"Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit"

"Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit"

Veranstalter
Polnische Historische Mission an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg; Haus des Deutschen Ostens (HDO) in München; Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń, Institut für Geschichte und Archivkunde, Lehrstuhl für Geschichte der skandinavischen Länder sowie des Mittel- und Osteuropas; Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Philosophische Fakultät, Lehrstuhl für Fränkische Landesgeschichte
Gefördert durch
Deutsch-Polnische Wissenschaftsstiftung (DPWS); Haus des Deutschen Ostens (HDO) in München
PLZ
97074
Ort
Würzburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.09.2021 - 21.09.2021
Deadline
18.09.2021
Von
Renata Skowronska, Polnische Historische Mission an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń)

Am 20.–21. September 2021 findet online eine wissenschaftliche Tagung zur Geschichte der Staatsangehörigkeit statt. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen. Titel der Tagung: „Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit“. Geschichte der Zugehörigkeit des Einzelnen zur Gemeinschaft und der daraus folgenden Rechte und Pflichten.

Um den Link (für Zoom) zu erhalten melden Sie sich bitte per Mail bei Dr. Lina Schröder (lina.schroeder@uni-wuerzburg.de) bis spätestens 18. September 2021 an.

"Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit"

Die Geschichte des Konzepts der Staatsangehörigkeit reicht in die Antike und ist mit der privilegierten Rechtsstellung der Staatsbürger, verstanden als freie Bewohner der griechischen Polis, verbunden. Ihre Position wurde zu Beginn durch die Philosophen im Kontext der Verpflichtungen und erwünschten Tugenden thematisiert. Erst Aristoteles definierte den Begriffsinhalt der Staatsangehörigkeit etwas ausführlicher, insbesondere in Hinsicht auf die Sonderrechte der Gruppe: Die Staatsbürger sind also diejenigen Männer, die berechtigt sind, an der Gerichtsbarkeit und Herrschaft teilzunehmen. Die Staatsbürgerschaft bedeutete daher volle politische Rechte für eine bestimmte Gruppe innerhalb der Polis. In den privilegierten Kreis der Bürger konnten nur Söhne der bürgerlichen Familien gelangen. Die „Fremden“, auch wenn sie schon lange, etwa in Athen, ansässig oder sogar geboren waren, sowie zahlreiche Unfreie blieben ausgeschlossen. Das Konzept der Staatsbürgerschaft wurde im antiken Rom weiterentwickelt. Anfänglich durften nur die Einwohner der „Ewigen Stadt“ die Rechte der cives Romani genießen, später wurde es auch an weitere Personen oder ganze Gruppen verliehen. Mit dem Ende der Republik verloren die Bürger allmählich ihre politischen Rechte. In der Folge entwickelte sich ein Modell der Staatsbürgerschaft, in dem die Gleichheit (Gerechtigkeit) vor dem Gesetz vorrangige Bedeutung hatte. Noch bis zur Constitutio Antoniniana, einer Verordnung Kaisers Marcus Aurelius Severus Antoninus (genannt Caracalla) aus dem Jahre 212, in der allen freien Bewohnern des Reichs das römische Bürgerrecht verliehen wurde, hatte es einen geschlossenen und elitären Charakter. Mit dem Edikt resultierte die Staatsbürgerschaft wiederum zu einem Allgemeingut aller Einwohner des Reichs (ausgeschlossen waren Unfreie und „Fremde“), jedoch ohne Zusicherung der Garantie bezüglich einer Teilnahme an Regierung und Gerichtsbarkeit. Die Staatsbürgerschaft bedeutete also lediglich einen bestimmten Status des Untertanen.

Auf dieser Basis entwickelten sich in den nächsten Jahrhunderten verschiedene Konzepte der Rechtsbeziehung zwischen dem Individuum und der Gemeinschaft, die mit veränderten politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konstellationen konfrontiert wurden. Zu einer neuen Epoche in der Geschichte der Staatsbürgerschaft wurde das Mittelalter, mit einer ganz neuen, sich allmählich und ungleich entwickelten Ordnung: dem Feudalismus. Die Gesamtbevölkerung wurde zu Abhängigen, denen je nach sozialem Status verschiedene Freiheiten, Rechte und Pflichten zustanden, jedoch ohne Gewährung politischer Privilegien, die zunächst allein beim König bzw. den geistlichen und weltlichen Fürsten lagen. In einigen Territorien konnten sich Landstände (Adel, Klerus, Städte, aber nur in den seltensten Fällen auch Bauern) herausbilden, welche politische Begehren gegenüber dem Landesherrn vorbrachten. Die Ideen einer teilweisen demokratischen Regierung und der Bürgerschaft in antikem Sinne wurden in dieser Zeit nur in kleineren Gemeinschaften realisiert, bevorzugt in den Städten, aber auch in den Klöstern mit den etwa in der Benediktinerregel verankerten Rechten des Konvents gegenüber dem Abt.

