Stadtentwicklung seit der NS-Zeit und Wiederaufbau der Städte nach 1945 in Nordrhein-Westfalen

Stadtentwicklung seit der NS-Zeit und Wiederaufbau der Städte nach 1945 in Nordrhein-Westfalen

Organisatoren
Landschaftsverband Rheinland, Amt für rheinische Landeskunde
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.11.2005 -
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Von
Markus Schäfer, Amt für rheinische Landeskunde, Landschaftsverband Rheinland

Die "Träume in Trümmern" (Durth/Gutschow), die Stadtplaner und Architekten zu Beginn des Wiederaufbaus vor 60 Jahren hatten, rückten am 22.11.2005 in den Mittelpunkt einer Tagung des Amtes für rheinische Landeskunde des Landschaftsverbandes Rheinland. Historiker, Kunsthistoriker, Denkmalpfleger und Geografen beleuchteten die Stadtentwicklung seit der NS-Zeit und den Aufbau der nordrhein-westfälischen Städte in den Nachkriegsjahren aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln. Die Veranstaltung bildete den zweiten Teil eines Tagungszyklus zur modernen Stadtgeschichte, der 2004 mit einer Fachtagung über den Bombenkrieg in NRW begonnen wurde. Margret Wensky übernahm die Einführung in die Thematik.

Den Eröffnungsvortrag über den Wiederaufbau kriegszerstörter Städte in Deutschland hielt Jörn Düwel, Hamburg. Ausgehend von Bemerkungen zu Planungsmustern im Dritten Reich erörterte Düwel die Herausbildung von architektonischen und städtebaulichen Leitlinien im Wiederaufbau beider deutscher Staaten. Das Hauptaugenmerk des Vortrages lag auf der Konkurrenz zwischen Ost- und Westdeutschland, die auch in Architektur und Städtebau deutlich hervortrat.

Architekten und Stadtplaner beklagten nicht die Zerstörung der Städte im Bombenkrieg. Sie sahen in der Zertrümmerung der Mietskasernenstädte des 19. Jahrhunderts die Chance, neue Entwicklungsmöglichkeiten durchzusetzen; die alte Stadt sollte überwunden werden. In stadtplanerischer Hinsicht bedeutete das Kriegsende keine deutliche Zäsur. Dennoch blieben die seit 1942 ausgearbeiteten Entwürfe für die zukünftigen Städte zumeist bloße Utopie, denn ein neues Bau- und Bodenrecht, das für die völlige Neugestaltung der Städte notwendig gewesen wäre, wurde nicht verabschiedet. Als Ideal für den Aufbau im Westen Deutschlands galt die Stadtlandschaft. Die Überwindung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land wurde zum Wunschbild des Städtebaus. Die aufgelockerte und gegliederte Stadt, die Ablehnung der geschlossenen Bauweise und die Forderung nach offenen Räumen galten als Konzept eines demokratischen Neuanfangs. In 15 Mustersiedlungen, die im Anschluss an einen städtebaulichen Wettbewerb 1951 entstanden waren, sollte dieses Konzept verwirklicht werden. Einen ähnlichen Beispielcharakter, wie diese aus Mitteln des Marshallplans finanzierten Siedlungen für den Westen besaßen, sollte der Bau der Stalinallee für Ostdeutschland bekommen. Als Vorbild des Aufbaus galt Moskau; Leitgedanke war hier nicht die offene, sondern die kompakte Stadt. Eine hohe Straßenrandbebauung kulminierte im Zentrum. Die Hauptachsen, die sich nicht an den Bedürfnissen des Autoverkehrs, sondern an denen des politischen Demonstranten und dessen Marschgeschwindigkeit orientierten, waren auf die Stadtmitte ausgerichtet. Auf einem "Aufmarschplatz" sollten die Feiern des Volkes vor einem Hochhaus als politischem Zentrum stattfinden. Im Vergleich zur Weimarer Republik hatte sich in der Nachkriegszeit eine um 180 Grad gewandelte Sichtweise durchgesetzt: Was in den 1920er Jahren in städtebaulicher Hinsicht als konservativ gegolten hatte, erhob die DDR nun zum Programm. Die Bundesrepublik und die westlichen Alliierten traten hingegen für stadtplanerische Überlegungen ein, die in Weimar als "links" oder sozialdemokratisch angesehen worden waren. In Westdeutschland entsprach die Umorientierung in der Gestaltung der Stadt einer Umorientierung in der Parteienlandschaft. Die neue Architektur (z.B. das alte Bonner Bundeskanzleramt, der Verzicht auf Symbole und Bilder) symbolisierte Weltoffenheit und einen neuen demokratischen Anfang. Der Bruch mit der Vergangenheit sollte auch in der Architektur verdeutlicht werden.

