Jüdische Friedhöfe in Deutschland zwischen Antisemitismus und Prävention

Jüdische Friedhöfe in Deutschland zwischen Antisemitismus und Prävention

Organisatoren
Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen
Veranstaltungsort
Alte Synagoge in Essen; Steinheim-Institut in Essen
Förderer
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
PLZ
45127
Ort
Essen
Land
Deutschland
Fand statt
Hybrid
Vom - Bis
05.03.2024 - 07.03.2024
Von
Helge-Fabien Hertz, Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen

Über 2.000 jüdische Friedhöfe bilden den ältesten und geschlossensten Bestand jüdischer Kulturdenkmäler in Deutschland. Sie nehmen daher einen zentralen Platz im deutschen Kulturerbe ein. In kleinen Orten ist der Friedhof nach der Shoa oft die einzig sichtbare Erinnerung an die lokale jüdische Geschichte. Übergriffe zeigen jedoch, dass die jüdischen Friedhöfe verletzliche Orte sind. Die Angriffe richten sich dabei nicht nur gegen die Grabsteine an sich, sondern ausdrücklich gegen alle Jüdinnen und Juden – gegen die toten und gegen die lebenden. Im Rahmen der Tagung standen sowohl die Erforschung von Schändungen jüdischer Friedhöfe in Deutschland, ihren Folgen sowie die Frage nach dem Schutz dieser Orte im Fokus als auch Möglichkeiten und Grenzen der Einbindung jüdischer Friedhöfe in die präventive Vermittlungsarbeit der Schul- und Erwachsenenbildung. Darüber hinaus wurde beleuchtet, welchen Stellenwert jüdische Friedhöfe in der Erinnerungskultur einnehmen, wer diese Erinnerungsarbeit leistet und welches Entwicklungspotenzial in diesem Bereich besteht. Ein weiterer Schwerpunkt war Projektberichten von lokalen Initiativen und Ehrenamtlichen aus der Praxis sowie der Vernetzung gewidmet.

Nach Begrüßung durch DIANA MATUT (Alte Synagoge in Essen), LUCIA RASPE (Steinheim-Institut) und SUSANNE KLEMM (Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege) leitete HELGE-FABIEN HERTZ (Essen) die Tagung mit einer Vorstellung des Verbundprojekts „Net Olam. Jüdische Friedhöfe im Fokus von Antisemitismus und Prävention“1 ein, in dessen Rahmen die Tagung stattfand. Er berichtete von aktuellen Schändungen jüdischer Friedhöfe in Deutschland und zeigte anschließend, wie die Panels der Tagung mit den Zielen des Projekts „Net Olam“ zusammenhängen. Danach führte ULRICH KNUFINKE (Braunschweig) aus Sicht der Denkmalpflege in die Tagung ein. Im Rahmen der Arbeit der „Vereinigung der Denkmalfachämter der Länder“ (VDL) finde derzeit ein bundesweiter Austausch über jüdisches Kulturerbe und dessen Dokumentation, Erhaltung und Vermittlung statt, der von praxisnahen Forschungsprojekten wie „Net Olam“ profitieren könne. Er schloss mit einem Plädoyer für ein Netzwerk für Schutz und Erhaltung der jüdischen Friedhöfe in Deutschland.

Das erste Panel der Tagung nahm Ausmaß, Bandbreite und Erfassung von Schändung jüdischer Friedhöfe in Deutschland seit der Shoa in den Fokus. HELGE-FABIEN HERTZ (Essen) analysierte Rückmeldungen von über 1.400 deutschen Kommunen auf eine Anfrage von Adolf Diamant (1924–2008) aus den Jahren 1978/79 bezüglich Basisdaten und Informationen über Schändungen der jüdischen Friedhöfe. Er betonte den mentalitätsgeschichtlichen Erkenntniswert des Konvoluts, das einerseits einen hohen Grad an Unkenntnis in Bezug auf die jeweiligen jüdischen Friedhöfe und ihre Schändungshistorien seit 1933, andererseits auch mangelnde Bereitschaft erkennen lasse, sich mit diesem kulturellen Erbe intensiver auseinanderzusetzen. Die ungebrochene Kontinuität an Friedhofsschändungen als Ausdruck des fortbestehenden Antisemitismus in Deutschland auch nach 1945 werde in den kommunalen Rückmeldungen nicht erkennbar. ELISABETH SINGER-BREHM (Bamberg) präsentierte anhand von Fallbeispielen den aktuellen Forschungsstand des bayerischen Teilprojekts von „Net Olam“. Sie zeigte, wie Schäden an Grabsteinen gemeinsam mit Archivdokumenten Geschichten von massiver Zerstörung jüdischer Friedhöfe in der NS-Zeit und danach erzählen können, auch wenn diese Schäden heute oft kaum noch sichtbar sind. Zum Abschluss stellte sie die Onlinedatenbank des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege vor, die für die Erfassung jüdischer Grabmäler sowie die Aufnahme und Auswertung von Schändungsschäden konzipiert ist.2

