Civil Society and Gender Justice

Organisatoren
Wissenschaftszentrum Berlin fuer Sozialforschung (WZB) (Social Science Research Center Berlin), Working Group "Civil Society: Historical and Comparative Perspectives"
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.07.2004 - 11.07.2004
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Von
Heinrich Hartmann und Ute Hasenöhrl Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Vom 9. - 11. Juli 2004 fand am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) eine interdisziplinäre Konferenz zum Thema ‚Civil Society and Gender Justice. Historical and Comparative Perspectives' statt, an der rund 90 Wissenschaftlerinnen sowie einige wenige Wissenschaftler aus zehn Ländern teilnahmen. Die Veranstaltung wurde von der von Jürgen Kocka und Dieter Gosewinkel geleiteten WZB-Arbeitsgruppe ‚Zivilgesellschaft: historisch-sozialwissenschaftliche Perspektiven' veranstaltet und von Karen Hagemann (University of Glamorgan), Gastwissenschaftlerin am WZB, in Kooperation mit Gunilla Budde (FU Berlin) und Dagmar Simon (WZB) konzipiert und organisiert. Ziel der Tagung war es, den Begriff und das Projekt der Zivilgesellschaft aus der Geschlechterperspektive in ihrer historischen Bedingtheit, interkulturellen Bezogenheit und gegenwärtige Bedeutung zu analysieren.

Die Tagung ging von einem Verständnis des Begriffs 'Zivilgesellschaft' aus, das von Jürgen Kocka im Rahmen der Arbeit der gleichnamigen WZB-Arbeitsgruppe entwickelt wurde. 'Zivilgesellschaft' bezeichnet danach einerseits den weitgehend selbstregulierten Raum bürgerschaftlichen Engagements zwischen Staat, Ökonomie und Privatsphäre, andererseits einen spezifischen Modus sozialer Interaktion, der sich unter anderem durch individuelle Selbständigkeit, Anerkennung von Pluralität, Gewaltfreiheit und Gemeinwohlorientierung auszeichnet. Bei ‚Zivilgesellschaft' handelt es sich damit nicht nur um ein analytisches Konzept, sondern gleichzeitig auch um eine noch nicht voll eingelöste Vision menschlichen Zusammenlebens in der Tradition der Aufklärung.

Ausgangspunkt der Beschäftigung mit diesem Konzept aus der Geschlechterperspektive war der Begriff "Geschlechtergerechtigkeit" als einer feministischen Utopie, die aus dem zivilgesellschaftlichen Programm abgeleitet werden kann. ‚Gender' wurde dabei verstanden als das durch Kultur und Gesellschaft produzierte Wissen über Geschlechterdifferenzen. Behandelt wurden zentrale Problembereiche im Verhältnis von Zivilgesellschaft und Geschlecht. Zu den angesprochenen Themen gehörten erstens die Folgen der geschlechtskonnotierten Differenzierung zwischen Öffentlichkeit und Privatleben sowie die Bedeutung der Familie für das Konzept der Zivilgesellschaft; zweitens die nach Geschlecht differenzierende Praxis von Assoziationen und die Bedeutung der Frauenbewegung für das Projekt der Zivilgesellschaft; drittens die geschlechtsspezifische Rolle von Gewalt und Protest als Grenzbereichen der Zivilgesellschaft; viertens der für die Geschlechter unterschiedliche Zugang zu politischen, ökonomischen und sozialen Staatsbürgerrechten und die sich daraus ergebenden Folgen für die Partizipation in der Zivilgesellschaft, sowie fünftens das Verhältnis zwischen geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung und dem auf ihr basierenden Wohlfahrtssystem, das gleichzeitig auch als Garant gleicher Partizipationsmöglichkeiten in der Zivilgesellschaft verstanden werden kann.

