Die ‚Lageberichte der Geheimen Staatspolizei für die Reichshauptstadt Berlin‘, die für die Zeit von 1933 bis 1936 vorliegen, sind bislang, obwohl sie eine zentrale Quelle darstellen, noch nicht publiziert worden. Die Berichte sind für die Geschichte des Dritten Reichs und für die Erforschung der NS-Herrschaft deshalb eine wertvolle Quelle, weil sie die Reaktionen der Bevölkerung auf die Maßnahmen des NS-Staates aus der Binnenperspektive der Polizei wiedergeben. Polizeispitzel, verdeckte Ermittler, aber auch Personal aus Behörden wie dem Finanz- und Arbeitsamt trugen die Informationen zusammen, die nach einem festgelegten Muster in die Berichte einflossen. Unter Beobachtung standen die politische Opposition, die jüdische Bevölkerung, der Kirchenkampf beider Konfessionen sowie weitere weltanschauliche Gruppierungen. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Stimmung in den Betrieben wurden ebenso erörtert wie die Versorgung mit Lebensmitteln und Gebrauchsgütern. So entstanden vielschichtige Stimmungsbilder aus der Bevölkerung während der Konsolidierungsphase der NS-Herrschaft, die als Quelle zur Erforschung des Dritten Reichs zentral wichtig sind. Von besonderem Wert sind die monatlichen Berichte über Berlin, weil die Reichshauptstadt symbolhafte Bedeutung für das Regime besaß. Sich im ‚roten Berlin‘ politisch zu behaupten und insbesondere die Arbeiterschaft zu gewinnen war eine Conditio sine qua non für die NS-Herrschaft.
Das Vorhaben zielt auf eine historisch-kritische Edition dieser Berichte, die verstreut in drei Berliner Archiven überliefert sind und nun der Forschung sowie einer größeren Öffentlichkeit leicht zugänglich gemacht werden sollen. Es handelt sich um Grundlagenforschung für weitere Arbeiten zur Geschichte von staatlichem Terror und von schrecklicher Gewalt in der Zeit des Nationalsozialismus, nicht nur für Berlin, sondern auch darüber hinaus. Die Form einer Edition wurde gewählt, weil diese einzigartigen Dokumente der umsichtigen Behandlung und Kontextualisierung bedürfen. Erst die wissenschaftliche Erschließung macht sie zur fruchtbaren Grundlage für weitere Untersuchungen. Das Projekt startete am 1. Oktober 2022 und wird von der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung für zwei Jahre finanziell gefördert.
Neben der Präsentation des Editionsprojekts lädt Sie die Historische Kommission zur Verleihung der diesjährigen HiKo 21 – Nachwuchspreise ein. Erstmalig und ausnahmsweise wird aufgrund der hohen Qualität der beiden Bewerbungen der HiKo 21 – Nachwuchspreis gedoppelt. Unsere diesjährigen Preisträger sind: Philipp Dinkelaker M.A. und Jan Markert M.A.
Philipp Dinkelaker M.A. untersucht (und damit ergeben sich thematische Schnittstellen zum laufenden Editionsvorhaben) in seinem innovativen Dissertationsprojekt den Antisemitismus in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Dabei richtet er seinen Blick auf die beiden deutschen Staaten. Sein Untersuchungsgegenstand ist die erzwungene Kollaboration von Jüdinnen und Juden durch die Gestapo und deren erpresste Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst zum Schaden der jüdischen Mitbürger*innen. Indem Herr Dinkelaker über die Systemgrenze hinweg die innerjüdischen Aufarbeitungsprozesse zu diesen Zwangstaten mit der nichtjüdischen NS-Aufarbeitung durch die deutsche Gesellschaft miteinander verbindet, gelingt ihm ein interessanter sowie plausibler Zugang zur Erforschung des Antisemitismus nach 1945. Damit leistet er zugleich einen wichtigen Beitrag zur gegenwärtigen Antisemitismusdebatte.
Unser Preisträger Jan Markert M.A. schreibt eine politische Biografie zum preußischen König (und späteren deutschen Kaiser) Wilhelm I. Sein Dissertationsprojekt lautet ‚Wilhelm I. und die Hohenzollernmonarchie 1840–1866. Eine biographische Studie‘. Seine Forschungen beruhen auf einer beeindruckend großen Quellenbasis, bestehend aus mehreren tausend Briefen sowie aus Tagebüchern und Nachlässen. Insbesondere der Fokus auf bisher noch ungenutzte archivalische Quellen wurde von der Kommission als herausragend gewertet. Mit seinen Arbeiten trägt Herr Markert zum gegenwärtigen Monarchiediskurs in der Preußenforschung wesentlich bei und er bereichert die Historiografie zur Preußischen Geschichte im 19. Jahrhundert auf überzeugende Weise.