„Bilder, vor allem technischer Provenienz, haben zur Zeit Konjunktur“ – mit diesen Worten beginnt Sven Stollfuß seine Forschungsarbeit zu digitalen Bilderwelten. Nicht nur in den Bildwissenschaften und in der Design- sowie Medientheorie liegt die Beschäftigung mit Visualisierungen im Trend, auch dem Laien begegnen Bilder vom Körperinneren sowohl in populärwissenschaftlichen Darstellungen als auch in aktuellen Fernsehproduktionen mit zumeist kriminaltechnischem oder medizinischem Hintergrund. Die genannten Bilder sind somit Teil der visuellen (Alltag-)Kultur in den Wissenschaften sowie in populärkulturellen Kontexten. Diese Ausgangslage greift der Autor in seiner Untersuchung der erkenntnistheoretischen Verflechtungen zwischen Wissenschaft und Populärkultur auf und zeichnet damit „Wissensformationen digitaler Sichtbarkeiten“ (S. 190) nach. Erkenntnisleitende Fragen sind hierbei die folgenden:
1. In welchen kulturellen Kontexten sind diese Bilder verortet?
2. Wie thematisieren sie unsere Vorstellung von der Funktion des biologischen Inneren des Menschen?
3. Welchen Anteil schließlich haben diese Bilder an der Konstitution unseres Menschen-, Selbst- und Weltbildes?
Die Publikation bewegt sich zwischen medienwissenschaftlicher Theoriebildung, Bildtheorie und Science and Technology Studies. Grundlage der Veröffentlichung ist die 2012 am Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg vorgelegte Dissertation des Autors.
Methodisch geistes- und kulturwissenschaftlich orientiert, befragt die Publikation die Theoriebildungen zur Generierung von Bildwissen auf ihre Fundiertheit für eine Theorie der endoskopischen 3D-Animation. Das herangezogene Bildmaterial findet sich zum Teil in Abbildungen wiedergegeben, die man sich beim Betrachten oftmals farbig und größer wünschen würde.
Im fünfgliedrigen Aufbau, der immer wieder von zusammenfassenden Zwischenbilanzen durchzogen ist, folgen einer grundlegenden Einführung in Verfahren und Diskurse der naturwissenschaftlichen und medizinischen Visualisierung Darlegungen zum digitalen 3D-Animationsdesign. Diese bilden die Grundlage für die Erörterung virtueller Körper im Allgemeinen und dem ‚High Resolution‘-Patienten in der modernen Medizin im Speziellen. Das vierte Kapitel macht eindrücklich nachvollziehbar, wie die vielfach zirkulären diskursiven Verknüpfungen zwischen Medizin und Populärkultur ausgerichtet sind. Das abschließende Kapitel schlägt die Annäherung über das Konzept des Dispositivs der virtuellen Endoskopie vor, um sowohl eine theoretische als auch analytische Zusammenführung zu gewährleisten.
Insgesamt gelingt es dem Autor nachvollziehbar und eindrucksvoll, die „Epistemologie digitaler Visualisierungen“ (S. 54) darzulegen, welche auf zweifache Weise medial gewendet ist: Einerseits handelt es sich um medizinische Visualisierungen, die auf digitale Art und Weise hervorgebracht wurden und nichtinvasive Verfahren der Medizin darstellen. Diese Form des technisierten Sehens durch datengestützte Bildgenerierung vermittelt den Eindruck, als sei die Sichtbarkeit nun bis in das menschliche Körperinnere erweitert. Andererseits finden sich ebendiese Visualisierungen in populärkulturellen Kontexten wieder. Wie die Ausarbeitung deutlich zu machen vermag, finden jedoch auch fiktionale und populärkulturelle Formen, etwa aus dem Film und besonders dem Computerspiel, Eingang in diese zirkuläre Art der Bildgenerierung: die algorithmische Verarbeitung von Daten referenziert in der gestalterischen Arbeit des Prozessierens von Daten Impulse aus populärkulturellen Computer-Animationen und -Simulationen.
Eine entscheidende Rolle kommt dabei den Interventionen der datengenerierenden Operateure und den Second Order Autoren im Postprocessing zu. Diese vollziehen den medizinischen, ‚virtualisierten‘ Blick, der am Bildschirm die Anpassungen zwischen medizinischen Geräten und deren Erzeugnissen sowie digitalen Medientechniken durchführt. Ihre erkenntnisleitende Gestaltungsarbeit ist ganz der Relation zwischen „dem, was zu sehen gegeben wird, und dem, was gesehen werden will“ (S. 123; Hervorhebungen im Original) gewidmet. Damit erfolgt eine Verschiebung vom biologischen Körper zum ‚High Resolution‘-Patienten. Dieser stellt ein zur Aufführung kommendes „techno-mathematisches und informatorisches sowie medien- und designspezifisches Konstrukt“ dar (S. 123).
Das hierdurch etablierte visuelle Wissen ist hochgradig von Diskursen, digitalen Dispositiven sowie Handlungspraxen geprägt. So wird deutlich, dass die virtuelle Endoskopie eine komplexe Verbindung aus fachspezifischen und interdisziplinären Diskursen und Praxen sowie wissenschaftlichen und populären Bildern darstellt. Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass es sich um spezifisch mediale Wissensprozesse der Verarbeitung von Daten sowie der digitalen Gestaltung in der 3D-Animation handelt. Damit ist die endoskopische 3D-Animation symptomatisch für eine hybride Visualisierungskultur, welche von der erkenntnistheoretischen Verknüpfung der Medialisierung von Medizin und der medialen Populärkultur sowie den Möglichkeiten computerbasierter Datenver- und -bearbeitungsprozesse maßgeblich bestimmt ist.
Die Forschungsarbeit legt anhand der virtuellen Endoskopie dar, wie sich die Grenzaufhebung zwischen Fakten und Fiktionen, welche Anneke Smelik1 konstatiert, im Kontext der aktuellen Medienkulturen vollzieht. In den Schlussbetrachtungen werden im Hinblick auf das visuelle Wissen der virtuellen 3D-Endoskopie drei zentrale Erkenntnisse resümiert:
1. Es handelt sich um komplexe Referenzen aus verschiedenen tomographischen Scans, Prozessen der Datenverarbeitung und –aufbereitung, unterschiedlichen disziplinären Praktiken, Fachdiskursen, weiteren Bildwelten aus Medizin, Medien und Populärkultur sowie „kollektivem Wissen zwischen medizinischer Wissenschaft und Populärkultur“ (S. 199).
2. Die Prozesse der Datenerhebung und –verarbeitung sind genuin medial verfasst, werden erneut digitalen Prozessen unterworfen und damit einem weiteren medialen Wissensprozess unterworfen.
3. Es handelt sich um einen Medialisierungsprozess visuellen Wissens innerhalb einer hybriden Visualisierungskultur, die Sichtbarmachungen zwischen Wissenschaft und Populärkultur eng miteinander verwebt.
Spricht selbst die Bundeszentrale für Politische Bildung bereits 2011 davon, dass „‚visuelles Denken‘ als neue Kulturtechnik für das Internet-Zeitalter“2 gelte, so macht die an das interessierte Fachpublikum gerichtete Publikation – gerade im Kontext von digitalen Visualisierungen und technischen Bildern – einmal mehr deutlich, wie wichtig Bildwissen heute ist.
Anmerkungen:
1 Anne Smelik (Hrsg.), The Scientific Imaginary in Visual Culture, Göttingen 2010.
2 <http://pb21.de/2011/09/visuelles-denken> (10.06.2015).