Das Projekt „Propaganda – Luftfahrt – Erziehung – Ostgebiete. Beamte nationalsozialistischer Reichsministerien. Rekrutierung – Karrieren – Nachkriegswege“ gehört zu dem seit 2017 von der Bundesbeauftragten für Medien und Kultur finanzierten Forschungsprogramm „Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus“. Vom Mainstream der seit etwa zehn Jahren auf Hochtouren laufenden Behördenforschung hebt es sich in zweifacher Hinsicht ab. Erstens befasst es sich ausschließlich mit den Mitarbeitern nachfolgeloser Reichsministerien, nämlich des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, des Reichsluftfahrtministeriums, des Reichsministeriums für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung (REM) sowie des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete. Zweitens beschränkt sich das Team des Historischen Seminars der Universität Heidelberg um Frank Engehausen (Projektleitung) und Katrin Hammerstein (Projektkoordination) nicht auf die Veröffentlichung ihrer Ergebnisse in Vorträgen, Aufsätzen und Büchern, sondern unterhält parallel eine Webseite und ist in sozialen Netzwerken aktiv, insbesondere auf Twitter.
Engehausen und Hammerstein arbeiten bereits im Projekt „Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus“ mit, das eine „enge Kooperation mit Schulen, Geschichtslehrerinnen und -lehrern sowie Studienseminaren“1 anstrebt. Hierfür wurde ebenfalls eine eigene Internetseite geschaffen, ein Blog eingerichtet, der immer noch fortgeführt wird, und auch Lehrmaterial und Quellen bereitgestellt. Zudem werden die an den Schulen entstandenen Beiträge präsentiert. Die Webseite zu den nachfolgelosen NS-Reichsministerien ist weniger interaktiv angelegt. Abgesehen von der Bitte um Quellenzusendungen und Zeitzeugen- oder Nachfahrengespräche handelt es sich um ein einseitiges Informationsangebot. Neben einer Projektbeschreibung und einem kurzen Überblick über die vier Ministerien finden die Besucher und Besucherinnen tabellarische Lebensläufe zu über 300 höheren – ausschließlich männlichen – Beamten der Ministerien sowie bislang 25 Blogeinträge. Dies übersteigt immer noch deutlich den Aufwand vergleichbarer Projekte, die sich ebenfalls auf eigens gestalteten Webseiten präsentieren.2
Die im Zuge eines derartigen Forschungsprojekts ohnehin zu recherchierenden Lebensläufe mitsamt Literatur- und Quellenangaben im Internet zugänglich zu machen, ist mehr als begrüßenswert. Diese Praxis sollte zu einem Standard werden, den – unter Wahrung des Datenschutzes der betreffenden Personen – Behördenforschungsprojekte aller Art künftig zu erfüllen haben. Bei der Drittmittelvergabe könnte es zu einer Auflage gemacht werden, diese Informationen spätestens nach Ende eines Projekts online zu stellen. Im Fachbereich der Wirtschaftsgeschichte ist dies bereits recht üblich geworden.3 Damit würde ein wichtiger Schritt in Richtung einer einfacheren Überprüfbarkeit der Forschungsergebnisse und der Statistiken gemacht. Außerdem könnte bei künftigen kollektivbiographischen Projekten aufwändige Doppelarbeit in der Recherche von Ministeriums- und Militärpersonalakten, der NSDAP-Mitgliedskartei und den Entnazifizierungsakten eingespart werden.
