In Zeiten der Krise werden auch immer Rufe nach einer möglichst sparsamen Gestaltung der öffentlichen Verwaltung laut. Gleichzeitig soll sie ihren Pflichten möglichst schnell und umfassend nachkommen. Größtmögliche Wirkung bei kleinstmöglichen Kosten ist die Devise für die Gestaltung von Organisationen – sei es in der öffentlichen Verwaltung oder im privatwirtschaftlichen Bereich. Anhand von Instruktionen, also Dienstbeschreibungen oder modern ausgedrückt Arbeitsplatz-, Tätigkeits- bzw. Stellenbeschreibungen, lässt sich nachvollziehen, dass Fragen nach dem „besten“ Weg, zielgerichtetes Handeln zu gestalten, in den europäischen Gesellschaften spätestens seit dem Hochmittelalter zentral waren. Ziel der Tagung ist es, einen Bogen von mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Instruktionen bis zu den Arbeitsplatzbeschreibungen der Gegenwart zu schlagen.
Zwei FWF-Projekte, zum einen das Projekt „Herrschaftsverwaltung in Niederösterreich“ (FWF-P 20350) am Institut für Geschichte der Universität Wien und zum anderen das Projekt „Zu Diensten Ihrer Majestät. Geschichte der Organisation des Wiener Hofes in der Frühen Neuzeit“ (FWF-P 20157) am Institut für Österreichische Geschichtsforschung in Wien, haben Instruktionen der Frühen Neuzeit ins Zentrum ihres Forschungsinteresses gerückt. Zum einen geht es dabei um Instruktionen und normative Texte des grundherrschaftlichen Bereichs, zum anderen um Instruktionen und Hofordnungen des kaiserlichen Hofstaats.
Instruktionen, also Dienstbeschreibungen oder (wie bereits gesagt) modern ausgedrückt Arbeitsplatz-, Tätigkeits- bzw. Stellenbeschreibungen, sind eine bislang von der historischen Forschung wenig in den Blick genommene, in ganz Europa verbreitete Quellensorte. Dieses Forschungsdesiderat ist der Ausgangspunkt der im Mai 2010 in Wien stattfindenden Tagung „Verschriftlichte Ordnungsvorstellungen in der Frühen Neuzeit. Genese und Wirkung von Instruktionen und Ordnungen“. Gefragt wird dabei nach der Genese, der Bedeutung, dem Charakter, der gegenseitigen Beeinflussung und der Fortwirkung von verschriftlichten Ordnungsvorstellungen in den verschiedensten Bereichen von Verwaltung beziehungsweise Organisation.
Wien ist somit nicht bloß Tagungsstandort, sondern spielt gleichzeitig eine besondere Rolle in den genannten Forschungsprojekten. Während es im Projekt über die Organisation des kaiserlichen Hofstaates absolut im Zentrum steht und sowohl Forschungsstätte als auch Schauplatz des Forschungsgebiets darstellt, weisen auch die beiden Projekte zur Grundherrschaft wichtige Bezüge zu Wien auf. So befinden sich viele der ehemaligen Besitzungen der Grundherrschaft des Stiftes Klosterneuburg auf dem heutigen Gebiet der Stadt Wien, und viele Fäden der Verwaltung der Herrschaften der Fürsten von Liechtenstein in Niederösterreich liefen in den Wiener Palais (Stadtpalais Liechtenstein in der Bankgasse und Gartenpalais Liechtenstein in der Roßau) zusammen. Heute noch lagern die meisten für das FWF-Projekt relevanten Archivalien im Fürstlichen Hausarchiv im 9. Wiener Gemeindebezirk, wodurch Wien also auch hier Forschungsstätte ist.
Das Beispiel Wiener Hof
Der frühneuzeitliche Wiener Hof erhielt seine schriftlich fixierte Struktur mit der von Ferdinand I. 1527 erlassenen Hofordnung. In dieser wird aber nicht nur die Organisationsstruktur des Hofes umrissen, sondern auch der jeweilige Tätigkeitsbereich der verschiedenen Funktionsträger und Funktionsbereiche. Die Funktionsträger des Hofstaats wurden schon zu dieser Zeit mit individuellen Instruktionen ausgestattet, durch die sie persönlich an ihren Dienstgeber gebunden und in ihren Tätigkeitsbereich eingewiesen wurden. Im Bereich der politischen Verwaltung wurde der Tätigkeitsbereich ganzer Behörden mittels Instruktionen gestaltet, so dass es im Bereich des Wiener Hofes personalisierte Instruktionen und apersonale Instruktionen für ganze Behörden gab.