Die erste Sektion der Tagung griff unmittelbar den Titel der Veranstaltung Civil Society and Gender Justice auf. In seinem Vortrag gab Jürgen KOCKA (Berlin) einen Überblick über Geschichte, Projekt und Vision der Zivilgesellschaft. Dabei hob er den zivilisatorischen Projektcharakter hervor, der dem Begriff schon durch die Aufklärer mitgegeben und der vor allem im Zuge der Industrialisierung dynamisiert wurde. Nach längerer Abwesenheit aus dem öffentlichen Diskurs erfuhr das Konzept eine Wiederbelebung durch die Veränderungen in Osteuropa und veränderte sich immer wieder im Gegensatz zu seinen Opponenten. Kocka wies auf weiterführende Fragestellungen zu Zivilgesellschaft und Geschlecht hin. So schlug er unter anderem Studien zum Wandel der Darstellung der Geschlechterverhältnisse in theoretischen Texten zur Zivilgesellschaft vor und regte Untersuchungen zu den Spannungen zwischen universalen Ansprüchen und exklusiver Praxis von Zivilgesellschaften sowie dem Verhältnis von Familie und Zivilgesellschaft an.

Wie Regina WECKER (Basel) ausführte, sind gängige Vorstellungen von Gerechtigkeit zwar aufs engste verwobenen mit denen von Gleichheit bzw. Gleichberechtigung, Ungleichheit werde jedoch nicht automatisch mit Ungerechtigkeit gleichgesetzt. Als Grundprobleme identifizierte sie dabei das Gleichheits-Differenz-Dilemma sowie das Umverteilungs-Anerkennungs-Dilemma. Indem der Mann implizit als Bewertungsmaßstab gesetzt werde, würden Abweichungen von dieser Norm hierarchisch herabgesetzt. Erschwert werde die Beseitigung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern durch eine einseitige Konzentration auf wirtschaftliche Umverteilung bzw. kulturelle Anerkennung. Beide Faktoren stünden miteinander in Beziehung und verstärkten sich gegenseitig. Zusätzlich stellte Wecker mit Blick auf die Schweiz die These auf, starke zivilgesellschaftliche Strukturen könnten ein Problem für die Gleichbehandlung des weiblichen Geschlechts bilden, weil sie Unterschiede immer wieder reproduzierten und manifestierten.

Inhaltlich geschlossen präsentierte sich das Panel zu Civil Society, Feminism and the State mit zwei komplementären Vorträgen. Karen HAGEMANN (Berlin / Glamorgan) ging von dem Befund aus, das sich bisher weder die Forschung zur Zivilgesellschaft intensiver mit der Geschlechterdimension ihres Gegenstandes befasst habe, noch umgekehrt die Geschlechterforschung mit Konzepten der Zivilgesellschaft. In sieben Punkten skizzierte sie die feministische Kritik an diesen Konzepten und leitete daraus Vorschläge zu deren Modifizierung ab: Zivilgesellschaft müsse stärker von ihren Grenzen her gedacht werden. In der Analyse sollten Mechanismen von Inklusion und Exklusion entlang von Differenzkategorien wie Geschlecht, Rasse, Klasse, Ethnizität und Religion, aber auch Sexualität, Alter und Familienstand mehr in den Mittelpunkt gerückt werden. Speziell die Grenze zwischen Zivilgesellschaft und Privatsphäre sowie die Ausklammerung der Familie sei aus der Geschlechterperspektive problematisch. Das Konzept müsse historisiert und kontextualisiert werden. Hagemann schlug eine nicht-normative, deskriptive Perspektive vor, die es gestatte, in die Analyse auch die ambivalenten, paradoxen und negativen Seiten der Zivilgesellschaft zu integrieren. Zivilgesellschaft sei produktiv nur als Konfliktraum zu begreifen. Ein dergestalt modifiziertes Konzept von Zivilgesellschaft könne auch für eine feministische Analyse sinnvoll genutzt werden.

