Neuere Forschungen zur Frauen- und Geschlechtergeschichte

Neuere Forschungen zur Frauen- und Geschlechtergeschichte

Organisatoren
Arbeitskreis für Historische Frauen- und Geschlechterforschung e.V. (AKHFG), Sektion Mitte und Ost
Ort
Jena
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.02.2015 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Christian Landrock, Institut für Geschichte, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Mit Nachwuchswissenschaftlerinnen ins Gespräch kommen und deren Arbeiten epochenübergreifend diskutieren: Dies stand bei dem jüngsten Workshop und gleichzeitigem Jahrestreffen des Arbeitskreis für Historische Frauen- und Geschlechterforschung (AKHFG) e.V. Region Mitte, der gemeinsam mit der Regionalgruppe Ost am 24. Februar 2015 in Jena ausgerichtet wurde, im Mittelpunkt. Nach der Begrüßung und Einführung durch Gisela Mettele (Jena), Susanne Schötz (Dresden) und Kerstin Wolff (Kassel) stellten sieben Promovendinnen mit unterschiedlichen Epochenschwerpunkten ihre Dissertationsvorhaben vor, wodurch die inhaltliche Spannbreite der Beiträge vom antiken Athen bis in das Leipzig in der Nachwendezeit reichte.

Im ersten Beitrag diskutierte NANCY RICHTER (Halle an der Saale) die Frage, in welchem Maße athenische Frauen in der klassischen Zeit geschäftsfähig waren. Ihre Überlegungen führte sie am Beispiel des Medimnosgesetzes, nach dem Frauen nur Geschäfte bis zu einem Wert von einem Medimnos (ungefähr 52,2 Liter Gerste) abschließen konnten, aus. Dieses Gesetz tauchte zwar in mehreren Quellen, unter anderen in einer Komödie des Aristophanes auf, allerdings sei es fraglich, ob dieses wirklich in die Praxis umgesetzt worden sei. So hantierten bspw. Frauen wie Hetären oder Kupplerinnen im Alltag mit wesentlich höheren Vermögensbeträgen. Demzufolge hätte das Gesetz negative Folgen auf das Athener Wirtschaftsleben gehabt. Auch unterlag der tatsächliche Wert eines Medimnos starken konjunkturellen Schwankungen, so dass er keinen verlässlichen Index für die Geschäftsfähigkeit darstellte. Richter referierte, dass in der Forschungsliteratur als Lösung für diese Frage die Erklärung angeboten werde, dass Frauen mit Zustimmung des jeweiligen Familienvormundes, dem Kyrios, Geschäfte über den Wert eines Medimnos hinausgehend abschließen konnten. Die Referentin gab aber zu bedenken, dass ein solches Vorgehen nur aus Quellen hellenistischer Zeit nachweisbar sei, weshalb sie sich gegen eine Rückdatierung dieser Praxis in die klassische Zeit aussprach. Als Fazit zog Richter, dass Frauen im klassischen Athen geschäftsfähig waren und das Medimnosgesetz zwar als Norm bestand, in der Praxis hingegen nicht befolgt worden sei.

KATRIN KÖHLER (Magdeburg) richtete den Blick auf Königin Gisela (um 990 – 1043) und ihr Handeln im Spiegel des zeitgenössischen Tugendkanons. Die Referentin näherte sich der Königin und späteren Kaiserin über die Biographie und richtete den Blick insbesondere auf die Handlungsspielräume Giselas als Ehefrau und Witwe. Köhler stellte Gisela dabei als maßgebliche Vermittlerin bei der Integration Burgunds in das Reich 1034 heraus. Zudem erläuterte die Referentin, dass Gisela mit mehr als 60 Prozent in den Urkunden ihres Mannes Konrads II. als häufigste Person im Umfeld des Herrschers auftauchte. Dabei übernahm sie die Rolle als Fürsprecherin für Bittsteller an den Herrscher. Korrespondierend mit den Betrachtungen von Zeitgenossen – als wichtigster Gewährsmann diente hierbei der Chronist Wipo – könne Gisela zu Recht als einflussreiche Persönlichkeit am Hof Konrads II. angesehen werden. Dies äußerte sich Köhler zufolge in der Charakterisierung Giselas als tugendreich. So werde Gisela in den Quellen als Frau von edler Abstammung, als eine schöne, bemerkenswerte sowie gläubige, gerechte und ehrenhafte Herrscherin dargestellt. Abschließend unterstrich Köhler, dass Gisela in die Reihe der einflussreichen Herrscherinnen des Reiches gehöre, auch wenn sie bislang weniger berücksichtigt worden sei.

