Der Neue Markt im Berliner Marienviertel aus historischer Perspektive

Der Neue Markt im Berliner Marienviertel aus historischer Perspektive

Veranstalter
Historische Kommission zu Berlin e. V.
PLZ
10117
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
23.06.2023 -
Deadline
15.10.2022
Von
Historische Kommission zu Berlin e. V.

Der Neue Markt sowie das ihn umgebende Marienviertel in Berlin sind Produkte des 13. Jahrhunderts, deren lange wirtschaftliche und handelspolitische Bedeutung im heutigen Stadtbild nicht mehr präsent sind. Ziel des Kolloquiums ist es, beide Orte in die sozial-, wirtschafts-, bau-, architektur- und kunsthistorischen Zusammenhänge der jeweiligen Zeit einzubetten und einen epochenübergreifenden Überblick zu diesem bedeutenden Berliner Platz vom Mittelalter bis 1990 zu geben.

Der Neue Markt im Berliner Marienviertel aus historischer Perspektive

Der Neue Markt sowie das ihn umgebende Marienviertel in Berlin sind Produkte des 13. Jahrhunderts, deren lange wirtschaftliche und handelspolitische Bedeutung im heutigen Stadtbild nicht mehr präsent sind. Vielmehr dominiert eine große Freifläche den Raum, an dem bis in die 1930er-Jahre hinein Handel, Geselligkeit und urbanes Leben den Alltag bestimmten. Lediglich die Marienkirche lässt erahnen, dass hier bereits seit dem Mittelalter zahlreiche Berliner und Berlinerinnen gelebt und gewirkt haben müssen.

Ab dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts prosperierte die im Nikolaiviertel befindliche städtische Siedlung Berlin, die Fernhändler, Kaufleute und Handwerker angezogen hatte, wirtschaftlich so stark, dass der Raum um die Nikolaikirche sowie den Alten Markt (Molkenmarkt) zu eng wurde. Eine Stadterweiterung war die Folge – das Viertel um den Neuen Markt wurde bebaut. Hier schufen die Berliner um die Mitte des 13. Jahrhunderts moderne Infrastrukturen, die den wirtschaftlichen Erfordernissen der Zeit entsprachen und dem Fernhandel dienten. Der Hohe Steinweg, vermutlich Berlins erste gepflasterte Straße mit frühen ebenfalls steinernen Bauten, verband den Neuen Markt mit der Oderberger Straße, die zur Oder (und damit zur Ostsee) ebenso führte wie zu den Barnimdörfern. Aus dem Barnim trafen die Getreideüberschüsse sowie Hölzer für den überregionalen Export nach Hamburg und in den Nordsee-Raum ein, deren Handel die Berliner anfänglich zu Reichtum verhalfen. Agrarische Produkte wurden hier bis in das 18. Jahrhundert hinein vertrieben, insbesondere diente der Neue Markt als regionaler und lokaler Vieh- und Fleischmarkt. Über die gesamte Frühe Neuzeit hinweg blieb der geräumige, weitläufige und schöne Platz ein Anziehungsort für Händler, Handwerker und Gewerbetreibende. Wie sich derartige Stadterweiterungen mit neuen Märkten in die bestehenden urbanen Verhältnisse und Akteursstrukturen einfügten, gehört zu den spannenden Fragen der modernen Stadtgeschichtsforschung.

Unrühmliche Geschichte allerdings wurde 1324 geschrieben, als Berliner den Bernauer Propst erschlugen und ihn vermutlich auf dem Neuen Markt verbrannten. Das Sühnekreuz vor der Marienkirche soll mit diesen Vorgängen in Verbindung stehen, doch ist dies eine der offenen Forschungsfragen, die sich mit dem Neuen Markt verbinden. 1458 und 1510 fanden (ebenfalls politisch motivierte) Kriminalprozesse auf dem Neuen Markt statt, in deren Folge es zu öffentlichen Hinrichtungen kam. Insbesondere der Hostienschändungsprozess von 1510, in dem 41 Juden zum Tode verurteilt wurden, stellt eines der dunkelsten Kapitel Berliner Rechtsgeschichte in Verbindung mit dem Neuen Markt dar.

