Wahrheit, Erinnerung, Verantwortung – Der Warschauer Aufstand im Kontext der deutsch-polnischen Nachkriegsgeschichte

Wahrheit, Erinnerung, Verantwortung – Der Warschauer Aufstand im Kontext der deutsch-polnischen Nachkriegsgeschichte

Organisatoren
Museum des Warschauer Aufstands Kanzlei des polnischen Präsidenten Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung
Ort
Warschau
Land
Poland
Vom - Bis
30.03.2007 - 01.04.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Hanna Nowak-Radziejowska Jutta Kuppinger, Muzeum Powstania Warszawskiego/Museum des Warschauer Aufstands

Vom 30. März bis zum 1. April 2007 fand in Warschau die Konferenz „Wahrheit, Erinnerung, Verantwortung. Der Warschauer Aufstand im Kontext der deutsch-polnischen Beziehungen“ statt. Veranstalter waren das Museum des Warschauer Aufstands, die Kanzlei des polnischen Staatspräsidenten und die Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“. Ziel der Konferenz war es, die polnischen und deutschen Forschungsergebnisse zum Warschauer Aufstand zusammenzuführen, gemeinsam zu präsentieren und in Polen einen Überblick über die deutsche Erinnerungskultur und Museumslandschaft zu geben. Dabei war die Konferenz auf folgende Themen aufgeteilt: „Der Warschauer Aufstand und die Vernichtung der Stadt“, „Polnische und deutsche Sichtweisen auf den Aufstand“ und „Erinnerungsformen und Erinnerungskultur in Polen und Deutschland.“ Die Referate werden in einer zweisprachigen Publikation durch das Museum des Warschauer Aufstands herausgegeben.

Der Warschauer Aufstand und die Vernichtung der Stadt
Im Eröffnungsvortrag hob Norman Davies (London, Krakau) die Bedeutung des Warschauer Aufstands für eine europäische Identität hervor und bedauerte, dass das Ereignis (noch) nicht in die europäische Erinnerungskultur eingegangen ist. Tomasz Szarota (Polnische Akademie der Wissenschaften, Warschau) erläuterte anschließend, inwieweit der von den Polen erwartete Aufstand als Vergeltung für die von den deutschen Besatzern begangenen Verbrechen zu verstehen ist.
Neue Einblicke gewährten drei Vorträge, die sich mit der Strafverfolgung der während des Aufstands begangenen Verbrechen befassten: Wlodzimierz Borodziej (Universität Warschau) ging der Frage nach, warum es in Polen keine Strafverfolgung gab. Andrej Angrick (Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur) berichtete, dass auch in der Bundesrepublik nur sehr selten Ermittlungen im Zusammenhang mit während des Aufstands begangenen Verbrechen eingeleitet wurden. Er fasste die spärlichen Ergebnisse dieser Ermittlungen zusammen und stellte Möglichkeiten zu weitergehenden Forschungen in deutschen Archiven vor. Henry Leide (Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen, Rostock) informierte ebenfalls über ein noch wenig bekanntes Thema: die systematische Anwerbung von NS-Verbrechern durch die DDR-Staatssicherheit.
Den Abschluss bildete der beeindruckende Vortrag des Kunsthistorikers Jaroslaw Trybus (Warschau), der mit Hilfe einer multimedialen Präsentation eine Vorstellung davon gab, wie Warschau heute aussehen könnte, wenn die ehrgeizigen Pläne der Stadtplaner der 1930er-Jahre hätten verwirklicht werden können und wenn Warschau nicht der totalen Vernichtung zum Opfer gefallen wäre.

Polnische und deutsche Sichtweisen auf den Aufstand
Unter polnischen Historikern im Exil und in der Volksrepublik dominierte in den letzten 60 Jahren der Streit um den Sinn des Aufstands. Daher befassten sich die ersten drei Referate mit entsprechenden Themen. Besonders hervorzuheben ist Rafal Marszaleks (Warschau) Vortrag über die Verarbeitung des Aufstands im polnischen Film. Er wies darauf hin, dass „die Deutschen“ als Feind in den Werken polnischer Regisseure praktisch nicht vorkommen. Damit widersprach er der von Eugeniusz Cezary Król aufgestellten These, nach der diejenigen Polen, die die Katastrophe des Krieges überlebt haben, die Deutschen als Verkörperung des „absoluten Feindes“ betrachten würden. Anschließend stellte Andrzej Mencwel (Universität Warschau) fest, dass in der polnischen Literatur trotz der großen Bedeutung, die dem Themas beigemessen wird, nur wenige wirklich gute literarische Werke zum Warschauer Aufstand entstanden sind.

