Am 3. März 2011 fand die 2. Sitzung des Arbeitskreises „Ostdeutsche Unternehmen im Transformationsprozess“ der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V. statt. Im Mittelpunkt stand das Thema „Ostdeutsche Lebensmittelproduktion zwischen Mangelwirtschaft und Marktbehauptung (1939-1995)“. Gastgeber war die KATHI Rainer Thiele GmbH in Halle – der Vorsitzende des Beirates der Firma, Rainer Thiele, eröffnete die Sitzung und führte zusätzlich in den Pausen durch das „Kathineum“, in dem die Geschichte des Familienunternehmens und ältesten Herstellers von Backmischungen in Deutschland präsentiert wird.
In der Einführung erläuterte ANDRÉ STEINER (Potsdam), der mit THOMAS WELSKOPP (Bielefeld) die Sitzung leitete, noch einmal die grundlegenden Ansätze des Arbeitskreises: Dieser wende sich einerseits den Unternehmen im ostdeutschen Raum in den wirtschaftlichen Transformationsprozessen zwischen 1939 und 1995 zu, wobei nach Konsequenzen und Reaktionen im unternehmerischen Handeln, nach Kontinuitäten und Brüchen gefragt werde. Zudem würden die Unternehmen als Akteure in diesen Prozessen behandelt. Dabei knüpfe der Arbeitskreis mit der Thematik seiner zweiten Sitzung an eine populäre Wahrnehmung an, scheint sich doch gerade die ostdeutsche Lebensmittelbranche in der Transformation nach 1989 vergleichsweise erfolgreich behauptet zu haben – dies belegen beispielsweise auch die Privatisierungserlöse der Treuhand AG, die in der Lebensmittelindustrie am höchsten waren. Gleichsam zeige aber das Sitzungsprogramm die Binnendifferenz der Branche auf, würden doch in den Vorträgen vor allem Beispiele aus der Genussmittelindustrie thematisiert, was möglicherweise mehr auf eine tatsächliche Binnendifferenz im Transformationsprozess denn auf individuelle Forschungspräferenzen hindeute.
Im ersten Beitrag thematisierte ULRIKE THOMS (Berlin) „Die Brauindustrie in der DDR und den neuen Bundesländern zwischen 1945 und 1995“, wobei sie einerseits auf die wirtschaftliche Entwicklung der Branche einging, andererseits die soziale Dimension des Themas Alkohol in der DDR vorstellte. Thoms zufolge begann die Herstellung von Bier in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bereits im Dezember 1945 und verzeichnete ab 1949 einen massiven Anstieg. Ab 1955 setzte dann der Prozess der Zentralisierung und Rationalisierung ein, in dessen Folge die Zahl der Privatbrauereinen zurückging, die Zahl der Produktionsstandorte jedoch stabil blieb. 1989 bestanden 15 Getränkekombinate mit etwa 600 Standorten in der DDR. Der Trend der Zentralisierung führte demnach nicht zur Ausbildung von Großbrauereien. Gleichzeitig stellte sich in den frühen 1950er Jahren ein zunehmender Mangel an Erfrischungsgetränken ein, dem die staatliche Planung durch Produktionssteigerung gezielt begegnen wollte. Ein Teil der Kritik der Bevölkerung, die sich etwa im Zusammenhang mit dem 17. Juni 1953 äußerte, betraf allerdings immer auch die Qualität der Getränke, die neben den Quantitäten stets Bestandteil der staatlichen Planungen war. Die Steigerung der Bierproduktion, die in erster Linie durch fehlende Rohstoffe (Hopfen, Malz, Braugerste) gehemmt wurde und der man ab 1955 mit der Abkehr vom deutschen Reinheitsgebot zu begegnen versuchte, richtete sich dabei nach dem steigenden Bedarf. Die Preispolitik des Hopfenprodukts orientierte sich am Grundsatz der „Erhaltung des sozialen Friedens“: Bier erfuhr gleich den Grundnahrungsmitteln eine staatliche Stützung – die Preise halbierten sich zwischen 1950 und 1975. Gleichzeitig entwickelte die DDR-Staatsführung neben der Gestattungsproduktion mit dem Bierexport ein erfolgreiches Aktionsfeld, das kurzfristig Devisen erbringen sollte. Diese Etablierung einiger weniger Exportmarken habe langfristig zum hohen Bekanntheitsgrad einerseits auf dem DDR-Binnenmarkt und andererseits auf dem BRD-Exportmarkt beigetragen. Nach 1989 vitalisierten sich die exklusiven Marken erfolgreich, deckten sie doch im Vergleich zu regional verankerten BRD-Bieren größere Verbreitungsgebiete ab. Ihre „Strahlkraft“ habe daher zur raschen Überführung der Standorte in moderne Produktionsformen und zum Bestand der Markennamen selbst geführt.
