Schlesische Bibliotheken stellen sich vor

Schlesische Bibliotheken stellen sich vor

Organisatoren
Kulturverein für Schlesien und Mähren e.V., Düsseldorf Ratingen-Hösel / Herne
Ort
Ratingen / Herne
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.06.2009 - 27.06.2009
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Von
Gregor Ploch, Grenzüberschreitende Kontakte Polen/Tschechien, Oberschlesisches Landesmuseum; Stephan Kaiser, Direktor der Stiftung Haus Oberschlesien

Unter dem Titel „Ungeteilter Wissenszugang. Schlesische Bibliotheken stellen sich vor“ fand eine internationale Tagung am 26./27. Juni 2009 in Ratingen und Herne statt. Bei der Veranstaltung konnten Bibliotheken aus Polen, Tschechien und Deutschland vorgestellt werden, die sich schwerpunktmäßig der Geschichte und dem Kulturerbe Schlesiens verbunden fühlen. Vertreter aus mehreren schlesischen Städten präsentierten ihre Institutionen oder gaben Überblicke auch zu aktuellen Tätigkeiten in diesem Sammlungsfeld.

Die Tagung bot neue Eindrücke und wies neue Wege. Das deutsche Publikum lernte zuerst einmal die vielfältigen Tätigkeitsfelder unterschiedlicher schlesischer Bibliotheken kennen. Der technologische Umbruch solcher Einrichtungen erfordert derartige Zustandsberichte, um sich auf neue Aufgaben und Lösungsstrukturen einzustellen. Im Vordergrund des Interesses stand die Bestandssituation der schlesienbezogenen Unterlagen, der Silesiaca, die von der jeweiligen Bibliothek in unterschiedlicher Größenordnung und Spezialisierung gesammelt werden. Die deutschen Teilnehmer bekamen einen fundierten Überblick über die Schlesienbestände, die für die private oder berufliche Schlesienforschung nützlich sind, und erfuhren schließlich, welche Möglichkeiten es schon jetzt durch digitale Kataloge und Datenbanken gibt oder in Kürze geben wird. Die Gelegenheit, die Möglichkeiten der elektronischen Suche auf praktische Art gezeigt zu bekommen, besonders durch das Internet, wurde besonders begrüßt.

Nach der Einführung in die Thematik durch den Direktor der gastgebenden Stiftung Haus Oberschlesien wurden zwei Universitätsbibliotheken exemplarisch vorgestellt. Den Anfang machte die Universitätsbibliothek in Breslau, über deren Geschichte, Bestände sowie gegenwärtige und zukünftige Arbeitsfelder die Direktorin, GRAŻYNA PIOTROWICZ (Breslau / Wrocław), sprach. Die Entstehung dieser Institution ist die direkte Folge der Aufhebung der Klöster durch den preußischen Staat im Jahre 1810. Die Klosterschätze wurden von Johann Gustav Gottlieb Büsching gesammelt und nach Breslau versandt. Büsching verfolgte das Ziel der Gründung der Schlesischen Centralbibliothek, was ihm zunächst gelang und welche von 1811 bis 1815 unter dieser Bezeichnung tätig war. 1815 wurde sie zur Universitätsbibliothek umfunktioniert. Der Verlauf des Zweiten Weltkrieges hatte verheerende Folgen für die Bibliotheksbestände, so dass sie nach 1945 komplett neu aufgebaut werden musste. Die Bestände der deutschen Universitätsbibliothek und der alten Städtischen Bibliothek wurden zusammengeführt und um weitere polnische Sammlungen ergänzt. Gegenwärtig gehört die Bibliothek zu den größten in Polen. Einzigartig sind die Bestände der Altdrucke, mittelalterlicher Handschriften, musischer, graphischer und kartographischer Sammlungen, der Schlesisch-Lausitzer Sammlung und generell der Silesiaca. Gegenwärtig verfügt die Bibliothek über 22 Kataloge, die via Internet einsehbar sind. Ein fester Bestandteil dieser Einrichtung ist die Digitale Bibliothek (Biblioteka Cyfrowa), die nicht nur die Bibliotheken untereinander vernetzt, sondern ihre Bestände für Internetnutzer weltweit anbietet.

