6. Sitzung des Arbeitskreises "Kleine und Mittlere Unternehmen"

6. Sitzung des Arbeitskreises "Kleine und Mittlere Unternehmen"

Organizer(s)
Arbeitskreis "Kleine und mittlere Unternehmen"; Borgers AG, Bocholt
Location
St. Quentin, Frankreich
Country
France
From - Until
18.09.2009 - 19.09.2009
Conf. Website
By
Christian Reuber, Historisches Seminar, Goethe Universität Frankfurt am Main

Zum diesjährigen Treffen des Arbeitskreises „Kleine und mittlere Unternehmen“, das sich dem Thema „Internationalisierung“ widmete, hatte die Borgers GmbH in ihre französische Auslandsniederlassung nach St. Quentin (Département Aisne), eingeladen. Eröffnet wurde das Treffen mit einem Empfang der Teilnehmer durch Vertreter der Stadt. Daran an schloss sich eine Besichtigung des im Stil der französischen Renaissance erbauten, historischen Rathauses und der annähernd 700 Jahre alten Basilika, deren gotische Architektur noch immer das Stadtbild dominiert. Bei dem Besuch eines deutsch-französischen Soldatenfriedhofs aus dem Jahr 1918 wurde gemeinsam der gerade an den Frontabschnitten der Somme zu Hunderttausenden Gefallenen gedacht. Das Programm des ersten Tages endete mit der Werksbesichtigung der lokalen Borgers-Niederlassung und einem gemeinsamen Abendessen auf Einladung des Gastgebers.

Die Arbeitssitzung am folgenden Tag fand in den Räumlichkeiten der Borgers S.A.S. statt. Die Entscheidung des Unternehmens, an diesem Standort eine Niederlassung zu errichten, markierte zu Beginn dieses Jahrzehnts den Startschuss für eine durchaus erfolgreiche Erschließung eines größeren Gewerbegebietes - eine Entwicklung, die in diesem immer noch sehr stark von der Agrarwirtschaft geprägten Landstrich bis heute eine Ausnahme darstellt. Der Tagungsort veranschaulichte so gewissermaßen die Themen der vier Vorträge der Sitzung. Diese fragten nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Entwicklungen, Möglichkeiten und Notwendigkeiten, die im Verlauf der letzten annähernd sechzig Jahre aus in der Regel regional geprägten kleinen und mittleren Unternehmen international produzierende und handelnde kleine und mittlere Unternehmen gemacht hatten.

ANDREA COLLI (Bocconi Universität, Mailand) zeigte anhand mehrerer Beispiele (Candy-OMEF, Barilla, etc.) typische Entwicklungsmuster in seiner norditalienischen Heimat auf. Ähnlich wie nördlich der Alpen hätten sich besonders in den Regionen der Po-Ebene (Lombardei, Piemont, Emilia-Romagna) nach 1945 familiär geprägte Handwerksbetriebe zu global tätigen Firmen entwickelt. Grundlage der vorgestellten Erfolgsgeschichten bildete die Konzentration auf die jeweilige Schlüsselqualifikation (elektrische Haushaltsgeräte, Getreideprodukte, Schokolade etc.). Mit zunehmendem Wachstum seien die Produktpaletten zwar diversifiziert worden, die Unternehmen seien ihrem Kerngeschäft aber dennoch treu geblieben. Meistens sei der steile Aufstieg in der Nachkriegszeit von einem im besten Sinne als patriarchalisch zu bezeichnenden Unternehmertyp vorangetrieben worden. Die nachfolgende Unternehmergeneration habe deshalb vielfach ein schweres Erbe angetreten: zu den Schwierigkeiten, aus dem Schatten des Senior-Chefs zu treten, seien Auseinandersetzungen unter den Nachfolgern über die „richtige“ Geschäftsstrategie hinzugekommen. Bis in die Gegenwart hinein stelle sich die Integrationsfunktion des gemeinsamen Erbes aber immer wieder als stärker heraus und habe daher – neben dem technischen Know-how – einen wesentlichen Anteil an den Erfolgsgeschichten von Barilla und den anderen Unternehmen.