Die Kölner Geografin Dorothea Wiktorin referierte über den "Wiederaufbau Kölns zwischen Wunsch und Wirklichkeit". Im Mittelpunkt ihres Vortrages standen die stadtplanerischen Vorstellungen des Generalplaners von Köln, Rudolf Schwarz, sowie die Durchführung der Planungen in den 1950er Jahren.

Eine "Stunde Null" hatte es hinsichtlich des städtebaulichen Entwicklungsprozesses auch in Köln, das 1945 einen 70-prozentigen Zerstörungsgrad aufwies, nicht gegeben. Die Planungen standen vielmehr in der Tradition eines jahrzehntelangen Modernisierungsprozesses. Bei der Entscheidung zwischen Wiederaufbau oder Neuaufbau der Stadt bestand Einigkeit, dass das Alte nicht einfach wiedererstehen durfte. Köln wählte einen Mittelweg, den der im Dezember 1946 zum Generalplaner ernannte Rudolf Schwarz in eine Gesamtkonzeption umsetzte. Schwarz sah seine Aufgabe weniger in der bloßen Administration des Wiederaufbaus als vielmehr in der geistigen Auseinandersetzung mit dem "Gesamtwesen der Stadt". Stadtplanung verstand er als "Spiel mit Utopien". Aufgrund umfangreicher konzeptioneller Überlegungen legte Schwarz seinen Neuordnungsplan 1949 vor. Schwarz' Konzept basierte auf dem städtebaulichen Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt. Grundlegend für die Gesamtkonzeption war die Verlegung des Kölner Hauptbahnhofes aus dem unmittelbaren Stadtzentrum. Zu einer Verwirklichung des Planes ist es jedoch nicht gekommen. Als eines der größten Hemmnisse für die einheitliche Planung erwies sich die Zersplitterung des Grundbesitzes. Die rentable Bebauung kleinster Parzellen war nicht möglich. Erzwungene Umlegungsmaßnahmen lehnte die Bauverwaltung wegen der zu erwartenden Langwierigkeit des Verfahrens ab. Diese Politik hatte nicht die geplante Auflockerung der Stadtmitte zur Folge, sondern bauliche Verdichtung einerseits und Baulücken andererseits. Die Schwerpunkte in der Stadtplanung blieben bis zum Beginn der 1960er Jahre die Verkehrsplanung, die Anlage neuer Wohnsiedlungen, die Ausweisung von Gewerbeflächen sowie die Schließung der Baulücken. Es würde dem Aufbau Kölns nicht gerecht, ihn entweder als geglückt oder als gescheitert zu charakterisieren, so die Referentin. Einerseits bargen die Konzepte mit der Beibehaltung des überkommenen Stadtgrundrisses und dem Aufbau des Stadtkerns mit seiner engen Hauptgeschäftsstraße einen stark restaurativen Charakter. Andererseits zeitigten die Auflockerung der Bebauung und die Neugestaltung der Verkehrswege mit ihren breiten Verkehrsachsen moderne Züge. Die aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus resultierende ablehnende Haltung gegenüber Planungsmaßnahmen, das Fehlen ausreichender finanzieller Mittel sowie geeigneter rechtlicher Vorgaben erschwerte den Aufbau Kölns. Rückblickend könne man jedoch feststellen, so Wiktorin, dass man der Forderung, die "Seele der Stadt" nach der Zerstörung zu bewahren, gerecht geworden sei.

