Die meisten der schriftlichen Hinterlassenschaften, die die Propagandamaschinerie der SED während ihrer fast 44-jährigen Existenz unaufhörlich ausspuckte, liegen heute bleischwer in den Regalen der Bibliotheksmagazine. Wer einmal einen Aufsatz oder eine Rede Erich Honeckers (die in zwölf Bänden erschienen) gelesen oder sich in Handbücher zur politischen Ökonomie des Sozialismus vertieft hat, kann sich darüber kaum wundern. Der außerordentlich wortreiche und wuchtige sozialistische Sprachbarock mit seinen langatmigen, angesichts der Wirklichkeit absurden Dauererfolgsgeschichten und seinen ideologischen Haarspaltereien war schon damals für die zwangsverpflichteten Leser eine Qual – und er ist es heute nicht minder, auch wenn man sich als Historiker nun freiwillig damit beschäftigen darf. Vom – nachvollziehbar – „klebrige[n] Zeug“ sprach ausgerechnet der sowjetische Parteichef Leonid Breschnew einmal im vertrauten Kreis, von „endlosem Geschwätz“, mit dem er sich nicht herumschlagen mochte.1
Will man heute jungen Menschen die Vorstellungswelt des Kommunismus vermitteln, so ist es schon allein aus didaktischen und methodischen Gründen sinnvoll, auf anschaulicheres Material als auf die Aufsätze Kurt Hagers oder Reden Margot Honeckers zurückzugreifen – auf Material nämlich, das viel leichter zugänglich ist, weil es die sozialistische Weltwahrnehmung mit ihren Deutungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft samt dem Willen zur Massenmobilisierung auch optisch prägnant einfängt: Plakate. Das Zeitalter der Ideologien ist diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs ohne die plakative (Selbst-) Darstellung kaum denkbar; nicht wenige Motive gehören zur Ikonographie des 20. Jahrhunderts. Das Plakat sei „kondensierte Energie, eine Ladung, die in die Dichte der Volksmasse geschossen wird, mit dem Ziel, durch seine Explosion in der Masse jenen Effekt hervorzurufen, auf den das Geschoss abzielte“, schrieb 1925 der russische Kunsttheoretiker Nikolai Tarabukin.2 Vor allem der auf unbedingte Mobilisierung geeichte Kommunismus hat bis zuletzt auf das Plakat als bildgestützte Kommunikationsform gesetzt und dabei vor allem in der Sowjetunion eine zwischen großer avantgardistischer Kunst und naivem Kitsch changierende Fülle von Bildmaterial hervorgebracht.3
Mit dem Titel „Für Frieden und Sozialismus“, der den gemeinsamen Nenner der über 2.000 präsentierten Motive auf den Punkt trifft, hat das Bundesarchiv 2006 eine repräsentative Auswahl seiner bis 1919 zurückreichenden umfangreichen Plakatsammlung getroffen. Von der mobilisierenden, avantgardistischen russischen Plakatkunst der 1920er-Jahre ist bei den offiziellen DDR-Motiven freilich nicht mehr viel zu spüren. Schon früh wurde ästhetisch als „formalistisch“ denunzierten Experimenten eine Abfuhr erteilt, wie Katharina Klotz in ihren einleitenden Bemerkungen ausführt. Das „Plakatschaffen“ in der SBZ/DDR hatte den kunsttheoretischen Vorgaben des „sozialistischen Realismus“ zu folgen oder a priori zumindest mit dem fallenden Damoklesschwert eines Vetos der Partei bei zu großer gestalterischer Freiheit zu rechnen. Daran änderte sich bis 1989 nichts. Zwar ist mit Blick auf die Motive ein Wandel von reiner Symbolakkumulation (vor allem in den 1950er-Jahren) hin zu einer eher erzählorientierten Darstellung (ab den 1960er-Jahren) zu konstatieren, wie Klotz schreibt. Ebenso passte man sich offiziell den jeweils neuen ästhetischen Konjunkturen an. Doch blieben diese optischen „Zugeständnisse“ konsequent gebremst und sowohl hinter dem jeweiligen grenzüberschreitenden Zeitgeist als auch dem modischen Geschmack zurück. Nicht zuletzt konterkarierte der plakativ aufgesetzte und realitätsentrückte Optimismus die gänzlich anderen Alltagserfahrungen der meisten DDR-Bürger. Folglich haftet den Motiven jenseits der immer gleichen politischen Implikationen etwas Reaktives, Zuspätgekommenes, ja Altbackenes an, was zugleich auf die Mobilisierungsdefizite des real existierenden Sozialismus verweist. Prosaischer formuliert: Wir haben es in der Masse der Plakate mit schlechter, weil letztlich ineffektiver (Produkt-)Werbung zu tun. Über den rein künstlerischen Wert der Plakate ist damit nichts gesagt, aber darüber will und kann der Rezensent eingedenk der schieren Motivmenge und fehlender kunstgeschichtlicher Kompetenz auch nichts sagen. Zudem muss betont werden, dass nicht alle ausgewählten Plakate politisches Propagandamaterial repräsentieren. So ist, um nur ein Beispiel zu nennen, das Ausstellungsposter „Kunst und Umwelt. Malerei und Grafik aus Finnland“ ein gänzlich unverdächtiges, das mitnichten ohne weiteres als DDR-typisch zu erkennen ist. Idee und Titel der CD-ROM lenken die Erwartung aber von Anfang an auf etwas anderes, nämlich auf das politische Plakat. Genau für diesen Plakattyp stellt die Sammlung eine reichhaltige Fundgrube dar. Die zentralen Kapitel sind mit „Alltagskultur“, „Jahrestage und Geschichtsbilder“, „NVA, Kampfgruppen und Grenzsicherung“ oder „Personen der Zeitgeschichte“ sinnvoll überschrieben und in sich wiederum thematisch und chronologisch geordnet. Zu jedem Plakat wird zudem, soweit Angaben vorhanden sind, über Titel, Herstellungsdatum, produzierende Institution, Gestalter usw. informiert und – das wird professionelle Nutzer freuen – die entsprechende Archivsignatur genannt. Das ist vorbildlich und lässt erahnen, was die Digitalisierung von Archivbeständen fürderhin noch zu leisten im Stande ist.
Das Bundesarchiv hat für seine Veröffentlichung die bekannte und bewährte „Digitale Bibliothek“ gewählt, mit deren Oberfläche sich ohne Schwierigkeiten durch das umfangreiche Programm navigieren lässt. Es wäre allerdings zu wünschen gewesen, wenn die einleitenden Texte zum Bestand und zum Plakatschaffen in der DDR (statt der eigentlich überflüssigen Software-Einführung) gesondert als Beiheft zu finden gewesen wären.
An wen richtet sich die Veröffentlichung? Zuvorderst an alle, die im weiten Feld der Geschichtsvermittlung arbeiten. Autoren, die Blickfänger für ihre Veröffentlichungen zur DDR-Geschichte suchen, werden ebenso fündig wie Historiker, die eine aussagekräftige Visualisierung ihrer Vorträge schätzen. Nicht zu vergessen sind natürlich Lehrer, die hier eine Fülle thematischer (Einstiegs)Hilfen finden. Darüber hinaus hat die CD-ROM einen hohen dokumentarischen Eigenwert.
Fazit: Eine wertvolle Sammlung von Plakatmotiven aus der DDR, deren über weite Strecken unfreiwillige, wiewohl enthüllende Komik sich dem erfahrungsgesättigten Auge schnell, dem noch ungeübten aber schon bald darauf erschließt – und zum Nachdenken über den SED-Staat anregt.
Anmerkungen:
1 Alexander Jakowlew, Die Abgründe meines Jahrhunderts. Eine Autobiographie, Leipzig 2003, S. 362.
2 Zitiert nach Klaus Waschik / Nina Baburina, Werben für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts, Bietigheim-Bissingen 2003, S. 5.
3 Vgl. z.B. ebd. und Mara Lafont, Soviet Posters. The Sergi Grigorian Collection, München 2007.