Sodann wurde die Theologische Bibliothek an der Schlesischen Universität zu Kattowitz vorgestellt. Die Ausführungen der zeitlich verhinderten Mitarbeiterin BOGUMIŁA WARZĄCHOWSKA (Kattowitz / Katowice) wurden dabei verlesen. Die Bibliothek beherbergt Bestände des Schlesischen Priesterseminars, der Erzbischöflichen Diözesanbibliothek zu Kattowitz, die teilweise in die 1920er-Jahre hineinreichen, und weitere laufend erweiterte Positionen. Die Bibliothek zeichnet sich nicht nur durch ihre wertvollen theologischen und interdisziplinären Sammlungen, sondern insbesondere durch die Vielfalt schlesien-, und vor allem oberschlesienbezogener Literatur aus. Daher ist die Bibliothek zu einer bedeutenden Einrichtung geworden, die von Oberschlesienforschern geschätzt wird.

Im zweiten Schritt wurden staatliche und Landesbibliotheken vorgestellt. Zu den polenweit größten und in Schlesien bedeutendsten gehört die Schlesische Bibliothek zu Kattowitz. Der Direktor, JAN MALICKI (Kattowitz / Katowice), stellte die Geschichte der Einrichtung vor, während die stellvertretende Direktorin, die für die Bücherbestände verantwortlich ist, MAGDALENA SKÓRA (Kattowitz / Katowice), von der gegenwärtigen Tätigkeit berichtete. 1922/23 entstanden, ist die Schlesische Bibliothek zugleich die älteste polnische Bücherei in Oberschlesien und erfüllt auch als Woiwodschaftsbibliothek die Aufgabe einer Bildungseinrichtung für die Allgemeinheit. Mit dem 1998 eingeweihten Neubau verfügt die Bibliothek über das modernste und zu den leistungsstärksten gehörige Gebäude Polens. Da sie vom Pflichtexemplarrecht profitiert, sammelt sie alle in Polen herausgegebenen, aber auch zahlreiche fremdsprachige Publikationen, die sich mit Schlesien befassen. Die Einrichtung verfügt ebenso über eine gut ausgebaute Digitale Bibliothek, auf deren Bestände online zugegriffen werden kann.

Für den westlichen Teil Oberschlesiens ist die Öffentliche Woiwodschaftsbibliothek in Oppeln als Bildungseinrichtung zuständig, deren Sammlung zum Teil den nationalen Bibliotheksbestand bildet. In ihrem Vortrag stellte MONIKA WÓJCIK-BEDNARZ (Oppeln / Opole) die Aufgaben dieser zentralen Regionalbibliothek vor. Die Bücherbestände umfassen 380.000 Bände und konzentrieren sich überwiegend auf polnische, deutsche und tschechische Publikationen mit regionalem Bezug. Ein Teil davon (über 8.000 Bände) stammt dabei aus dem Oppelner Franziskanerkolleg. Die Altbestände der Bibliothek werden im Schloss Rogau (Rogów Opolski) gesammelt. Dazu zählen Altdrucke, Handschriften, alte Graphiken ab dem 16. Jahrhundert und alte Landkarten. Da das Schloss über Gästezimmer verfügt, können dort interessierte Forscher eine längere Zeit verbringen. Zur Woiwodschaftsbibliothek gehört auch die Österreich-Bibliothek in Oppeln, die nicht nur deutschsprachige Literatur sammelt, sondern auch Deutschkurse, Bibliotheksführungen, Schultreffen, Lehrertreffen anbietet, Autorenlesungen, Ausstellungen und Tagungen veranstaltet sowie diverse Kulturtage organisiert.

Als Pendant der Woiwodschaftsbibliotheken im polnischen Teil Schlesiens wirkt auf der tschechischen Seite die Mährisch-Schlesische Wissenschaftliche Bibliothek in Ostrau (Ostrava). Die 1951 als Staatliche Studienbibliothek gegründete Einrichtung erhielt 2001 ihre gegenwärtige Form. Für die breite Öffentlichkeit erfüllt sie heute die Aufgabe der kulturellen Bildung und Weiterbildung in der einwohnerstärksten Region der Tschechischen Republik, sie ist aber auch für die Schlesienforscher eine bedeutende Institution, die Silesiaca sammelt. Zu einem wesentlichen Problem gehört bis heute der funktionalistisch ungenügende Standort im Neuen Rathaus zu Ostrau, der nicht nur die Tätigkeit der Bibliothek behindert, sondern zudem aufgrund der unmittelbaren Nähe des Flusses Ostrawitza auch Überschwemmungsgefahren für die Bücherbestände birgt. Wenige Tage vor Tagungsbeginn entschied jedoch der Träger der Einrichtung, das Neubauprojekt einen entscheidenden Schritt voranzubringen. Da die Direktorin LEA PRCHALOVÁ (Ostrau / Ostrava) aufgrund der damit verbundenen organisatorischen Verpflichtungen bei der Tagung nicht erscheinen konnte, wurde die vorher vorbereitete Präsentation der Bibliothek an ihrer Stelle vorgetragen.