Hans H. Hanke (Bochum) eröffnete den zweiten Teil der Tagung mit einem Vortrag über den Wiederaufbau im Ruhrgebiet. Er ging hierbei zunächst der Frage nach, wieso das Ruhrgebiet weder zu einer alliierten Kolonialstadt noch zu einer beherrschenden Metropole aufgebaut wurde. Beide Überlegungen standen 1945 zur Diskussion. Die Ursachen hierfür sieht Hanke in der Politik der Siegermächte. Der Aufbau einer eigenständigen Industrieregion, die wirtschaftlich von der Montanindustrie und politisch von linksgerichteten Wählern dominiert werden könnte, hätte die Absichten der Alliierten konterkariert. Des Weiteren war die städtische Infrastruktur, Kanalisation, Leitungen und Straßen nach den Bombardierungen weniger zerstört, als zunächst angenommen. Eine Verlegung ganzer Städte, wie für Dortmund zeitweise vorgesehen, kam demnach nicht in Frage. Darüber hinaus nahmen die Revierstädte ihre alte Konkurrenz bald wieder auf und arbeiteten an Einzellösungen, gemeinsame Projekte wurden nicht in Angriff genommen. Dabei hatte der Siedlungsverband Ruhrkohlebezirk (SVR) mit Philipp August Rappaport an der Spitze beim Wiederaufbau einen bedeutenden Anteil an den Stadtplanungen und der Architektur. Ziele des Neuaufbaus der Städte im Revier waren die Beseitigung historischer Planungsfehler, die Trennung von Wohn- und Arbeitsplätzen sowie die Ordnung des Verkehrs. Der architektonische Wiederaufbau im Ruhrgebiet verlief anders als in Frankfurt, München oder Berlin weitgehend ohne öffentliches Interesse. Lediglich wenige Bauten wie die Dortmunder Westfalenhalle (1952) oder das Essener Museum Folkwang (1960) wurden öffentlich rezepiert. Konzepte und Rahmenbedingungen der Stadtplanung und Architektur des Ruhrgebiets waren nur vordergründig einheitlich. Bei genauerer Betrachtung ergibt sich ein äußerst differenziertes Bild, wonach jede Stadt beim Wiederaufbau nach eigenen Standpunkten vorging. Hanke kommt zu dem Schluss, dass die 1950er Jahre für das Ruhrgebiet ein abwechslungsreiches, aber auch ambivalentes Bild bieten. Sowohl in städtebaulicher als auch in architektonischer Hinsicht hat der Wiederaufbau vieles verbessert. Gleichzeitig wurde die Chance vertan, der Regionalentwicklung durch den SVR noch mehr Einfluss zu geben, wodurch Vorteile gegenüber anderen Regionen verloren gingen.

Den Nachkriegsentwicklungen im zerstörten Duisburg widmete sich ein Kurzreferat von Marc Olejniczak (Duisburg). Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts veränderte Duisburg sein über Jahrhunderte konstant gebliebenes Stadtbild. Mit der Industrialisierung wuchs Duisburg über seine mittelalterlichen, im Stadtplan von Johannes Corputius (1566) verzeichneten Grenzen hinaus. Die Struktur des alten Stadtkerns blieb jedoch bis zur Bombardierung vom August 1944, durch die über 60 Prozent der Wohnungen im Stadtgebiet zerstört oder stark beschädigt worden sind, erhalten. Olejniczak betrachtet die Phase zwischen 1945 und 1960 nicht als einen Wieder-, sondern als einen Neuaufbau Duisburgs: Die Reste des bis Kriegsbeginn weitgehend erhaltenen mittelalterlichen Stadtzentrums, darunter das Geburtshaus Gerhard Mercators, ließ die Stadtverwaltung abreißen und räumen. Beim Neuaufbau wurden Projekte der Verkehrsplanung realisiert, die auf Plänen der Vorkriegszeit beruhten. Die Straßenverbreiterungen, die Umstrukturierung der Altstadt und deren Isolierung von der City waren bereits vor Beginn der Bombardierung vorgesehen und konnten nun zusammen mit den Neubauten (z. B. Mercatorhalle) umgesetzt werden.

