HT 2023: City Branding: Urbanity and the Construction of City Images in Europe and South Asia

HT 2023: City Branding: Urbanity and the Construction of City Images in Europe and South Asia

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) (Universität Leipzig)
Ausrichter
Universität Leipzig
PLZ
04107
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
19.09.2023 - 22.09.2023
Von
Heinrich Lang, Max Weber Kolleg, Universität Erfurt

In seiner Einleitung schlug MARTIN CHRIST (Erfurt) das Konzept „City Branding“ als überepochales und transregionales Forschungsparadigma vor. Dabei geht es vor allem um den durch rituelle und zeremonielle Verfahrensweise zur Darstellung gebrachten Selbstbildentwurf, der zwischen Identitätsbildung und Illusion im Wandel der Zeit oszilliert. Grundsätzlich stellt sich, so Christ, die Frage danach, wer sich des „branding“ annimmt und wer es kommuniziert.

In ihrer Einleitung verschob SARA KELLER (Erfurt) den Akzent leicht auf das Narrativ aus Sicht einer Stadt, wenn die Traditionsbildung wie durch Münzprägung gezielt gesteuert wird. Eine Schlüsselfunktion komme in diesem Sinne der städtischen Geschichtsschreibung in diachroner Analyse zu. Sie unterstrich die Bedeutung von Fall- und Vergleichsstudien wie derjenigen Pius Malekandathils, der die religiösen und urbanen Selbstbilder Goas unter der Habsburger Herrschaft (1580-1640) diskutiert.

Insbesondere am Beispiel des mittelalterlichen Roms zeigte MATEUSZ JAKUB FAFINSKI (Erfurt) die Mehrdimensionalität der Lesbarkeit von Städten als Inbegriff des City Brandings. Wenn Städte als Texte begriffen werden, so argumentierte Fafinski mit David Lynch („cities’ dynamic change from network“), würde auf diese Weise städtischer Raum generiert. In mittelalterlichen Texten habe die Stadt Rom Einschreibungen erhalten, die sowohl auf die römisch-kaiserliche Vergangenheit Bezug nähmen als auch auf die Bedeutung der Stadt als Zentrum der Christenheit – im Prinzip eine Darstellung, die bis heute eine virulente Gültigkeit hat. Zum einen habe es Pilgerführer gegeben, deren kartographische Qualität in ihrem Itinerar bestand, zum anderen hätten Reiseberichte eben diese verräumlichte Wahrnehmung der Stadt aufgegriffen. Die als Illustrationen in den kodikologischen Text eingefügten Miniaturen reduzierten die Stadt auf ihre wesentlichen (monumentalen) Elemente.

Der Historiographie der kleineren südwestdeutschen Reichsstädte wandte sich SIMONE WAGNER (Potsdam) zu. Sie argumentierte, dass die Elemente des Städtelobs zu einem lebendigen und ortsspezifischen Narrativ zusammengesetzt wurden. Vor allem im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts erfanden Städte wie Lindau und Kempten den Vorbildern Augsburg sowie Nürnberg folgend ihre eigene Historizität, die sich auf einen römischen Gründungsmythos und eine spätere kaiserliche Wiedergründung bezogen. Dabei spielten Kirchen aufgrund ihrer Nähe zum Heiligen sowie Gelehrteneinrichtungen die Rolle wesentlicher Bezugsgrößen. Kaufleute aus Lindau brachten die Vorstellungen der herausgehobenen Stellung Venedigs aus dem Süden mit und übertrugen diese auf ihre Heimatstadt am Bodensee – wobei in Frage steht, wie die Städter oder auswärtige Besucher dieses Bild bewerteten.

Bei ihren Beobachtungen zur städtischen Historiographie als Medium der Entwicklung eines spezifischen Selbstbewusstseins nutzte CARLA MEYER-SCHLENKRICH (Münster) das Konzept des City Brandings zur konstruktiven Vermeidung des Essenzialismus’ der Identität. Im deutschsprachigen Zusammenhang waren das 15. und 16. Jahrhundert die entscheidenden Momente zur Formulierung kollektiver Stadtselbstbewusstsein vermittels historiographischer Entwürfe. Tatsächlich knüpft die Forschung an den zu Beginn der Frühen Neuzeit entwickelten Städtedarstellungen durch einen städtebiographischen Ansatz (vgl. Edith Ennen1) an, was auch für die zahlreichen Editionsprojekte in diesem Bereich gilt (vgl. Karl Hegel2).