Als letzte Referentin des ersten Blockes stellte MAIKE LECHLER (Halle an der Saale) ihr Promotionsvorhaben über die Wege von Frauen in die Wissenschaft vor. Die Konzeption der Arbeit baut auf der Abschlussarbeit der Referentin über die erste Dozentin an der Universität Halle-Wittenberg, Betty Heimann, auf. Anhand des Werdeganges von Heimann, einer Pionierin der deutschen Indologie und zeitgenössischen Gandhi-Rezeption, die in den 1920er-Jahren in Halle lehrte, beleuchtete Lechler Hürden für Wissenschaftlerinnen in der klassischen Moderne. Heimann hatte während ihrer akademischen Karriere mit zahlreichen Vorbehalten und institutionellen Einschränkungen zu kämpfen. So wurde ihre Habilitationsschrift an ihrer Heimatuniversität Heidelberg nicht angenommen und in Halle blieb ihr eine außerplanmäßige Professur wegen der Unterstellung einer nicht erbrachten Forschungsleistung verwehrt. Lechler fasste ihre Überlegungen zusammen, indem sie die Hindernisse für Frauen systematisierte. Demnach bestanden vier Hürden für wissenschaftliche Karrieren von Frauen: juristische Hürden, wissenschaftliche Hürden (Zweifel an der Kompetenz, fehlendes Netzwerk), persönliche Hürden (familiärer Rückhalt, fehlende Vorbilder), sowie gesellschaftliche Hürden. Diese Systematisierung sei, so Lechler, für weitere Forschungen nutzbar zu machen, indem über das Schicksal von Heimann hinaus der jeweilige Werdegang weiterer Wissenschaftlerinnen zur Überprüfung und Modifizierung herangezogen werde.

Einen zweiten thematischen Block des Workshops bildete die Beschäftigung mit Religion und Geschlecht. In diesem Rahmen stellte CLAUDIA KRAHNERT (Leipzig) ihre Forschungen zu den Handlungs- und Funktionsspielräumen adliger Frauenkommunitäten im Früh- und Hochmittelalter am Beispiel der Diözese Halberstadt vor. Krahnert widmet sich der Frage, welche Handlungsmöglichkeiten Frauenklöster im Spannungsfeld von Adel, Kirche und König besaßen. Dabei bezog die Referentin den spatial turn in ihre Untersuchung mit ein, indem sie prüfte, wie der sächsische Adel sich durch die Gründung von Frauenkommunitäten einen Zugriff auf den Herrschaftsraum erschließen konnte. Welche Rolle die Kategorie Geschlecht in diesem Zusammenhang spielte, ließe sich methodisch durch einen Vergleich der Privilegienerteilung an Frauen- und Männerkonvente erhellen. Den Untersuchungszeitraum setzte die Referentin von der Mitte des 9. Jahrhunderts bis zum Ende der Herrschaft Kaiser Lothars III. an, womit die Spanne abgedeckt sei, in der das Herzogtum Sachsen die zentrale Königslandschaft des Reiches darstellte. Krahnert zufolge ergebe sich hieraus die Möglichkeit herauszufinden wie sich die kleinen und großen politischen Zäsuren dieses Zeitraums – zu denken sei bspw. an den Investiturstreit – auf die Handlungsspielräume der Frauenkommunitäten ausgewirkt hätten.

An den Vortrag von Krahnert schloss SANDRA GROSS (Leipzig) mit ihrer Untersuchung von Doppelkommunitäten im Prämonstratenserorden an. Anhand eines Vergleiches der beiden Zirkarien Ilfeld (das heutige Westthüringen, Franken und Nordhessen) und Böhmen-Mähren erforschte Groß die Gründung, das Zusammenleben und die Organisation von Doppelkommunitäten. Männer und Frauen lebten darin in einer organisatorischen Einheit, waren aber in ihrem Alltag strikt voneinander getrennt. Nach ihrem Selbstverständnis imitierten die Konventualen die Urgemeinde, in der Männer und Frauen gemeinsam Jesus nachfolgten. Am Beispiel der Doppelkommunität Tückelhausen beleuchtete die Referentin Konflikte, die sich aus dieser Organisationsform ergeben konnten und die im Extremfall die Auflösung von Doppelkommunitäten nach sich zogen. Obwohl sich keine Quellenbelege für unerlaubte Kontakte zwischen Schwestern und Brüdern finden und obwohl die Schwestern die Brüder bspw. mit den nötigen Kleidern versorgten, wurden in Tückelhausen die beiden Konvente nach nicht einmal zehn Jahren Bestand aus wirtschaftlichen Gründen voneinander getrennt und das Frauenstift verlegt. Nach kurzer Zeit zogen aber die Konvente aus eigener Motivation wieder zusammen, da beide nicht auf die geschlechterspezifischen Dienste des anderen verzichten wollten.

