Editorial:
Band 8 der Zeitschrift Rechtsgeschichte ist soeben erschienen. Die Debatte zum Thema Transfer wird mit sechs weiteren Texten fortgesetzt. Marc Amstutz und Vaios Karavas schlagen vor, transnationales Recht nicht mehr traditionell zu interpretieren. Die Orientierung der Interpretation an einer dem Recht externen Autorität sei in der Weltgesellschaft durch pluralistische, dem jüdischen Rechtsdenken verwandte Formen zu ersetzen.
Sebastian Conrad untersucht den Transfer von Uhren nach Japan seit dem 17. Jh. und damit die Übertragung von Zeit(strukturen) zwischen zwei kulturell sehr verschiedenen Gesellschaften. Pier G. Monateri beschreibt die Umstände des Transfers in Form von Kontaminationen schwächerer durch dominantere Rechte und Rechtsinhalte. Luigi Nuzzo widmet sich dem Rechtstransfer aus Italien in die Kolonien Afrikas, einem Transfer, der die Kolonien in prämoderne Zeiten zurückversetzte und sie als Ausnahmefall der europäischen Zivilisation erscheinen ließ. Anton Rudokvas analysiert einen spezifischen Fall von Rechtstransfer vom Code civil ins russische Recht: die Ersitzung. Eine Rumpfversion der ursprünglichen Norm sorgte in Russland für starke Irritationen in den Eigentumsstrukturen. Margrit Seckelmann schließlich beschreibt, warum sich einige Europäer mit dem europäischen Verfassungsvertrag so schwer getan haben.
In der Abteilung Recherche widmet sich ein Schwerpunkt dem wissenschaftlichen Oeuvre des Rechtshistorikers Pierre Legendre. Rainer Maria Kiesow, Oliver M. Brupbacher und David Wenger rekonstruieren und kritisieren Legendres Theorien und erkunden neue Anschlussmöglichkeiten. – Luciano Nuzzo legt einen Literaturbericht über internationale Neuerscheinungen zum Thema Citizenship vor. Wilfried Nippel erinnert an den 2005 verstorbenen Althistoriker Jochen Bleicken.
In der Abteilung Kritik findet sich in dieser Ausgabe ebenfalls ein Schwerpunkt: Benjamin Lahusen, Oliver M. Brupbacher und Dieter Simon besprechen jüngste Publikationen zum Thema Sprache und Recht. Ansonsten in Kritik: aktuelle rechtshistorische und historische Bücher. Alle Abstracts und die Liste der rezensierten Literatur finden sich auf der Internetseite http://www.rg-rechtsgeschichte.de
Debatte
Marie Theres Fögen - Vom Raum zur Zeit
Marc Amstutz, Vaios Karavas - Rechtsmutation Zu Genese und Evolution des Rechts im transnationalen Raum
Sebastian Conrad - Warum gehen in Japan die Uhren anders? Anmerkungen zum Konzept des kulturellen Transfers
Pier Giuseppe Monateri - The Weak Law Contaminations and Legal Cultures
Luigi Nuzzo - La colonia come eccezione Un’ipotesi di transfer
Anton D. Rudokvas - The Alien Acquisitive Prescription in the Judicial Practice of Imperial Russia in the XIXth Century
Margrit Seckelmann - Im Labor Beobachtungen zum Rechtstransfer anhand des Europäischen Verfassungsvertrags
Recherche
Rainer Maria Kiesow - Pourquoi Legendre?
Oliver M. Brupbacher - L’institution de la vie en images Spiegelungen zu Pierre Legendres Institutionentheorie des Rechts
David R. Wenger - Der gute Hirte als Verfassungsbild Eine Recht-Fertigungs-Tragödie mit Pierre Legendre, Michel Foucault und Carl Schmitt
Luciano Nuzzo - Cittadinanza: un percorso di lettura
Wilfried Nippel - Jochen Bleicken (1926–2005)
Kritik
Matthias Schwaibold - Caronisierung (zu: Pio Caroni, Die Einsamkeit des Rechtshistorikers. Notizen zu einem problematischen Lehrfach)
Joachim Rückert - Niedersachsen – pars pro toto?! (zu: Karl Kroeschell, recht unde unrecht der sassen. Rechtsgeschichte Niedersachsens)
Bettina Elpers - Die Regentin (zu: Pauline Puppel, Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500–1700)
Thomas Wetzstein - Kein weltlich Ding (zu: Christina Deutsch, Ehegerichtsbarkeit im Bistum Regensburg (1480–1538))
Renate Schulze - Im Schatten verharrend (zu: Isabelle Deflers, Lex und ordo. Eine rechtshistorische Untersuchung der Rechtsauffassung Melanchthons)
Martin Schennach - Mit weinenden Augen und flehenden Händen (zu: Cecilia Nubola, Andreas Würgler (Hg.), Bittschriften und Gravamina. Politik, Verwaltung und Justiz in Europa (14.–18. Jahrhundert))
Nicholas H.D. Foster - Key Ideas in Islamic Law (zu: Wael B. Hallaq, The Origins and Evolution of Islamic Law)
Nicholas H.D. Foster - Challenges in the Study of Ancient Legal Influence (zu: Gideon Libson, Jewish and Islamic Law. A Comparative Study of Custom during the Geonic Period)
Gesine Krüger - Fremde als Sehnsuchtsprojekt (zu: Alexander Honold, Klaus R. Scherpe (Hg.), Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit)
Karl_Heinz Lingens - Zwischen allen Stühlen (zu: Jack Beatson, Reinhard Zimmermann (Hg.), Jurists Uprooted. German-speaking Émigré Lawyers in Twentieth-century Britain)
Benjamin Lahusen - Justitia in Babylon (zu: Kent D. Lerch (Hg.), Die Sprache des Rechts. Bd. 1: Recht verstehen; Bd. 2: Recht verhandeln; Bd. 3: Recht vermitteln)
Oliver M. Brupbacher - Human Writes? (zu: Kent D. Lerch (Hg.), Die Sprache des Rechts. Bd. 1: Recht verstehen; Bd. 2: Recht verhandeln; Bd. 3: Recht vermitteln) Dieter Simon - Knäule (zu: Günther Kreuzbauer, Silvia Augeneder (Hg.), Der juristische Streit. Recht zwischen Rhetorik, Argumentation und Dogmatik)
Marginalien
Marie Theres Fögen - Bettlektüre (zu: Gesa Dane, »Zeter und Mordio«. Vergewaltigung in Literatur und Recht)
Marie Theres Fögen - Zum Recht des Auftrags Ilse Staff - Demokratie als Ideologie. Zum Fall Luciano Canfora