Grundlegende Veränderungen – auch in den Eigentümerstrukturen – setzten um 1885 ein, als die Moderne im Marienviertel Einzug hielt. Der Neue Markt wurde durch die Kaiser-Wilhelm-Straße im Norden verkleinert, nach Osten wurde er durch die Abbrüche von Häusern vergrößert; gleichzeitig verlor er mit der Inbetriebnahme der Zentralmarkthalle am Alexanderplatz seine einstige Bestimmung als Wochen- und Jahrmarkt. Die mittelalterliche Stadtstruktur wurde zugunsten der verbreiterten Kaiser-Wilhelm-Straße, die als neue Verkehrsader durch die Altstadt gezogen wurde, aufgebrochen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts gelangten zahlreiche Gebäude in die öffentliche Hand. Diese sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts fortsetzende Entwicklung schuf die Basis dafür, dass nach 1945 im Rahmen des sozialistischen Umbaus der Innenstadt die große, heutige Freifläche geschaffen wurde – mit der Folge, dass der Neue Markt sukzessive aus dem Bewusstsein der Berliner:innen verschwand. Wie mit diesem Verlust erinnerungspolitisch umgegangen werden kann und welche Bemühungen gegenwärtig existieren, dem Platz wieder urbanen Charakter zu verleihen (Stichwort Wiederaufstellung des Luther-Denkmals) soll ebenso thematisiert werden wie die stadtplanerischen Diskussionen, die zu DDR-Zeiten der Neugestaltung des Marienviertels vorangingen.

Neben historischen Zäsuren und öffentlichen Bauten, die das Stadtviertel einst prägten, sollen die kultur-, geistes- und sozialhistorischen Facetten des Viertels angesprochen werden. Zu denken ist an die jüdischen Prägungen dieses Raums mit der Alten Synagoge sowie Moses Mendelssohn, der in der Spandauer Straße 9 lebte und mit seinen wirtschaftlichen Aktivitäten auch in das Marienviertel hineinwirkte. Die Proteste in der Rosenstraße von 1943 spiegeln ebenso wie der bereits erwähnte Hostienschändungsprozess dunkle Kapitel Berliner Stadtgeschichte wider. Blickt man ergänzend auf die christlich-kulturelle Ausstrahlung der Marienkirche in ihr urbanes Umfeld, könnte die 1476 erwähnte, wohl aber nur bis in das frühe 16. Jahrhundert existierende Schule bei der Marienkirche als Bildungs- oder Kultureinrichtung ebenfalls von Interesse sein. Dass im Bereich der Rosenstraße, die in der Frühen Neuzeit auch ‚Hurengasse‘ genannt wurde, das im 15. Jahrhundert erwähnte Bordell gestanden haben dürfte und dieses Gewerbe im 19. Jahrhundert an der Königsmauer eine Heimstätte besaß, deutet wie die in den schmalen Gassen existierenden Unterschichtenquartiere auf soziale Problembezirke hin, die am nordöstlichen Rand des Marienviertels existierten.

Angesichts der spärlich fließenden schriftlichen Quellen jedoch, insbesondere zum Mittelalter und zur Frühen Neuzeit, bleiben die zahlreichen Berliner:innen, die einst im Marienviertel lebten und wirkten, im Verborgenen. Die aktuelle Stadtgeschichtsforschung ist deshalb auf Vergleiche mit anderen Städten angewiesen, sodass es Ziel des Kolloquiums ist, den Neuen Markt mit dem Marienviertel vergleichend zu anderen Städten in die sozial-, wirtschafts-, bau-, architektur- und kunsthistorischen Zusammenhänge der jeweiligen Zeit einzubetten und ihn epochenübergreifend vom Mittelalter bis 1990 zu untersuchen.

Wir freuen uns über Referatsvorschläge von Historiker:innen, Archäolog:innen, Bau- und Kunsthistoriker:innen, Sozial-, Rechts- und Wirtschaftshistoriker:innen sowie Kulturwissenschaftler:innen, die zu Märkten und den damit verbundenen vielfältigen Funktionen (überregionaler Handel mit Getreide, Vieh und Holz, Fleischmarkt, Gerichts- und Versammlungsplatz, Zünfte und Gewerbe, Bildung und Kultur, jüdisches Leben) samt den dazu gehörenden Akteuren und Infrastrukturen forschen und die die Berliner Verhältnisse einzubetten verstehen.

Bitte senden Sie Ihre Abstracts (maximal 2.000 Zeichen, deutsch- oder englischsprachig) sowie ein kurzes wissenschaftliches CV bis zum 15. Oktober 2022 an die Historische Kommission zu Berlin e. V. – info@hiko-berlin.de.

Die Vorträge sollen zwanzig Minuten nicht überschreiten. Wir bemühen uns, eine Aufwandspauschale zu übernehmen, können aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine definitive Zusage geben. Eine Publikation der Beiträge ist geplant.

Dr. Doris Bulach / Prof. Dr. Felix Escher / Ellen Franke M.A. / Dr. Benedikt Goebel / Dr. Guido Hinterkeuser / Dr. Wolther von Kieseritzky / Dr. Christoph Rauhut / Prof. Dr. Matthias Wemhoff

Weiterführende Informationen zur Arbeit der Historischen Kommission finden Sie unter https://www.hiko-berlin.de.

Kontakt

Ellen Franke
Historische Kommission zu Berlin e. V.
Jägerstraße 22/23 (BBAW)
10117 Berlin
Tel.: +49-(0)30-80 40 26 86
E-Mail: info@hiko-berlin.de

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