Landschaft – Natur – Geschichte. Wie kann Natur bewahrt und Erinnerung gestaltet werden?

Landschaft – Natur – Geschichte. Wie kann Natur bewahrt und Erinnerung gestaltet werden?

Organisatoren
DenkOrt Bunker Valentin; Landesmuseum Natur und Mensch, Oldenburg; Oldenburgische Landschaft; Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg; Kulturamt der Stadt Oldenburg
Ort
Oldenburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.02.2007 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Joachim Tautz, Institut für Geschichte, Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg

„Wie kann Natur bewahrt und Erinnerung gestaltet werden?“ war die zentrale Fragestellung des interdisziplinären, wissenschaftlichen Symposiums am 22.2.2007 im Landesmuseum Natur und Mensch (Oldenburg), in dessen Anschluss die Ausstellung „Grasnarben. Fotografien von ehemaligen NS-Lagern in Norddeutschland“ eröffnet wurde. Obgleich die Diskussion einer Musealisierung der nationalsozialistischen Rüstungsruine des U-Boot-Bunkers Valentin im Fokus der Konferenz stand, bildete der konkrete Ort in erster Linie eine Reflexionsfläche, um Fragen nachzugehen, wie sich im Rahmen der bewussten Gestaltung von Erinnerungslandschaften Geschichtsinteresse und der Möglichkeitsraum eines kollektiven historischen Gedächtnisses mit den Markierungen der Landschaft, der Naturvorsorge und dem Umweltbewusstsein verschränken lassen.

Der Einführungsvortrag von Marcus Cordes (Hannover) beschäftigte sich mit grundsätzlichen Vorstellungen von Gedächtnis und Erinnerung im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Erfassung von Raum, Ort und Landschaft. Landschaft wird hierbei verstanden als Resultat eines Vergegenwärtigungs- und Deutungsprozesses, in dem Gedächtnis formuliert und räumlich verortet wird. Kulturgeschichtlich betrachtet finden sich bis heute in räumlichen, bildhaft wirksamen Modellen metaphorische Versinnbildlichungen von Gedächtnis und Erinnerung. Für den Bereich der räumlichen Planung und Gestaltung entwickelte Cordes auf der Grundlage einer Differenzierung des Toposbegriffs im Verbund mit zeichentheoretischen Kategorien und Erkenntnissen aus der Gedächtnisforschung eine Systematik und Strategie zur Beschreibung von räumlich abbildenden Erinnerungslandschaften.

In diesem Kontext kann demnach analytisch in vier Begriffe unterschieden werden: Topographie, Topologie, Topopräsenz und Topochronie. Die damit verbundenen Prozesse beeinflussen sich gegenseitig und setzen Zeichen, Ort, Raum und Zeit miteinander in Beziehung. Eine analytische Beschreibung der Zeichenhaftigkeit der wahrgenommenen Orte, ihre räumliche und zeitliche Anordnung sowie ihr subjektiver bzw. kollektiver Gegenwartsbezug im Erinnerungsraum Landschaft wird als Voraussetzung gesehen, um gegenwärtige Räume zu erkennen und einzurichten. Die Möglichkeiten der landschaftsarchitektonischen Gestaltung von als historisch bedeutsam betrachteten Orten liegen auf dem Mitdenken von Verweisen auf vergangene Geschehnisse.
Seine theoretischen Ausführungen konkretisierte Cordes anhand bereits realisierter Erinnerungslandschaften und künstlerischer Interventionen wie etwa der „Hommage an Walter Benjamin“, einem von Dani Karavan im Jahre 1994 in der spanischen Stadt Portbou geschaffenen Gedenkort und dem von ihm 1999 entworfenen „Garten der Erinnerung“ im Duisburger Innenhafen. Des Weiteren wurden das von Architekten, Landschaftsarchitekten und Designern realisierte „Museum und Park Kalkriese“ wie auch studentische Arbeiten zu einer landschaftsarchitektonischen Gestaltung der Rüstungsrelikte an der Unterweser in die Betrachtung einbezogen.