Im sich anschließenden Beitrag von DIRK SCHAAL (Leipzig) standen der Nordhäuser Doppelkorn und dessen Etablierung als Traditionsmarke im Mittelpunkt. Schaal datierte deren Wurzeln auf das 18. und frühe 19. Jahrhundert und nannte den Status Nordhausens als freie Reichsstadt sowie deren frühzeitige städtische Reglementierung und Regulierung der Brennerei aus Roggen als begünstigende Faktoren. Allerdings scheiterte eine erste Markenwiederbelebung zwischen 1904 und 1907 – insbesondere der Erste Weltkrieg, die Zwischenkriegszeit wie auch der Zweite Weltkrieg generierten andere Bedürfnisse bzw. brachten zahlreiche staatliche, die Entwicklung der Spirituosenherstellung hemmende Vorgaben hervor. Gleichsam sei aber die Marke, die immer mit der Stadt Nordhausen enggeführt wurde, ideell erhalten geblieben. Nach 1945 kam es dann zu Verstaatlichung und Konzentration, die 1948 in die Gründung des Kombinates VEB Nordbrand mündete. Der Markenkern Nordhäuser Doppelkorn wurde dabei erhalten und zwischen 1953 und 1963 einer ästhetischen und geschmacklichen Erneuerung unterworfen, wobei die Tradition von Produkt und Produktionsstandort stets vorrangiger Bestandteil der Präsentation blieb. Stets hatte dabei die DDR-Staatsführung die konsequente Einstellung des Produkts auf Parameter bundesdeutscher Produktkultur im Blick (Rainer Gries), die auch auf die Marke selbst rückwirkte, waren es doch die westdeutschen importierenden Unternehmen, die den Zusatz „echter“ explizit wünschten. Trotz der Etablierung der Marke in Ost- wie Westdeutschland verzeichnete das Unternehmen zwischen 1990 und 1992 konsumbedingt einen erheblichen Umsatzeinbruch, der jedoch vor allem durch den Einstieg der Eckes AG und die Integration in deren Vertriebsnetz aufgefangen werden konnte. Begleitet wurde diese Umstrukturierung von einer gesamtdeutsch angelegten Werbestrategie (Huhn Henriette), die bewusst nicht mit dem „Ostbonus“ spielte, sondern Tradition und Qualität des Produktes in den Vordergrund hob. Die gezielte „Markenpflege“ seit den 1960er Jahren wirkte sich demnach bei diesem Unternehmen ab 1990 überaus positiv aus.
MONIKA SIGMUND (Hamburg) referierte im Anschluss über Kaffee in der DDR und thematisierte damit eines der wichtigsten Konsumprodukte des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Schließlich habe der Verbrauch von Kaffee bereits vor dem Ersten Weltkrieg erhebliche Bedeutung besessen, erreichte dann aber erst kurz vor dem Zweiten Weltkrieg wieder das Niveau der deutschen Kolonialzeit. Das Produkt, so Sigmund, war aufgrund seines Charakters als Mangelware mit hohen Qualitätsansprüchen verbunden, insbesondere die Substitute in Form von Ersatzkaffee waren in der Bevölkerung mehr berüchtigt denn beliebt. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war reiner Bohnenkaffee ein Schwarzmarktprodukt. Erst 1951 regelte die DDR den Konsum in geringen Mengen. Mit der Aufhebung der Rationierung 1958 wurden dann drei Sorten geschaffen, die als Marken gezielt beworben und deren Qualität zu einheitlichen, stabilen Preisen garantiert wurden. Dabei war der Kaffeeverbrauch in Westdeutschland stets der Gradmesser der ostdeutschen Wirtschaftsorganisation, dessen Erreichen keineswegs eine Erfolgsgeschichte war: Erst 1972 sei es der DDR gelungen, an das Vorkriegsniveau anzuknüpfen. Generell war die Branche stark von den Außenhandelskontakten der DDR abhängig. Gleichzeitig war die Kaffeeverarbeitung im Land technisch schlecht entwickelt und dementsprechend gar noch mehr auf Importe angewiesen. Diesen Mangel suchte die DDR-Führung 1977 durch eine partielle Rückkehr zur Substitutwirtschaft zu kompensieren – was die Bevölkerung wenig erfreut aufnahm: Die als „Kaffeekrise“ bezeichnete Einführung eines „Kaffee-Mix“, der dem Vorbild eines westdeutschen Herstellers folgte, wurde mit Eingaben und Protestbriefen beantwortet. Surrogate wurden nach wie vor mit Krisen und der Nachkriegszeit verbunden, sie passten offensichtlich nicht zur Wahrnehmung des Lebensstandards bzw. zum ‚Lebensgefühl‘ der 1970er Jahre. Die Antworten der DDR-Führung zeigten keinen Erfolg: Der gezielt forcierte Kaffeeanbau im RGW-Staat Vietnam zahlte sich zu spät, erst am Ende der 1980er Jahre aus. Zudem erfolgte ein Ausbau des kostenintensiveren Delikat-Sortimentes, das sich vor allem optisch an die bekannten westdeutschen Produkte anpasste. Diese Entwicklung habe nicht zuletzt dazu beigetragen, dass die Nachfrage nach ostdeutschen Kaffeeprodukten ab 1990 de facto nicht mehr gegeben war. Die ab 1958 generell zu beobachtende Westorientierung der Produktpräsentation wirkte sich hier überaus negativ aus. Die Renaissance bestimmter Kaffeemarken in der Mitte der 1990er Jahre erfolgte dann stärker unter dem Einfluss der „Ostalgie“ – das Produkt trug lediglich den bekannten Namen und hatte die entsprechende Verpackung, Inhalt und vor allem auch Produktionsort hatten aber nichts mehr mit der eigentlichen DDR-Produktgeschichte gemein.