Ab dem 17. Jahrhundert kennt man keine Hofordnungen mehr für den Wiener Hof. Im Angesicht der immer umfangreicher und detaillierter werdenden Instruktionen schien es nicht mehr möglich oder notwendig zu sein, die organisatorische Struktur des Hofstaats für einen bestimmten Zeitpunkt zu fixieren, so wie dies bei den Hofordnungen von 1527 und 1537 passierte. Man begnügte sich mit Reformen der eingeführten Ordnung, die sich in den Abänderungen der Instruktionen für die einzelnen Funktionsträger widerspiegeln. Ab 1652 begann man wieder mit einer schriftlichen Sammlung von Instruktionen. Es wurden „Instruktionsbücher“ angelegt, die bis ins frühe 19. Jahrhundert geführt wurden. In ihnen wurden Instruktionen eingetragen, die ja bei der ausstellenden Instanz selbst nicht verblieben, da sie für den Empfänger ausgestellt wurden und bei ihm auch verblieben, was von den Zeitgenossen bemängelt wurde. Durch die Anlage der Instruktionsbücher schuf man ein je nach Bedarf ajouriertes Gedächtnis der Organisation, auf das man jederzeit zurückgreifen konnte.
Das Beispiel Grundherrschaft
Adelige und geistliche Grundherren begannen im 16. Jahrhundert, ihre Herrschaften neu zu strukturieren und zu organisieren, und zwar wohl in erster Linie, um ihre Einnahmen zu erhöhen. Eingeleitet wurde dieser Prozess durch eine Vergrößerung der Grundherrschaften und die Herausbildung von Herrschaftskomplexen, wie die Beispiele der Herren bzw. Fürsten von Liechtenstein in Wilfersdorf und Feldsberg ([seit 1919] Valtice) sowie des Augustiner-Chorherrenstiftes Klosterneuburg in Niederösterreich zeigen. Dieser Prozess hatte auch die Reaktivierung der landwirtschaftlichen Eigenbetriebe, die Errichtung von Gewerbebetrieben sowie die Stärkung der herrschaftlichen Rechte und die Einführung neuer Abgaben zur Folge. Mit der zunehmenden Kommerzialisierung der Grundherrschaften wuchs der feudale Druck auf die bäuerliche Bevölkerung, gleichzeitig versuchten die Grundherren, die Lebensbereiche ihrer Untertanen möglichst umfassend zu normieren und zu kontrollieren.
Teil dieser Entwicklung war auch die Diversifizierung der einzelnen Bereiche der Herrschaftsverwaltung. In diesem Zusammenhang kam es seit dem 15. Jahrhundert zur Herausbildung eines bürokratischen Verwaltungssystems, das an die Stelle der früheren Burggrafen oder Hofmeister als Alleinverantwortliche trat und das einem fortschreitenden Verschriftlichungsprozess unterlag. Mit der Ausgabe von Instruktionen für herrschaftliche Beamte und Handwerker sollten die jeweiligen Amtsinhaber über ihre Aufgaben und Pflichten informiert und das Funktionieren der Herrschaften garantiert werden. Häufig wurden sie nur geringfügig verändert und über viele Jahre weiter verwendet.
Fragestellungen der Tagung
Instruktionen gibt es überall dort, wo Verwaltung stattfand beziehungsweise – allgemeiner ausgedrückt – zielgerichtetes Handeln organisiert wurde. Die Quellengattung steht (scheinbar paradox) einerseits für Kontinuität der Verwaltung und andererseits häufig auch für Reformwillen. In der ersten Sektion der Tagung wird die Frage nach der Genese von Instruktionen gestellt. Handlungsanweisungen im Allgemeinen kennt man schon lange – vor allem im Bereich des Gesandtschaftswesens. Seit dem Spätmittelalter werden diese Texte auch in der politische Verwaltung immer wichtiger.
Die zweite und dritte Sektion befasst sich dann für den Zeitraum der Frühen Neuzeit mit den speziellen Bereichen des Wiener Hofes und der grundherrschaftlichen Verwaltung. In der vierten Sektion werden diesen beiden Sphären noch weitere Fallbeispiele aus anderen Bereichen hinzugefügt: Stadt, geistliche Orden, Kirchenverwaltung, landesfürstliche Mittelbehörden und landständische Verwaltung. Dieser breit angelegte Vergleich soll es ermöglichen, gegenseitige Beeinflussung sichtbar werden zu lassen. Haben zum Beispiel am Wiener Hof in hohen Positionen tätige Adelige ihre im Bereich der Grundherrschaften erprobten Ordnungsvorstellungen auf den Hof übertragen oder umgekehrt?
Den Abschluss der Tagung bildet eine interdisziplinäre Sektion, die das Tagungsthema in die Gegenwart hineinträgt. Vertreter aus den Bereichen des Arbeitsrechts, der Soziologie und der Wirtschaftswissenschaften werden das Thema in seiner Entwicklung und Bedeutung in Gegenwart und jüngster Vergangenheit reflektieren. Welche Bedeutung haben vor allem schriftliche Normen (Arbeitsplatzbeschreibungen, Organigramme etc.) in der Organisation von Firmen und der öffentlichen Verwaltung? Wie wird heute Ordnung geschaffen und durchgesetzt?
Siehe auch:
http://www.fwf.ac.at/de/abstracts/abstract.asp?L=D&PROJ=P203500350; FWF-Projekt "Zu Diensten Ihrer Majestät"
http://www.univie.ac.at/hoforganisation/projekt/projekt.html; Institut für Geschichte
http://www.univie.ac.at/Geschichte/htdocs/site/arti.php; Institut für Österreichische Geschichtsforschung
http://www.univie.ac.at/Geschichtsforschung/