Birgit SAUER (Wien) schloss sich der Forderung nach einem gegenüber der Kategorie ‚Geschlecht' sensibilisierten Konzept und Projekt der Zivilgesellschaft an. Dieses sei für eine Umsetzung von mehr Geschlechtergleichheit jedoch nicht automatisch besser geeignet als der Staat. Beide seien kommunikativ verbunden und bestärkten sich gegenseitig. An Gramsci und Foucault anschließend betonte Sauer die Bedeutung der Zivilgesellschaft als Ort der Aushandlung hegemonial geprägter Kompromisse sowie der Umwandlung und damit Legitimation von Eigeninteressen in allgemeingültige Werte. Dominanz und Macht seien wesentliche Funktionsmechanismen der Zivilgesellschaft, die in normativen Konzepten aber meist ausgeblendet würden. Schließlich widmete sich Sauer der Frage, warum das Konzept der Zivilgesellschaft derzeit eine solche Attraktivität ausstrahle, und beantwortete dies mit den Versuchen des Staats, soziale Verantwortung auf zivilgesellschaftliche Akteure zu verlagern. Die Instrumentalisierung der Zivilgesellschaft zur Umsetzung einer neoliberalen Politik und der Abbau des Wohlfahrtsstaats belaste dabei erneut vor allem Frauen.

In der nächsten Sektion wurde das Verhältnis von Civil Society, the Public Sphere and the Private kontrovers diskutiert. Karin HAUSEN (Berlin) kritisierte insbesondere die der Definition Kockas zugrunde liegende Trennung zwischen Zivilgesellschaft und Privatsphäre, die auf einem unscharfen Verständnis von Privatsphäre beruhe. Gender wie Familie müßten in einem operational tauglichen Ansatz ausdrücklich berücksichtigt werden. Unverzichtbar seien die Fragen, warum, wie lange, mit welchen Folgen und Begründungen die Gleichberechtigung verweigert wurde. Darauf aufbauend könne dann dem Phänomen nachgegangen werden, wie es gelingen konnte, das Programm der Zivilgesellschaft trotz seiner Geschlechtsspezifik zumindest als Utopie universalistisch aufzuladen. Dabei dürfe man aber nicht ausblenden, dass dieses Projekt erwachsene erwerbstätige Menschen voraussetze, die über ausreichend Zeit und Energie verfügten, sich (zivil-) gesellschaftlich zu engagieren. Der ‚sexual contract' einer Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern, die den Mann von der Familien- und Pflegearbeit freistellt, bilde dafür noch heute oft die Grundlage.

Claudia OPITZ (Basel) ging anhand der Schriften Montesquieus der Debatte um Politik, Geschlecht und (Zivil-) Gesellschaft im 18. Jahrhundert nach. Gerade Montesquieu hatte sich explizit und systematisch mit der Bedeutung der Geschlechterbeziehungen befasst und den Salons als Orten gemischtgeschlechtlicher Geselligkeit und ‚Zivilisation' einen hohen Stellenwert bei der Abwehr despotischer bzw. demokratisch-chaotischer Verhältnisse sowie der Sicherung individueller Freiheit zugemessen. Mit dieser Sichtweise, die zur Propagierung der Monarchie als der besten Regierungsform dienen sollte, begründete er eine Interpretation des Ancien Régime als einem ‚goldenen Zeitalter' weiblicher Einflussnahme und Macht. Mit seinem Konzept einer intermediären Sphäre gemischtgeschlechtlicher Geselligkeit auf der einen sowie ‚männlicher' politischer Strukturen auf der anderen Seite trug er jedoch zur Festschreibung der Geschlechtertrennung bei.

Für die Familie als Kerninstitution der Zivilgesellschaft machte sich auch Gunilla BUDDE (Berlin) im Rahmen des Panels zu Civil Society and the Family stark. Am Beispiel einer Berliner Kaufmannsfrau und Mutter von sechs Kindern, die Ende des 19. Jahrhunderts lebte, betonte sie die Rolle der Familie als Vermittlerin von Werten und Praktiken der Zivilgesellschaft zumindest innerhalb der bürgerlichen Mittelschichten. Jedoch vermittelte die Familie auch Ansichten, die dem egalitären Konzept der Zivilgesellschaft entgegenliefen und gerade Klassengrenzen zementierten. Zudem wurden Frauen über soziale Netzwerke und Vereine auch selbst zivilgesellschaftlich aktiv. Die Referentin sprach sich dafür aus, die räumliche Trennung zwischen öffentlich und privat im Konzept der Zivilgesellschaft aufzugeben und stattdessen zivilgesellschaftliche Handlungsformen in den Mittelpunkt zu rücken, die an dieser künstlichen Grenze ohnehin nicht Halt machten. In der Diskussion wurden verschiedentlich Zweifel laut, ob das vorgestellte Beispiel tatsächlich typisch für die bürgerliche Familie des Kaiserreichs sei.

