, beherbergten später eine Spedition und ein Hotel und wurden schließlich von einem portugiesischen Gastronomen betrieben, der – wie man vermuten möchte – seine Kundschaft nicht zuletzt unter den Veddeler Migranten gefunden haben dürfte. Zwar hat man den Hamburger Künstler Werner Schaarmann beauftragt, diese Geschichte zu dokumentieren. Im Ausstellungsparcour wird sie jedoch nur mit ein paar Fotos und stichpunktartigen Texten aufgenommen.

Am Ende findet sich ein Verweis auf die heutigen Bewohner der Veddel – er hebt sich angenehm von dem pittoresken Kulissenbau der Hauptausstellung ab –, doch wirkt dies etwas bemüht und didaktisch: Videoaufnahmen von Schulkindern aller Herkunftsnationalitäten wünschen dem Besucher einen guten Tag und entlassen ihn durch einen Museumsshop mit vielen amerikanischen Flaggen hindurch in ein gepflegtes Museumscafé. Der „wunderschönen Rekonstruktion“ der Hallen, wie sie im Informationsblatt des Hauses beschrieben wird, wurde der Vorzug gegeben vor der Auseinandersetzung mit der alten, vermutlich arg gezeichneten Bausubstanz – auch dies ein recht nostalgischer Ansatz, allerdings gänzlich anders in Architektur übersetzt als in Bremerhaven. Was dabei völlig ausgespart wird, ist die Tatsache, dass Ballins Auswandererhallen seinerzeit nicht nur eine verdienstvolle logistische Innovation darstellten (worüber am Ende der Ausstellung ausführlich berichtet wird), sondern gleichermaßen eine lukrative Geschäftsidee.

Das Vehikel für die deutlich emotionalisierende Herangehensweise beider Ausstellungsorte ist die Erlebnisausstellung bzw. die Inszenierung als „Erlebnismuseum“, wie es in Bremerhaven heißt. Solche Parcours erfreuen sich in den letzten Jahren zunehmender Popularität. Sie belegen, wie stark sich Museen mittlerweile kommerzielleren Ausstellungsformaten geöffnet haben bzw. öffnen müssen. (Beide hier vorgestellten Häuser sind im Rahmen einer Private-Public-Partnership entstanden.) Einerseits ist es folgerichtig, ein Sujet, das als Abenteuer dargestellt werden soll, in Form einer Erlebnisausstellung zu vermitteln. Andererseits bleibt der grundsätzliche Einwand, dass das empathische bis enthusiastische Nachempfinden, auf das Erlebnismuseen abzielen und auf das sie in der Regel auch angewiesen sind, einen abstrakteren, vergleichenden Zugang oftmals erschwert und wenig Raum für Konfrontation und Irritation zulässt. Der Name „BallinStadt“ ruft darüber hinaus nicht umsonst Assoziationen zu den Namen großer Themenparks wie „Phantasialand“ oder „Disneyworld“ auf.

Welches Erlebnis aber bieten die beiden Museen konkret in der Ausstellung an? Das dargestellte Abenteuer, das der Besucher bei seinem Ausstellungsrundgang nacherleben kann, ist – wegen der Hafenlage beider Museen nicht überraschend – die Schiffsüberfahrt in die Neue Welt. Beide Ausstellungen sind grundsätzlich chronologisch gegliedert, und zwar in die Abschnitte Abschied/Aufbruch, Überfahrt und Ankunft. Eine zentrale Rolle nimmt in beiden Ausstellungen das Vehikel dieser Überfahrt ein. In Bremerhaven zeigt der erste Ausstellungsraum eine Abschiedsszene am Hafenkai vor der hoch aufragenden Bordwand der „Lahn“. Mit Ton, Licht, Wind, Wasser und Hall ist die Installation höchst beeindruckend umgesetzt. An späterer Stelle wird die Entwicklung vom Segel- zum Dampfschiff erläutert, der Besucher kann in den Nachbauten dreier typischer Auswandererkajüten den beschwerlichen Alltag der Schiffsüberfahrt nachvollziehen und schließlich im „Ozeankino“ Auswandererberichte ansehen. In Hamburg gelangt der Besucher über einen kleinen Steg in einen nachgebauten Schiffsbauch und kann auch hier die Überfahrt in die Neue Welt quasi im Schnelldurchlauf nacherleben. Der Historiker Joachim Baur hat in seiner präzisen Analyse und Kritik des Bremerhavener Auswandererhauses bereits auf das zentrale Narrativ der Ozeanreise hingewiesen, das diesen Installationen zugrundeliegt. Er diagnostiziert drei Probleme bei der Fassung des Phänomens Migration in dieses Narrativ: die Überbetonung des Abenteuers; die Reduzierung auf eine transatlantische, nationalstaatliche Perspektive, welche die Binnen-, Transit- und Rückwanderung stark vernachlässigt; und schließlich die Homogenisierung und Nivellierung einzelner Auswanderungsgeschichten durch das Einpassen in das Bild der Schiffsüberfahrt. Ebenso merkt er an, dass zeitgleiche Migrationsbewegungen innerhalb Europas in beiden Museen vernachlässigt werden.2