KLAUS EPPERLEIN (Köthen) widmete sich mit seinem Vortrag dem Saale-Unstrut-Wein und dessen „Erfolgsfaktoren für den Aufschwung seit 1990“. Epperlein versuchte mit dem systematischen Zugriff über die fünf Faktoren Marke, Identität, Emotion, Professionalisierung und Qualität die Entwicklung der Weinregion zu charakterisieren. Er sah vor allem den Faktor Marke durch die Vorgeschichte der DDR beeinflusst, denn das Gebiet war eines der wenigen Weinbaugebiete der Republik. Generell war Wein in der Konsumlandschaft der DDR eine stark subventionierte Mangelware, was nicht zuletzt die Qualitätszuschreibung beeinflusste. Nach 1990 sei die Marke dann eng mit der Region verknüpft worden, das Prädikat „natürlich“ stand für die Wälder und Schlösser des thüringischen Saaletales. Der Faktor Identität war vor allem durch die regionale Produktion bedingt, wobei es gelang, die Zuschreibung „nördlichstes Weinbaugebiet Deutschlands“ erfolgreich zu platzieren. Auf der emotionalen Ebene knüpfte man ebenfalls an die Wahrnehmung in der DDR an, in der Wein aus der Saale-Unstrut-Region als Qualitätsware einer Weinregion wahrgenommen wurde. Die „flüssige Ostalgie“ wurde ergänzt durch den Wert der handwerklich-bäuerlichen bzw. nicht-industrialisierten Produktion. Der Faktor Professionalisierung wirkte sich auf die Weinproduktion besonders positiv aus: Die Übernahme marktwirtschaftlicher Prinzipien und Modernisierung (Logistik, Lagerung, Vermarktung) machten das Produkt Saale-Unstrut-Wein schnell attraktiv und verbreiteten es. Der Faktor Qualität schien dann neben dem Faktor Marke als zentral für den Erfolg des Produkts: Schließlich setzten die Winzer der Region gezielt auf die Qualität ihrer Produkte, die sie so auch bewarben. Darüber hinaus positionierten sie sich in Nischen der Branche, womit sie feste Kundenstämme generierten. Die erhaltene Wahrnehmung und schließlich die gezielte Vermarktung der Zuschreibung Weinregion wirkte sich hier positiv auf den Absatz der Produkte des Gebietes Saale-Unstrut aus.