Zweiter Schwerpunkt dieses Tages waren Forschungsthemen deutscher Historiker: Bernd Martin (Universität Freiburg) und Christoph Kleßmann (Potsdam) boten einen Überblick über die Rezeption und Verarbeitung des Warschauer Aufstands im untergehenden nationalsozialistischen Regime und in der Bundesrepublik. Interessante Aspekte behandelten Julia Wahnschaffe (Universität Freiburg) und Thomas Strobel (Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung, Braunschweig). Wahnschaffe legte dar, dass es sich bei Hanns von Krannhals, dem Verfasser des bis heute einflussreichsten deutschsprachigen Werk über den Warschauer Aufstand, aller Voraussicht nach um einen überzeugten Nationalsozialisten gehandelt hat. Besondere Aufmerksamkeit bei den polnischen Zuhörern erregte der Vortrag von Thomas Strobel, der darauf hinwies, dass der Warschauer Aufstand in deutschen Schulbüchern nahezu keine Rolle spielt.

Erinnerungsformen und Erinnerungskultur in Polen und Deutschland
Die Konferenz schloss mit einem Überblick über polnische und deutsche Erinnerungsformen und -projekte. In der Abschlussdiskussion wurde unter Teilnahme polnischer und deutscher Publizisten versucht, die Bedeutung der Erinnerung an den Warschauer Aufstand für den deutsch-polnischen Aussöhnungsprozess zu bewerten.
Die sehr emotional verlaufende Abschlussdiskussion war es auch, die bei einem Teil der an der Konferenz teilnehmenden deutschen Studierenden für großen Diskussionsbedarf sorgte. Das Museum des Warschauer Aufstands hatte neben der Konferenz ein Begleitprogramm für polnische und deutsche Studierende organisiert, das an den Konferenztagen nach dem eigentlichen Programm Diskussionen in Kleingruppen vorsah. Zum Thema "Vernichtung der Stadt" wurde auf der Grundlage eines Essays von Hannah Arendt erörtert, ob historische Verantwortung kollektiv oder individuell verstanden werden sollte. In der nächsten Diskussion wurden drei klassische polnische Texte zum Streit um den Sinn des Warschauer Aufstands behandelt. Zum Abschluss schließlich wurde am Beispiel der Entwicklung der Identität von Warschau und Berlin über „Geschichtspolitik in der Praxis“ debattiert.

Der letzte Punkt des studentischen Begleitprogramms sah Berichte von vier Frauen vor, die in verschiedenen Abteilungen der Heimatarmee am Aufstand beteiligt gewesen waren. Sie sprachen über ihre Erlebnisse vom August und September 1944 und bemühten sich, die zahlreichen Fragen der Studenten zu beantworten. Die häufigsten Fragen betrafen dabei den Standpunkt der Aufständischen zum Sinn des Warschauer Aufstands und ihre Meinung zur Ausstellung des Museums.
Die größte Kontroverse löste unter den deutschen Teilnehmern des studentischen Workshops der „Saal des kleinen Aufständischen“ im Museum aus. In diesem Raum werden Unterrichtseinheiten zur polnischen Geschichte, besonders während des Krieges und zum Aufstand durchgeführt. Dort befinden sich Spielzeug und Kinderbücher aus der Vorkriegszeit, Flugzeugmodelle und Kinderzeichnungen zu Themen des Aufstands, Panzermodelle sowie Sandsäcke, aus denen man Barrikaden bauen kann. Waffen hingegen sind im „Saal des kleinen Aufständischen“ verboten. Insbesondere deutschen Besuchern, die auf den ersten Blick mit diesem Raum häufig „Kindersoldaten“ assoziieren, ist die Intention des Raums schwer zu vermitteln. Tatsächlich dient der Raum in erster Linie dazu, auf kindgerechte Art und Weise zu zeigen, wie die Zivilgesellschaft hinter den Barrikaden funktioniert hat, zum Beispiel wie die Essensversorgung organisiert wurde und welche kulturellen Angebote es für Kinder gab.