Ein weiteres Element der Gestaltung ist in beiden Häusern auffallend ähnlich: Hier wie dort umgeben den Ausstellungsbesucher zahlreiche Puppen, die Ausreisende darstellen sollen, die dem Besucher ihre Geschichte zuraunen oder gar ihre Kleider überlassen, so dass er ein Auswanderer-Foto von sich selbst machen kann. Der Besucher verfolgt ihren Lebensweg für die Dauer der Ausstellung, das heißt während der Überfahrt bis zur Ankunft in New York. Es ist diese Mischung zwischen Diorama und Living-History-Überblendung, die abermals eine besondere Identifikation und Empathie des Besuchers hervorrufen soll. Das Bremerhavener Museum bemüht sich dabei deutlich, das inszenierte Einzelschicksal historisch einzuordnen – ein Versuch, den die BallinStadt nur in Ansätzen unternimmt. Immerhin stellen beide auch Auswandererschicksale dar, die man landläufig als gescheitert betrachtet würde oder deren Kenntnis sich im Ungewissen verliert.

An dieser Stelle muss trotz allem eine Lanze für das Bremerhavener Museum gebrochen werden: Bei aller Problematik eines selektiven Blickwinkels behandelt es sein Ausgangsthema, die Auswanderung von Bremerhaven nach New York an der vorletzten Jahrhundertwende, hoch professionell und wirkungsvoll unter Hinzuziehung zahlreicher Dokumente und eingehender Erläuterung der historischen Gründe für die Auswanderung. So gesehen ist Bremerhaven durchaus ein gelungenes Beispiel für ein Erlebnismuseum, wenn auch nicht ganz für ein Museum zum Thema Auswanderung insgesamt oder gar zum Thema Migration, wie es das gern sein möchte. Im Gegensatz dazu irritiert die BallinStadt mit einem hochgradig dilettantischen Theaterkulissenbau (vom Art Department der Babelsberger Filmstudios): Ungelenke Puppen sitzen wackelig auf Koffern herum; ein Pferd wedelt mechanisch mit dem Schwanz; mit orangefarbiger Folie abgeklebte Fensterscheiben tauchen die Ausstellung in ein heimelig-ranziges Dämmerlicht. Die pittoresk-verstaubte Trödelmarktatmosphäre verleitet eher zu nostalgischem Schwelgen in Bildern und Gefühlen als zu einer kritischen Auseinandersetzung mit historischen Zusammenhängen.

Mit der Konzentration auf die Suche des Einzelnen nach seinem Glück in der Fremde haben sich beide Museen für die gefühlte Innenperspektive entschieden. Sie docken damit auch an den gegenwärtigen Boom der Ahnenforschung an. So hat Bremerhaven am Ende des Ausstellungsrundgangs ein Informationszentrum eingerichtet, in dem Besucher einen Rechercheauftrag für die Suche nach ausgewanderten Familienangehörigen aufgeben können. Der Ausstellungsparcours in der BallinStadt beginnt mit einem Auftritt des Sponsors The Generations Network (hier in Form von <http://www.ancestry.de>), der größten kommerziellen Internetplattform zum Thema Ahnenforschung. So wird das Thema Auswanderung in den Rahmen der Familiengeschichte und der Suche nach den eigenen Wurzeln eingepasst. Für sich genommen ist dieser museumspädagogische Kunstgriff völlig legitim, wenn das Ziel allein die Vermittlung jener spezifischen Phase europäischer Auswanderung sein soll. Sollte es jedoch um die politisch oft vertrackten, widersprüchlichen und ambivalenten Hintergründe und Folgen von Auswanderungsbewegungen aus Deutschland in einem umfassenden Sinne gehen, hätte man beispielsweise die im 18. und 19. Jahrhundert zuwanderungsbedingt wachsenden europäischen Siedlungen im Westen der USA als einen wesentlichen Faktor für die Verdrängung indianischer Siedlungen anführen müssen; man hätte Paradoxa benennen müssen wie etwa die Tatsache, dass Südamerika in den 1940er- und 1950er-Jahren für Verfolgte und für Verbrecher des Nazi-Regimes gleichermaßen zu einem Zufluchtsort wurde; und man hätte Auswanderer einbeziehen müssen, die sich im Zuge bzw. im Nachgang des europäischen Kolonialismus in Afrika, Asien und dem Pazifikraum niederließen. Die globalen politischen und ökonomischen Zusammenhänge, die Auswanderung bedingen bzw. die von Auswanderung geschaffen und verändert werden, würden in solchen Beispielen sehr viel deutlicher aufscheinen.

Beide Häuser schreiben sich das Thema Migration dezidiert auf die Fahnen: Das Auswandererhaus in Bremerhaven möchte zu einem „Forum für Migrationsfragen“ werden, und auch die Stadt Hamburg erhofft sich von der BallinStadt einen Beitrag zur Migrationsdebatte, wie es auf der Website heißt. Diesen allgemeineren Anspruch lösen beide Museen auf historischer und auf politischer Ebene nicht ein: Sie vermögen eher zur Selbstfindung zu verhelfen als eine Brücke zu den gegenwärtigen Debatten um Ein- und Zuwanderung zu schlagen.

Anmerkungen:
1 Vgl. hierzu die langjährige Initiative des Dokumentationszentrums und Museums über die Migration in Deutschland e.V.: <http://www.domid.org>.
2 Baur, Joachim, Ein Migrationsmuseum der anderen Art. Das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven, in: Hampe, Henrike (Hrsg.), Migration und Museum. Neue Ansätze in der Museumspraxis, Münster 2005, S. 97-103.

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