Original / Ton. Workshop zu einer Mediengeschichte des O-Tons

Original / Ton. Workshop zu einer Mediengeschichte des O-Tons

Veranstalter
Lehrstuhl "Europäische Medienwissenschaft", Universität Potsdam
Veranstaltungsort
Potsdam, Neues Palais
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.07.2003 - 19.07.2003
Deadline
15.04.2003
Website
Von
PD Dr. Nikolaus Wegmann / Harun Maye / Cornelius Reiber

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Die Bezeichnung O-Ton ist geläufig. Man denkt an Interviews, Kinofilme oder Politikersätze. Er ist Teil der täglichen Arbeit von Toningenieuren und Journalisten. Die Abkürzung “O-Ton“ verbirgt dabei, dass dieser Ton zwei Seiten hat: Original und Ton. Erst deren Kopplung lässt aus dem Rauschen ein Signal heraushören, dessen Einzigartigkeit den Unterschied macht. Der O-Ton ist nicht ein Ton unter vielen. Er verspricht Ursprünglichkeit, Glaubhaftigkeit und Authentizität. Dieses Versprechen verdankt sich der Zugehörigkeit eines Tons zu einer bestimmten Situation oder einem besonderen Körper. In der Kommunikation muss diese auratische Beziehung zwischen Ton und Quelle realisiert werden, wenn der Ton als Original wirksam werden soll. Dabei stellt sich die Paradoxie einer Kommunikationssituation, die gegen ihre technische Reproduzierbarkeit sicherstellen muss, dass Stimmen, Töne und Geräusche als originär und darin als einzigartig wahrgenommen werden. Die Entfaltung dieser Paradoxie ermöglicht einerseits eine Remedialisierung der Stimme durch technische Medien, andererseits die Auszeichnung dieser Medien als Instanz von unverstellter Präsenz.

Diese intermediale Situation regt an, macht produktiv, ist vielseitig in ihrem Gebrauch. Die Originalität originaler Töne findet sich in Radio- und Fernsehsendungen, Zeitungen, Kino, Wissenschaft, Literatur – eine Liste ohne Vollständigkeit. Sinnvoll erscheint daher allein der exemplarische Zugriff, zentriert auf die hier als Gliederung des Workshops vorgeschlagenen vier Bereiche: Journalismus, Film, Mediengeschichte und Kulturwissenschaft.

Der geplante Workshop will die historischen und aktuellen Fixierungen sowie die konkreten Verwendungsweisen des O-Tons zum Thema machen. Erbeten sind sowohl grundsätzliche Beiträge zur Diskurs- und Technikgeschichte des O-Tons als auch Fallstudien, die der Spannung zwischen technischer Regelhaftigkeit und Anspruch auf Einzigartigkeit nachgehen.

- Im Journalismus ist der Umgang mit O-Tönen einerseits Teil der berufspraktischen Routine, andererseits kann der O-Ton ein seltenes und wertvolles Fundstück sein. “O-Töne-Sammeln“ ist weder eine triviale noch einfache Arbeit. Der O-Ton liegt zwar auf der Straße, dennoch gibt es ihn nicht einfach so zum Mitnehmen, von oder für jedermann. Was ein O-Ton ist, wer ihn aussprechen und wer ihn aufnehmen kann, wie er zu bewerten ist und was er kann, das entscheidet sich erst im konkreten Einsatz. Der O-Ton existiert nicht als gegenständlich-konkret gegebener Ton; er ist keine objektiv messbare Größe, die nur noch aufgefunden werden muß. Der O-Ton wird vielmehr erst in journalistischen Operationen hergestellt.