Auf diese Überreste konzentrierten sich im nachfolgenden die Vorträge aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Die Historikerin Katharina Hoffmann (Denkort Bunker Valentin) beschrieb den historischen Kontext der nationalsozialistischen Rüstungsprojekte, die sich auf die Landschaft der Region Unterweser-Lesum ausgewirkt haben. Dabei handelte es sich um den Bau von zwei Treibstofflagern und das Projekt einer verbunkerten Montagefabrik der Bremer Vulkan-Werft in den Jahren 1943 bis 1945 für den neu entwickelten U-Boot-Typ XXI. Die Kosten der U-Boot-Werft waren mit 120 Mio. RM veranschlagt. Bei Kriegsende war der Bunker zu 90% fertig gestellt. Alle Rüstungsprojekte wurden auf der Grundlage eines zeitgenössischen, hohen technischen Know-hows durchgeführt und waren auf das Engste mit dem nationalsozialistischen Rassismus verbunden. Die Großbaustelle Valentin auf bremischen Gebiet war mit einem riesigen Lagerkomplex verknüpft, das sich heutzutage auf zum größten Teil niedersächsischem Gelände befindet und ca. 21 km² umfasst. Zugleich haben Nachnutzungen, Anpflanzungen und nicht bewusst gestaltete Vegetationsprozesse gleichfalls Effekte erzeugt, die das Landschaftsbild veränderten. Seit den 1960er Jahren nutzt die Bundeswehr einen Teil des Bunkers als Depot, die Spuren ehemaliger Lagerstandorte befinden sich heute auf einem Truppenübungsplatz. Seit Ende der 1980er Jahre sind Erinnerungszeichen in Bunkernähe und an Lagerstandorten installiert worden. Seit einigen Jahren hat eine intensive Diskussion um die Gestaltung eines Erinnerungsortes begonnen, der sich auf den Kontext von Marinerüstung und Zwangsarbeit konzentriert. Nach einem Beschluss des Bundesministeriums für Verteidigung soll das Bundeswehrdepot im Bunker bis 2010 geschlossen werden. Es steht somit die Frage an, wie dieses Objekt zukünftig genutzt werden soll, und in welcher Weise auf die mit dem Rüstungsprojekt verwobene Zwangsarbeit verwiesen werden kann.

Dietrich Hagen (Oldenburg) nahm in seinen Ausführungen die Geschichte der Landschaft der Schwaneweder und Neuenkirchener Heide in den Blick, wo Treibstofflager errichtet wurden und sich zudem Lagerstandorte befanden. Sein Rückblick auf die geologische Entwicklung der Region, die damit verbundene Ansiedlung von Fauna und Flora und die Nutzung durch den Menschen verdeutlichte die Entstehung einer Kulturlandschaft, die vor allem im 20. Jahrhundert einem schnellen Wandel unterlag. Die Schwaneweder und Neuenkirchener Heide steht für einen in Norddeutschland gut vertretenen Landschaftstyp, die anthropogene Heide, deren Erscheinungsbild mittlerweile verändert ist. Große Flächen sind naturverjüngt-verwildert oder aufgeforstet, u.a. zur Tarnung der in den 1930er Jahren entstandenen unterirdischen Treibstofflager und Produktionsanlagen. Heideflächen sind heute vor allem dort anzutreffen, wo die Bundeswehr auf dem Truppenübungsplatz im Bereich der Neuenkirchener Heide den Boden mit Kettenfahrzeugen regelmäßig befährt. Hagen betonte, dass der Begriff Kulturlandschaft impliziert, dass es sich um ein „künstliches“, historisch aufgeladenes Objekt handelt. Ereignisse, die sich hier zugetragen haben, sind zwar aktuell-archäologisch noch sichtbar, aber schon für viele interpretationsbedürftig.

