Karrieren in der Finanzwelt. 17. Sitzung des Arbeitskreises Banken- und Versicherungsgeschichte

Karrieren in der Finanzwelt. 17. Sitzung des Arbeitskreises Banken- und Versicherungsgeschichte

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) e.V., Frankfurt am Main
Ort
Frankfurt am Main
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.11.2019 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Matthias Kemmerer, Gesellschaft für Unternehmensgeschichte mbH

Der Arbeitskreis Banken- und Versicherungsgeschichte widmete sich in seiner 17. Sitzung dem Thema „Karrieren in der Finanzwelt“. Gastgeberin war die KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Frankfurt am Main, in deren Haus sich der Arbeitskreis am 8. November 2019 zusammenfand.

VERA-CARINA ELTER (Düsseldorf), Mitglied des Vorstands der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, eröffnete die Arbeitskreissitzung mit aktuellen Perspektiven auf Karrieren bei Wirtschaftsprüfern. In ihrem Vortrag zu „Recruitention“ (der Findung und zugleich Bindung von Mitarbeitern) zeichnete sie den Wandel des Arbeitsmarkts nach. Dieser sei heute von sehr mobilen Arbeitnehmern dominiert, deren Bedürfnisse im Vordergrund stünden. Hingegen hätten früher die Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis maßgeblich bestimmen können. Auch die Loyalität der Mitarbeiter zum Unternehmen sei größer gewesen. Heute finde bereits ein Bewerbungsgespräch bei KPMG, so Elter, auf Augenhöhe statt. Jobinterviews seien für den Arbeitgeber wie Kundengespräche, in denen sich gerade der Arbeitgeber um den Bewerber bemühen müsse. Elter betrachtete die Persönlichkeit, deren Entwicklung sowie eine kulturelle Homogenität im Unternehmen als entscheidend, sowohl für das Auswahlverfahren als auch für die weitere Karriere bei KPMG. Drohe bei aller Persönlichkeitsorientierung ein Verlust an fachlicher Qualifikation der Bewerber? Nein, befand Elter, denn eine betriebswirtschaftliche Affinität und ausgeprägte Karriereorientierung seien unabdingbar. Ein Promotionsabschluss biete indes nur insofern Vorteile, als er vor allem die Fähigkeit zur intrinsischen Motivation eines Bewerbers dokumentiere. Für die Karriereentwicklung bei Wirtschafsprüfern sei die Promotion nicht entscheidend.

JÖRG LESCZENSKI (Frankfurt am Main) untersuchte in seinem Referat die Rolle der Hauskarriere in deutschen Großbanken im 20. Jahrhundert. Als Fallstudie wählte er das Beispiel der Deutschen Bank. Während die deutsche Wirtschaftsgeschichtsschreibung Karriereverläufe bisher nicht systematisch erforscht habe, betone laut Lesczenski die sozialwissenschaftliche Managementliteratur die „Funktionslogiken nationaler Ökonomien“. Demnach gelte es zu überprüfen, inwiefern sich Muster wie Organisation, Konsens oder Langfristigkeit, die dem deutschen Modell des Kapitalismus zugeschrieben werden, in Karriereverläufen widerspiegelten. Zwar fänden sich Hauskarrieren in der Deutschen Bank schon vor dem Ersten Weltkrieg, doch habe sich das Leitbild der Hauskarriere erst später institutionalisiert. Ein langer Trend zur Systematisierung der Personalpolitik bzw. Nachwuchsförderung zeichne sich sodann bis in die Bundesrepublik ab. Harte Aufstiegskonkurrenz und Beförderungen nach Leistung (nicht Herkunft) seien deutliche Merkmale der Auswahlverfahren gewesen. Im Vergleich zur Industrie sei auffällig, dass die Sozialkompetenz im Bankwesen eine viel bedeutendere Rolle gespielt habe. Die weitere Erforschung des deutschen Modells, so Lesczenski, müsse international vergleichend und vor dem Hintergrund der Globalisierung seit den 1970er-Jahren erfolgen. Die Diskussionsteilnehmer wiesen zudem auf die historischen Arbeitsmarktsituationen hin, die die unternehmensinterne Personalentwicklung jeweils ebenfalls bedingten.

JOKE MOOIJ (Utrecht) zeichnete in ihrem Vortrag die historische Rolle der Frau im niederländischen Bankwesen nach. Da Frauen lange Zeit die rechtliche Eigenständigkeit verwehrt war, habe ein Ehemann die berufliche Tätigkeit seiner Frau bewilligen müssen. Gleichwohl hätten sich bis ins 19. Jahrhundert vielfach vermögende Witwen von Bankiers oder Kaufleuten im Bankwesen betätigt. Diesen Frauen seien die Aufgaben der Geschäftsführung bekannt gewesen, sodass sie nach dem Tod ihrer Ehemänner die inhabergeführten Unternehmen übernommen hätten. Durchaus habe es laut Mooji auch enge Verbindungen ins internationale Geldhandelsnetzwerk gegeben. Mit der Herausbildung der Aktienbanken seien die Frauen wiederum aus dem niederländischen Bankwesen ausgeschieden. Im 20. Jahrhundert hätten lange Zeit lediglich unverheiratete Frauen in der Geschäftsführung von Genossenschaftsinstituten eine größere Bedeutung erlangt.