Im zweiten Panel standen jüdische Perspektiven auf Friedhöfe, Bestattungen und Schändungen im Mittelpunkt. STEFANIE FISCHER (Berlin) gab Einblicke in ein Forschungsprojekt, in dem sie jüdische Trauerpraktiken nach der Shoa untersucht. Anhand von Anfragen aus Deutschland geflohener Juden an die jüdischen Gemeinden ihrer Herkunftsorte zeigte sie, wie sich die Angehörigen bereits direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs und noch viele Jahre später um die Grabpflege ihrer nach jüdischem Ritus bestatteten Familienmitgliedern kümmerten. Diese Briefe machten deutlich, wie die Themen Tod und Trauer im Schatten der Shoa, als Millionen von Juden „ein Grab in den Lüften“ hatten (Paul Celan), von der Gemeinschaft der Überlebenden und Hinterbliebenen verhandelt wurden. ULRIKE SCHRADER (Wuppertal) referierte über einen Streit bezüglich einer Restitutionsforderung für ein Friedhofsgrundstück in Wuppertal-Elberfeld. Dabei wurde die juristische Komplexität der Frage nach der Rechtsnachfolge und Verantwortlichkeit jüdischer Gemeinden nach 1945 thematisiert. Der Rechtsstreit, den sie anhand des Schriftverkehrs im Archiv der heutigen Jüdischen Kultusgemeinde rekonstruierte, offenbare eine Spannung zwischen Selbstbehauptung und Pragmatismus einerseits und Unsicherheit, Dissens und Zweifel andererseits. Dies verdeutliche das Spannungsfeld, in dem sich jüdische Gemeinden nach 1945 zwischen Rollenzuschreibungen als moralische Wegweiser und ihrer Funktion als soziale und religiöse Korporationen an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit bewegten. Anschließend skizzierte INNA GOUDZ (Düsseldorf) die Arbeit des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein, der als Erbe der in der NS-Zeit vernichteten Gemeinden Eigentümer von über 150 geschlossenen, verwaisten jüdischen Friedhöfen in der Region Nordrhein ist. Für den Landesverband stellten sich vielfältige Aufgaben etwa hinsichtlich der langfristigen Sicherung der auf Ewigkeit angelegten Gräberfelder, wobei Friedhofsschändungen nur ein Teil der Herausforderungen seien. Sie betonte, dass jüdische Friedhöfe mehr seien als Erinnerungskultur und dass der Landesverband als Eigentümer bei Fragen von Schutz und Sicherheit, Pflege- und Vermittlungsarbeit immer einbezogen werden sollte.