Aus Forscherperspektive sind insbesondere die biografischen Informationen zu den untergeordneten Personen auf der Referentenebene nützlich, zu denen noch keine Publikationen oder Lexikoneinträge existieren. Eine Suche unter den Biografien ist nach den Parametern Alter, Amtsbezeichnung, Ministeriumszugehörigkeit und NSDAP-Mitgliedschaft möglich. Über die Hälfte von ihnen verfügt über einen Eintrag in der Gemeinsamen Normdatei (GND), der am Ende der jeweiligen Lebensläufe angegeben und mit einem praktischen Link zur Deutschen Nationalbibliothek versehen ist. Für prominentere und ausgiebig beforschte Männer wie Paul Ritterbusch, Koordinator des „Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften“, oder Walther Funk, Staatssekretär im Propagandaministerium und später Reichswirtschaftsminister, bestehen im Internet bereits detailliertere Übersichten, als sie hier bereitgestellt werden.4 In einigen Fällen bietet Wikipedia als erste Anlaufstelle tiefergehende Informationen.5
Die vor allem im ersten Jahr der Projektlaufzeit veröffentlichten und in jüngerer Zeit seltener werdenden Blogbeiträge sind durchweg interessant und gut lesbar. Das Niveau ist anspruchsvoll und nicht nur für (vorgebildete) Laien, sondern auch für Historikerinnen und Historiker geeignet. Anstelle von einzelnen Belegen sind jeweils gesammelt einige Quellen und Literaturtitel angegeben. In den meist etwa tausend Wörter umfassenden Beiträgen werden knappe Einblicke zu Themen wie dem Aufbau des Reichsluftfahrtministeriums oder Goebbels Personalpolitik im neugegründeten Propagandaministerium gegeben. Im Zentrum steht oftmals eine Person, wie etwa Werner Naumann und sein Kreis der „Unverbesserlichen“ in der Bundesrepublik, oder eine Quelle, beispielsweise die vor einigen Jahren wiederentdeckten Tagebücher Alfred Rosenbergs. Ein Ort wie die geheime Luftwaffenübungsstätte im russischen Lipezk oder eine Persönlichkeit wie der Berliner Psychiater und REM-Referent Maximinian de Crinis dürften vielen Lesern und Leserinnen bereits über Auftritte in den Serien Babylon Berlin und Charité bekannt sein.
Die allermeisten Themen der Blogeinträge werden mutmaßlich noch deutlich ausführlicher in den abschließenden Publikationen behandelt. Das Bemühen, schon während der laufenden Forschungen im öffentlichen Diskurs präsent zu sein und über die NS-Geschichte zu informieren, prägt auch die Aktivität des Twitter-Accounts.6 Hier werden nicht nur eigene Inhalte präsentiert und fremde themenverwandte Veröffentlichungen und Veranstaltungen beworben, sondern auch die Beiträge von Geschichtsjournalisten wie „Dr. Guido Knapp“ retweeted. Auf dieser flüchtigen Plattform vermischen sich damit ausgiebig recherchierte wissenschaftliche Erkenntnisse mit spontan herausgegriffenen Bruchstücken der Forschung und fun facts. Dies mag Historikerinnen und Historikern befremden, die den umgekehrten Weg gewohnt sind: Dass ihre Forschungsergebnisse (erst) durch Journalisten für die allgemeine Öffentlichkeit aufbereitet werden.
Für ein aktives science to public bietet ein Internetauftritt wie https://ns-reichsministerien.de/ einen guten Ausgangspunkt. Die Entwicklungen in jüngerer und jüngster Zeit legen eine solche verstärkte direkte Zuwendung der Zeitgeschichtsforschung an die Öffentlichkeit nahe. Zum einen wird Aufklärung angesichts der wachsenden Präsenz rechtsradikalen Gedankenguts im politischen Diskurs und Vertretern der AfD in Parlamenten und Gremien noch wichtiger. Zum anderen befördert die gegenwärtige Pandemie und die damit einhergehende, mutmaßlich langfristig andauernde Reduktion von Veranstaltungen und Mobilität den bereits bestehenden Trend einer Verlagerung von Bildungsangeboten und wissenschaftlich abgesicherten Zwischenergebnissen ins Internet.
Anmerkungen:
1https://ns-ministerien-bw.de/fuer-schulen/ (19.04.2020).
2 Überdurchschnittlich umfangreich sind die Auftritte der Forschungsgruppen zur Geschichte der Innenministerien in Bonn und Ost-Berlin: https://geschichte-innenministerien.de (19.04.2020) und zum Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte (1949-1969): https://www.geschichte-vertriebenenministerium.de/ (19.04.2020).
3 Siehe beispielsweise das Global Crises Data Set von Carmen Reinhart et al.: https://www.hbs.edu/behavioral-finance-and-financial-stability/data/Pages/global.aspx (19.04.2020).
4 Betreffend Ritterbusch: https://cau.gelehrtenverzeichnis.de/person/7bf00421-986a-789b-6093-4d4c60045a7e (19.04.2020); Betreffend Funk: https://www.dhm.de/lemo/biografie/biografie-walther-funk.html (19.04.2020).
5 Ein kleiner Fehler im Lebenslauf Ernst Udets wurde nach einer Mitteilung im Gästebuch auf https://ns-reichsministerien.de/2018/01/15/ernst-udet/ (19.04.2020) umgehend korrigiert. Auf https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Udet (19.04.2020) war der Fakt richtig angegeben.
6https://twitter.com/ns_minbeamte (19.04.2020).