Der von intensiven konzeptionellen Diskussionen beherrschte erste Konferenztag wurde durch den Abendvortrag von Karen OFFEN (Stanford) abgerundet. In einem Rückblick auf die Geschichte des Feminismus skizzierte sie die dialektischen Bewegungen europäischer Geistesgeschichte, die dem Feminismus im 19. Jahrhundert Gedankenräume verschlossen, welche sich ihm mit den Dynamiken des ausgehenden 18. Jahrhunderts erst eröffnet zu haben schienen. Und doch bildeten die extremen Ausschlussbewegungen der bürgerlichen Epoche auch wieder den Anstoß für die Erschließung neuer Spielräume für einen Feminismus, der sich auf internationalem Niveau am Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte. Sie betonte die Notwendigkeit einer konzeptionellen Einbeziehung des Geschlechtsbegriffs, um bei weiteren zivilgesellschaftlichen Projekten grundlegende Ungleichgewichtigkeiten westeuropäischer Entwicklungen nicht zu reproduzieren.

Der Ausschluss aus Politik, wirtschaftlichem und öffentlichem Leben förderte soziales Engagement, informelle Netzwerke und die Bildung von Gegenkulturen als Ausdrucksform und Aktionsraum im gesellschaftlichen Kontext. So könnte man Grundüberlegungen des Panels Civil Society, gender difference and associational culture zu Beginn des zweiten Konferenztags zusammenfassen. Gisela METTELE (Chemnitz) zeigte am Beispiel von Kölner Bürgerinnen im 19. Jahrhundert Wege weiblichen öffentlichen Handelns in einem urbanen Kontext. Dabei wies sie darauf hin, dass Frauen nicht nur im kulturellen Sinne die "Grammatik des Benehmens" zugeschrieben wurde, sondern dass sie auch durch soziale Dienste und Vereine durchgehend einen öffentlichen Handlungsradius ausfüllten. Sie wies allerdings auch auf die methodologischen Schwierigkeiten der Erfassung solcher Handlungen hin und auf kulturelle Dominanz als Element eines zivilisatorischen Projektes gegenüber den Unterschichten.

Ein von den Veranstaltern selbstkritisch geäußertes Problem der Konferenz stellte die tendenzielle Perspektivenverengung auf europäische Entwicklungen dar. Dieser Tendenz stellte sich allein Margrit PERNAU (Erfurt) entgegen, indem sie den Blick auf die muslimischen Mittelschichten im indischen Hyderabad um 1900 richtete. Mit ihren mikrohistorischen Betrachtungen konnte sie nicht nur belegen, dass das vom vermeintlich zivilisierten Westen als barbarisch konstruierte Asien im Inneren ein hoch differenziertes System von Ausschluss und Handlungsressourcen im öffentlichen Raum aufwies, sondern auch, dass die Frauen, trotz eines in einem männlich-politischen Raum weitgehend als Gegenbild und Objekt der Herrschaftsmanifestation konstruierten Frauenbildes in der Lage waren, über eine parallele Bildungswelt einen differenten Raum zu öffnen. Dabei zweifelte sie den Erkenntnisgewinn an, den in diesem Zusammenhang ein durch den politischen Diskurs auch normativ aufgeladenes Konzept von Zivilgesellschaft biete.