Im Anschluss stellte WOLFGANG GLOBISCH (Oppeln / Opole) die Joseph-von-Eichendorff-Caritas-Zentralbibliothek in Oppeln vor, die als deutsch-polnisch-tschechisches Kultur- und Informationszentrum wirkt. Die 2000 vom Oppelner Bischof Alfons Nossol eingeweihte Bibliothek sollte die Funktion einer deutschsprachigen Bücherei in Oberschlesien einnehmen. Da jedoch von Anfang an der Eindruck einer politischen Tätigkeit vermieden werden wollte, wurde entschieden, dass die Einrichtung ihre Tätigkeit unter Trägerschaft der Caritas, und nicht der Verbände der deutschen Minderheit, aufnimmt und zweisprachig geführt wird, wobei ein kleiner Bestandsteil aus tschechischsprachigen Medien besteht. Damit sollte der völkerverständigende Charakter der Bücherei gewährleistet werden. Die deutschsprachigen schlesienbezogenen Bibliotheksbestände sind nicht nur für Germanistikstudenten und Jugendliche, die Deutsch lernen, eine wichtige Quelle, sondern stellen auch für Forscher und private Interessenten eine reiche Fundgrube dar. Zur Bibliothek gehören rund 100 Außenstellen, sogenannte Caritas-Bibliotheken, die vor allem in der ländlichen Umgebung als Bildungsinstitution wirken.

Der letzte Teil der Tagung befasste sich mit dem Schlesienbezug deutscher Bibliotheken. STEPHAN KAISER (Ratingen) präsentierte digitale Volltexteditionen als Forschungsressourcen. Die Digitalisierung alter schlesischer Literatur bietet der breiten Öffentlichkeit die Möglichkeit, auf rare und schwer zugängliche Silesiaca zurückzugreifen. Die Stiftung Haus Oberschlesien hat in den letzten beiden Jahren eine weitgehende Neuerfassung ihrer Druckschriftensammlung vorgenommen. Die zuvor beim Haus Schlesien entstandenen Digitalen Editionen der Schlesischen Güteradressbücher und zum Flusssystem der Oder sowie die Neuherausgabe des ersten Kunstdenkmalinventars von Hans Lutsch wurden als eine Möglichkeit innovativer Verfügbarkeit vorgeführt. Aktuell wird dem direkten, internetbasierten Zugriff auf digitalisierte Volltexteditionen der Vorzug gegeben. Dazu hat die Stiftung Haus Haus Oberschlesien rund 500 Bücher als Verknüpfung in den Verbundkatalog Östliches Europa eingestellt, die mittels spezieller kostenfreier Software bei polnischen Bibliotheken genutzt werden können.

Zum Schluss gab WOLFGANG KESSLER (Herne) einen Überblick über Schlesienbestände in deutschen Bibliotheken und Sammlungen, die deutschlandweit zerstreut und häufig schwer zu überblicken sind. Eine neue Übersicht zu publizieren, stellte sich als wünschenswertes Desiderat heraus. Mit der Vernetzung und durch die gemeinsame Suchoberfläche des Verbundkataloges haben sich in den letzten Jahren die Nachweismöglichkeiten hervorragend entwickelt. Für die direkte Suche treten bedauerlicherweise gute Bibliografien in den Hintergrund, was wiederum die strukturierte Suche erschwert. Schlesienbezogene Bestände sollten zukünftig, so betonte Stephan Kaiser in der Diskussion, nicht zu sehr zentralisiert werden. Eine solide Grundversorgung an verschiedenen inländischen Standorten ist unverzichtbar, um kurze Wege zu bieten und vergleichende Studien zu ermöglichen. Digitalisierungen sollten nur ein Hilfsmittel sein, nicht aber den völligen Ersatz für die gedruckten Bücher bedeuten. Zusammen mit polnischen und tschechischen Einrichtungen sei eine fast vollständige Rekonstruktion der Druckschriften über Schlesien nicht mehr illusorisch. So könnten die Kriegsverluste und die historisch bedingte Zersplitterung der Buchbestände ausgeglichen werden. Kurz skizzierte Kessler die Bestandsgeschichte und Bedeutung von Einrichtungen. Interessante Bestände besitzen aus ihren früheren Funktionen die Deutsche Nationalbibliothek am Standort Leipzig und die Staatsbibliothek zu Berlin (trotz verlagerungsbedingten Verlusten, die sich nicht benutzbar in Krakau befinden), die Deutsche Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft (insbesondere für Jahresberichte von Unternehmen), die Abteilungsbibliothek für Medizin, Naturwissenschaften und Landbau (MNL) der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn mit Sonderbeständen zu agrargeschichtlichen Aspekten Schlesiens und das Institut für Auslandsbeziehungen (IfA) in Stuttgart zum Auslandsdeutschtum der Zwischenkriegszeit. Erwähnenswert sind auch Ortsmonographien, die von der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden gesammelt wurden. Bekannter sind dagegen die in den Nachkriegsjahrzehnten entstandenen Sammlungen beim Kulturwerk Schlesien in Würzburg, im Haus Schlesien in Königswinter und im Haus Oberschlesien in Ratingen. Eher der Grundversorgung in Bezug auf Schlesien dienen die Bestände an einigen Hochschulstandorten (Hannover, Münster, Stuttgart) oder im Haus des Deutschen Ostens (München), im Haus der Heimat (Stuttgart) oder im Gerhart Hauptmann-Haus in Düsseldorf.