Im Verlaufe der Moderne wurde der Begriff der „Staatsbürgerschaft“ allmählich durch „Staatsangehörigkeit“ ersetzt; mit diesem wurde die Zugehörigkeit zum Staat betont, ohne ausdrücklich auf die Rechte und Pflichten des Bürgers hinzuweisen. Diese Wahrnehmung der Staatsangehörigkeit bestätigten verschiedene internationale Konventionen. Sie konzentrierten sich zuerst, vom staatlichen Gesichtspunkt ausgehend, auf die Gesetzgebung der Länder. In einer Konvention des Völkerbunds aus dem Jahre 1930 wurde betont, dass jeder Staat allein bestimmen kann, wer sein Bürger ist. Eine deutliche Wende in der Legislative zu diesem Thema brachte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahre 1948. Im Artikel Nr. 15 wurde das Recht auf die Staatsangehörigkeit als unverzichtbares Menschenrecht beschrieben: „Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit“ und „Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln“.

Ziel der Tagung ist die Darstellung der Entwicklung des Konzepts der Staatsangehörigkeit als gegenseitiges Rechtsverhältnis zwischen dem Individuum und dem Staat unter besonderer Berücksichtigung der Situation in den polnischen und deutschen Gebieten vom Mittelalter bis um 1948 (Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte). Dabei sollen, ausgehend von Formen, die die Privilegierung bestimmter sozialer Gruppen und Schichten zum Ziel hatten (z.B. die Stadtbürgerschaft im Mittelalter und der Frühen Neuzeit), verschiedene Phasen der Entwicklung dieses Begriffes bis zu der Ausbildung eines modernen Konzepts der Staatsangehörigkeit (18.–19. Jahrhundert) und der Anerkennung dieser als eines der Grundrechte eines jeden Menschen aufgezeigt werden (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948). In diesem Zusammenhang soll auch der Entwicklung der Wahrnehmung von Rechten und Pflichten des Untertanen und des Bürgers, sowohl durch die Obrigkeit als auch die Bevölkerung bestimmter Gebiete, Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Der geographische Rahmen der Tagung umfasst zwei Bereiche – den historischen polnischen und den deutschen Kultur- und Geschichtsraum. Die politischen Grenzen dieser Gebiete decken sich weitgehend mit dem Territorium des Heiligen Römischen Reichs, Preußens, des Deutschen Bundes bzw. des Deutschen Reichs sowie Polens (Königreich Polen, Polen-Litauen, Rzeczpospolita, Herzogtum Warschau, Kongress-Polen, Zweite Polnische Republik). Untersuchungszeitraum: epochenübergreifend, insbesondere vom Mittelalter bis um 1948.

Wir laden Sie herzlich zur Teilnahme an der Tagung ein!

Die Tagung wird unter der Schirmherrschaft von Frau Staatsministerin Melanie Huml und Herrn Generalkonsul Jan M. Malkiewicz veranstaltet.

Die Tagung wird in Verbindung mit dem Kolleg „Mittelalter und Frühe Neuzeit” veranstaltet.

Veranstalter:
Polnische Historische Mission an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg – Dr. Renata Skowrońska
Haus des Deutschen Ostens (HDO) in München – Prof. Dr. Andreas Otto Weber
Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń, Institut für Geschichte und Archivkunde, Lehrstuhl für Geschichte der skandinavischen Länder sowie Mittel- und Osteuropas – Prof. Dr. Andrzej Radzimiński
Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Philosophische Fakultät, Lehrstuhl für Fränkische Landesgeschichte – Prof. Dr. Helmut Flachenecker, Dr. Lina Schröder

Programm

Montag, 20. September 2021

9:00 – 9:30 Uhr Warteraum: Anmeldung

9:30 – 10:00 Uhr Grußworte

10:00 – 10:30 Uhr Einführungsvortrag (Moderation: Prof. Dr. Andrzej Radzimiński)
Sven Altenburger M.A. (Georg-August-Universität Göttingen): Die Pflichten des Bürgers. Politische Ideen und Institutionen in Deutschland (ca. 1880–1930)

10:30 – 11:00 Uhr Kaffeepause

11:00 – 12:45 Uhr Vom Bürgerrecht zur Staatsangehörigkeit (Moderation: Prof. Dr. Helmut Flachenecker)

Dr. Heinrich Speich (Masarykova Univerzita Brno): Bürger, Stadt und Staat. Standortbestimmung einer Zwangsbeziehung
Dr. Oliver Landolt (Stadtarchiv Schaffhausen): Das Bürgerrecht als exklusives Privileg. Das Landrecht im Land Schwyz im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit und seine Auswirkungen bis in die Gegenwart
Dr. Winfried Romberg (Julius-Maximilians-Universität Würzburg): Vom Untertan zum Staatsbürger. Zur Rechtsstaatlichkeitsentwicklung im aufgeklärten Fürstbistum Würzburg (ca. 1750–1802)