Josef Müller und Heinrich Kuhbier (beide Bremen) konkretisierten in ihrem Vortrag „Besiedlung einer ‚Fels-Insel’ im Flachland“ die Entwicklung der Flora auf dem Bunkerbeton. Sie hatten das Bunkerdach in den 1990er Jahren erstmals betreten und dabei festgestellt, dass sich auf dem ursprünglich lebensfeindlichen Untergrund eine Vegetationsvielfalt entwickelt hatte. In dem von ihnen beobachteten Zeitraum von 1996 bis 2006 hielt sich die Artenzahl der Blütenpflanzen mit 98 Arten konstant. Ein Drittel aller 1996 gefundenen Arten existierte zehn Jahre später nicht mehr, sie waren durch Neubesiedler ersetzt worden. Müller und Kuhbier kamen zu dem Schluss, dass der Bunker als isolierte „Fels-Insel im Flachland“ eine erstaunlich reiche Struktur- und Habitatvielfalt biete, an der Besiedlungsprozesse und Überlebensmechanismen beobachtet werden können. Ergänzend verwiesen sie auf die Bebachtungen des Biologen Ulf Rahmel zur Tierwelt. Der Bunker zählt zum einen zu den arten- und individuenreichsten Fledermausquartieren in Norddeutschland, zum anderen ist er sowohl im Inneren als auch auf dem Dach ein häufig genutzter Vogelbrutplatz. Ihre Ausführungen machen deutlich, dass hier Entwicklungen stattgefunden haben, wie sie auch in den Betonruinen des sogenannten Westwalls anzutreffen sind.

J. Seipel (Oldenburg) konzentrierte sich in ihrem Beitrag auf die filmische Dokumentation des Großbauprojekts Bunker Valentin, die im Nachlass des Bauleiters Marinebaurat Hans-Joachim Steig erhalten blieb und heute im Bundesfilmarchiv Berlin archiviert ist. Ausschnitte sind zwar bislang in Filmproduktionen verwendet worden, aber das Gesamtmaterial war bislang wenig bekannt. Dabei handelt es sich um mittlerweile vom Bundesfilmarchiv auf Video-VHS umkopiertes Filmmaterial in der Länge von 102 Minuten, das höchstwahrscheinlich in den Monaten August bis Oktober 1944 aufgenommen wurde. J. Seipel hat den Film für die „Stiftung niedersächsische Gedenkstätten“ gesichtet, beschrieben sowie eine erste Analyse und Interpretation vorgenommen. Demnach können die Aufnahmen als „typische“ dokumentarische Bilder und Narrationen des Nationalsozialismus interpretiert werden. Die dem Projekt inhärente Zwangsarbeit wird zum „Verschwinden“ gebracht, die Überwachung der Arbeiter kommt kaum ins Bild. Es wird vielmehr das Bild eines funktionierenden Organismus hergestellt, der aus Arbeit, Arbeitern und Maschinen, Planung, Kontrolle und Ausführung besteht, und in die Landschaft eingebettet, die ihn umgibt. Baustelle und der Bunker erscheinen damit auch als Teil der Landschaft, eine Verbindung von Natur und Technik wird konstruiert. Die Trennung zwischen Mensch, Natur, Landschaft, Bauwerk und Technik löst sich auf. Baustelle und Bunker können als Teil des „Volkes“ und des „Volkskörpers“ gedeutet werden, sie repräsentieren Schutz vor den Einwirkungen des Krieges in der Heimat, sind aber zugleich Teil der Kriegsmaschinerie.

Nicole Mehring (Oldenburg) konzentrierte sich in ihrem Vortrag auf die symbolischen Bedeutungsebenen von Erinnerungslandschaft, Bunkerarchitektur und angrenzender Landschaft mit ihren Spuren des Lagerkomplexes. Damit stehen implizite Bilder und Vorstellungen in ihrer Verschränkung mit spezifischen Natur- und Technikbildern im Blickpunkt. Nach ihren Beobachtungen wird die Bunkerarchitektur in der bisherigen Erinnerungskultur als „starkes Zeichen“ reaktiviert. Beeindruckt wird der Besucher zunächst durch die monumentale Architektur, die Präsentation von technischen Daten zum Bunkerbau unterstützt Deutungsmuster, die auf die Funktionalität der Großbaustelle und des Bunkers als rationelle Montagewerft rekurrieren. Während der Bunker als ein kompakter Erinnerungsspeicher bezeichnet werden kann, müssen die Orte der Lagergeschichte erst durch das Begehen des Geländes aufgespürt werden. Wichtige und aussagekräftige Orte sind durch Erinnerungszeichen markiert – bildsprachliche Mittel, erläuternde Schrifttafeln, räumliche Arrangements. Während der Bunker als Symbol für die absolute funktionale Organisation des Raumes gelesen werden kann, verweisen die Erinnerungszeichen in der Landschaft auf die Natur als sinnstiftendes Bildelement des Erinnerungs- und Gedenkdiskurses. Die Geschichte von Opfern in diesem Rahmen sichtbar zu machen, hat in der westlichen Erinnerungspraxis Tradition. Wie diese Dichotomie von starken und schwachen Zeichen zukünftig gebrochen werden kann, ist ein noch weitgehend ungelöstes Problem.