Im Laufe der Konferenz zeigte sich, unter anderem durch die erwähnte Kontroverse um den „Saal des kleinen Aufständischen“, dass wesentliche Unterschiede in der Wahrnehmung des Warschauer Aufstands durch Polen und durch Deutsche bestehen. Der Schlüssel zum Verständnis dieser beiden unterschiedlichen Wahrnehmungen könnte in einer Bemerkung liegen, mit der Astrid Irrgang ihr Referat über die Feldpostbriefe deutscher Soldaten aus dem Aufstand zusammengefasst hat. Sie betonte eher die Parallelen im Denken der deutschen und der polnischen Soldaten. Sie betonte eher die Parallelen im Denken der deutschen und der polnischen Soldaten: Beide Seiten hätten nach einer „Logik der Aufopferung“ gehandelt und würden deshalb zu „ideellen Verbündeten“. Ihr Referat schloss sie folgendermaßen: „Hier liegt ein Schnittpunkt zwischen […] deutschen Soldaten - und den opferbereiten Warschauer Aufständischen. Das Fundament ist ein gemeinsames europäisches Erbe und, so möchte ich heute auch im Hinblick auf die Aufständischen ab einer bestimmten Phase im Aufstand sagen, ein fehlgeleiteter Patriotismus.“

Aber ob es tatsächlich so ist, dass beide Seiten dasselbe gedacht und gefühlt haben, bleibt fragwürdig. Für die Mehrheit der Polen ist diese Denkweise überraschend. In Polen herrscht vielmehr die Meinung vor, dass Polen als politische Gemeinschaft die totalitären Herausforderungen des 20. Jahrhunderts gut gemeistert habe – und der Warschauer Aufstand dafür der wichtigste Beweis sei. Kann man das als fehlgeleiteten Patriotismus bezeichnen? Dabei ließe sich der Warschauer Aufstand durchaus dafür nutzen, ein gemeinsames europäisches Fundament zu bilden. Allerdings müsste dies auf eine andere Art und Weise geschehen, wie Pawel Wronski schreibt: „Wenn Europa seine historische Identität sucht, so kann es diese an der Weichsel finden, in der Symbolik des Warschauer Aufstands. 1944 traten junge Leute im Namen des Kampfes um die Freiheit zwei totalitären Systemen entgegen. Im Namen einer Idee, die das gegenwärtige Europa verwirklicht“ (Pawel Wronski, Gazeta Wyborcza, 04.08.2004).

Auf der Konferenz zeigte sich darüber hinaus, dass von deutscher Seite einige der Begriffe, die im Museum des Warschauer Aufstands verwendet werden, völlig anders verstanden werden als auf polnischer Seite. Dazu gehören die für Polen zentralen Begriffe „Freiheit“, „Patriotismus“ und „Nation“. Vielleicht führt gerade die Verwendung dieser Begriffe zu der Fehlinterpretation, dass es derselbe Geist gewesen sei, der polnische und deutsche Soldaten zum Kampf mobilisiert habe? Vielleicht muss die polnische Seite, um deutschen Museumsbesuchern die "Freiheit" des Warschauer Aufstands zu erläutern, andere Schlagwörter verwenden, etwa „Zivilgesellschaft“, „bürgerschaftliches Engagement“ und „Demokratie“?

Die philosophische Bewertung des Warschauer Aufstands (nicht hingegen dessen politische oder militärische Aspekte) weckte sowohl bei den polnischen als auch den deutschen Vertretern oft Emotionen, wodurch eine rationale Analyse erschwert wurde. Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass sich weitere Möglichkeiten zur Diskussion zwischen jungen Polen und Deutschen zu diesem Thema ergeben.

Kontakt

Muzeum Powstania Warszawskiego
Jutta Kuppinger
ul. Grzybowska 79
00-844 Warszawa

tel.: 0048-22-5397955
fax: 0048-22-5397943


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