Der Begriff der Transformation ist in aller Munde. Spätestens seit der Entscheidung der Bundesregierung, das Zentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit in Halle anzusiedeln, ist er auch aus der Kultur- und Wissenschaftslandschaft Sachsen-Anhalts nicht mehr wegzudenken. Der geplante Ausstieg aus der Braunkohleförderung und -verstromung trifft auf eine Aufbruchsbewegung im Land, die von der neuen Industriekulturstrategie der Landesregierung gefördert wird. Eine Verbindung der Begriffe Transformation und Industriekultur steht trotz der naheliegenden Verknüpfung in der Alltagspraxis noch aus.
Mit der Tagung wird beabsichtigt, systematisch nach Schnittpunkten und Reibeflächen zwischen beiden Strömungen zu fragen: Industriekultur und Transformation – wie verhalten sich diese beiden großen Begriffe der Gegenwart zueinander?
In der gemeinsam vom Landesheimatbund und vom Institut für Landesgeschichte am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt organisierten Tagung geht es darum, das Verhältnis von Transformation und Industriekultur auszuloten. Kernannahme ist, dass die Transformationen der 1990er Jahre die Industriekultur des Landes, verstanden als die Geschichtskultur der Arbeitswelt, tiefgreifend veränderten. Ebenso wirkte die sich entwickelnde Industriekultur auf die Transformation und ihre Erfahrung zurück. Angesichts der anstehenden Herausforderungen des Strukturwandels strebt die Veranstaltung eine Vermessung und Bestandsaufnahme der Vergangenheit und Gegenwart der Industriekultur in Sachsen-Anhalt an.
Es stehen vier Schwerpunkte im Mittelpunkt, zu denen Themenvorschläge eingereicht werden können:
1. Industriekultur und Transformation – Begriffe und Konzepte:
- Welche begriffs- und ideengeschichtlichen Traditionen verbergen sich hinter diesen Begriffen und wie und auf welchen Wegen wurden sie im Land angeeignet, anverwandelt und selbst transformiert?
- Wie müssten diese Konzepte fortentwickelt werden, um als integrative Formeln alle Aktivitäten im geschichtskulturellen Feld zu bündeln?
- Wie wurde darüber hinaus die Transformation der 1990er Jahre im Land historisch und kulturell gedeutet? Wie lassen sich Transformationserfahrungen rückwirkend beobachten und beschreiben?
2. Transformation der Erinnerung:
- Welche Schichten der Erinnerung vereinen sich in der industriekulturellen Tradition Sachsen-Anhalts?
- Wie veränderte sich der Blick auf die Industriekultur in der Geschichtsschreibung und der öffentlichen Geschichtskultur seit der Zwischenkriegszeit?
- Wie transformierte sich die Industriekultur angesichts der Massenentlassungen und Privatisierungen der 1990er Jahre?
- Wie beteiligten sich in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Tätige, Vereine und private Initiativen an der Sicherung des industriekulturellen Erbes des Landes und welche Rolle spielten Planungen „von oben“ wie das industrielle Gartenreich?
- Welche Bedeutung hatte das industriekulturelle Vergessen in den 1990er Jahren?
3. Transformation von Natur und Landschaft:
Eng verbunden mit der Industrie Sachsen-Anhalts ist das Narrativ der DDR als ökologischer „failed state“. Gleichzeitig verweisen jüngere Forschungen auf die Modernität und Innovationskraft des Umwelt- und Naturschutzes sowie der Landschaftsgestaltung in der DDR. Vor diesem Hintergrund soll nach dem Verhältnis von „Industriekultur“ und „Industrienatur“ in der Geschichte Sachsen-Anhalts gefragt werden:
- Wie verhielten sich ökologische Großprojekte der 1990er Jahre im Vergleich zu den Umwelt- und Naturschutzprojekte der DDR?
- Welche Rolle spielten und spielen Naturschutzvereine und -initiativen in der Dokumentation und Sicherung von Umwelt und Natur in Sachsen-Anhalt, auch in Hinblick auf den Umgang mit Toxizität?
- Wie veränderte sich das Ehrenamt im Natur- und Umweltschutz mit dem Ende des Kulturbunds?
- Wie können die „Industriekultur“ und „Industrienatur“ Sachsen-Anhalts künftig enger zusammengedacht werden?
4. Transformation der Bildräume:
- Welche Bedeutung wird den Orten der Industriekultur beigemessen in ihrer Nachnutzung, als „Lost Places“ oder wirtschaftliche Investitionsobjekte?
- Welche ästhetischen Veränderungen geben in Fotografie und anderen Bildkünsten Rückschlüsse auf die Transformation des industriekulturellen Blicks?
- Welchen industriekulturellen Blick vermittelten Industriemuseen und Traditionskabinette der DDR?
- Welche ästhetischen Konzepte werden im Zusammenhang mit den industriebedingten Veränderungen der Landschaft entwickelt?
Beiträge von Forschenden aus sämtlichen Fachdisziplinen sind willkommen.
Wir laden ausdrücklich Geschichts-, Traditions- und Heimatvereine sowie Museen aus Sachsen-Anhalt zur Vorstellung ihrer Arbeit und Sammlungen ein. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen der Dialog und der Austausch zwischen Fachwissenschaft, Geschichtsinitiativen und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.
Vorschläge für Beiträge sind einzureichen bis zum 31. Juli 2023 unter info@lhbsa.de
Bitte geben Sie neben einer kurzen Beitragsskizze (maximal 300 Wörter) Ihre Kontaktdaten und Ihre Institution/Ihren Verein an. Reisekosten für Referentinnen und Referenten werden übernommen.
Eine Teilnahme ist auch ohne eigenen Beitrag möglich. Das Programm wird Ende August bekannt gegeben.