"Die Farbe Weiß": Race in der Geschichtswissenschaft

"Die Farbe Weiß": Race in der Geschichtswissenschaft

Veranstalter
WerkstattGeschichte
Veranstaltungsort
Ort
-
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.06.2004 -
Deadline
01.06.2004
Website
Von
Lüdtke, Alf

"Die Farbe Weiß": Race in der Geschichtswissenschaft
CfP für einen Themenschwerpunkt in WerkstattGeschichte 2005

I.
"How the Irish Became White" - Dieser Buchtitel von Noël Ignatiev (1995) signalisiert eine höchst anregende Neuorientierung historischer Forschung in den USA. Die "whiteness studies" analysieren seit nunmehr eineinhalb Jahrzehnten weiße Identitäten und erkunden Kriterien und Praktiken der Ein- und Ausschließung, die weder mit sozialer Ungleichheit bzw. "Klasse" noch mit ethnicity angemessen zu erfassen sind. Dabei zeigt der genannte Buchtitel, wie sehr die Anregungen des "cultural turn" wirken: Whiteness und racial identity werden als veränderliche sozial-kulturelle Konstrukte verstanden, die die Wahrnehmung von und den Umgang mit Wirklichkeit bestimmen. Und selbst da, wo scheinbar physikalische Eindeutigkeit (wie bei den Wellenlängen von Farben) vorliegt, ist nach der Definitionsmacht der Akteure und der diskursiven Konstruktion von Zuschreibungen, nicht aber einer physikalischen Mess-Größe zu fragen.

Im US-Kontext (aber beileibe nicht nur da) spielt "race", anders als hierzulande, als analytische Kategorie seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle. Dabei ist freilich vorausgesetzt, dass "Weiß" eine externe Bezugsgröße, aber nicht selbst eine "Farbe" sei, im Sinne der scheinbar eindeutigen Differenz zwischen "uns" und "ihnen". Dass aber die Wahrnehmung und Benennung von Farb-Unterschieden an die jeweilige Definition oder "Konstruktion" von "Farbe" gebunden ist, hat erst die Radikalisierung dieser Sicht verdeutlicht. Eine einschlägige Aufsatzsammlung heisst "Colored White" (2002), verfasst von David Roediger, einem Historiker von Arbeitsprozessen und ArbeiterInnen in den USA. Whiteness nicht als gegebene Größe zu betrachten, sondern zum Forschungsgegenstand zu machen bedeutet also, Vieldeutigkeit zu betonen, whiteness in Beziehung zu anderen (Selbst-)Positionierungen zu denken und damit zu historisieren.

II.
Es bedarf keiner großen Erläuterung dafür, dass "Rasse" im deutschen Sprachraum nicht nur politisch unkorrekt, sondern analytisch untauglich schien. Die Haftungsgemeinschaft für Völkermord, Shoah und Ausrottungskrieg hatte auch hier Folgen. Zu fragen ist aber, ob das Ausklammern von "Rasse" nicht aber Einsicht blockiert - in die konkrete Dynamik und die Gewalt von Ausschließung, zumindest in den Formen, in denen sie in anderen Gesellschaften und Kontexten erfahren werden.

Die globalen Migrationen der letzten Jahrzehnte haben auch hierzulande die Aufmerksamkeit dafür geschärft, dass in der europäischen Moderne die Bewertungen von Hautfarben von Menschen wechselnde Konjunkturen hatten. Nicht zuletzt in den kolonialen "Phantasiereichen" (Birthe Kundrus) haben jene Markierungen langfristige Spuren hinterlassen, welche die "ganz Anderen" als "Barbaren" oder "Wilde" vorstellten (Frantz Fanon; John Maxwell Coetzee): Sie wurden als nicht-weiss wahrgenommen und als andere "Rasse" biologistisch gekennzeichnet, vielfach ausgeschlossen und brutal verfolgt.

III.
WerkstattGeschichte plant für das Jahr 2005 ein Heft mit dem Themenschwerpunkt "race/whiteness": "Die Farbe Weiß": Race in der Geschichtswissenschaft. In diesem Heft käme es darauf an, Aspekte der "neuen" Diskussion von Rasse/"race" sichtbar zu machen. Eine wichtige Frage wäre, was die Frage nach "whiteness" im deutschsprachigen Kontext bedeutet.

Mögliche Themen für einen Aufsatz wären:
- race/Rasse - zur Problematik der Kategorie oder: schafft der (weitgehende) Verzicht auf die Kategorie einen blind spot ?
- whiteness: zu Frage der "Importierbarkeit" und des möglichen Ertrags einer analytischen Kategorie; wie könnte eine Forschungsagenda aussehen?

Anknüpfungspunkte für empirische Fragestellungen sehen erste Ansätze für die Nutzung des Konzepts whiteness z.B. zu Themen wie:
- Veränderung von Rassismus/Denken in Kategorien von "Rasse" nach 1945; lässt sich für die bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte von einer Amerikanisierung von Rasse-Vorstellungen und Rassismus reden?
- postcolonial studies
- Geschichte von Migrationen / Profile von Einwanderungsgesellschaften
- Wohlfahrtsstaatlichkeit - und deren Veränderungen
- historische Gewaltforschung
- Religiosität / Politik der Religion
- Debatten um / Praktiken von Multikulturalismus

Wir erbitten 1- bis max. 2seitige Exposés bis zum 1. Juni 2004. Erstfassungen der Aufsätze sollten ggf. bis zum 31. Oktober 2004 vorliegen.

Programm

Kontakt

Alf Lüdtke
Arbeitsstelle Histor. Anthropologie
Universität Erfurt
Postfach 900 221
99105 Erfurt
e-mail: alf.luedtke@uni-erfurt.de

Stefan Mörchen
Fb 9 / Kulturwissenschaften / sfg
Universität Bremen
Postfach 330440
28334 Bremen
e-mail: moerchen@uni-bremen.de