Im dritten und im vierten Panel standen Projektberichte aus der praktischen Arbeit im Vordergrund. ANNE-CHRISTIN SCHÖNE (Stuttgart) thematisierte die Bedeutung der vollständigen Erfassung und Dokumentation der 145 jüdischen Friedhöfe in Baden-Württemberg mit ihren ca. 55.000 Grabsteinen, die zwischen 1990 und 2006 erfolgte. Sie wies auf die konservatorischen Herausforderungen bei der Erhaltung der Grabsteine hin, die durch Alter, Witterung, klimatische Veränderungen, Schändungen und unsachgemäße Restaurierungen in ihrem Bestand akut gefährdet seien. ANKE GEISSLER-GRÜNBERG (Potsdam) skizzierte Umfang und Bedeutung der Online-Datenbank „Jüdische Friedhöfe Brandenburg“3 für die nachhaltige Sicherung des zerfallenden jüdischen Kulturerbes beiderseits von Oder und Neiße. Die Datenbank diene der Dokumentation sowie Veröffentlichungen zu wissenschaftlichen Fragestellungen, aber auch der Rekonstruktion von Familiengeschichten und der bildungspolitischen Vermittlungsarbeit. Ihr kritischer Blick richtete sich auch auf die Landesregierung, die diesen Komplex bislang nicht als Landesaufgabe versteht und keine entsprechende finanzielle Unterstützung gewährt. WOLFGANG ROBERTZ (Geilenkirchen) berichtete von der Schändung des jüdischen Friedhofs in Geilenkirchen im Dezember 2019 durch zwei Neonazis sowie von den Arbeiten zur Wiederherstellung des verwüsteten Friedhofs, die er koordinierte. Er gab Einblicke in das von ihm vorgeschlagene Adhäsionsverfahren, bei dem er die Stadt im Prozess vor dem Amtsgericht vertrat. Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Stadt die ihr entstandenen Kosten bereits im Strafprozess und nicht erst in einem Zivilverfahren geltend gemacht und konnte sich dadurch aktiv in den Prozess einbringen. PETER MEVES (Stade) skizzierte eine bis heute andauernde Schändung des jüdischen Friedhofs in Stade durch verschiedene Stader Behördenleiter, die sich in der „Arisierung“ und der anschließenden Verweigerung der Rückgabe von Arealen des Friedhofs manifestiere. GIL HÜTTENMEISTER (Bingen bei Sigmaringen) teilte seine reichhaltigen Erfahrungen aus 30 Jahren Fürsorge- und Dokumentationstätigkeit auf jüdischen Friedhöfen in Deutschland und anderen Ländern. Er erzählte u.a. von einer Führung einer Schulklasse über einen jüdischen Friedhof in Tschechien. Am Ende habe die Lehrerin gesagt: „Von unseren Kindern wird hier keines Grabsteine umwerfen.“ Die jüdische Geschichte mit ihrem Friedhof wurden daraufhin in den Lehrplan der Schule aufgenommen. HEIDE INHETVEEN (Sulzbürg) berichtete über ein interkommunales Kleinprojekt in Bayern aus dem Jahr 2022. Innerhalb von sechs Monaten wurde der Israelitische Friedhof von Sulzbürg durch dauerhafte Grabnummern und ein broschiertes Sterbe- und Grabregister für die Öffentlichkeit zu einem plastischen Erinnerungsort gestaltet. NATHANJA HÜTTENMEISTER (Essen) stellte die „Spurensuche“4 vor, eine vom Steinheim-Institut erarbeitete Online-Einführung in das Thema jüdische Friedhöfe. Die Spurensuche informiere u.a. über die Geschichte und Lage von jüdischen Friedhöfen, die Gestaltung der Grabmale sowie die Bedeutung der Symbole und Sprachen, des Aufbaus und der Inhalte ihrer Inschriften. Sie ermögliche auch Kindern in der Grundschule einen Zugang zu diesem Thema. JOHANNES MAXIMILIAN NIEßEN (Aachen) regte mit seinem an der Schnittstelle von Epigraphik, Hebraistik und Fachdidaktik angesiedelten Projekt dazu an, hebräische Inschriftentexte von jüdischen Friedhöfen in den schulischen Hebräischunterricht zu integrieren, der in Nordrhein-Westfalen zum gymnasialen Fächerkanon gehört. Dazu präsentierte er eine exemplarische Unterrichtssequenz sowie ein Padlet mit weiteren Ressourcen und Anregungen zur Didaktisierung. IRIS GEDIG (Erftstadt) stellte den vom genealogischen „Familienbuch Euregio“5 entwickelten virtuellen Rundgang über den jüdischen Friedhof in Aachen vor. Dieser verbinde die georeferenzierte Bestandsaufnahme der Grabsteine mit den Ergebnissen genealogischer Forschung. ALEXANDER SCHMALZ (Köln) erläuterte die Konzeption eines Arbeitsblatts für Besucher:innen eines jüdischen Friedhofs. Anhand eines exemplarischen Grabsteins des jüdischen Friedhofs Rödingen zeigte er, wie die darauf abgebildeten Symbole und Inschriften vermittelt werden können. DIETRICH MAU und JAKOB SPERRLE (Eutin) berichteten von ihrer Initiative, die ehrenamtliche Dokumentations- und Bildungsarbeit mit dem Archiv der Stadt Eutin zu verknüpfen. Die Erfahrungen, die sie auf lokaler Ebene gesammelt haben, sollen für den Aufbau eines regionalen und überregionalen Netzwerks fruchtbar gemacht werden. BERND HAMMERSCHMIDT (Lengerich) stellte die Bemühungen der örtlichen Stolpersteingruppe vor, den jüdischen Friedhof der Öffentlichkeit bekannter und zugänglicher zu machen. Dies geschehe einerseits durch Pressearbeit, andererseits durch Führungen. KAY BLOHM (Herzhorn) informierte über den jüdischen Friedhof in Glückstadt, den ältesten und einzigen sephardischen Friedhof in Schleswig-Holstein, der 2013 in die Denkmalliste aufgenommen wurde. Vorträge, Führungen, Publikationen und eine viersprachige App erinnern an einstiges jüdisches Leben in Glückstadt. EBERHARD DITTUS (Neustadt an der Weinstraße) berichtete aus dem Projekt „Ehrenamtliche Arbeit auf den 80 jüdischen Friedhöfen in der Pfalz“, bei dem Schüler:innen ab der 10. Klasse bei der Reinigung und Pflege alter Grabsteine mithelfen, um anschließend Inschriften und Symbole fotografisch zu dokumentieren und biografisch aufzuarbeiten.

