Die MHFA (Guillaume Garner) veranstaltet am Dienstag, den 19. Februar 2008, eine Tagung zum Thema: „Die Zünfte – Akteure des ‚Marktes’? – Deutschsprachiger Raum, Frankreich, 17.-frühes 19. Jahrhundert“.
1. Rahmen
Anders als lange Zeit von der Geschichtsschreibung angenommen, scheint das frühneuzeitliche Zunftwesen keineswegs inkompatibel mit den Prinzipien des Marktes gewesen zu sein. Die von W. Sombart formulierte These einer Opposition zwischen „Nahrungs-prinzip“ und „Marktprinzip“ ist inzwischen von einer ganzen Reihe an Arbeiten zurückgewiesen worden. Diese zeigen auf, dass, im Gegenteil, die Zünfte ganz und gar in den Markt integriert waren – jedenfalls, solange man dafür optiert, den Markt nicht nur als Ort geldwirtschaftlicher Tauschbeziehungen zu definieren, sondern als Gesamtheit all jener Transaktionen, durch die Individuen Güter tauschen und Verträge abschließen. Mit der Ablehnung einer Dichotomie zwischen traditionellen und marktorientierten Wirtschaftssystemen setzt sich ein solches Verständnis von einem evolutiven Schema ab, wie es etwa von K. Polanyi vorgeschlagen wurde, der im vormodernen Wirtschaftssystem für den Markt keinen Platz sah.
In dieser Perspektive ergibt sich eine Reihe von bemerkenswerten Übereinstimmungen zwischen den Forschungen, die derzeit in Deutschland, Frankreich oder England unternommen werden. Diese aktuellen historiographischen Entwicklungen möchte die Tagung in einem gemeinsamen Dialog vereinen. Dabei sollen die Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die der Vergleich zwischen dem Alten Reich und Frankreich bietet – zwei Einheiten, sie sowohl Ähnlichkeiten (Vorhandensein von Zünften) wie starke Unterschiede (auf politischer und institutioneller Ebene) aufweisen.
2. Fragestellungen
2.1. Normen und „Interessen“
Eine erste Anzahl von Fragen richtet sich auf die Formen, die die Argumentationen annahmen, welche von Zünften oder Handwerkern ins Feld geführt wurden, um dieses oder jenes Gesuch zu rechtfertigen. Inwieweit kann dabei dem Rechnung getragen werden, was abhängig ist:
— von Normen: „ökonomischer“, ethischer („moral economy“), politischer Art?
— von der Vertretung spezifischer Interessen … ? Welchen Platz ist der Kategorie des „Interesses“ überhaupt einzuräumen?
Zu untersuchen wäre hier also, wie sich Argumentationen miteinander verbinden, deren bislang unterstellte Unvereinbarkeit infrage gestellt wird: das Argument der „Nahrung“ etwa hat vorgebracht werden können, um damit Positionen zu verteidigen und/oder eine relative Gleichheit im Zugang zur Tauschwirtschaft zu garantieren.
2.2. Akteure
Um sich den in diese Gesuche tatsächlich involvierten Akteuren zu nähern, bietet es sich an, die Zünfte nicht als homogene Blöcke zu verstehen, sondern als Konfigurationen, die auch von Konfrontationen zwischen verschiedenen Akteuren mit bisweilen ge-genläufigen Interessen und Strategien durchzogen sind. Zu berücksichtigen wären hier etwa Konkurrenzbeziehungen, die die Form von Konflikten annehmen konnten – sei es zwischen Mitglieder einer einzelnen Zunft (zwischen Meistern oder zwischen Meistern und Gesellen), zwischen verschiedenen, derselben Stadt, aber unterschiedlichen Sektoren angehörenden Zünften oder auch zwischen Zünften, die dem gleichen Sektor, aber verschiedenen Städten angehörten.
2.3. Markt, Obrigkeiten und Institutionen
Über die Vielfalt der Definitionen hinaus, mit denen sich der Markt umreißen lässt, wird allgemein die Notwendigkeit anerkannt, sich nicht darauf zu beschränken, das Phäno-men mit einem strikt „ökonomistischen“ Ansatz zu ergründen. Einbezogen werden müssen vielmehr auch seine sozialen, institutionellen und kulturellen Dimensionen. Diese notwendige Erweiterung der Perspektiven führt zu den folgenden zwei Fragen:
— Wie situieren sich die Gesuche (diese „Diskurse“) im Verhältnis sowohl zu den Ob-rigkeiten und den politischen Instanzen (Stadträte, Staat – was, im Fall des Alten Reichs, auf die Institutionen der Territorialstaaten verweist, möglicherweise aber auch auf diejenigen des Reichs selbst) wie zu anderen Akteuren des Wirtschaftslebens, etwa Handelskreise, außerzünftige Arbeitskräfte, religiöse Minderheiten? Zu erinnern wäre hier daran, dass auch die Zünfte zu jenen „Institutionen des Marktes“ gehörten, die ei-nen Rahmen ökonomischer Regulierung lieferten, der von der Handelswelt selbst als unabdingbar angesehen wurde.
— In welchem Maße nun stellten diese Regulierungsinstitutionen nicht nur Akteure dar, sondern wurden selbst zu Objekten von Spannungen und Konfrontationen?
2.4. Markt und Raum
Ein letzter Fragekomplex bezieht sich schließlich auf die räumliche Dimension der Märkte. Setzt man voraus, dass die Wirtschaftssysteme des Ancien régime Tauschwirtschaften waren, in denen der Transfer von Gütern im Raum und über sehr unterschiedliche Distanzen eine ausschlaggebende Rolle spielte, dann lässt sich nach dem Verhältnis fragen, das Zünfte und Handwerkskreise zum Raum des Tausches (und der Produktion) unterhielten:
— Werden dabei eine oder mehrere Referenzskalen deutlich (die Stadt, die Stadt und ihr ländliches Umfeld, eine territoriale Herrschaftseinheit)? Waren diese Skalen intern differenziert und möglicherweise hierarchisiert?
— Welchen Status nahm die politische oder territoriale Grenze ein?
Diese Fragen sollen dazu dienen, die Behauptung zu überprüfen, gerade die insbesondere im 18. Jahrhundert abnehmende Bedeutung politischer und territorialer Grenzen habe entscheidend zum Aufkommen einer „liberalen“ „Marktwirtschaft“ beigetragen.