Arbeitstagung: "Judenforschung"

Arbeitstagung: "Judenforschung"

Veranstalter
Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig
Veranstaltungsort
Simon-Dubnow-Institut, Goldschmidtstr. 28, D-04103 Leipzig
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.01.2004 - 31.01.2004
Website
Von
Dirk Rupnow

Das Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig veranstaltet mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG vom 29. - 31. Januar 2004 eine Internationale Arbeitstagung zum Thema

"Judenforschung": Denkstil, Wissenschaft und Ideologie zwischen Jahrhundertwende und Nationalsozialismus

"Judenforschung" bzw. die "Erforschung der Judenfrage" versuchte sich im NS-Staat als eigenständiger, historisch ausgerichteter und transdisziplinär fundierter geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlicher Forschungszusammenhang über die traditionellen Fachgrenzen hinweg zu etablieren. Aus heutiger Sicht gilt es nicht nur zu fragen, inwieweit dies seinerzeit gelungen ist, sondern es ist auch eine erkenntnistheoretische Paradoxie zu reflektieren. Sie besteht darin, daß die Integration jüdischer Geschichte in die deutsche Geschichte von denen durchgeführt worden ist, die gleichzeitig eine antijüdische Politik legitimierten und betrieben haben. Eine breitere intellektuelle Anerkennung und akademische Institutionalisierung der Erforschung jüdischer Geschichte findet in Deutschland parallel und geradezu komplementär zur Vertreibung und Vernichtung des deutschen und europäischen Judentums statt.

"Judenforschung" stellt dabei einen der markantesten Schnittpunkte von Wissenschaft und Propaganda sowie nationalsozialistischer Ideologie und antijüdischer Politik in ihrer Praxis von der Vertreibung bis zur Vernichtung dar. Ideologie, Wissenschaft und ein beide verbindender "Denkstil" (Ludwik Fleck) lassen sich aus heutiger Sicht nicht mehr ohne weiteres auseinander halten, wie dies lange Zeit suggeriert wurde. Die bisherige Forschung hat eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik durch die vereinfachende, pauschale Bezeichnung als "pseudo-wissenschaftlich" eher vermieden und das Thema zu entschärfen versucht. Auf diese Weise konnten nicht nur Kontinuitäten ausgeblendet, sondern auch die inhärenten Herausforderungen für die eigene wissenschaftliche Praxis abgewiesen werden. Letztlich wurden damit mehr Fragen aufgeworfen als Erkenntnisse erbracht.

Die Veranstaltung versucht, die wissenschaftliche Beschäftigung mit Judentum, jüdischer Geschichte und jüdischem Leben in Deutschland unter den Bedingungen des Nationalsozialismus in längere Traditionslinien der Wissenschaftsgeschichte zu stellen. Ebenso gilt es zu analysieren, wie die weitere Entwicklung nach 1945 verlaufen ist, sah sie sich doch einer fatalen Erbschaft gegenüber. Insgesamt interessieren dabei nicht nur Institutionen, Personen und die von ihnen hinterlassenen Quellen, sondern vor allem auch Konstrukte, Konzepte und Metaphern, mit denen Judentum und Juden dargestellt wurden.

Programm

DONNERSTAG, 29. JANUAR 2004

18:00
I. Eröffnung / Keynote Lecture

Dan Diner
Einführung: Über Realität und Verzeichnung von Differenz

Claudia Koonz
The Quest for a Respectable Antisemitism: Scholarship and the Spread of Racial Fear in the Third Reich

FREITAG, 30. JANUAR 2004

9:00
Begrüßung
Nicolas Berg / Dirk Rupnow

9:15 - 10:45
II. Einschreibung und Ausbeutung: Zu Motivationen und Praktiken der NS-Judenforschung
Chair: Susanne Zepp

Alan Steinweis
The Exploitation of Jewish Scholarship in NS-Judenforschung

Dirk Rupnow
"Judenforschung" im "Dritten Reich": Die "Arisierung" jüdischer Geschichte unter den Bedingungen des Nationalsozialismus

Pause

11:15 - 12:45
III. Kontinuitäten und Brüche: Jüdische und deutsche Geschichtsschreibung vor und nach 1945
Chair: Ashraf Noor

Michael Brenner
Von der "Judenforschung" zur Forschung von Juden: Deutsch-jüdische Historiker in den 1950er und 1960er Jahren

Thomas Etzemüller
"Kämpfende Wissenschaft" als Habitus. Zur Problematik von Objektivität in der Geschichtswissenschaft vor und nach 1945

Pause

14:15 - 16:30
IV. Theorie und Praxis: Zum Selbstverständnis von Akademikern im Nationalsozialismus
Chair: Dirk Rupnow

Ingo Haar
Die Konstruktion der "Judenfrage" in der deutschen Bevölkerungswissenschaft

Hans-Christian Petersen
Biographische Zugänge zur deutschen "Judenforschung". Das Beispiel Peter-Heinz Seraphim (1902-1979)

Carsten Schreiber
Im dualen System von Universität und Sicherheitsdienst: Der Leipziger SD-Judenreferent Dr. phil. Walter Hirche

Pause

17:00
V. Differenz und Diskriminierung: Zur "longue durée" von Denkstilen in der Wissenschaftsgeschichte

Diskussion

Dan Diner (Moderation)
Raphael Gross
Thomas Meyer

SAMSTAG, 31. JANUAR 2004

9:00 - 10:30
VI. Rasse und Religion: Zum Wandel von Theologie in Religionsgeschichte
Chair: Tobias Brinkmann

Susannah Heschel
Racializing Theology: Protestant Scholarship on Judaism during the Third Reich

Horst Junginger
Die Verselbständigung der nationalsozialistischen Erforschung der "Judenfrage" an der Universität Tübingen

Pause

11:00 - 12:30
VII. Klassifizieren und Sammeln: Zur Repräsentation von Juden in der Anthropologie
Chair: Nicolas Berg

Amos Morris-Reich
Racial Markers and Physical Assimilation - Franz Boas and Hans F. K. Günther in Comparison

Margit Berner
"Judentypologisierungen" in der Anthropologie am Beispiel der Bestände des Naturhistorischen Museums in Wien

Pause

14:00 - 15:30
VIII. Biologisierung und Metaphorisierung: Zur Wahrnehmungsgeschichte von Differenz
Chair: Markus Kirchhoff

Klaus Hödl
Juden als Subjekte und Objekte der Forschung. Aspekte der "Biologisierung von Kultur"

Nicolas Berg
"Luftmenschen": Begriffsgeschichtliche Semantik und wissenschaftliche Wirkungsgeschichte einer Metapher

Kontakt

Dr. Dirk Rupnow
Simon-Dubnow-Institut, Goldschmidtstr. 28, D-04103 Leipzig
dirk@rupnow.cc

www.dubnow.de
Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
Sprache der Ankündigung