Das nächste Panel Civil Society, Gendered Violence and Protest lenkte das Augenmerk auf weibliche Protestformen und Gewalt als Handlungsressource und symbolische Ausdrucksform zwischen den Geschlechtern. Manfred GAILUS (Berlin) skizzierte an Hand der Nahrungskämpfe seit dem 17. Jahrhundert, dass gerade in der öffentlichen Artikulation der Unterschichten Frauen lange Zeit eine wichtige Rolle zukam. Entgegen gängiger Vorurteile spielte dabei auch die vermeintlich ‚männliche' politische Aktionsform der Gewalt eine wichtige Rolle. Damit gelang es dem Vortrag, gewisse Stereotypen weiblicher politischer Aktion, die sich vor allem aus dem Wertekanon des Bürgertums entwickelten, zu relativieren.

Dass der Begriff von Zivilgesellschaft keinen klaren Gegenbegriff mehr hat und sich damit in einem postmodernen Kontext auf eine nahezu unbegrenzte Menge kollektiver Handlungen und Ausdrucksformen beziehen kann, zeigte der Vortrag von Belinda DAVIS (New Jersey). Der Feminismus im Deutschland der 1970er Jahre - wie auch eine Vielzahl anderer sozialer Bewegungen der Nachkriegszeit - erweiterten die demokratische Arena, in denen die Zivilgesellschaft ihre normativen Aushandlungsprozesse austrug. Sie formulierte dabei die Frage, ob die im zeitgenössischen Kontext hochprovokativ gemeinten Ausdrucksformen zum Ziel hatten, existierende gesellschaftliche Formen zu verändern oder den Versuch bildeten, konkurrierende Sphären zu erzeugen. Immerhin waren die weit gefassten Forderungen der feministischen Bewegungen nicht nur auf die Infragestellung von Eliten und gesellschaftlichen Hierarchien, sondern auch auf die Verankerung von Emotionen als weiblicher Ausdrucksform in politischen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen ausgerichtet.

Die Auswirkungen sozial und kulturell verwurzelter Ordnungsvorstellungen für Fragen der Partizipation, aber auch der wirtschaftlichen Situation von Frauen stand im Mittelpunkt des Panels Civil Society, Gender Order and Citizenship. Eine sozioökonomische Argumentation lieferte Monika WIENFORT (Berlin) mit einer Untersuchung zu der Bedeutung von Eheverträgen in Deutschland im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern zwischen 1870 und 1950. Im Mittelpunkt stand die Debatte über gesetzliche Grundlagen der Muster von Vererbung, Güterteilung und Verfügungsrechten, die sich, ausgehend von einem bürgerlichen Modell, in den westlichen Staaten nach 1900 verstärkt auch den Unterschichten zuwandte. Das Modell des Ehevertrages entstand dabei vor allem in bürgerlichen Unternehmerfamilien, die hierdurch versuchten, ihren Besitzstand abzusichern. Wie schon in anderen Beiträgen der Konferenz brachte auch Wienfort die Rolle des Wohlfahrtsstaates als wichtiges Element in ihre Ausführung ein. Er sei zum Akteur einer Veränderung der ökonomischen Perspektiven und Dispositionen der Frauen geworden. Sie thematisierte damit die ökonomischen und sozialen Handlungsvoraussetzungen für eine gleichberechtigte Partizipation in der Zivilgesellschaft.

Sonya ROSE (Ann Arbor) lenkte den Blick hin zu einem "engendering" der Öffentlichkeit. Anhand der britischen Öffentlichkeit zwischen 1867 und 1939 stellte sie die Frage, wie die Gesellschaft Akteure der Zivilgesellschaft für Aushandlungsprozesse der öffentlichen Meinung legitimiert. Damit analysierte sie Staatsbürgerschaft und ziviles Engagement zunächst einmal als einen diskursiven Rahmen, der seit den Zeiten des Humanismus männlich konstituiert war. Neben der liberalen Staatsbürgerschaftsidee wurde dies auch in den proletarischen Konzeptionen von öffentlicher Partizipation reflektiert. Vor diesem Hintergrund betrachtete sie angeblich typisch männliche Artikulationsformen wie die Protestmärsche in England und unterstrich, dass diese Frauen implizit ausschlossen.