Im letzten Block der Tagung stand die Frauenbewegung des 19. sowie des 20. Jahr-hunderts thematisch im Mittelpunkt. Der Rezeption der US-amerikanischen Frauenbewegung durch die deutsche von 1849 bis 1905 widmete sich MAGDALENA GEHRING (Dresden). Ihr Fokus lag dabei auf dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein und der Untersuchung der Zeitschrift „Neue Bahnen“. Gehring zeigte auf, dass bereits vor der nachweisbaren Mitarbeit von deutschen Frauen in transnationalen Frauenorganisationen eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Frauenrechtlerinnen stattfand. Dies geschah vor allem dank persönlicher Beziehungen, wobei Deutsch-Amerikanerinnen eine Mittlerrolle zukam. Die deutschen Frauenrechtlerinnen erhielten auf diese Weise einen umfassenden Einblick in die Organisation und die Erfolge der amerikanischen Frauenbewegung. Für sie galt die USA als Vorbild und Vorwegnahme der Entwicklung in Deutschland. Auch wenn insgesamt eine Wirkung der amerikanischen auf die deutsche Frauenbewegung deutlich wird, sei allerdings eine differenzierte Rezeption auszumachen. Die politische Situation beider Länder unterschied sich zu sehr voneinander, als das der Allgemeine Deutschen Frauenverein die Arbeitsweise der amerikanischen Kolleginnen kopieren wollte und konnte.

JESSICA BOCK (Dresden) schloss die Tagung mit der Präsentation ihres Forschungsvorhabens über die ostdeutsche Frauenbewegung ab. Diese untersuchte die Referentin am Beispiel der Stadt Leipzig in den Jahren von 1980 bis 2000, einer Periode größter gesellschaftlicher, kultureller und politischer Umbrüche. Bock unterstrich, dass Frauen als Akteurinnen des Wandels und nicht als Wendeverliererinnen zu sehen seien. Dies machte Bock unter anderem daran fest, dass über die Zäsur von 1989/90 hinaus eine aktive Frauenbewegung in der Stadt existierte, die unter wechselnden gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen gegen Defizite in der Frauen- und Gleichstellungsfrage vorging. Um den Wandel der Gesellschaft auf Mikroebene zu untersuchen, schlug Bock eine Dreiteilung des Untersuchungszeitraums in die Phasen 1980-89, 1989-90 und 1990 bis 2000 vor, die jeweils auf folgenden vier Ebenen zu analysieren seien: Räume, Praxis- und Handlungsfelder, Bewegungsakteurinnen, Netzwerke und Interaktionen. Bock illustrierte die Tragfähigkeit dieses Fragerasters anhand der wechselnden Treffpunkte, welche die Leipziger Frauenbewegung wählte. Während in der DDR kirchliche Räume bevorzugt worden waren, etablierten sich nach der Friedlichen Revolution neue säkulare Treffpunkte – eine Tendenz, die auch bei anderen gesellschaftlichen subversiven Gruppen nach der Friedlichen Revolution zu beobachten ist.

Der Workshops bewies erneut das Potenzial der geschlechtergeschichtlichen Perspektiven – auch jenseits der Neuzeit mit ihrem wesentlich größeren Quellenbestand. Es zeigte sich wieder einmal, dass die Beschäftigung mit der Vorstellung von Geschlechterrollen und deren Umsetzung in dem jeweiligen historischen Kontext uns zahlreiche Informationen über dessen Beschaffenheit, ob in Rechtspraxis, Religion oder Herrschaftsausübung, liefern kann.

Konferenzübersicht:

Gisela Mettele (Jena)/Susanne Schötz (Dresden)/Kerstin Wolff (Kassel), Begrüßung

Nancy Richter (Halle an der Saale), Zur Geschäftsfähigkeit der Frau im Athen des späten 5./4. Jahrhunderts v.Chr. am Beispiel des „Medimnosgesetzes“

Katrin Köhler (Magdeburg), Königin Gisela (um 990-1043) – Eine starke Frau und der männliche Tugendkanon des 11. Jahrhunderts

Maike Lechler (Halle an der Saale), Wege in die Wissenschaft von Frauen um 1920 am Beispiel der ersten Dozentin an der Universität Halle-Wittenberg

Claudia Krahnert (Leipzig), Funktion und Handlungsspielräume adliger Frauenkommunitäten im Früh- und Hochmittelalter am Beispiel der Diözese Halberstadt

Sandra Groß (Leipzig), Frauen- und Männerklöster im Prämonstratenserorden. Doppelkommunitäten in den Zirkarien Ilfeld und Böhmen-Mähren

Magdalena Gehring (Dresden), „[…] und schließt mit der Hoffnung, daß das alte Deutschland von dem neuen Amerika lernen werde, auch bei uns die Frauenfrage zu lösen.“ Die Rezeption der amerikanischen Frauenbewegung durch den Allgemeinen Deutschen Frauenverein

Jessica Bock (Dresden), Ostdeutsche Frauenbewegung von 1980 bis 2000 am Bei-spiel der Stadt Leipzig


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