Religion übersetzen. Katholizismus und kulturelle Vermittlungsprozesse im 19. und 20. Jahrhundert
Die Generaldebatte der Jahrestagung am Sonntagvormittag widmet sich in diesem Jahr Übersetzungs- und Vermittlungsprozessen in den Katholizismen des 19. und 20. Jahrhunderts. Das Thema lässt bewusst verschiedene Herangehensweisen zu. In einer engen Lesart kann es sich beispielsweise auf die Geschichte von christlichen Missionarinnen und Missionaren beziehen. Ihre kulturelle Übersetzungsarbeit „beschränkt sich nicht auf Transformation von Sprache [...], sondern fragt auch nach Werten, Denk-, Orientierungs- und Verhaltensmustern, nach Wissensordnungen, Konzepten und Begriffen oder nach sozialen Praktiken“ (S. Lässig 2012, 191f.). Ein solcher Übersetzungstransfer ist keine Einbahnstraße, sondern wirkt von der einen Kultur auf die andere zurück. Entsprechend muss auch danach gefragt werden, wie sich die Missionsarbeit ihrerseits auf die christliche Religion in Europa niederschlug.
Daneben gibt es eine weite Lesart: Adaptiert man den Terminus der kulturellen Übersetzung auf das „säkulare Zeitalter“ (C. Taylor) des 20. Jahrhunderts, so rückt die immer stärkere Ausdifferenzierung von Kirche und Welt in den Mittelpunkt. Spätestens seit der Rede von Jürgen Habermas anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels im Jahr 2001 reflektieren die Theologien, aber auch die Geschichtswissenschaft und (Religions-)Soziologie daher auch darüber, wie religiöses Wissen in eine zeitgemäße Sprache übersetzt und in säkularen Gesellschaften vermittelt werden kann.
Die Generaldebatte möchte beide Varianten, die enge und die weite Lesart, zusammenführen und produktiv miteinander ins Gespräch bringen. Dafür konnten wir Christoph Nebgen (Saarbrücken) und Wilhelm Damberg (Bochum) als Referenten gewinnen.
Referenz
Simone Lässig: Übersetzungen in der Geschichte – Geschichte als Übersetzung? Überlegungen zu einem analytischen Konzept und Forschungsgegenstand für die Geschichtswissenschaft, in: Geschichte und Gesellschaft 38 (2012), S. 189–216.