Am dritten Konferenztag wurde in der Sektion Civil Society, Work and the Gendered Welfare State System mit dem Wohlfahrtsstaat abermals ein aus historischer wie aktueller Sicht wesentliches Problem in den Mittelpunkt gerückt. Zunächst widmete sich Sonya MICHEL (Maryland) der historischen Beziehung zwischen Wohlfahrtsstaat und Zivilgesellschaft. Sie ging dabei von der Annahme aus, dass die Entstehung philanthropischer Assoziationen, die hauptsächlich von Frauen getragen waren, die Herausbildung der Zivilgesellschaft erst ermöglichte. Allerdings zeichneten diese auch für einige der Paradoxien der Zivilgesellschaft verantwortlich, da viele von ihnen auf den Prinzipien der Exklusivität, Ungleichheit und Diskriminierung basierten. Die zunächst religiöse und moralische Motivation zahlreicher Frauen zur Sozialarbeit ermöglichte es ihnen, sich gesellschaftlich zu engagieren und dabei respektabel zu bleiben, bestätigte aber auch die Macht der Kirche und des Staates über sie und drängte sie in eine weiblich konnotierte Nische der Zivilgesellschaft. Die Ausbreitung des Wohlfahrtsstaats sowie die Bürokratisierung und Professionalisierung der Sozialarbeit führte schließlich dazu, Unabhängigkeit und Status der Frauen weiter einzuschränken.

Aktuelle Entwicklungen der geschlechtlichen Arbeitsverteilung in Ost- und Westeuropa sowie Überlegungen zur Zukunft der Arbeit präsentierte Hildegard Maria NICKEL (Berlin). Im Gegensatz zur Mehrzahl der Tagungsteilnehmerinnen sprach sie sich dabei entschieden für ein normatives Konzept von Zivilgesellschaft aus. Nickel stellte fest, dass im sozialistischen Osteuropa im Vergleich zum Westen die traditionell geschlechtliche Rollenverteilung weniger stark ausgeprägt war. Auch insgesamt sei die osteuropäische Kultur femininer geprägt gewesen als der Westen. Insgesamt sei jedoch nur sehr wenig über Rolle und Stellung von Frauen in zivilgesellschaftlichen Transformationsprozessen bekannt, da die Kategorie ‚Gender' in der Modernisierungstheorie meist ausgeblendet werde und die Frauenforschung sich ihrerseits noch kaum dieser Fragestellung zugewandt habe.

In dem letzten Vortrag der Tagung sprach Jacqueline O'REILLY (Berlin) zu Veränderungen des Geschlechtervertrags als einem wichtigen Teil der Transformation der modernen Zivilgesellschaft. An Durckheim anschließend ging O'Reilly von der Annahme aus, dass die Idee des freien Vertrags heute nicht mehr umsetzbar sei, da Statusunterschiede und vertragliche Rahmenbedingungen keine gleichberechtigten Verhandlungen erlaubten. Die Referentin zeigte anhand reichhaltigen Datenmaterials, wie sich der ‚Gender Contract' seit den 1960er Jahren verändert habe. Insgesamt wandelten sich Praxis wie Präferenzen von dem Modell des allein arbeitenden männlichen Brotverdieners hin zu einem Vollzeit- (M)/ Teilzeit- (F) Modell. Dabei bestünden allerdings teils erhebliche Unterschiede zwischen dem bevorzugten Typ geschlechtlicher Arbeitsverteilung und der tatsächlich anzutreffenden Situation. Daher müßten auch außerhalb des Geschlechtervertrags liegende Aspekte wie etwa die jeweilige wirtschaftliche Situation in die Betrachtung integriert werden.