In seinem Vortrag zur Geschichte der Johann Borgers GmbH, Bocholt, ging THOMAS MAYER (Borgers GmbH, Bocholt) insbesondere auf die Zeit zwischen der Unternehmensgründung 1866 und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs ein. Der Textilverarbeiter sei durch die geographische Nähe zu den Niederlanden von Beginn an im „Auslandsgeschäft“ tätig gewesen. Seiner Geschäftsidee, der Wiederverwertung alter Textilien, sei das Unternehmen trotz seines stetigen Wachstums immer treu geblieben. Nur die Produkte der Abnehmer hätten sich geändert: Habe die Borgers GmbH anfangs unter anderem Polsterwatte für Pferdekutschen produziert, so werden heute – wie in St. Quentin – zum Beispiel Innenverkleidungen von Kofferräumen hergestellt. Als spezialisierter Zulieferer der internationalen Automobilindustrie habe sich das Unternehmen besonders im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts immer mehr den Bedingungen der von den großen Kunden eingeführten „Just-in-Time“-Produktion beugen und seine Produktionsstandorte in der Nähe der großen Automobilhersteller im In- und Ausland ansiedeln müssen. Dies habe zu einer wachsenden Zahl von Standorten - inzwischen 19 - in Europa und den USA geführt. In der annähernd 150-jährigen Unternehmensgeschichte sei es der Familie trotz ähnlicher Probleme, wie sie schon anhand der Beispiele des vorangegangenen Vortrags deutlich geworden waren, gelungen, die Geschäftsführung bis zum heutigen Tage in ihren Händen zu behalten.

JÖRG LESCZENSKI (Goethe Universität, Frankfurt) widmete sich in seinem Beitrag einem ganz anderen Beispiel international tätiger Familienunternehmen: dem Handelshaus Illies in Hamburg. Trotz einer ebenfalls 150-jährigen Unternehmensgeschichte konzentrierte sich Lesczenski auf die Jahre 1970 bis 2000, in denen die Globalisierung begann, jene Form anzunehmen, in der sie heute existiert. Zuvor habe sich Illies vom Einfuhrspezialisten für deutsche Industriegüter in Ostasien zum Dienstleister für die dortige Abwicklung von Geschäften deutscher Unternehmen entwickelt. Ab den 70er-Jahren hätten jedoch viele Kunden begonnen, eigene Dependancen vor Ort zu errichten und Illies dadurch die Geschäftsgrundlage entzogen. Dieser Trend habe sich zunehmend verstärkt, so dass Illies zum Handeln gezwungen gewesen sei. Dies habe man auf zweierlei Weise getan: Auf der einen Seite habe das Unternehmen begonnen, Niederlassungen in weiteren Ländern zu eröffnen und so die Beratertätigkeit auf neue Märkte auszudehnen. Auf der anderen Seite habe sich der Betrieb parallel an verschiedenen Investitionsprojekten beteiligt, z. B. an einer Kaufhauskette in Saudi-Arabien. Während letztere Strategie nicht von Erfolg gekrönt gewesen sei, scheine sich das Konzept, als Ansprechpartner für deutsche Unternehmen in wenig erschlossenen Märkten zu fungieren, bis in die Gegenwart zu bewähren. Dabei seien Illies die politischen Umbrüche von und nach 1989 entgegengekommen, da das Unternehmen so die Möglichkeit erhalten habe, sich an zusätzlichen zukunftsträchtigen Märkten zu positionieren, insbesondere in den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR. Illies sei es also gelungen, durch Rückbesinnung auf den traditionellen „Pioniergeist“ seine Attraktivität für die deutsche Exportwirtschaft aufrechtzuerhalten – ebenfalls ohne die Geschäftsführung aus der Hand der Familie zu geben.