Abschließend referierte PAVEL SZOBI (Prag) über „Die Rolle der Intershops am Beispiel des Kaffeehandels“, wobei er sich vorrangig auf die Entwicklung und Bedeutung der Verkaufsstellen für westdeutsche Produkte in der DDR konzentrierte. Ausgehend von der Frage, inwieweit die DDR überhaupt eine Konsumgesellschaft war, stellte Szobi die These auf, dass der Konsum in der DDR vorrangig dem Westen „nachgemacht“ worden sei, was er durch die 1953 erfolgte Formulierung des Konsums von Lebensmitteln als staatliches Ziel bestätigt sah. Dem folgend skizzierte Szobi den Anstieg des Warenangebots in den 1960er Jahren, der mit einem Anstieg der privaten Ausgaben für Genussmitteln wie Tee, Süß- und Backwaren sowie dem von Monika Sigmund dargestellten gesteigerten Kaffeekonsum einher ging. Allerdings war der Import solcher Waren stets mit Devisenknappheit belastet, die 1962 zur Etablierung der Intershops führte. Vorrangiges Ziel dieser Verkaufsstellen war der Erwerb von Devisen (Deutsche Mark und andere konvertible Währungen) – ein Konzept, das auch in anderen Staaten im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) zu finden war. Gleich den Interhotels waren diese Einrichtungen anfangs nur für Transitreisende konzipiert, denen ihr am westlichen Standard orientierter Konsum auch in der DDR ermöglicht werden sollte. Allerdings erweiterte sich das Käuferklientel rasch auf die DDR-Bürger, denen ab 1965 offiziell der Einkauf in den Intershops erlaubt war. Gerade diesem Einblick der ostdeutschen Bevölkerung in die westdeutsche Warenwelt wohnte eine destabilisierende Dimension inne, auf die auch Monika Sigmund hinsichtlich der in den sogenannten Westpaketen enthaltenen Konsumprodukte hinwies: Denn neben den Konsummöglichkeiten in der BRD erhielten sie auch einen Eindruck vom Wert der Sendungen ihrer Verwandten und der Freude im westlichen Teil Deutschlands. Die Intershops entwickelten sich immer mehr zu einem „Devisenbringer“ der DDR, da der Hauptanteil der Konsumenten DDR-Bürger waren. Dem „blinden Fleck“ des Devisenbesitzes begegnete die DDR-Führung erst 1973, als sie diesen offiziell erlaubte. Mit den 1979 eingeführten „Forumschecks“ suchte sie dann aber schneller und direkter in Besitz der westlichen Währungen zu kommen. Szobi wies in diesem Zusammenhang nachdrücklich auf die Dimensionen der Gestattungsproduktion der DDR hin, die in den Intershops eine eigene Qualität erreichte: Westdeutsche Unternehmen ließen preiswert Produkte in der DDR herstellen, die dann lediglich mit dem westlichen Markenlabel versehen auf den westlichen Markt gelangten. In den Intershops wurden diese Produkte aber auch an ostdeutsche Konsumenten verkauft, die das gleichwertige Produkt – etwa Cremes der Firma Nivea, die von Florena hergestellt worden waren – auch im regulären Einzelhandel der DDR hätten erwerben können. Der rege Zuspruch der DDR-Bevölkerung zu den Intershops beeinflusste dann noch stärker die Etablierung höherwertiger Produkte und Verkaufsstellen: Delikat-Geschäfte sollten beispielsweise jenen Einkauf von Qualitätsprodukten ohne Devisen ersetzen.
In der Abschlussdiskussion wurden die weiteren Schritte des Arbeitskreises besprochen, die vor dem Hintergrund der gehaltenen Vorträge mehrere Perspektiven haben: Einmal sei die Branchendifferenz deutlich geworden, die verschiedene Konzepte des Reagierens und Agierens offenlege. Dies weiter zu systematisieren erschien den Diskutanten sinnvoll – innerhalb der Lebensmittelbranche ebenso, wie erweitert auf andere Branchen. Zudem soll dem Aspekt der doppelten Transformation in Zukunft mehr Gewicht gegeben werden, wiewohl sich vor allem nach 1989 die Frage nach unternehmerischen Organisationsformen und deren Erfolgsaussichten im Transformationsprozess stelle. Gerade der Vergleich dieser Transformationsmuster erscheine vor dem Hintergrund des Vergleichs mit anderen ehemaligen RGW-Staaten Erfolg versprechend. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass eine stärkere Einbindung der Unternehmergenerationen, die die Transformationsperioden erlebt und aktiv gestaltet haben, sinnfällig sei – jenseits des nach wie vor durch Schutzfristen bestimmten Erkenntnisgewinns in den Archiven liege hierin ein möglicher Zugang vor allem zur wirtschaftlichen Transformation nach 1989.
Konferenzübersicht:
Begrüßung: Rainer Thiele, Vorsitzender des Beirats der Kathi Rainer Thiele GmbH
André Steiner / Thomas Welskopp, Leiter des Arbeitskreises
Ulrike Thoms (Institut für die Geschichte der Medizin, Berlin): Die Brauindustrie in der DDR und den neuen Bundesländern 1945-1995
Dirk Schaal (Leipzig): Nordhäuser Doppelkorn – der lange Atem einer Traditionsmarke
Monika Sigmund (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg): Kaffee in der DDR – Ein Genussmittel und seine Krisen
Klaus Epperlein (Hochschule Anhalt, Mitteldeutsches Institut für Weinforschung): Saale-Unstrut-Wein: Erfolgsfaktoren für den Aufschwung seit 1990
Pavel Szobi (Wirtschaftsuniversität Prag): Die Rolle der Intershops am Beispiel des Kaffeehandels