Der zweite Tagungstag führte die Teilnehmer zur Martin-Opitz-Bibliothek nach Herne, wo sich der größte Silesiaca-Bestand Deutschlands befindet. Nach der Begrüßung der Tagungsgäste führten Wolfgang Kessler und Hans-Jakob Tebarth (Herne) durch die Einrichtung. Im Anschluss hob BERNHARD KWOKA (Herne) in einem anschaulichen Vortrag die Rolle der Bibliotheken als Dienstleister von Informationsvermittlung hervor. Die Teilnehmer bekamen dabei die Gelegenheit, mittels Katalogen und Datenbanken via Internet die unterschiedlichen Zugangsformen zur schlesischen Literatur in allen verfügbaren Bibliotheksammlungen einzuüben.

Alle Anwesenden konnten eine gute Schlussbilanz ziehen. Die deutschen Teilnehmer bekamen zum ersten Mal die Gelegenheit, einen Überblick über die Tätigkeit der schlesischen Bibliotheken in Polen, Tschechien und Deutschland zu bekommen und zu erfahren, vor welchen Herausforderungen und Aufgaben diese heute stehen. Allen wurde bewusst, dass die moderne Bücherei heute neue Formen der Tätigkeit erschließen muss, um dem schnelleren Informationsumschlag gerecht zu werden. Es genügt heute nicht mehr, dass die Bibliothek der lokalen Bevölkerung Bücher zur Verfügung stellt. Im Internetzeitalter können die Möglichkeiten schneller Informationsverarbeitung sinnvoll genutzt werden, damit die Interessenten weltweit auf digitale Datenbanken zugreifen und sich digitalisierte, sonst schwer greifbare, Publikationen am Computer anschauen können. Seitens der Veranstalter, der Stiftungen Haus Oberschlesien und Martin-Opitz-Bibliothek sowie des Kulturvereins für Schlesien und Mähren, gilt der Dank der Landesregierung Nordrhein-Westfalen für die finanzielle Unterstützung, die diese innovative Tagung ermöglichte.

Konferenzübersicht:

Stephan Kaiser / Gregor Ploch (Ratingen):
Begrüßung der Tagungsteilnehmer und Einführung in die Tagung

Grażyna Piotrowicz:
Die Universitätsbibliothek zu Breslau / Wrocław. Aktuelle und zukünftige Wege

Bogumiła Warząchowska (Kattowitz / Katowice):
Theologische Bibliothek an der Schlesischen Universität in Kattowitz – zwischen Tradition und Moderne. Ausgewählte Aspekte

Jan Malicki (Kattowitz / Katowice):
Der zentrale Informationsdienstleister Oberschlesiens. Die Schlesische Bibliothek in Kattowitz

Monika Wójcik-Bednarz (Oppeln / Opole):
Über die Bedeutung regionaler Wissensvermittlung. Die Öffentliche Woiwodschaftsbibliothek zu Oppeln

Lea Prchalová (Ostrau / Ostrava):
Neue Erkenntnisse und neue Sichten. Die Mährisch-Schlesische Wissenschaftliche Bibliothek in Ostrau

Wolfgang Globisch (Oppeln / Opole):
Die Joseph von Eichendorff – Caritas-Zentralbibliothek in Oppeln: Deutsch-Polnisch-Tschechisches Kultur- und Informationszentrum

Stephan Kaiser (Ratingen)
Digitale Volltexteditionen als Forschungsresourcen. Digitalisierungen schlesischer Publikationen und erweiterte Zugriffsoptionen über den Verbundkatalog Östliches Europa

Wolfgang Kessler (Herne):
Schlesienbestände in deutschen Bibliotheken

Bernhard Kwoka:
Neue Zugriffsmöglichkeiten. Die Bibliotheken als Dienstleister von Informationsvermittlung


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