SANJAY SRIVASTAVA (London) bildet mit seinen anthropologischen Forschungen zum aktuellen New Gurgaon/Gurgram in der indischen Provinz Haryana einen Gegenblick aus der Perspektive des hoch-technologischen und “modernen” Indiens im Sinne des City Brandings zum europäischen Mittelalter bzw. der Frühen Neuzeit. Bei dem systematisch erschlossenen, ehemals armen Stadtteil Gurgrams handelt es sich um ein auf “privater“ Initiative basierendes Urbanisierungsprojekt („privately developed city“), in dessen Zuge seit den 1980er Jahren internationale Immobilienfinanzierungsgesellschaften eine großflächig angelegte Erwerbung von Ackerland zur Errichtung neuer urbaner Flächen betrieben. Dabei schob sich ein „technological branding“ vermittels eines globalen Urbanismus in ländliche Regionen vor. Seit den ersten Jahren des neuen Millenniums operiert besonders globales Finanzkapital in New Gurgaon. Ein bemerkenswertes Element dieser Vorgehensweise liegt darin, dass die ursprünglichen Eigentumsverhältnisse der Gegend unklar sind und kein jüngeres Kartenmaterial vorhanden ist. Daher wird die traditionelle Kartographie mit digitalen Methoden der Geospazialisierung überschrieben. Die letzten Kampagnien des Landerwerbs durch die internationalen Immobilienfinanzierer führte zur unverhältnismäßigen Bereicherung einer einst verarmten Landbesitzerkaste, die zudem eine neu gestärkte soziale Hierarchie unter prägnant maskulinen Vorzeichen hervorgebracht hat (gender bio-politics).

Mit einem weiteren indischen Fall rundete PRALAY KANUNGO (Leiden) die Sektion ab. Die Hauptstadt des ostindischen Bundesstaates Odisha, Bhubaneswar, verkörpert den Traum des einstigen Ministerpräsidenten Nehru, dem die Entstehung post-kolonialer Regierungssitze vorschwebte. Hierbei verband man die „moderne“ Infrastruktur (Flughafen, Bahnhof, Regierungs- und Amtsgebäude etc.) mit den traditionellen Bauwerken (wie Tempelanlagen). In Bhubaneswar war zunächst der Deutsche Architekt Otto Königsberger aktiv, im Jahre 1948 waren immer noch eine Reihe deutscher Stadtplaner am Großprojekt einer post-kolonialen Hauptstadt beteiligt. Die repräsentativen Gebäude sollten eine eigene Symbolik generieren, die unter dem Signum von „Smart City“ in die Gegenwart überführt werden soll.

In ihrem Schlusswort unterstrich SUSANNE RAU (Erfurt) die spezifische Selbstwahrnehmung einer Stadt durch ihre Einwohnerschaft, schließlich seien Städte nicht mit unvoreingenommenem Blick anzusehen. Auch stelle sich stets die Frage, was eigentlich mit einem City Branding erreicht und wer angesprochen werden soll. Gerade im Fall von New Gurgaon zeige sich, dass man besonders globale Investitionen anlocken will. Auch seien die Methoden des City Brandings weltweit historisch gewachsen und daher verschieden.

In der Diskussion wurde vor allem die Anwendbarkeit des „kapitalistischen“ Konzepts des „City Branding“ hinterfragt bzw. die Überlegung angestellt, inwieweit City Branding überhaupt genuin kapitalistisch ist. In diesem Zusammenhang wurde auch darauf hingewiesen, dass City Branding ein Spiel mit Emotionalitäten bedeutet. Ein weiterer Aspekt war die vergleichsweise wenig beachtete Bedeutung des Wettbewerbs unter verschiedenen Städten, die mit einem Branding beschäftigt waren (sind). Schließlich wurde mit Blick auf die „modernen“ Städte hervorgehoben, dass man von „super identities“ sprechen müsste, weil insbesondere in den letzten dreißig Jahren die Urbanität selbst zum Gegenstand des City Brandings geworden sei. Ergänzend ließe sich untersuchen, inwieweit das Konzept „City Branding“ nicht vor allem bestimmte Formen der „Selbstvermarktung“ in der Gegenwart bezeichnet, während die traditionell als „Stadtbild“ bezeichnete Selbstformulierung weniger um auswärtige Großinvestoren oder Massentourismus warb. Welche Rolle spielte die Selbstdarstellung einer Stadt etwa als Messestadt, um auswärtige Kaufleute anzulocken und den Herrscher zur Vergabe von Messeprivilegien zu motivieren? Welche Formen der Selbstdarstellung wurden gewählt, wenn man an Konkurrenzsituationen wie zwischen den Lyoner Messen und den Bisenzone-Messen denkt? Die doppelte Perspektive, die Mateusz Jakub Fafinski vorschlug, zwischen räumlicher Konstruktion und Einschreibung durch Reiseführer und Reiseberichte scheint hierbei ein besonders lohnenswerter Ansatz zu sein.

Sektionsübersicht:

Martin Christ (Erfurt): Introduction I

Sara Keller (Erfurt): Introduction II

Mateusz Jakub Fafinski (Erfurt): Parchment Cities: Representations of Urban Space in Early Medieval Manuscripts

Simone Wagner (Potsdam): Depicting other Cities. City Branding in the Historiography of South-West German Towns

Carla Meyer-Schlenkrich (Münster): Who shapes the brand? Reflections on Urban Historiography as a Medium of Communal Self-Reassurance between the Middle Ages and Modernity

Sanjay Srivastava (London): Techno-politics: The Material and Political Life of Technology as a Brand in ‘New’ Gurugram, Haryana, India

Pralay Kanungo (Leiden): Brand Bhubaneswar: A Blend of Tradition with Modern

Susanne Rau (Erfurt): Concluding Remarks

Anmerkungen:
1 Edith Ennen, Geschichte der Stadt Bonn, Teil 2, Bonn 1962.
2 Vgl. Karl von Hegel, Die Entstehung des deutschen Städtewesens, Aalen 1964, Neudr. d. Ausg. Leipzig 1898.

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