Den Anfang des fünften Panels zur Frage des „richtigen“ Umgangs mit (verwaisten) jüdischen Friedhöfen machte MAGDALENA ABRAHAM-DIEFENBACH (Frankfurt an der Oder) mit ihrer Analyse des Programms „Kennzeichnung jüdischer Friedhöfe auf dem Gebiet der Republik Polen“ des Nationalen Instituts für das Kulturerbe (Narodowy Instytut Dziedzictwa) in Warschau. Sie präsentierte lokale Beispiele und ordnete sie in den politischen und praktischen Kontext ein. Die Analyse basierte hauptsächlich auf Interviews mit lokalen Akteur:innen sowie auf der Auswertung der Selbstdarstellung des Programms. Anschließend berichtete JACKIE OLSON (Stanford) über ihr Promotionsprojekt zur Geschichte der jüdischen Friedhöfe in Niederösterreich und im Burgenland zwischen 1945 und 1965. Den Schwerpunkt legte sie einerseits auf die Rolle der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien (IKG) beim Umbau und Wiederaufbau der Friedhöfe in der damaligen sowjetischen Besatzungszone, andererseits auf das Verhältnis der lokalen Bevölkerung zu den Friedhöfen, insbesondere auf die Frage, wer die Friedhofswärter waren und in welchem Verhältnis sie zur IKG standen. ANITA FIKET (Zagreb) referierte erste Ergebnisse aus ihrem Promotionsprojekt über den Tourismus zu Orten des jüdischen Kulturerbes in Kroatien, indem sie die Ergebnisse von Besucherbefragungen auf dem jüdischen Friedhof in Split auswertete. Auf dieser Grundlage reflektierte sie nicht nur den Zustand und Maßnahmen zur Erhaltung des Friedhofs, sondern zeigte zugleich Möglichkeiten der kulturellen Entwicklung des Ortes und der künftigen Einbindung als touristisches Reiseziel auf.

In Panel 6 wurden abschließend Chancen und Grenzen der Einbindung jüdischer Friedhöfe in die (außer-)schulische Vermittlungsarbeit reflektiert. KATRIN KEßLER (Braunschweig) berichtete aus dem niedersächsischen Teilprojekt von „Net Olam“. Sie zeigte am Beispiel der Bundesländer Niedersachsen und Thüringen den schlechten Zustand der jüdischen Friedhöfe nach dem Zweiten Weltkrieg und wer sich für deren Instandsetzung einsetzte. Nichtjüdisches Engagement für jüdische Friedhöfe habe sich in beiden deutschen Staaten ähnlich zögerlich entwickelt. Ab Mitte der 1960er-Jahre hätten Gruppen und Einzelpersonen begonnen, sich verstärkt um jüdische Friedhöfe zu kümmern. Die Pflege- und Vermittlungsprojekte hätten ihren Höhepunkt um das Jahr 1988 erreicht, als die jüdische Geschichte in Ost und West anlässlich des 50. Jahrestags der Pogromnacht verstärkt in den Fokus rückte. MICHAEL HAMMER (Graz) gab Einblicke in ein Didaktisierungsprojekt zum jüdischen Friedhof in Güssing. Dabei standen einerseits Schilderungen der erforderlichen historischen Grundlagenforschung, andererseits Potentiale und Herausforderungen bei der Integration jüdischer Friedhöfe in die (schulische) Vermittlungsarbeit aus Sicht der Geschichtsdidaktik im Fokus. STEFFEN EUL und ANKE FISSABRE (beide Aachen) gaben Einblicke in ein Projekt am Fachbereich Architektur der Fachhochschule Aachen, in dem eine umfassende Dokumentation und Erforschung des jüdischen Friedhofs in Aachen erfolgte. Daran schlossen sich Lehrveranstaltungen an, in denen die Studierenden Entwicklungsvorschläge für die nicht mehr genutzten Friedhofsbauten erarbeiteten. Die Konzepte basierten auf der Idee, die Begegnung mit den realen Objekten – den Friedhofsbauten und Grabmälern – und ihren ablesbaren Zeitschichten als Chance zu nutzen, um das Interesse an der Erhaltung der baulichen Zeugnisse als wichtigem Bestandteil der lokalen Erinnerungskultur zu fördern und somit präventive Vermittlungsarbeit in alle gesellschaftlichen Gruppen zu tragen.