Der letzte Vortrag der Sitzung thematisierte schließlich die Internationalisierung der ODU Steckverbindungssysteme GmbH seit 1985. Er unterschied sich von den vorangegangenen Beiträgen vor allem dadurch, dass der Referent, WOLFGANG JACOBI (ehem. ODU-Gruppe, Mühldorf), diese Entwicklung als Geschäftsführer selbst maßgeblich begleitet hat. Ähnlich wie bei der Borgers GmbH habe sich die internationale Expansion der ODU-Gruppe im Wesentlichen in den letzten 25 Jahren vollzogen, allerdings in einem vergleichsweise geringeren Maß. Der Gründung von Produktionsstandorten in den USA (1985) und Großbritannien (1987) sei nach annähernd einem Jahrzehnt mit der Errichtung von fünf weiteren Auslandsgesellschaften (Frankreich, Skandinavien, Shanghai, USA, Rumänien) eine zweite, bis 2006 andauernde Expansionswelle gefolgt. In diesem Zeitraum sei der Umsatz der ODU-Gruppe von einst zehn Millionen Euro Umsatz (1983) auf über siebzig Millionen Euro Umsatz (2007) gesteigert worden. Ebenso rasant sei der Anstieg der Mitarbeiter von weniger als 150 auf mittlerweile 900 weltweit verlaufen. Gleich den übrigen Fallbeispielen konzentriere sich auch die ODU-Gruppe auf ihr Kerngeschäft, die Herstellung von Steckverbindungen. Die Internationalisierung sei also nicht durch Fremdzukäufe oder neue Betätigungsfelder realisiert worden, sondern durch den Ausbau der eigenen Produktvielfalt und Fertigungstiefe. Im Unterschied zu Barilla, Borgers und Illies sei ODU jedoch, obwohl auch noch bis heute zu hundert Prozent in Familienbesitz, von angestellten Managern geleitet worden.

Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Entwicklungen der unterschiedlichen Fallbeispiele traten also zum Ende der Sitzung klar zu Tage: Die Internationalisierung begann vor annähernd vierzig Jahren und hat sich in den letzten zwanzig Jahren noch einmal zusehends beschleunigt. Die Expansionsprozesse wurden durch die internationale Nachfrage nach den Kernkompetenzen der Unternehmen möglich. Dabei ging die Initiative nicht grundsätzlich von den Unternehmen selbst, sondern vielmehr von ihren Kunden im Ausland aus. Die Entscheidung, diesem Drängen nachzugeben, wurde nicht selten erst von einer jüngeren Generation getroffen, die sich dadurch nicht zuletzt auch von ihren – oftmals noch aus der Gründer- bzw. Wiederaufbaugeneration stammenden – Vorgängern emanzipieren konnte. Trotz vieler beeindruckender Jubiläen kleiner und mittlerer Familienunternehmen ist die Zukunft der meisten dennoch mehr als ungewiss. Die Expansion der letzten Jahre hat eine Menge Geld gekostet, das geliehen wurde, als der Begriff „Weltwirtschaftskrise“ noch mit dem Jahr 1929 in Verbindung gebracht wurde.

Konferenzübersicht:

Begrüßung:
Franz Borgers (Borgers AG)

Werner Plumpe (Goethe-Universität Frankfurt am Main)
Thomas Mayer (Johann Borgers GmbH & Co. KG, Bocholt)

Andrea Colli (Universität Bocconi, Mailand):
Family Firms from Local Districts to the World Market (Italy, 1980-2005)

Thomas Mayer (Johann Borgers GmbH & Co. KG, Bocholt):
Internationalisierung - Nichts Neues für einen deutschen Mittelständler wie Borgers Bocholt!?

Jörg Lesczenski (Goethe-Universität Frankfurt am Main):
Das Hamburger Handelshaus Illies in der Globalisierung (1970-2000)

Wolfgang Jacobi (München):
Die Internationalisierung der ODU Gruppe ab 1985

Contact (announcement)

Christian Reuber, Historisches Seminar, Goethe Universität Frankfurt am Main
E-Mail: <reuber@em.uni-frankfurt.de>


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