Dieter GOSEWINKEL (WZB) und Dagmar SIMON (WZB) oblag die schwierige Aufgabe eines Schlussresümees. Gosewinkel befürwortete eine Modifizierung des Konzepts Zivilgesellschaft, indem er für eine stärkere Einbeziehung der Familie und eine analytische Beschränkung des Konzepts Zivilgesellschaft auf 'westliche', nicht-koloniale Gesellschaften plädierte. Grundsätzlich hielt er an dem bereichsspezifischen Konzept der Zivilgesellschaft fest, sprach sich aber nachdrücklich für eine historisierende Analyse der Bereichsunterscheidungen aus, insbesondere zwischen Privatsphäre und Zivilgesellschaft. Gerade dadurch könne der Kategorie Gender und den sich wandelnden Formen der Exklusion in und jenseits der Zivilgesellschaft Rechnung getragen werden. Simon hob die Bedeutung eines historischen Zugangs zu Fragen von Gender Justice hervor. Die Vorträge hätten die historische Bedingtheit und Relativität von Inklusions- und Exklusionsprozessen sowie widersprüchliche und keinesfalls lineare Entwicklungen aufgezeigt. Deutlich seien vor allem die problematischen Folgen einer Unterbewertung des Privaten in den Konzepten von Zivilgesellschaft geworden. Insgesamt bilde das Konzept bisher keinen relevanten Bezugspunkt für die Gender-Forschung. Wolle diese Einfluss auf die aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten gewinnen, sei es jedoch notwendig, sich mit den Konzeptualisierungen von Zivilgesellschaft zu befassen, um geschlechtsspezifische Defizite und Leerstellen dieses gesellschaftspolitischen Modells zu eruieren, das die Frage nach den Voraussetzungen für Chancengleichheit der Geschlechter noch beantworten muss.

Es lässt sich resümieren, dass sich der gewählte interdisziplinäre Ansatz der Tagung als fruchtbar erwies. Deutlich wurden dadurch die Defizite, die das Konzept der Zivilgesellschaft aus der Geschlechterperspektive bisher aufweist. Vorgeschlagen wurde unter anderem, systematischer zwischen analytischem Konzept, Praxis und dem normativ-utopischen Programm der Zivilgesellschaft zu unterscheiden, die Grenzen der Zivilgesellschaft präziser auszuloten, d.h. sich stärker auf Prozesse der Inklusion und Exklusion - nicht nur anhand der Differenzkategorie Geschlecht, sondern auch anhand Klasse, Religion, Ehnizität, Alter und Familienstand - zu konzentrieren, die aus der Geschlechterperspektive höchst problematische Unterscheidung zwischen Zivilgesellschaft und Privatsphäre aufzuheben sowie die Familie stärker als Teil der Zivilgesellschaft zu begreifen. Zudem wurde angeregt, genauer über die ökonomischen, rechtlichen, sozialen, politischen und kulturellen Voraussetzungen für die geschlechtsspezifische Partizipation in der Zivilgesellschaft nachzudenken. Als Alternative zu einem von den Wertvorstellungen der Aufklärung geprägten Konzept von Zivilgesellschaft, das von dem idealtypischen Konstrukt eines freien und unabhängigen Individuums als Hauptakteur ausgeht, wurde wiederholt auf die Theorie Gramscis verwiesen, in der Abhängigkeiten und Machtbeziehungen auch innerhalb der Zivilgesellschaft schärfer betont werden.

Diese Vorschläge wurden intensiv diskutiert und blieben ebenso umstritten, wie die grundsätzliche Frage, ob Zivilgesellschaft überhaupt ein geeignetes Konzept für eine geschlechtersensitive Analyse bietet. Einigkeit herrschte jedoch über die Notwendigkeit, Zivilgesellschaft stärker als bisher üblich zu historisieren und kontextualisieren und dabei als umkämpftes Konfliktfeld verschiedenster Interessen zu begreifen. Übereinstimmung herrscht zudem darin, dass eine stärkere Berücksichtigung der Geschlechterperspektive eine notwendige und wichtige Bereicherung der politik-, sozial- und geschichtswissenschaftlichen Forschungen zu und der aktuellen Debatten über Zivilgesellschaft ist und hierbei mehr Interdisziplinarität erstrebenswert sei. Die Tagung wurde deshalb nur als der Anfang einer fruchtbaren Debatte betrachtet, die fortgeführt werden müsse. Ein englischsprachiger Tagungsband ist geplant.

Kontakt

Heinrich Hartmann und Ute Hasenöhrl
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

E-mail: HeinrichHartmann@t-online.de; hasenoehrl@wz-berlin.de

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