Im Anschluss an die Panels wurde das Kompetenznetzwerk „NET OLAM“ gegründet, das allen offen steht, die sich für Schutz und Erhaltung, die stärkere Sichtbarmachung und Einbeziehung jüdischer Friedhöfe in die Vermittlungsarbeit einsetzen wollen.6 Die Tagung endete mit einer Führung über den jüdischen Friedhof in Essen-Segeroth durch NATHANJA HÜTTENMEISTER und ANNA MARTIN (beide Essen).

Die Tagung zeigte, wie viele unterschiedliche Fragestellungen und Perspektiven vonseiten der Forschung, der praktischen, behördlichen und ehrenamtlichen Arbeit vor Ort sowie der jüdischen Gemeinden und Landesverbände an den so wertvollen Bestand der jüdischen Friedhöfe in Deutschland und Europa herangetragen werden können; sie machte zugleich deutlich, welche konkreten Aufgaben sich den Akteur:innen stellen. Zu den Aufgaben der Forschung zählt die wissenschaftliche Durchleuchtung von Schändungen jüdischer Friedhöfe in Deutschland als Ausdruck einer bis heute ungebrochenen Kontinuität des Antisemitismus, aber auch die historiografische sowie gegenwartsbezogene Beschäftigung mit Pflege- und Vermittlungsprojekten zur Erhaltung der Friedhöfe und zur Antisemitismusprävention, worauf sich auch Teile der praktischen Arbeit der vielen Engagierten vor Ort beziehen. Es wurde deutlich, wie ergiebig die synergetische Zusammenführung von wissenschaftlichen und praktischen Ansätzen, wie wichtig die Vernetzung der Akteursgruppen untereinander ist. Das Netzwerk NET OLAM greift diese vielschichtigen Impulse auf und führt sie fort.

Konferenzübersicht:

Begrüßung:

Diana Matut (Alte Synagoge in Essen) / Lucia Raspe (Steinheim-Institut) / Susanne Klemm (Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Einführung

Helge-Fabien Hertz (Essen): Net Olam. Jüdische Friedhöfe zwischen Antisemitismus und Prävention: Projekt und Tagung

Ulrich Knufinke (Braunschweig): Zur Vernetzung von Denkmalpflege, Wissenschaft und Zivilgesellschaft für die Bewahrung jüdischer Friedhöfe

Panel 1: Schändungen jüdischer Friedhöfe seit der Shoa – Bandbreite und Erfassung

Moderation: Ulrich Knufinke (Braunschweig)

Helge-Fabien Hertz (Essen): „Schändungen: keine“ – Adolf Diamant und sein Nachlass am Zentrum für Antisemitismusforschung

Elisabeth Singer-Brehm (Bamberg): Schändungen jüdischer Friedhöfe in Bayern – Schadensbilder, Ausmaß, historischer Kontext, Analysen anhand von Fallbeispielen

Panel 2: Jüdische Perspektiven auf die Friedhöfe im Wandel der Zeit

Moderation: Falk Wiesemann (Düsseldorf)

Stefanie Fischer (Berlin): Grabpflege aus der Ferne: Jüdische Trauerpraktiken nach der Shoah, 1945–49