Die Rolle der Frau stand auch im Mittelpunkt des Vortrags von DIETER ZIEGLER (Bochum). Auf Basis eines großen Bestands an Personalakten der Dresdner Bank und Danat-Bank stellte Ziegler typische weibliche Karriereverläufe in deutschen Großbanken in der Zwischenkriegszeit vor. Während weibliche Angestellte in deutschen Großbanken vor dem Ersten Weltkrieg – geschuldet auch dem Standesdünkel bürgerlicher Haushalte – noch die Ausnahme bildeten, hätten sich infolge der kriegs- und inflationsbedingten Depravierung des Bürgertums und infolge des Mangels an männlichem Personal die Ausbildungs- und Anstellungsverhältnisse für Frauen verbessert. Der Frauenanteil sei bei den Großbanken bis zur Währungsstabilisierung 1924 auf 30 Prozent gestiegen, in der Folge jedoch aufgrund der Banken- und Weltwirtschaftskrise sowie der nationalsozialistischen Frauenpolitik deutlich gesunken. Männer wurden laut Ziegler durchweg von der Personalpolitik bevorzugt und tariflich bessergestellt. Nach der (höheren) Handelsschule seien Frauen in den Großbanken meist lediglich mit mechanischen Arbeiten betraut worden. Im Alter von 25 Jahren, so Ziegler, war ihre Bankkarriere mangels Aufstiegsmöglichkeiten faktisch zu Ende. Mit 40 Jahren schieden sie aus ihrem Beruf aus, vielfach wohl aufgrund körperlicher Fehlhaltungen am Arbeitsplatz und gesundheitlicher Probleme. Ziegler betonte, dass Frauen nachweislich um höhere Bezahlung und Wiedereinstellung nach Entlassungen gebeten hätten, um eine eigenständige Existenz zu führen. Doch strukturelle Benachteiligungen – gesellschaftlich, politisch und bankintern – hätten letztlich trotz gewisser Modernisierungsschübe dauerhaft keine wirkliche monetäre Alternative zum „sicheren Hafen der Ehe“ und damit dem Ausscheiden aus der Bank geboten.

FELIX SELGERT (Bonn) untersuchte in seinem Referat, wie sich bei deutschen Aktiengesellschaften die Gewinnverteilung und die Bezahlung des Führungspersonals vom Kaiserreich bis zum Aktiengesetz 1937 veränderten. Selgert zeigte anhand von Bilanzanalysen veröffentlichter Daten auf, dass die Personalaufwendungen seit ca. 1900 relativ zunahmen, während gleichzeitig eine Verrechtlichung der Gewinnverwendungszwecke einsetzte. Die Bildung von Rücklagen und Einzahlungen in Reservefonds wurden noch vor dem Ersten Weltkrieg per Gesetz festgelegt, ebenso wie die Einführung einer Pflichtdividende an Aktionäre. Gewinne und Kapitalrenditen seien im Median in der Weimarer Republik niedriger als im Kaiserreich gewesen. Die Aktionäre, deren Dividende vor 1914 noch 80 Prozent der Gewinnverteilung ausmachte, verloren, so Selgert, zugunsten der Vergütung des Managements an Gewicht. In der anschließenden Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass insbesondere die stillen Reserven der Aktiengesellschaften in quantitativen Untersuchungen berücksichtigt werden müssten. Das erfordere umfangreiche Archivrecherchen. Auch müssten die Daten in Relation zur allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung gesetzt werden.

Die Tagung schloss mit einem Werkstattbericht von FALK LIEDTKE (Bochum) zur Kreditvergabe der Commerzbank in der deutschen Bankenkrise von 1931. Die bankhistorische Forschung sei bisher sehr an Makro-Fragestellungen sowie Skandalen um Großkunden interessiert gewesen. Ein mikro-ökonomischer Ansatz erlaube daher neue Erkenntnisse über die Kreditvergabepraxis der Großbanken. Auch der Schwerpunkt der Commerzbank auf Mittelstandskunden mache sie zu einem lohnenden Untersuchungsobjekt. Liedtke zufolge führte das rasche Wachstum der Filialbanken in den 1920er-Jahren branchenweit zur Überlastung und Überforderung der Betriebsorganisationen. Operationelle und Kreditrisiken seien dadurch unzureichend gemanagt worden. Die Berliner Zentrale der Commerzbank habe die Revision und Kontrolle der Kreditvergabe durch ihre Filialen in der Fläche nicht gewährleisten können. Als Begründung führte Liedtke an, dass die Filialen infolge der Wettbewerbsverschärfung vielfach befürchteten, ihre Beziehung zu Bestandskunden zu verlieren, wenn man ihnen Kredite verweigerte. Auch alte personelle Netzwerke vor Ort hätten zur freigebigen Kreditgwährung an bekannte Kunden verleitet. Liedtke begründete dies mit dem klassischen Prinzipal-Agenten-Modell: Die Filialen hätten sich der Entscheidungsautorität und den Richtlinien der Berliner Zentrale widersetzt, obwohl letztere explizit zur Vorsicht gemahnt habe.

Konferenzübersicht:

Begrüßung

Vera-Carina Elter (Düsseldorf) / Dieter Ziegler (Bochum)

Vorträge

Vera-Carina Elter (Düsseldorf): Recruitention heute

Jörg Lesczenski (Frankfurt am Main): Die «Hauskarriere» im 20. Jahrhundert – ein typisches Karrieremuster in deutschen Großbanken?

Joke Mooij (Utrecht): Frauen im niederländischen Bankwesen – eine unbekannte Geschichte

Dieter Ziegler (Bochum): Weibliche Angestellte in den Großbanken der Zwischenkriegszeit

Felix Selgert (Bonn): Wem dient die Aktiengesellschaft? Zur Vergütung des Führungspersonals deutscher Aktiengesellschaften, 1884-1935

Falk Liedtke (Bochum): Werkstattbericht «Filialen der Commerzbank in der Bankenkrise»


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