Im Anschluss referierte Heinrich Otten (Werl) über den Neuaufbau der Stadt Düren. Im Zentrum des Vortrages standen die städtebaulichen Konzeptionen nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die kunsthistorische Betrachtung des Neuaufbaus. Diesen untersuchte der Referent sowohl im Hinblick auf die herausragenden Architekturleistungen als auch auf die Errichtung von städtebaulichen Ensembles aus einfachen Wohn- und Geschäftshäusern.
Die Zerstörung Dürens im November 1944 bot die Möglichkeit, das als unruhig und unästhetisch empfundene Stadtbild der Vorkriegszeit zu ändern und neue, geordnete Strukturen herzustellen. Einheitlichkeit und Ruhe galten als ästhetische Ziele des Neuaufbaus. Dabei berührte der Aufbau der Dürener Altstadt das Parzellen- und Eigentumsgefüge der Hausbesitzer nicht grundsätzlich. Abgesehen von Verbreiterungen verkehrstechnischer Engstellen und zur Beseitigung zu schmaler Grundstücke wurden die Häuser auf den früheren Grundstücksgrenzen wiedererrichtet. Durch Aufbaugemeinschaften fand eine gestalterische Abstimmung unter den Parzellenbesitzern für einen einheitlichen Neuaufbau statt. Dieser gemeinschaftlich organisierte Wiederaufbau der Nachbarschaften ließ jedoch Freiräume für individuell gestaltete Häuserfassaden, die sich in das Gesamtbild einpassten. Durch großformatige Verkleidungen und Erneuerungen von Fassaden ist heute nur noch schwer nachzuvollziehen, dass Düren eine Stadt des Neuaufbaus der 1950er Jahre ist. Otten bedauerte, dass die Stadt gerade in den letzten Jahren zunehmend den Charakter der sie prägenden Wiederaufbaujahre verloren habe und der gestalterische Totalverlust Dürens zu befürchten sei.

Peter Neu (Bitburg) hielt den abschließenden Vortrag über die geplante Umgestaltung des in der Eifel gelegenen Heimbach zur NS-Musterstadt. Die heute kleinste Stadt Nordrhein-Westfalens liegt in unmittelbarer Nähe der ehemaligen NS-Ordensburg "Vogelsang" und sollte zwischen 1938-1942 als einzige Kleinstadt Deutschlands zu einer mustergültigen nationalsozialistischen Siedlung umgebaut werden. Gründe hierfür sind u.a. eben diese Nähe zu einem der frühen Zentren der NS-Ideologie - der Erziehungsanstalt Vogelsang - sowie die idyllische Lage der Kleinstadt mit ihrer mittelalterlichen Burganlage, zu der sich die neuen Bauten gesellen sollten. Prof. Schachner von der TH Aachen übernahm ab 1938 die Ausarbeitung der Umgestaltungspläne. Anhand dieser erst kürzlich wieder entdeckten Pläne veranschaulichte Neu das nie realisierte Baukonzept. Hiernach sollte eine Ortsumgehungsstraße mit Viadukt den aufkommenden Autoverkehr um die Stadt herumleiten - ein Vorhaben, das bis heute nicht verwirklicht worden ist. Innerhalb des Ortes sollte nach den Plänen Schachners die historische Substanz möglichst erhalten bleiben. Die dennoch imposanten NS-Bauwerke sollten den historischen Kern umrahmen. Das Besondere an den Planungen Heimbachs sei die Tatsache, so Peter Neu resümierend, dass gerade diesem romantischen, stillen Ort die "seltsame Ehre" zuteil wurde, als Beispiel für NS-Planungen herzuhalten, noch bevor man daran ging, etwa die Gauhauptstädte in die Planungen einzubeziehen.

Die Tagung des Amtes für rheinische Landeskunde zur Stadtentwicklung und den Wiederaufbau in NRW bot zahlreiche anregende Einblicke in einen von Stadthistorikern lange gemiedenen Bereich der deutschen Kriegs- und Nachkriegsgeschichte. Die Vorträge des interdisziplinären Referentenkreises eröffneten gerade für die Stadtgeschichtsforschung eine Reihe neuer Forschungsansätze zur Stadtplanung vor und nach 1945 sowie den die heutige Stadt prägenden Wiederaufbau in den 1950er Jahren.


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