Ulrike Schrader (Wuppertal): „Beschämende Zustände“. Die Sorge um die jüdischen Friedhöfe zwischen Bürde und Anspruch

Inna Goudz (Düsseldorf): Ist das Erinnerungskultur oder kann das weg?: Friedhöfe im Eigentum des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein im Fokus der Forschung

Panel 3: Kurzberichte aus der Praxis: Dokumentation, Schutz, Vermittlung

Moderation: Mirko Przystawik (Braunschweig)

Anne-Christin Schöne (Stuttgart): Dokumentation und Umgang mit jüdischen Friedhöfen in der denkmalpflegerischen Praxis Baden-Württembergs

Anke Geißler-Grünberg (Potsdam): Die online-Datenbank „Jüdische Friedhöfe in Brandenburg“

Wolfgang Robertz (Geilenkirchen): Zivilgesellschaftliches Engagement und Adhäsionsverfahren nach der Schändung des jüdischen Friedhofs Geilenkirchen

Peter Meves (Stade): Der jüdische Friedhof in Stade – eine behördliche Schändung von 1940 bis heute

Gil Hüttenmeister (Bingen bei Sigmaringen): 30 Jahre Dokumentation jüdischer Friedhöfe

Heide Inhetveen (Sulzbürg): Chancen und Grenzen kommunaler Förderung. Ein AOM-Kleinprojekt zum Israelitischen Friedhof Sulzbürg

Panel 4: Kurzberichte aus der Praxis: Vermittlung und Gedenken

Moderation: Monika Grübel (Rödingen)

Nathanja Hüttenmeister (Essen): Spurensuche auf jüdischen Friedhöfen

Johannes Maximilian Nießen (Aachen): Jüdische Grabinschriften im schulischen Hebräischunterricht

Iris Gedig (Erftstadt): Genealogische Erkundungsreise über den jüdischen Friedhof in Aachen

Alexander Schmalz (Köln): Grabsteininschriften entziffern – ein Arbeitsblatt

Dietrich Mau und Jakob Sperrle (Eutin): Jüdischer Friedhof Eutin und die Idee eines Kompetenznetzwerks

Bernd Hammerschmidt (Lengerich): Der Jüdische Friedhof in Lengerich – Zwischen Abgeschiedenheit und Offenheit

Kay Blohm (Herzhorn): Jüdischer Friedhof Glückstadt

Eberhard Dittus (Neustadt an der Weinstraße): Ehrenamtliche Arbeit auf den 80 Friedhöfen der Pfalz

Panel 5: Sicherheit vs. Sichtbarkeit – zum „richtigen“ Umgang mit jüdischen Friedhöfen

Moderation: Martina Strehlen (Essen)

Magdalena Abraham-Diefenbach (Frankfurt an der Oder): Die Kennzeichnung jüdischer Friedhöfe in Polen. Politischer Kontext, Praxis und Auswirkungen

Jackie Olson (Stanford): The Role of the Friedhofswärter in Postwar Austrian Memory

Anita Fiket (Zagreb): So close, yet so far: Jewish Cemetery in Split

Panel 6: Jüdische Friedhöfe in der Vermittlungsarbeit

Moderation: Markus Bernhardt (Essen)

Katrin Keßler (Braunschweig): Jüdische Friedhöfe als Lern- und Gedenkorte in BRD und DDR

Michael Hammer (Graz): Friedhöfe als Lernorte am Beispiel des jüdischen Friedhofes Güssing

Anke Fissabre und Steffen Eul (Aachen): Bauten jüdischer Friedhöfe als Erinnerungsorte mit materiellem Zeugniswert

Gründungstreffen des Kompetenznetzwerks NET OLAM

Exkursion zum jüdischen Friedhof in Essen-Segeroth

Anmerkungen:
1https://www.fona21.org/verbundprojekte/net-olam (04.04.2024).
2https://bet-olam-bayern.de/ (04.04.2024).
3https://www.uni-potsdam.de/de/juedische-friedhoefe/index (04.04.2024).
4https://spurensuche.steinheim-institut.org/ (04.04.2024).
5http://www.familienbuch-euregio.de/ (04.04.2024).
6https://www.uni-due.de/2024-03-08-net-olam-juedische-friedhoefe (04.04.2024).

https://www.hsozkult.de/event/id/event-141558
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Deutsch
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