- die eigentliche Mediengeschichte des O-Tons beginnt mit akustischen Speichermedien, die verhindern, dass Worte und Geräusche „als Tönendes in der Zeit“ (Hegel) einfach verschwinden. War bereits 1877 durch Edisons Phonograph und Grammophon prinzipiell alles speicherbar geworden, „was Kehlköpfe vor jeder Zeichenordnung und Wortbedeutung an Geräuschen auswerfen“ (Kittler), emanzipierte der Physiker Valdemar Poulsen den Ton von seinem analogen Trägermedium. Mit der Vorstellung seines “Telegraphon“ auf der Pariser Weltausstellung von 1900, war zum ersten Mal die elektromagnetische Aufzeichnung und Wiedergabe von Tönen möglich geworden. Die Weiterentwicklung des Telegraphons, technische Grundlage aller Tonbandgeräte und Videorekorder, ermöglichte nicht nur eine wiederholte Aufnahme und Wiedergabe von Tonsignalen auf einem identischen Träger, sondern auch deren Manipulierbarkeit. Durch Fortschritte in der Gerätetechnik sind Tonbandgeräte immer kleiner, preiswerter und leistungsstärker geworden. Seitdem lösen sich Worte, Töne und Geräusche endgültig von ihrem Ursprung. Sie sind buchstäblich tragbar geworden, zirkulieren in neuen Umgebungen, rekombinieren sich mit anderen Tönen, Tonträgern und auch Bildern. Die Tonbandtechnik bedeutet nicht nur einen technischen Fortschritt im Sinne einer Optimierung akustischer Medien. Sie war auch Grundlage für neue Experimente in Wissenschaft und Literatur. So sind z.B. die Psychoanalyse oder die experimentelle Literatur eines William S. Burroughs ohne Tonbandgeräte nicht vorstellbar.

- im Film zeigt sich das Konzept des O-Tons in der gleichzeitigen Produktion von Bild und Ton, sowie in der Unterscheidung von “Originalfassung“ vs. (z.B.) “Synchronfassung“. Der Schock, den die Zusammenführung von Bild und Ton im Film auslöste, führte zunächst zum Stillstand der Bilder. Die Fixierung des O-Tons war anfangs technisch so kompliziert, dass schnelle Bewegungen und Ortswechsel zunächst unmöglich wurden. Erst als die Möglichkeit der akustischen Nachbearbeitung des Films den O-Ton zu einem Ton unter anderen möglich werden lassen, wird sein Einsatz Teil künstlerischer Programme und die Entscheidung, ob Bilder getrennt vom Ton produziert werden dürfen, zum Glaubenssatz. Die Nouvelle Vague erhob die Nach-Synchronisation geradezu zum Prinzip – während fast zur gleichen Zeit Alexander Kluge mit einem fast unverständlichen o-Ton arbeitete. Und noch 1995 provoziert das Dogma-Manifest mit der Maxime: „The sound must never be produced apart from the images or vice versa“.

- In der Kultur- und Medienwissenschaft erscheint der O-Ton als Quelle. “Ad Fontes – zu den Quellen“ ist der philologische Imperativ nicht nur jeder historischen Wissenschaft, sondern aller Projekte, die etwas tradieren, beglaubigen, bewahren und auszeichnen wollen. Die Quellenlage muss gesichert und jederzeit kritisch überprüfbar sein. Nur wer oder was aus den Quellen heraus spricht, berichtet, deutet und spekuliert, kann Anspruch auf Wahrheit und Echtheit erheben. Aber die Quelle erscheint immer anders und im Plural. Die Quellen sind viele und vieldeutig. Sie schweigen, solange sie nicht zum Sprechen gebracht werden. Die Quelle als Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion und Deutung erscheint als Funktion ihrer Speicherung, Überlieferung und Interpretation. So mögen die reinsten Quellen und Archive gefunden sein, aber ob diese Quellen als Quellen erscheinen und überzeugen, zeigt sich erst in deren Präsentation oder Darstellung.

Programm

Kontakt

Für Nachfragen: cornelius.reiber@web.de

papers an:
PD Dr. N. Wegmann
"Europäische Medienwissenschaft"
Universität Potsdam
Postfach 601553
14415 Potsdam