Schwache Zeichen, im Sinne der Ausführungen von Nicole Mehring, waren Gegenstand der Ausstellung „Grasnarben“ von Barbara Millies und Harald Schwoerer (beide Bremen). Die Bilder von ehemaligen Lagerstandorten in Norddeutschland entsprechen nicht der gewohnten Ikonographie und können als nicht-erwartete Bilder irritieren, Verbindungen zwischen individuellem und kollektivem Bildgedächtnis werden evident. Damit werden zugleich Fragen nach zukünftigen Erinnerungsformen aufgeworfen. Die Vermittlung wird indirekter, möglicherweise schwächen sich tradierte innere Bilder und Kodierungen ab, wodurch zur Zeit aktuelle Fragestellungen mit dem künstlerischen Mittel der Fotografie aufgegriffen werden: Wie entwickelt sich die künftige Wahrnehmung „authentischer“ Orte? Welche Bedeutung wird ihnen zugewiesen? Welche neuen Zugänge erlauben eine Reflexion über das kollektive Bildgedächtnis?

Symposium und Ausstellung haben den Blick dafür geschärft, dass Erinnerungslandschaften als Zeit-Raum-Konstrukte in kulturelle Gedächtniskonzepte eingebunden sind. Somit unterliegen sie Veränderungsprozessen und sind von kollektiven Deutungsmustern abhängig, die Funktionen und Versinnbildlichungen konturieren. Hinsichtlich der Relikte der nationalsozialistischen Bunkerarchitektur konstatiert Harald Kimpel sehr pointiert: „Ihr Funktionskollaps kompensiert sich durch ihren Denkmalwert; die als standfest gedachte Immobilie kann als Metapher für politische und gesellschaftliche Entwicklungen in Anspruch genommen werden.“1

Will man in diesem Zuweisungsprozess die lange tradierte Denkweise der Gegensatzpaare Natur – Kultur – Technik problematisieren, aufbrechen und lesbar machen, so lässt sich als Tagungsergebnis formulieren, auch darüber zu reflektieren, in welcher Weise so genannte natürliche Vegetationen sichtbare Zeichen komplexer Prozesse sind bzw. welche Bedeutung diesen bei der Konstruktion von gestalteten Erinnerungslandschaften zugewiesen werden kann. Dies impliziert auch ein Nachdenken darüber, in welcher Weise mit vorhandenen starken und schwachen Zeichen umgegangen wird, die unterschiedlich mit „Natur“ verwoben sind. Das eintägige Symposium machte aber gleichfalls evident, dass eine weitere intensive interdisziplinäre Reflexion angebracht ist über Fragen, die bislang in der Gestaltung von Erinnerungslandschaften unterbelichtet sind. In weiteren Diskussionsprozessen wäre es allerdings sinnvoll, die jeweiligen epistemologischen Herangehensweisen deutlicher zu kommunizieren. Dieses Desiderat wurde vor allem bei den Fragen und Diskussionsbeiträgen der Tagungsteilnehmer/innen aus verschiedenen Praxisfeldern (Naturschutz/ Denkmalpflege/Architektur/Gedenkstätten/Museum) deutlich. Eine solche Anforderung sollten sowohl die geplante Publikation der Tagungsbeiträge als auch die Fortsetzung der Diskussion auf einem Symposium zur Gestaltung eines möglichen „Denkorts Bunker Valentin“ im September diesen Jahres in Bremen berücksichtigen.

Anmerkung:
1 Kimpel, Harald, Innere Sicherheit? Fragmente einer Ästhetik des Schwerzerstörbaren, in: ders. (Hg.), Innere Sicherheit. Bunkerästhetik, Marburg 2006, S. 56 ff.)


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