12:45 – 14:30 Uhr Mittagspause

14:30 – 15:30 Uhr Rechte, Pflichten und Ausnahmesituation (Moderation: Prof. Dr. Heinz-Dieter Heimann)

Dr. Lina Schröder (Julius-Maximilians-Universität Würzburg): „Item so eyn auswendiger frevelichen schaden thete im gemeinholcz...“ Der Seßlacher Bürgerwald und bürgerliche Rechte und Pflichten
Dr. Marek Starý (Univerzita Karlova v Praze): „Souveräne Untertanen.“ Die im Reich regierenden Fürsten als Untertanen der böhmischen Krone in der Frühen Neuzeit

15:30 – 16:00 Uhr Kaffeepause

16:00 – 17:00 Uhr Konfession als potenzieller Ausgrenzungsfaktor (Moderation: Prof. Dr. Caspar Ehlers)

Dr. Jiří Brňovják (Ostravská univerzita): The „right“ religion. Confessional affiliation and the estates in the Lands of the Bohemian Crown (from the early 17th century until the mid-19th century)
Thea Sumalvico (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg): Macht die Taufe zum Staatsbürger? Judentum, Christentum und Mechanismen des Ausschlusses im deutschsprachigen Raum des 18. Jahrhunderts

17:15 – 18:30 Uhr Stadtbesichtigung

Dienstag, 21. September 2021

9:00 – 10:00 Uhr Konzepte der modernen Rechtsbeziehung (Moderation: Prof. Dr. Wolfgang Wüst)

Prof. Dr. Alicja Kulecka (Uniwersytet Warszawski): The citizen in the ideology of political formations in the time of uprising 1863–1864
Dr. Mikołaj Banaszkiewicz (Sankt-Peterburgskij gosudarstvennyj universitet): The Northwestern Gubernias as a laboratory for social change. The contribution of Polish political thought to the development of the concept of citizenship in the Russian Empire

10:00 – 10:30 Uhr Kaffeepause

10:30 – 12:00 Uhr Elitär und egalitär (Moderation: N.N.)

Prof. Dr. Szymon Olszaniec (Uniwersytet Mikołaja Kopernika w Toruniu): The curiales (buleutai) in IV–VI century A.D.: social status, obligations and privileges
Dr. Jens Blecher (Universität Leipzig): Von der Landsmannschaft zum Bürger. Die nationale Selbstwahrnehmung und die Selbstorganisation von polnischen Studenten an der Universität Leipzig (1409–1919)
Dr. Marcin Jarząbek (Uniwersytet Jagielloński w Krakowie): Right to vote and the concept of citizenship in the Upper Silesian plebiscite in 1921. Conflicted understanding of belonging

12:00 – 13:30 Uhr Mittagspause

13:30 – 15:00 Uhr Zugehörigkeit und Ausgrenzung (Moderation: N.N.)

Prof. Dr. Wolfgang Wüst (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg): Arme als Staaten-, Herren- und Heimatlose. Zum Problem der Bettler-, Zigeuner- und Vagantenschübe in süddeutschen Territorien der Frühmoderne
Dr. Aleksandra Oniszczuk (Uniwersytet Warszawski): If neither citizens, nor foreigners, then what? Paradoxes of the Jewish community's civic and political status in the Duchy of Warsaw (1807–1815)
Dr. István Gergely Szűts (Habsburg Ottó Alapítvány Budapest): Flüchtlinge und Staatsbürgerschaft in Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg

15:00 – 15:30 Uhr Kaffeepause

15:30 – 17:30 Uhr Im Spiel der totalitären Staaten (Moderation: Prof. Dr. Peter Hoeres)

Dr. Jonathan Voges (Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover): „Ich bitte höflichst zu prüfen, ob es möglich ist, die Ausbürgerung zu annullieren.“ Osteuropäische Juden und ihr Kampf gegen die Aberkennung ihrer deutschen Staatsbürgerschaft am Beispiel des Landes Braunschweig
Prof. Dr. Albin Głowacki (Uniwersytet Łódzki): Wille des Bürgers oder Stärke des Staates? Über die sowjetische Staatsbürgerschaft polnischer Staatsbürger in der Sowjetunion in den Jahren 1939–1945
Dr. Wojciech Marciniak (Uniwersytet Łódzki): The issue of Poles’s citizenship in Soviet Union in activity of Polish Embassy in Moscow in years 1945–1948

Schlussdiskussion

Kontakt

r.skowronska@uni-wuerzburg.de

http://pmh.umk.pl/de/tagung-jeder-hat-das-recht-auf-eine-staatsangehorigkeit-2020/